C.O.B. - Moyshe McStiff And The Tartan Lancers Of The Sacred Heart
(1972, UK, Polydor / Folk Mill) Lange Zeit hat man sich an CLIVE PALMER „nur“ als Gründungsmitglied der populären INCREDIBLE STRING BAND erinnert. Sein späteres musikalisches Schaffen, das mit dem ambitionierten Projekt C.O.B. (Clive's Original Band) seinen eigentlichen Höhepunkt fand, war für Jahrzehnte nur von Plattensammlern und manchen 60er/70er „Zeitzeugen“ gewürdigt worden. Erst seitdem vor ein paar Jahren die beiden C.O.B.-Alben „Spirit Of Love“ und „Moyshe McStiff...“ endlich auf legalem Wege wieder zugänglich gemacht wurden, sind PALMER und seine beiden damaligen Mitstreiter JOHN BIDWELL und MICK BENNETT, zumindest innerhalb der neuen (Internet-)Folkszene, wieder in aller Munde. Auch wenn der Bandname im Grunde nur aus verkaufsstrategischen Gründen von der Bandmanager JO LUSTIG so ausgewählt wurde (Der „familiäre“ Bezug zur STRING BAND wollte auf den ersten Blick sichtbar gemacht sein – immerhin waren ISB Anfang der 70er die einzige psychedelische Folkband, die es bis in die Hitparade geschafft hatte...), PALMER nie ein echter „Frontmann“ hätte sein können oder wollen und BENNETT letztendlich für den größten Teil von Gesang und Texten verantwortlich war – so strahlt der Namenspatron doch eine seltsam ehrwürdige, beinahe mystische Authentizität aus, die ihn über die Jahre hinweg immer zum stillen Mittelpunkt von Künstlernetzwerken hat werden lassen. Als Jugendlicher war Clive Palmer der typische Außenseiter. Früh lernt er Gitarre- und Banjospielen, mit 15 besucht er die Kunsthochschule, kurz darauf treibt er sich quer durch Europa herum. Als Straßenmusiker lernt er den später einflussreichen Songwriter WIZZ JONES schon 1959 in Paris kennen, Anfang der Sechziger zieht es ihn zurück nach Edinburgh, wo er mit dem ebenso jungen ROBIN WILLIAMSON alle möglichen Folkclubs in Schottland abgrast, bis die beiden auf MIKE HERON stoßen und zu dritt 1966 ein noch sehr traditionelles Folkalbum unter dem Namen THE INCREDIBLE STRING BAND aufnehmen. Das ganze versandet jedoch sehr schnell, da Robin eine proto-hippiedelische „magical mystery tour“ nach Marokko unternimmt und Clive für fast zwei Jahre nach Indien und Afghanistan verschwindet. Als Palmer nach England zurückkehrt, ist es bezeichnenderweise zuerst WIZZ JONES, mit dem er sich musikalisch zusammentut. Altenglische Banjo-Aufnahmen entstehen, gehen verloren und werden erst vierzig Jahre später unter dem Titel „Banjoland“ veröffentlicht. Von der psychedelischen Hippie-Welle, die inzwischen über das Vereinigte Königreich hereingebrochen war und enormen Einfluss auf die Folkszene nahm, erwartete Palmer nicht allzu viel und ging eher auf Distanz. Den Kontakt zu Mike Heron und Robin Williamson, die nun als Duo die britische Auflage des „summer of love“ einläuteten, hielt er zu dieser Zeit trotzdem weiterhin aufrecht, doch war es jetzt eher der Freundeskreis von Wizz Jones, in dem er sich bewegte. Ein Bekannter von Jones war auch RALPH McTELL, der mit „Eight Frames A Second“ gerade ein sehr erfolgreiches Songwriter-Folk Album herausgebracht hatte und sich im Sommer 1967 nach Cornwall zurückzieht, wo auch sein zweites Album „Spiral Staircase“ (Die spätere Single-Auskopplung „Streets Of London“ hört man auch heute noch häufig im Radio.) entsteht. In Newquay, Cornwall entwickelt sich nun eine rege Wohnwagen-Folkszene, die zum größten Teil aus Exil-Londonern besteht, oder solchen, die wie McTell eigentlich nur Urlaub in der Provinz machen wollten. Auch Jones und Palmer sind in Newquay, während McTell gerade mit HENRY BARTLETT und MICK BENNETT die FAMOUS JUG BAND gründet und regelmäßig im hiesigen Folkclub, dem „Folk Cottage“ verkehrt – ein Ort, an dem sich irgendwann alle Beteiligten treffen und der nach kurzer Zeit auch zur Wiege von C.O.B. wird. Bevor sich Palmer jedoch mit Bennett