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Christian K.

Im Gespräch mit Miguel E. (ex GGR)

Neofolk per se nicht rechts...


Im Gespräch mit Miguel E. (ex GGR)
Kategorie: Spezial
Wörter: 3130
Erstellt: 11.04.2006
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Ich erinnere mich noch gut an einen Artikel über „Braune Tendenzen im Darkwave“, der Mitte 1999 in einem Antifa- Informationsheft erschien. Zugegeben, der Inhalt las sich für einen Rechtsextremisten wie eine persönliche Einladung zur nächsten Gothicparty. Angeregt wurden dieser und ähnliche Artikel in der Folgezeit durch die sich ein Jahr zuvor gegründete Bremer Gruppe „Grufties Gegen Rechts / Music for a new society“. 5 lange Jahre gab diese politische Gruppe Broschüren und Informationsmaterial zum Thema "Rechte Tendenzen im Darkwave" heraus, sammelte Unterstützungsunterschriften zum Boykott diverser Bands und Labels und spaltete wie wohl keine andere Bewegung die schwarze Szene. Drei Jahre sind seit der Auflösung der GGR vergangen. Jetzt traf ich mich mit Miguel E. alias H@derlump, dem einstigen Webmaster der offiziellen Homepage (www.geister-bremen.de) in einer Hamburger Hafenkneipe, in der Hoffnung, ein paar erhellende Antworten auf manch offen gebliebene Frage zu bekommen. Mit vor Ort waren die Lichttaufe- Redakteure Michael S. und Axel M.



Im Gespräch
Christian Kapke (r.) diskutiert mit Miguel Estevez


Christian: Miguel, im aktuellen Orkus kommen erstmals nach langer Zeit die Gruppen Der Blutharsch und Death in June mit je einer Sonderseite am Anfang des Heftes zu Wort. Selten zuvor fanden so viele Neofolkkonzerte statt wie in diesem Frühjahr. Kürzlich erschien ein, in zahlreichen großen Zeitungen gelobtes, Standardwerk zum Thema Neofolk und apokalyptischer Musik. Die Vorliebe für Uniformen scheint aus der schwarzen Szene nicht mehr wegzudenken, Neofolk-Tonträger sind heute fester Programmpunkt in nahezu allen großen Kaufhäusern und schlussendlich sitzen wir friedlich zusammen an einem Tisch. Sieht so wirklich der Anfang vom Ende der Grabenkämpfe aus?

Miguel: Ich habe den Orkus nicht gelesen, weil er auch über Bands berichtet, die ich aus politischen Gründen gerne totgeschwiegen hätte. Ein Ende der Auseinandersetzung will ich gar nicht haben, aber ich sehe die auch nicht gegen Lichttaufe, sondern gegen Rechte. Ein Ende wird es auch nicht geben, da ich zwar nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand muss, die heutige Antifa- Jugend aber einfach nachwächst und es gerade deshalb Leute geben muss, die besser recherchieren.

Christian: Schildere doch bitte aus Deiner Sicht die Situation der schwarzen Szene im Jahr 1998 und was damals zum Indikator für die Gründung der Initiative "Grufties gegen Rechts" wurde.

Miguel: Der Grund für die Gründung der GGR war der berühmte Handgruß Angelo Bergaminis während eines Kirlian Camera Konzertes in Berlin, das einer unserer Mitglieder damals besucht hatte. Ich persönlich halte Kirlian Camera aber nicht für rechts.

Christian: Was hatte Dich dazu bewogen, aktiv bei den GGR (Grufties gegen Rechts / Geister Bremen) mitzuwirken?

Miguel: Ein Mitglied der GGR war ein privater Bekannter von mir, der hatte damals die Webseite der GGR erstellt gehabt, die fand ich zum Kotzen. Diese Erscheinung wollte ich ändern. Einen politischen Grundkonsens gab es aber schon. Seit ich politisch denke, bin ich links, aber nicht dogmatisch - eher radikal-demokratisch. '98 bewegte ich mich aus persönlichen Gründen nicht wirklich in der schwarzen Szene, sondern war hauptsächlich beruflich und privat unterwegs. Habe mich eigentlich immer als Punk gefühlt, aber die Musik der Grufti- Szene war besser.

Christian: Wie stehst Du heute, 8 Jahre nach Gründung und 3 Jahre nach Auflösung der GGR zu Euren Aktivitäten? Was habt Ihr erreicht?

