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CHANGES: Orphan In The Storm


CHANGES: Orphan In The Storm
Kategorie: Rezension
Wörter: 985
Erstellt: 22.12.2004


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Autor: Roy Liebscher

CHANGES’ lang angekündigtes "Waisenkind im Sturm" hat erfreulicherweise doch noch vor der Jahreswende den verschneiten Pfad ins Hause der Pflegeeltern und von dort aus den weiteren Weg zu den gespitzten Ohren einer geduldig wartenden Hörerschaft gefunden.




Vor allem Michael Moynihan und neuerlich auch dem renommierten Wiener Label HauRuck! ist es zu verdanken, dass die amerikanische Folklegende CHANGES nach 1969 und 1975 ihre nunmehr „dritte Inkarnation" erlebt, wie Robert N. Taylor das, seit 1993 wiederaufflammende Lebensfeuer seiner und Nicholas Tesluk’s musikalischer Arbeit bezeichnet. Nachdem die, zu dieser Zeit von Cthulhu veröffentlichte Auswahl von Stücken ihrer früheren Schaffensperiode unter dem Namen FIRE OF LIFE schnell vergriffen war, folgte sehr viel später darauf eine remasterte Wiederveröffentlichung durch HauRuck!, sowie eine Spilt-10'' (ungewöhnlicherweise) mit CADAVEROUS CONDITION auf Eis&Licht und die ep LEGENDS.

Mit dem von vielen sehnlichst erwarteten ORPHAN IN THE STORM liegt nun wirklich zum erstenmal ein echtes Vollzeitalbum von CHANGES vor, wobei man den Begriff „Vollzeit" nicht zu sehr strapazieren sollte. Auf dem Tonträger finden sich 14 Stücke, von denen ein halbes Dutzend bereits bekannt sein dürfte, da diese von diversen Singles, Samplern und dergleichen stammen, und für ORPHAN... nochmals neu und in etwas abgeänderten Versionen eingespielt wurden. Davon sollte man sich allerdings nicht verdrießen lassen, zumal gerade ICARUS und SUMMER einfach unheimlich geniale Lieder sind.
Auch nach über 30 Jahren hat sich die Musik von CHANGES (glücklicherweise) keinen größeren Änderungen unterworfen, obwohl die hier vorliegenden Aufnahmen freilich sauberer abgemischt und auch etwas frischer als auf FIRE OF LIFE wirken. Wem ihre früheren Veröffentlichungen bekannt sind, wird folglich keine großen Überraschungen erleben: souverän gespielte, ausschließlich songorientierte Kompositionen, die allesamt einen durchweg folkig-urigen, rohen Lagerfeuerromantikcharakter besitzen und besonders durch eine sehr markante, unverwechselbare Spielweise der Gitarre(n) hervorstechen. Wer zuvor jedoch, wie ich, weniger mit CHANGES vertraut war, wird zugegeben nicht so leicht Zugang zu diesem Album finden, was von der ungewohnt kurzen Spieldauer der einzelnen Stücke, sowie der eher minimalistischen Instrumentierung noch zusätzlich erschwert wird.
Es wäre allerdings die schamloseste Lüge, zu behaupten, ich hätte diesen Zugang nach mehreren Durchläufen nicht gefunden. Einmal zu dem wirklich wundervollen Kern dieser Musik vorgedrungen, ist man fasziniert von dem, von allen unnötigen Komplizierungen befreiten und ursprünglichen Liedgut, dieser meist kämpferischen, temperamentvollen und mit minimalsten Mitteln heraufbeschworenen Intensität, deren Bann man sich dann nur noch sehr schwer entziehen kann.
Bezüglich der Dynamik des Albums, erscheinen die 13 kurzen Lieder und das über 8 Minuten lange letzte Stück nur auf dem Papier unausgewogen. Stattdessen wirkt die Abfolge der Titel doch sehr stimmungsvoll, auch wenn ein paar davon (WHAT’S THE WIND IF IT’S NOT FREE oder auch THE RECKONING) sicherlich etwas seichter und belangloser dahineilen.
Bei allem gebührenden Respekt vor Nicholas Tesluk’s musikalischem Talent, hätte er vielleicht doch lieber die beiden Stücke, welchen er seine Stimme leiht, dem deutlich kräftigeren Gesang Robert Taylor’s überlassen sollen.
Darüber hinaus wird CHANGES sozusagen von BLOOD AXIS unterstützt, denn sowohl Michael Moynihan (backing vocals) als auch Robert Ferbrache (Keyboards, Gitarren) beteiligten sich an den Aufnahmen.
Neben den unweigerlichen Hits CHANGES (THEME), ICARUS und APHRODITE lässt sich ebenso SONG OF PAN als äußerst mitreißend bezeichnen, auch weil hier – wie sollte es anders sein – (übrigens zum einzigen Mal auf dem Album) eine Flöte ertönt. Mehr als alle anderen Stücke aber begeistert mich WAITING FOR THE FALL; dieser Song, ursprünglich auf dem Sampler THE PACT...II zu finden, ist Michael Moynihan gewidmet und wohl eines der legendärsten Folkstücke, das jemals geschrieben wurde.