und John Bidwell (vermutlich der einzige Eingeborene der Cornwall-Szene) in einige orientalphilosophische oder countryeske Musikprojekte wie THE TEMPLE CREATURES und STOCKROOM FIVE stürzt, steigt er zunächst bei der FAMOUS JUG BAND ein und beteiligt sich an den Aufnahmen zu deren erstem Album „Sunshine Possibilities“. Eine lang verschollene, teilweise etwas bluesige LP, auf der sich eine Handvoll sehr schöner Songs finden lässt und die mit dem Titel „The Main Thing“ eine für die Zeit sehr ungewöhnliche „anything goes“-kritische Stellung bezieht. Eigentlich fast zeitgleich mit dem Erscheinen von „Sunshine Possibilities“, besetzen Palmer, Bennett und Bidwell einen der verlassenen Wohnwagen, die in Cornwall wahrscheinlich zum Landschaftsinventar gehören. Eine tagträumerische Zigeuner-Bohème-Phase bricht an: die Drei leben monatelang nur von Kartoffeln und Musik, Bennett marschiert oft kilometerweit durchs Hinterland und schreibt dabei Songs, die die anderen beiden vertonen. McTell versucht derweil als Produzent mühselig, etwas Disziplin in das anarchische Trio zu bringen. Ihr 1971 erschienenes Debütwerk „Spirit Of Love“ ist eher eine lose Sammlung von traumhaft poetischen und romantischen Liedern, die während ihrer Wohnwagenzeit entstanden sind. Nach der Veröffentlichung tourt die Band mit PENTANGLE durch England, aber das Album verkauft sich nur schlecht. Auch das ein Jahr später folgende, weitaus ausgereiftere „Moyshe McStiff...“ geht völlig unter und verschwindet für mehrere Jahrzehnte in der Versenkung. Während ihrer Zeit in Cornwall hatte John seinen Dulcimer zu einer, wie er es nannte, „Dulcitar“ modifiziert, indem er einfach den Steg verbreiterte, was für einen größeren Resonanzumfang sorgte und einen dronigen Klang erzeugte. Johns Dulcitar war somit wesentlich für die markante Nahost-Atmosphäre des zweiten Albums verantwortlich. Aber auch Tablas, Bongos, die vielen Flöten und Orgel- und Klarinettenklänge färbten „Moyshe McStiff...“ zu einem bunten orientalischen Teppich. Dennoch steht die Platte vor allem gesangstechnisch noch viel mehr in der Tradition britischer Folklore. Das Zusammenspiel von westlichen und östlichen Einflüssen hat, anders als bei den psychedelischen Experimenten der INCREDIBLE STRING BAND, hier schon fast traditionalen Charakter. Das liegt auch daran, dass die Lieder sehr seriös und inbrünstig vorgetragen werden, manchmal völlig puristisch wirken und immer von einem Schimmer frühchristlicher Mystik umwoben sind. Mick Bennetts Stimme hat dabei etwas Urgewaltiges, Rustikales, wie ein mittelalterlicher Barde, der mit ganzem Herzen dabei ist und seine Verse fast schon lauthals herausbrüllt. Clive Palmer singt dagegen mit ruhiger, nüchtern-melancholischer Stimme, hinter der man immer eine tiefgründige unbestimmte Trauer vermutet. Seine beiden Lieder „Let It Be You“ und „Oh Bright Eyed One“ sind dann auch die düstersten Momente der Platte, die sich mithin auch auf wilde Balalaikaexzesse und persische Tänze einlässt. Das bekannteste Stück dürfte wohl „Chain Of Love“ sein, bei dem DANNY THOMPSON (PENTANGLE) gleich mal zum Bassspielen eingespannt wurde, als er eigentlich nur mal seinem Sohn zeigen wollte, wie so ein Tonstudio von innen ausschaut. Insgesamt fühlt man sich jedoch seltsam verräterisch und schmutzig, bei dem Versuch die Musik von „Moyshe McStiff...