Miguel: In einigen Bereichen haben wir Erfolge erzielt. Einige Zeitschriften haben ihre Berichterstattung deswegen geändert. Wir konnten ebenfalls eine höhere Sensibilität unter den Anhängern bezüglich politischer Tendenzen erreichen. Als Reaktion auf unsere Arbeit kann man ja auch das Buch LOOKING FOR EUROPE nehmen, das als eine Art Antwort gesehen werden kann. Generell empfand ich unsere Arbeit sehr professionell. Trotzdem war die Szene allgemein zu desinteressiert, um sich damit näher auseinander zusetzen. Erreicht haben wir aber wenigstens die, die sich eh mit der Thematik auskannten.

Christian: Was für Musik hörst Du privat?

Miguel: Die letzten Platten, die ich mir kaufte, waren: Massive Attack, Rosenstolz, Hubert Kah, Nena, Glashaus, Xavier Naidoo, Fliehende Stürme, The Mission.

Christian: Hörst Du Bands aus dem Neofolk/Industrial- Umfeld? Wenn ja, welche?

Miguel: Aus dem NF/I-Umfeld höre ich eigentlich gar nichts. Einzig In My Rosary mag ich. Neofolk berührt mich ansonsten emotional nicht, was für mich bei Musik besonders wichtig ist.

Christian: Findest Du, dass Neofolk rechte Musik ist?

Miguel: Ich halte Neofolk per se nicht für rechts!

Christian: Wer sind Deine Lieblingsbands?

Miguel: EA 80, Sisters of Mercy, Joy Division, Fields of the Nephilim, Girls Under Glass.

Christian: In Euren Broschüren wurde ständig vor der gezielten Unterwanderung der schwarzen Szene durch Rechtsextremisten gewarnt. Wie vollzog sich diese Unterwanderung, aus welchen Quellen stammten Eure Informationen hierzu?

Miguel: Meines Wissens gab es Versuche aus dem Umfeld der NPD/Junge Freiheit, gezielt über die gemeinsame Ästhetik in der Szene Fuß zu fassen. Beispiele wären z.B. Anzeigen der Jungen Freiheit im Zillo, ein gemeinsamer Redakteur, der beim Zillo und der Jungen Freiheit schrieb sowie die Achse VAWS-Pahl-Rieger.

Christian: Reichen diese drei genannten Vorfälle aus, um von einer gezielten, programmatisch gelenkten Unterwanderung der Gothic-Szene, respektive der Neofolkszene, sprechen zu können?

Miguel: Ich spreche von einem gezielten Versuch, der in der Praxis nicht gelungen ist. Mir ist aber aufgefallen, dass seit Mitte der 90er Jahre die Toleranz der gewaltbereiten rechten Szene gegenüber der Grufti- Szene zugenommen hat und es seit dem zu weit weniger Übergriffen gegenüber Gothics kommt.

Christian: Soweit ich weiß, reagiert Ihr noch immer auf Anfragen von Medienvertretern. Wie läuft das gewöhnlich ab, wenn sich z.B. ein Fernsehsender mit der Bitte um Hintergrundinformationen für eine Reportage zum Thema "Rechtsradikale Tendenzen im Darkwave" an Euch wendet?

Miguel: Offiziell beantworten wir seit der Auflösung der GGR keine Emails mehr, das ist auch so auf unserer Webseite nachzulesen. In besonderen Ausnahmefällen leite ich die Anfragen an fachkompetente Menschen weiter und bitte diese um entsprechende Einschätzungen.

Christian: Durch Freunde im Fernsehgeschäft weiß ich, dass die Quote über allen journalistischen Aktivitäten wie ein Damoklesschwert schwebt. Deshalb werden Reportagen oft künstlich aufgeblasen und Fakten wissentlich zugunsten einer reißerischen Story verdreht. Sind Dir rückblickend Fälle bekannt, in denen die von Euch ausgelieferten Informationen nochmals nachträglich verändert wurden?

Miguel: Davon ist mir nichts bekannt.

Christian: In den von den GGR herausgegebenen Broschüren beruft man sich besonders oft auf die Toleranz der schwarzen Szene, deren Erhalt eins der Primärziele sein sollte. Wie passen da Boykotte von Bands, DJs und Veranstaltungen ins Bild, die bis Dato ein fester Bestandteil dieser Szene waren? Stehen derartige Boykotte nicht im kausalen Widerspruch zur gewollten Toleranz und Pluralität?

Miguel: Toleranz bedeutete für uns die Wahrung demokratischer Werte. Gerade deshalb wandten wir uns gegen antidemokratische Bestrebungen innerhalb der schwarzen Szene. Unsere Boykottaufrufe haben nie bedeutet, dass man sich vor die Clubs stellt und die Leute auffordert, diese Veranstaltungen/Bands zu boykottieren, sondern sich eigenverantwortlich Gedanken zu machen, ob man solche Bestrebungen unterstützen kann.

Christian: Wie stehst Du zur praktischen Umsetzung des von Euch geforderten friedlichen Protestes durch reguläre Antifa- Gruppen?

Miguel: Wenn ich die Veranstaltung boykottwürdig fand, war das für mich völlig okay.

Christian: Schließt diese Zustimmung auch Gewalttätigkeiten oder Denunzierungen im privaten Bereich der betreffenden Veranstalter / Musiker ein?

Miguel: Gewalttätigkeiten nein! Ich halte es politisch aber für legitim über bestimmte Zusammenhänge und Aktivitäten gewisser Leute aufzuklären.

Christian: Auch wenn im Zweifelsfall Unschuldige betroffen sind?

Miguel: Es lässt sich leider nicht immer vermeiden, dass auch mal die falschen betroffen sind. Wo es möglich ist, sollte man aber um Schadensbegrenzung und Wiedergutmachung bemüht sein.

Christian: Ist es gut, auf Veranstaltungen wie Neofolkkonzerte, deren Bands Ihr oftmals politische Verquickungen unterstellt habt, mit Protest zu reagieren auch wenn dadurch die Gefahr besteht, dass die Veranstaltung abgesagt werden muss und sich zahlreiche unpolitische Fans bevormundet und in ihrer freien Meinungsbildung übergangen fühlen?

Miguel: Ja. Wenn es, aus meiner persönlichen Sicht, die richtige Veranstaltung trifft.

Christian: Verträgt sich Politik gleich welcher Couleur überhaupt mit den Idealen der schwarzen Szene?

Miguel: Jeder Mensch ist, bei allem was er tut, politisch.

Christian: Laut Selbstdarstellung verstanden sich die Geister Bremen (GGR) als antifaschistisch motivierte Gruppierung. Euer damaliges Domizil, der Schlachthof in Bremen, wird als Treffpunkt der örtlichen linken Szene eingeschätzt. Könnten diese Tatsachen im Umkehrschluss nicht auch die Vermutung zulassen, die Schwarze Szene stünde in Gefahr von Links unterwandert zu werden?

Miguel: Die schwarze Szene kommt aus einer linken politischen Richtung. Eine politische Unterwanderung der Szene möchte ich nicht, ich wünsche mir ein linkes Selbstverständnis der schwarzen Szene zurück.

Christian: Wodurch zeichnet sich Deiner Meinung nach ein linkes Selbstverständnis in groben Zügen aus?

Miguel: Grundsätzlich für mich immer Demokratie. Keine Dogmatik und respektvolles Füreinander.

Christian:  "Toleranz ist immer auch die Toleranz gegenüber Andersdenkenden?"

Miguel: Die Gedanken sind frei! Andersdenken dürfen sie, nur regieren sollten sie nicht.

Christian: Wo siehst Du die Grenzen von künstlerischer Provokation hin zu bewusster politischer Einflussnahme in der Musik? Kennst Du konkrete Beispiele?

Miguel: Wir Deutsche brauchen eine besondere Sensibilität gegenüber bestimmter Symbolik. Jeder Künstler, der ein wenig mehr Hirnschmalz hat, sollte sich dessen bei seinen Auftritten in Deutschland bewusst sein.

Christian: Damit beziehst Du Deine Antwort insbesondere auf Provokationen in Bezug auf die Zeit des dritten Reiches. Klammern wir diese Epoche mal aus, wie stehst Du allgemein zu Politik in der Kunst?

Miguel: Wie gesagt, jeder Mensch ist politisch. Und Künstler haben ein noch höheres Maß an Verantwortung zu tragen, da sie intensiver wahrgenommen werden und es Fans gibt, die sich dadurch beeinflussen lassen könnten.