Aber nicht nur auf musikalischer Ebene, sondern auch was ihre Texte betrifft, ist ORPHAN IN THE STORM eine bemerkenswerte Veröffentlichung. Konzeptionell Edgar Allan Poe zugeeignet, wird man auch über den Titelsong hinaus einer geistigen Verbundenheit zu diesem Dichter gerecht. Poe’s Oeuvre ist durchzogen von unnachgiebig düsteren Erregungen der Seele, von Abgrund und Rätseln, vor allem aber zeigte er in seinem künstlerischen Schaffen die Kehrseite, die selbstzerstörerische Potenz des „amerikanischen Traums" wie kein zweiter Literat seiner Herkunft. Einer ähnlichen Intention folgt z.B. das bereits auf FIRE OF LIFE anzutreffende und daher ältere Lied TWILIGHT OF THE WEST; obgleich sich Taylor und Poe jeweils anderen epochalen Umständen gegenüberstellt sehen, mündet ihre Kritik gleichermaßen in der von einem trügerischfahlen Schein überstrahlten Dekadenz der westlichen Welt.
Andere Texte spielen mit der Rolle des Menschen im Weltganzen, betrachten ihn als ein von den Naturgesetzen determiniertes Wesen (CHANGES THEME, THE RECKONING...), aber auch ebenso determinierendes Wesen, das seine Umwelt in entscheidenden Moment beeinflussen kann und muss (THE TIMES THEY AIN’T A-CHANGING, WAITING FOR THE FALL).
ICARUS schließlich markiert, wenn auch sehr offen und unmetaphorisch, die negativen Seiten moderner Wissenschaft und Politik, warnt vor Gleichschaltung, Kontrolle + Überwachung und Identitätsverlust und zeigt dem rationalen Streben und Fortschrittsglauben seine Grenzen auf.

Über die Covergestaltung möchte ich ungern zu viele Worte verlieren, da sich einerseits über Ästhetik bekanntlich streiten lässt und andererseits mein diesbezüglicher Standpunkt dem Gesamteindruck der Veröffentlichung nicht gerecht werden würde. Von dieser Bemerkung abgesehen, muss man den Verantwortlichen zugute halten, ein äußerst üppiges, sämtliche Liedtexte und Linernotes enthaltendes Booklet (LP erscheint mit Inlay) beigefügt zu haben.

ORPHAN IN THE STORM ist nicht wirklich ein innovatives, richtungsweisendes Werk. Dies verlangt oder bestrebt es auch überhaupt nicht zu sein. Vielmehr verdeutlicht sich hier ein retrospektiver und vollends erfüllter Anspruch auf das Werden und Wirken einer Band, die für den heutigen Neofolk einen solch außerordentlichen Stellenwert besitzt, die der Bedeutung von THROBBING GRISTLE oder SPK für den post-industriellen Sektor gleichkommt.


Release: 2004, HR!48, CD/LP

Tracklist:
01. Orphan In The Storm
02. Changes (Theme)
03. What’s The Wind If It’s Not Free?
04. Never So True
05. Icarus
06. Embarkation
07. Sailor’s Song
08. Song Of Pan
09. The Reckoning
10. Summer
11. The Times They Ain’t A Changing
12. Aphrodite
13. Waiting For The Fall
14. Twilight Of The West

35min

www.highfiber.com/~thermite/
www.hauruck.org
www.tesco-germany.com




 
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