Endsal
IFOTS: We Can Yield Our Own FootstepsVon Stimme und Weisung der Vorväter
Genre: Power Electronics
Verlag: Cold Spring Vertrieb: Cold Spring Erscheinungsdatum: 1. Juni 2015 Medium: CD / LP Preis: ~14,00 € Kaufen bei: Cold Spring... Einleitend sei angemerkt, dass der Rezensent bereits seit längerem ein ausgesprochener Sympathisant der musikalischen Arbeit des LEE HOWARD ist, der mit seinem ebenso energetischen wie eigenwilligen PE-Sound – Parole: "Birmingham Nihilism!" – in Kombination mit einer charmant-spleenigen, insbesondere im Rahmen der Covergestaltung wirkmächtigen Schwäche für die 1997 bei einem Autounfall ums Leben gekommene Lady Di eine erfrischend originelle Ausnahmeerscheinung im, ansonsten nicht unbedingt durch verwirrende Vielfalt bestechenden, zeitgenössischen Noise-Zirkus darstellt. Entsprechend ungeduldig erwartete er das Erscheinen des neuen IRON FIST OF THE SUN-Albums, doch seitdem das musikalische Material dann tatsächlich vorlag – bislang leider nur im mp3-Format, da COLD SPRING sich mit dem Vinyl-Versand immer etwas Zeit lässt und die Post bekanntlich streikt –, drückte sich der Rezensent bis dato hartnäckig um eine Besprechung, weil er sich trotz mehrfach erfolgter Hördurchläufe nicht endgültig zu entscheiden vermochte, wie er "We Can Yield Our Own Footsteps" nun eigentlich finden soll. Dieser Frage soll nun jedoch entschlossen auf den Grund gegangen werden.
Zuerst einmal fällt auf, dass das Frontcover ohne Lady Di auskommt (die muss sich diesmal mit einem Platz auf der Innenseite des Inlays begnügen), stattdessen sehen wir das unscharfe Bild eines Mannes mittleren Alters vor dem Hintergrund eines monumentalen Gemäldes – nur, wer ist das eigentlich? Diese Frage ließ dem Rezensenten keine Ruhe und so begab er sich auf eine einigermaßen konzeptlose Internetrecherche, an deren Ende die vage und primär der Frisur des Mannes auf dem Bild geschuldete Vermutung stand, es könnte sich eventuell um MARTIN BOWES von ATTRITION handeln, in dessen Studio THE CAGE das Album ja aufgenommen wurde. Da diese Theorie sich nicht verifizieren ließ, zudem wenig plausibel erschien und insofern unbefriedigend war, wurde schließlich & endlich der Künstler selbst kontaktiert. LEE HOWARD gab freundlich und entgegenkommend Auskunft, es handele sich tatsächlich um eine Fotografie seines Großvaters mütterlicherseits, analog zeige die Innenseite des Booklets seinen Großvater väterlicherseits – das verwendete Original-Aquarell sei von seinem Vater selbst angefertigt worden. Und die Sache mit den Großvätern führte schließlich ganz zwanglos zum Albumtitel, denn der rekurriere, so HOWARD weiter, auf einen regelmäßig wiederkehrenden Traum, in dessen Verlauf er von beiden festgehalten werde, während sie eben jenen Satz zu ihm sprächen, der dem vorliegenden Opus dann den Namen gab: "Lee, you can yield your own footsteps". Was dieses einigermaßen kryptische Diktum in letzter Konsequenz nun allerdings bedeuten solle, sei auch ihm selber bislang nicht klargeworden. – Wer sich seitens der geschätzten Leserschaft berufen fühlt, der mag an dieser Stelle also weiterführendem hermeneutischem Aktivismus mit tiefenpsychologischem G'schmäckle frönen – der Rezensent lässt entsprechendes hübsch bleiben, um dräuender Gefahr von Fadenverlust und Rahmensprengung gleich an der Wurzel beherzt entgegenzutreten. Ebenso persönlich, eigentümlich und streckenweise kryptisch wie die Hintergrundgeschichte zu Coverartwork und Titelgebung anmutet, kommt das Album selbst daher. Es ist bislang wohl HOWARDS anspruchsvollste und am schwersten zugängliche Arbeit, knarzige PE-Kracher mit potentiellem Hitcharakter wie "Smile Like Sword" sucht man hier jedenfalls vergeblich. Insgesamt betrachtet lässt sich "We Can Yield Our Own Footsteps" als sperrig-widerborstiges PE-Album charakterisieren, das eine dezidiert experimentelle Agenda verfolgt, ohne sich dabei jedoch auch nur ansatzweise in die Nähe der staubig-blutarmen Gefilde akademischer Sound-Eigenbrötelei zu verirren. Insofern kann der seitens COLD SPRING im Promotext ergehenden Warnung, man solle sich hüten, die Musik von IFOTS als "Art Noise" zu bezeichnen, mit Gelassenheit begegnet werden. Nein, von postindustriellem Kunststudententum kann hier wahrlich nicht die Rede sein: auch wenn die Tracks im Vergleich zu denen der Vorgängeralben noch etwas amorpher und verschachtelter wirken, die Erwartungen des Hörers immer wieder hintergehen und nur auf dem Wege geduldiger – ja, man möchte fast sagen: Einarbeitung langsam ihre innere Struktur offenbaren, eignet ihnen doch jene erbarmungslose Dichte und massive Wucht, die, in Kombination mit den typischen, mal mehr, mal weniger verzerrten, unterdrückt aggressiv oder zornig offensiv tönenden Vocals, konstitutiv für den Sound von IFOTS ist. COLD SPRING umschreibt das Ganze in ungewohnt prosaischer Wortwahl als "exemplary, melancholic, cold industrial, with sinister frequencies and tumultuous, mutilated vocals" – so kann man's freilich auch formulieren. Die Gesamtatmosphäre des Albums ist – wer hätt's gedacht – ausgesucht ungemütlich, und diese Ungemütlichkeit wird durch nichts abgeschwächt oder umgeleitet, sondern konsequent beibehalten. Der Eingangstrack "Pride" bietet schleppendes, immer wieder von Noiseeinschüben und wütendem Geschrei durchbrochenes Gerumpel, um mit "The Disappearing Chair" durch eine ausgesprochen fiese Noise-Nummer abgelöst zu werden, die mit arhythmischem Beat und allerlei unbehaglichem Gefiepe aufzuwarten weiß. Den ersten Höhepunkt des Albums stellt dann wohl das vergleichsweise stringente "Trapped In Amber" dar, das mit seiner Kombination aus repetitiven, sich kontinuierlich steigernden Noiseloops und HOWARDs grundsatzgepissten Vocals tatsächlich so etwas wie ein "typisches" IFOTS-Stück abgibt. Mit "Cold Wet Skin" folgt der eigentliche Höhepunkt des Albums – wenigstens nach des Verfassers bescheidener Meinung – auf dem Fuße: der erste Teil wird durch einen auf- und abschwellenden Grunddrone dominiert, in den sich immer wieder verhaltenes Geflüster einschiebt (was auf diffuse Weise an den Eingangstrack "For You I Will" des Vorgängeralbums erinnert), der zweite Teil splittet diesen Grundsound dann in viele verschiedene, mal parallel, mal gegenläufige Spuren auf, die dem Ganzen ungeachtet aller Brachialität zum Ende hin einen beinahe kontemplativen Charakter verleihen. "Insignificant" funktioniert ähnlich, ist dabei jedoch noch deutlich aggressiver, während "Born Of Snake" wieder dronesk beginnt, um schließlich in eine Kakophonie unterschiedlichster Noisepatterns und Vokalfetzen auszulaufen. "The Only Thought Is Mine" schließlich ist ein ebenso massiver wie konfus-beunruhigender Abschlusstrack, der den Sound und die strukturelle Programmatik des Albums noch einmal pointiert zusammenfasst. "The album utilises new recording methods and extraordinary, intoxicating song arcs that will leave the listener still hearing and absorbing the album long after it has been filed away", verkündet der Promotext etwas großspurig, doch dem ist beizupflichten: es führt seinen Hörer zwar keineswegs mit dem ersten Durchlauf direkt in die musikalische Abhängigkeit, ganz im Gegenteil; doch es hinterlässt seine Saat in den Synapsen, und wird diese Saat nur geduldig und sorgsam genug bebrütet, so entfaltet sie peu à peu ihr volles Potential – und das ist deutlich, deutlich umfangreicher und gehaltvoller, als es während des ersten, flüchtigen Durchhörens den Anschein haben mag. – Summa summarum ist "We Can Yield Our Own Footsteps" ein ebenso anspruchs- wie eindrucksvolles Album, das den Ausnahmestatus von IRON FIST OF THE SUN innerhalb des PE-/Noise-Genres nachhaltig bestätigt und legitimiert, allerdings definitiv nicht für die zeitgenössische MP3-Listen-Durchskipper-Community geeignet ist. Diese kleine "Einschränkung" scheint dem Rezensenten jedoch eher ein evaluativer Ritterschlag denn ein qualitatives Manko zu sein.
Endsal für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » IRON FIST OF THE SUN @ facebook » IRON FIST OF THE SUN @ discogs » COLD SPRING-Homepage » We Can Yield Our Own Footssteps @ COLD SPRING » We Can Yield Our Own Footsteps @ discogs Themenbezogene Newsmeldungen: » IRON FIST OF THE SUN im Juni mit Album
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Zusammenfassung
Sehr persönliches, anspruchsvolles und eigenwilliges Album, das seitens des Hörers etwas Geduld & Einfühlung erforderlich macht, soll es sein außergewöhnliches Potential in vollem Umfang entfalten. Ungeduldige Playlisten-Skipper sollten deshalb eher die Finger davon lassen.
Inhalt
01: Pride (8:01)
02: The Disappearing Chair (4:42) 03: Trapped In Amber (6:31) 04: Cold Wet Skin (8:17) 05: Insignificant (3:41) 06: Born Of Snake (8:47) 07: The Only Thought Is Mine (5: 08) LP-Version in klarem Vinyl limitiert auf 100 Stück; LP-Version in schwarzem Vinyl limitiert auf 250 Stück; CD ohne Limitierung. |