Christian: Kunst darf also nicht missverständlich sein?

Miguel: Nicht in eine antidemokratische Richtung.

Christian: Nenn mir ein antidemokratisches Beispiel in der Kunst!

Miguel: Fällt mir grad nix konkretes ein.

Christian: In unseren zahlreichen Emails fiel mir auf, dass Du recht rigide bei der Bewertung mancher Bands des apokalyptischen Genres bist. Lassen sich Musikgruppen wirklich so einfach in gut und böse (rechts / nicht rechts) unterteilen?

Miguel: Bands nicht, Menschen ja.

Christian: Woran machst Du Deine Urteilsfindung fest und kennst Du die betreffenden Musiker persönlich oder hattest Du Gelegenheit zur direkten Rücksprache mit ihnen?

Miguel: Mit Feindflug hatten wir einen Dialog. Mit Bergamini [Angelo Bergamini, Frontmann von Kirlian Camera] haben wir es versucht. Ich versuche aber immer, weitere Recherchequellen, Interviews, Zitate, Liedtexte und sonstige Aussagen in die Urteilsfindung mit einzubeziehen und beschränke mich dabei nicht nur auf linke Publikationen, sondern nutze auch Massenblätter und bei Linken nicht gerade beliebte Informationsquellen wie Lichttaufe  oder Eis&Licht.

Christian: Stehst Du auch für eine Diskussion mit Personen zur Verfügung, die Du persönlich für eindeutig rechts befindest?

Miguel: Für die abgesagte Podiumsdiskussion mit Joseph Klumb hätte ich mich zur Verfügung gestellt, wenn ich da schon für die GGR tätig gewesen wäre. Wenn ich mich in Bezug auf die betreffende Person auskenne, stehe ich einer gern auch kontroversen Diskussion zur Verfügung.

Christian: Was hältst du davon, wenn in Diskotheken dem DJ empört vorgehalten wird, Nazi-Musik zu spielen, wenn dieser Neofolk auflegt? Wie beurteilst du das entstandene Inquisitions-Klima? Schießt manche Reaktion Deiner Meinung nach gar übers Ziel hinaus?

Miguel: Da ich gegen Pauschalverurteilung bin, lehne ich auch dieses Vorgehen ab.

Christian: Im Frühjahr 2005 gab es massiven Widerstand gegen eine Tour der Band Sol Invictus. 4 Termine wurden in Folge antifaschistischer Proteste aus Furcht vor Gewaltaktionen abgesagt. Du hattest Dich mit einem Statement zugunsten der Band an Lichttaufe  gewandt und die Unbedenklichkeit der Gruppe attestiert. Sind hier nicht vielleicht doch einige Aktivitäten, die von Euch einstmals angestoßen wurden, aus dem Ruder geraten?

Miguel: Wo immer ich es kann, versuche ich dafür zu sorgen, dass Unschuldige nicht in Mitleidenschaft gezogen werden, oder mindestens im Nachhinein rehabilitiert werden. Da mir schon bekannt ist, dass mein Name in der politischen Diskussion zur Szene Gewicht zu haben scheint, nutze ich das auch konsequent aus.

Christian: Welchen Wert haben Deiner Meinung nach geheimdienstliche Institutionen in der Bundesrepublik, die sich im Allgemeinen um die Beobachtung und Verhinderung extremistischer Bestrebungen kümmern sollen noch, wenn örtliche Antifa- Gruppen in ihrem Handeln scheinbar mehr Einfluss bei der Verhinderung ihnen unliebsamer Veranstaltungen haben?

Miguel: Grundsätzlich finde ich es bedauernswert, dass es in einem demokratischen Land Institutionen wie Inlandsgeheimdienste geben muss. Aber für die Erhaltung der freiheitlich, demokratischen Grundordnung halte ich dies für unvermeidbar. Dass die Antifa erfolgreicher agiert, liegt halt daran, dass die Geheimdienste rechtlichen Restriktionen unterliegen, die ein Eingreifen erst zulassen, wenn bestimmte Schwellen längst überschritten worden sind.

