Album-Trailer "Kaltwelt" Dreck, Abschaum, Tod. Das ist, grob umrissen, die Welt von ANENZEPHALIA. Sounds zwischen Industrial, Noise, Power Electronics und (Dark) Ambient, geprägt von Hoffnungslosigkeit und Leere. Mit "Kaltwelt" ist nun das erste Studioalbum des Ein-Mann-Projekts – mit gelegentlicher Unterstützung durch Teile der Labelkollegen von GENOCIDE ORGAN – seit neun Jahren ("Noehaem", 2003) erschienen. Auf dem Cover suppt widerliche Brühe aus einem industriellen Abwasserrohr – da wird man gleich prima eingestimmt auf den 'Ambient Terror', wie das Mannheimer Industrial-Label TESCO das neue Werk seines Urgesteins – ANENZEPHALIA waren einer der ersten TESCO-Acts überhaupt – bezeichnet.
"Kaltwelt" vereint Stücke, die zwischen 2008 und 2011 entstanden sind, teilweise schon live auf der Bühne erprobt, teilweise aber auch noch ungehört. Das tieffrequente Brummen, das zum Start ("Stahlmessias II", 01) durch den zunehmend wirren Spieluhrsound dröhnt, deutet gleich an: Gemütlich bleibt es die rund 50 Minuten nicht. Hubschrauberähnliche Drones im Hintergrund, dazu ein Mischmasch an Sprachsamples, zwischendurch die Spieluhr wieder fast alleine, dann noisige, flächigere Passagen. Die zwar zerrenden, aber (auch im weiteren Verlauf fast durchweg) gut verständlichen Lyrics sind das brutalste am Opener, übrigens für das gesamte Album im Booklet abgedruckt. Auch "Frostschrae" (02) bleibt für meine Ohren erstaunlich ruhig, das typische ANENZEPHALIA-Krachen und -Scharren mit wenigen Zusatzgeräuschen. Ein Stampfen, welches kurz vor Ende alleine steht, fast melodiös, dazu die zurückhaltende Rezitation über den Alptraum des alltäglichen Lebens. In "Nihilist's Sermon" (03) bleibt das Wummern an der Grenze zur Melodie, ein geisterhaftes Wehen liegt darüber, die Stimme wieder fieser, apokalyptisch geht es um die blinden Massen und ihre Ikonen. Bis dato erweckt "Kaltwelt" durch dieses Hubschrauber-ähnliche Schrappen einen erstaunlich rhythmischen Eindruck, und auch in den folgenden Stücken vermitteln Schleifen von Geräuschen eine gewisse, recht starke Struktur. Ebenso fällt auf, dass im Vergleich zu "Noehaem" der Textanteil sehr hoch ist, so als hätten sich Wucht und Hass teilweise in die Lyrics verlagert. "Bodies Of Gold" (05) wäre unter Drogen fast tanzbar, bevor es dann wieder brutaler ("Mind Kalvar", 06) zugeht, bis ein fieser Geräuschloop aus hochfrequentem Flirren mit kaum verständlichen Vocals ("Saefe", 07) das Hirn gänzlich weich kocht. Die beiden letzten Stücke sind mehr Ambient und weniger Terror. "Paradies" (08) ist sehr eindringlich mit einem höhligen, hallenden Rhythmus, mit Knistern und Flüstern. Im Hintergrund schwebt der Geist von RAVELs "Bolero". Am Ende wird das Paradies natürlich mit ein wenig Krach aufgelöst. Der Titeltrack (09) beschließt das Album auf ähnliche Art und Weise. Beeindruckende Veröffentlichung von ANENZEPHALIA, gerade weil der Terror sich hier oft unterschwellig zeigt und viele Stücke zunächst gar nicht so wüst klingen, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre. "Kaltwelt" hebt sich wohltuend von belanglosem Digitalgeprügel ab und wirkt sehr durchdacht, durchzogen von einer gewissen apokalyptischen Eleganz; auch ein Unterschied zu den wesentlich brutaleren Liveauftritten. Das Klangbild ist sehr analog, erinnert mich immer mal wieder an HAUS ARAFNA, auch Ähnlichkeiten zu GENOCIDE ORGAN liegen natürlich auf der Hand. Pflichtprogramm.
Michael We. für nonpop.de
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Zusammenfassung
Beeindruckende Veröffentlichung, gerade weil der Terror sich hier oft unterschwellig zeigt. "Kaltwelt" hebt sich wohltuend von wüstem Digitalgeprügel ab und wirkt sehr durchdacht, durchzogen von einer gewissen apokalyptischen Eleganz. Pflichtprogramm.
Inhalt
CD oder LP
01. Stahlmessias II (7:13) 02. Frostschrae (4:30) 03. Nihilist's Sermon (6:04) 04. Aes (6:13) 05. Bodies Of Gold (5:29) 06. