KARLHEINZ STOCKHAUSEN war Zeit seines Lebens und Schaffens ein strittiger Mensch. Ob es sich dabei um das Jahr 1955 handelt, als er in Bezug auf die Komposition die Stunde Null mit den Worten ausrief: „ ... man kann von Grund auf neu anfangen, ohne Rücksicht auf Ruinen und geschmacklose Überreste“. Oder um das Jahr 2001, als er die Angriffe auf die Twin Towers am elften September „das größte Kunstwerk“ nannte.
Dazu kommen selbstverständlich seine privatreligiösen Ansichten, die auch immer wieder zum Thema wurden – was dann eben auch die Diskussion in Gang hält, ob ein Künstler vollumfänglich, das heißt für all sein Tun (auch außerhalb der Kunst) zur Rechenschaft gezogen werden sollte. Oder ob man sein Werk von ihm abkoppeln kann – es also als Gebilde betrachtet, welches unabhängig für sich steht.
Davon abgesehen sah STOCKHAUSEN alles Leben in Bezug auf sein Werk. Wenn er also auf die Frage eines Journalisten, wie die Terroranschläge des elften Septembers auf ihn gewirkt hätten, sagt, dass man als Komponist im Vergleich zu einem Terroristen nichts sei, heißt das noch wenig. Wenn er dann weiter sagt, dass da „Geister in einem Akt etwas vollbringen, was wir in der Musik nicht träumen können“, kann auch noch niemand empört sein. Doch wenn er schließlich sagt, „ ... dass Leute zehn Jahre üben wie verrückt, total fanatisch für ein Konzert, und dann sterben“, entzünden sich die Gemüter. Doch stellt man das Ganze in den oben genannten Kontext, dass er also alles in Bezug auf sein Werk sah, scheint das wenig politisch. Es wird vielmehr ein Leben umrissen, das alles zur Kunst erklärt hat – die Hingabe für das, was man da tut, schlicht der eigene Lebensinhalt, also die Arbeit, die man eben mit Hingabe verrichtet.
Für STOCKHAUSEN waren mathematisch-naturwissenschaftliche Grundlagen und religiöse Überzeugungen miteinander verbunden. Er war besessen von der Zahl, vom Abstrakten, also von einer Ordnung, die objektivierbar und demnach befreit ist von ideologischen Zwängen ... Doch zur Musik.
Die vorliegende Doppel-CD umfasst die in den Jahren 1952-1961 entstandenen ersten elf Klavierstücke, die STOCKHAUSEN schrieb. Sie wurden wie die in den Jahren 1979-2003 geschriebenen aus dem Opernzyklus "Licht" abgeleitet. Ursprünglich arbeitete er an insgesamt 21 Stücken. Diese waren auf sechs Zyklen angelegt. Eins bis vier, fünf bis zehn usf. Das elfte Stück stand dabei für sich. Es sollte zur Spiegelachse werden. Die Stellung des Stückes wurde dabei aus dem ersten und letzten Stück errechnet. Das heißt, zählt man die Quersumme aus den Zahlen eins bis vier zusammen, ergibt sich daraus die elf. Der gesamte, aus 21 Stücken bestehende Zyklus steht dann im Verhältnis 10:1:10.
STOCKHAUSEN ging es immer darum, die Spannung zwischen messbarer und empfundener Zeit sicht- und spürbar werden zu lassen. Hierfür bot sich ein Instrument an. Auf dieses beschränkte er sich. Es ist das Klavier. Nur ein Klavier ermöglicht eine nahezu transparente Darstellung von Klangfarben und Strukturen. Und an diesem hier sitzt die Pianistin SABINE LIEBNER. Sie beherrscht da die Zeit. Sie bringt beide ihrer entgegengesetzten Formen zusammen, und zwar in einer Genauigkeit, dass einem das Betätigen eines Pedals wie eine Reise in einem Zug vorkommt, in dem man sitzt und aus dem Fenster schaut, Wiesen und Bäume, Tiere und Felder im Bruchteil einer Sekunde vorbeirauschen sieht, obwohl das Ganze drei Stunden dauert.
awk für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » Seite zu KARLHEINZ STOCKHAUSEN » SABINE LIEBNER-Biografie auf allmusic » SABINE LIEBNER auf Schott-Musik » Label-Seite
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Zusammenfassung
SABINE LIEBNER beherrscht das Klavier, sodass einem das Betätigen eines Pedals wie eine Reise in einem Zug vorkommt, in dem man sitzt und aus dem Fenster schaut, Wiesen und Bäume, Tiere und Felder im Bruchteil einer Sekunde vorbeirauschen sieht, obwohl das Ganze drei Stunden dauert.
Inhalt
CD1
1- Klavierstück XI, Version 1 2- Klavierstück I 3- Klavierstück II 4- Klavierstück III 5- Klavierstück IV 6- Klavierstück VIII 7- Klavierstück VII 8- Klavierstück VI CD2 1- Klavierstück XI, Version 2 2- Klavierstück V 3- Klavierstück IX 4- Klavierstück X |