Christian: Kürzlich war auf Indymedia von einer Demonstration gegen den Plattenladen "Zoff Records" in Bremen zu lesen, über den lt. Kritiker aus dem antifaschistischen Milieu, rechte Musik vertrieben wurde. Der Inhaber sollte mit dieser Aktion dazu aufgefordert werden, umgehend sein Tonträgerangebot entsprechend einer von der Gruppe vorgelegten Liste zu zensieren. Im weiteren Verlauf des Demonstrationsberichts war die Rede von Handgreiflichkeiten eines weiteren Angestellten gegenüber Teilnehmern dieser Demonstration. Grotesker weise handelte es sich bei dem betreffenden Angestellten um Dich. Magst Du kurz den Vorfall aus Deiner Sicht schildern?

Miguel: Zum einen ist das falsche Ziel getroffen worden. Zum anderen kooperiert der Pächter von Zoff Records mit einem ehemaligen Mitglied der GGR (mit mir). Vertreter der örtlichen Antifa kamen in den Laden und konfrontierten den Besitzer mit ihrer Forderung, Bands wie Allerseelen, Kirlian Camera, Death in June und Falkenbach aus seinem Angebot zu entfernen. Dann gäbe es keinen Stress. Auf seine Antwort: "Allerseelen habe ich nicht im Programm, über Death in June können wir diskutieren, Kirlian Camera sind nicht rechts...!", wurde nur geantwortet "Mit Dir können wir nicht reden!" Dann sind sie sind wieder abgezogen. Darauf hin wurde vor der Tür ein Transparent ausgerollt („Schluß mit Nazimucke bei Go Bäng!“) und Flugblätter zur Thematik verteilt. Meine Handgreiflichkeiten beschränkten sich auf das Drücken eines mir ersichtlichen Wortführers an die Wand, um im Anschluss noch dafür zu sorgen, dass sich die Flugblätter im Dreck verteilen. Des Weiteren setzte sich meine Wortwahl nicht ohne verbale Aggressivität zusammen. Das war ein Versuch, über direkte Einschüchterung, die Veranstaltung aufzulösen.
Recherche hätte den Aktivisten gut getan, Allerseelen sind seit einem Jahr nicht mehr im Programm.

Christian: Hältst Du Gewalt in bestimmten Ausnahmesituationen für das geeignete Mittel?

Miguel: Ich bin kein Pazifist!

Christian: In der anschließenden Diskussion hast Du Dich persönlich zu Wort gemeldet und Kritik am Vorgehen der Antifa- Gruppe geübt, ihnen mangelnde Recherche vorgeworfen und ihren voreiligen Aktionismus angeprangert. Wörtlich schriebst Du: "Es ist zum Kotzen, wenn ich von den eigenen linken Leuten angepisst werde. (…) Hat mal irgendwer, irgendwann den Dialog mit dem Besitzer gesucht?", um dann später resignierend hinzuzufügen: "Wirklich schade, dass die AktionistInnen nicht reagieren, weder hier öffentlich, noch auf meine Mail an sie vor einer Woche." Hat dieser Vorfall Deine Einstellung hinsichtlich der Vorgehensweise gegenüber boykottwürdigen Musikgruppen/Veranstaltungen verändert?

Miguel: Ich würde im Nachhinein meine politische Arbeit nicht verändern, auch wenn ich selbst zum unmittelbaren Beteiligten einer solchen Aktion geworden bin.

Christian: Viele Konzertveranstalter haben mit genau dieser Anonymität zu kämpfen und sehen in der Regel keine Möglichkeit zur Diskussion mit den Kritikern. Welchen Stellenwert misst Du dieser Form der anonymen Anschuldigung bei?

Miguel: Grundsätzlich habe ich nichts gegen Anonymität zum Schutz vor gewalttätiger Repression. Denn ich selbst war schon auf einer öffentlichen Fahndungsliste eines  ausländischen Servers von Rechtsextremisten.

Christian: Nun handelt es sich bei Neofolkkonzertveranstaltern in der Regel nicht um gewalttätige Personen des rechten Spektrums, die zudem auch noch namentlich bekannt sind. Unter diesem Umständen und unter Achtung des Anstands, warum sollte derartige Kritik nicht auch unanonym möglich sein?

Miguel: Weil es dennoch möglich wäre, dass diese Namen an die Öffentlichkeit geraten und von anderen Leuten erfasst würden.

Christian: Also zukünftig lieber alles anonym durchführen, letztendlich schließt diese Argumentation auch die Möglichkeit mit ein, Opfer linker Gewalt zu werden. Kann das die Grundlage eines kontroversen Diskurses sein?