“ irgendwie mit Worten wiederzugeben. Das ganze Album wird von einer Aura des Reinen, Wahrhaftigen und Mythischen umstrahlt. Man spürt es bei jedem einzelnen Titel, bei dem herzzerreißend sakralen „Solomon's Song“ (den auch CURRENT 93 einmal coverten) genau wie bei dem volksliedähnlichen „Pretty Kerry“, dass hier alles wahr und gut und schön ist, und außerdem auch überaus wichtig, einzigartig und harmonisch. Auch die Texte transportieren diese beherzte Spiritualität, sie sind zudem echte englische Poesie, keine halbgare „transzendente“ Hippielyrik, wie es für diese Zeit üblich war. Das pseudo-religiöse und eigentlich eher politische „Lion Of Judah“ bezieht sich natürlich auf den letzten äthiopischen Kaiser und Rastafari-Messias HAILE SELASSIE, von dem Bennett damals äußerst fasziniert zu sein schien. Auch die anderen Lieder wirken prophetisch, nahezu biblisch in ihrer Intensität. Vielleicht liegt es jedoch letztendlich nur an der sehr suggestiven Covergestaltung, dass man beim Hören das mittelalterliche Jerusalem, Kreuzzüge und Wüstenlandschaften, genauso aber auch die saftiggrünen Weiden Südenglands vor Augen hat. Als Ganzes ist „Moyshe McStiff...“ nicht nur ein äußerst imaginatives, bilderreiches Album, sondern ebenso ein vollkommen zeitloses Werk, gerade weil sich Palmer, Bennett und Bidwell aus verschiedenen Traditionen bedienen, dies jedoch in einer sehr ehrwürdigen und aufrichtigen Weise, wodurch sie zu einer musikalischen Sprache gelangen, die mit dem Ewigen kommuniziert und trotzdem ganz Leidenschaft und Erde ist. Die Platte erscheint und verschwindet, ohne dabei einen wirklichen Eindruck in der britischen Folkszene zu hinterlassen. Schon nach einer weiteren Tour mit PENTANGLE und WIZZ JONES löst sich das Trio auf. JOHN BIDWELL ist drei Jahre später noch auf dem Wizz Jones Folk-Projekt LAZY FARMER als Gitarrist vertreten, dessen einzige Platte in Deutschland aufgenommen wurde. Fast unverständlich scheint es dagegen, dass von MICK BENNETTs grandioser Stimme nie wieder etwas zu hören war und sie somit beinahe in Vergessenheit geraten wäre. Auch CLIVE PALMER zog sich ab Mitte der Siebziger immer mehr aus der Musik zurück und veröffentlicht 1978 nur noch eine Solo-Banjo-Platte mit dem bezeichnenden Titel „Just Me“. Klugerweise hält er sich in den Achtzigern völlig von der Musik fern und taucht erst Anfang der Neunziger wieder auf. Auch heute arbeitet er noch an neuen Songs, hat mit der FAMOUS JUG BAND nach über dreißig Jahren ein neues Album („Oh For Summer“) aufgenommen und gibt gelegentlich mit Mike Heron und Robin Williamson ISB-Reunion-Konzerte. Die beiden C.O.B.-LPs sind nach zahlreichen Bootlegs und Raubkopien erst in den letzten sieben Jahren offiziell wiederveröffentlicht worden. „Moyshe McStiff...“ ist seitdem zu Recht häufig zu einem der besten und essentiellsten britischen Folkalben erkoren worden. Und als Album wirkt es dabei tatsächlich wie aus einem Guss – magisch und lebendig zugleich, hat es in den letzten fünfunddreißig Jahren nur an Kraft und Charakter hinzugewonnen. Wer Mick Bennett nie „Pretty Kerry“ singen hörte oder nie Clive Palmers Geige bei „Solomon's Song“ vernahm, der weiß letztendlich auch kaum, was Folkmusik bedeutet. Titel: A Sheba's Return/Lion Of Judah Let It Be You Solomon's Song Eleven Willows I Told Her B Oh Bright Eyed One Chain Of Love Pretty Kerry Martha & Mary Heart Dancer 38min Erstauflage: Polydor Folk Mill 238 3161 | 1972 offizielle Re-Releases: 2005: Radioactive Records | RRCD119 / RRLP119 | CD / LP 2006: Sunbeam Records | SBRCD5029 / SBRLP5029 | CD / 2LP (maßgeblich)
Roy L. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » C.O.B. @ MySpace Themenbezogene Artikel: » Das Jahr der Seele: PENTANGLE » JAN DUKES DE GREY: Mice And Rats ... » ÄLGARNAS TRÄDGÅRD: Framtiden Är ... » PAUL GIOVANNI: The Wicker Man O.S.T. » SUBWAY: s/t » COMUS: First Utterance » GARY HIGGINS: Red Hash » HÖLDERLIN: Hölderlins Traum » DR STRANGELY STRANGE: Kip Of The Serenes » CAN AM DES PUIG: The Book Of Am » ALAN SORRENTI: Aria » TONY, CARO & JOHN: All On The First Day » PERRY LEOPOLD: Experiment in Metaphysics » FOREST: Full Circle » BRIGITTE FONTAINE & ARESKI: L'Incendie » SYNANTHESIA: s/t » MAGICAL POWER MAKO: Super Record » SPIROGYRA: Bells, Boots & Shambles » EXTRADITION: Hush » SHIRLEY COLLINS & DAVY GRAHAM: Folk ...
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