Miguel: Ich halte es für legitim, wenn die Neofolkszene so darauf reagiert. Ich bin aber nach wie vor dafür, dass sich die Antifa nicht vor Neofolkkonzerte stellt, bei denen sie nichts zu suchen hat.

Christian: Aber wohin soll das alles führen? Sieht so die neue Offenheit der Szene aus?

Miguel: Nach wie vor: Die Antifa soll eine vernünftigere Vorfeldrecherche betreiben und nicht weiterhin pauschal jede Veranstaltung der Neofolk- Szene angreifen, das würde vieles leichter und manches unnötig machen.

Christian: Höchstwahrscheinlich diente Deine Seite den Protestierern sogar als Quelle. Erhebt sich hier etwa die Schöpfung über ihren Schöpfer?

Miguel: Manchmal läuft eine Badewanne halt über, noch hab ich alles im Griff.

Christian: Im Dezember 2005 wurde ein Album der Band Death in June über 10 Jahre nach seinem Erscheinen von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert. Ist Zensur das geeignete Mittel im Umgang mit missliebigen Themen?

Miguel: Prinzipiell halte ich es leider für notwendig, dass von staatlicher Seite Zensur als Mittel eingesetzt wird. Das Album selber halte ich nicht unbedingt für zensierungswürdig.

Christian: Findest Du, dass noch weitere Tonträger indiziert werden müssen, wenn ja, welche?

Miguel: Mir fällt spontan kein weiterer ein, das liegt aber auch an meiner mangelnden Beschäftigung mit der Materie in letzter Zeit.

Christian: Mit den Jahren hat sich bei vielen Fans eine Art Resignation und gefährliche Beliebigkeit gegenüber politischen Anschuldigungen und echter politischer Einflussnahme eingestellt. Sicher auch eine logische Reaktion auf oft überzogene Anfeindungen. Neofolker gelten allgemein als friedfertig und tolerant, werden aber wegen ihrer provokanten Optik und der Vorliebe für kontroverse Themen leicht zum Opfer oberflächlicher Vorverurteilungen. Was meinst Du, müsste sich ändern, damit diese Szene weniger kritisch beäugt wird und die Musik wieder ihren alten Stellenwert in der alternativen Musiklandschaft einnimmt?

Miguel: Selbstbereinigung.

Christian: Was heißt Selbstreinigung konkret in diesem Fall?

Miguel: Eigenrecherche und wirklich kritikwürdige Bands und Veranstaltungen nicht weiterhin unterstützen. Zusätzlich sollte deutlicher Position gegenüber Extremisten bezogen werden.

Christian: Die meisten Bands haben in der Zwischenzeit unmissverständliche Statements gegen Extremismus veröffentlich, was ihnen allerdings wenig nützte. Scheinbar ein wirkungsloses Unterfangen. Muss man zwangsläufig gegen etwas sein, wenn man nicht dafür ist?

Miguel: Es ist praktisch hilfreich.

Christian: Ich weiß, dass Du gebürtiger Spanier bist. Während meiner Reisen durch dieses Land fielen mir insbesondere die Bodenständigkeit der Landbevölkerung und der vollkommen unverkrampfte und unverfälschte Umgang mit der eigenen Folklore auf. Gibt es typisch spanische Gebräuche, die Deine Eltern an Dich weitergegeben haben? Magst Du die spanische Folklore?

Miguel: Ich habe absolut keinen Bezug zu Spanien. Mein Vater, mit dem ich nichts weiter zu tun habe, ist Spanier und meine Mutter ist Deutsche. Ich bin in Deutschland aufgewachsen und habe einen deutschen Pass.

Christian: Hältst Du eine kulturelle Identität für überflüssig?

Miguel: Nein. Letztendlich ist die Vorstellung von einer internationalistischen Gesellschaft ein schöner Traum, aber es gibt einfach Realitäten, dass jeder Mensch eine kulturelle und regionale Identität hat. Man kann das Heimat oder einfach nur Herkunft nennen.

Christian: Ich danke für das Gespräch.

Friedliche Diskutanten
v.l.n.r.: Axel Meese, Christian Kapke, Michael Schönhold, Miguel Estevez


 
Christian K. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Diskussion im Forum
» Homepage GGR
» Private Seite von Miguel E.


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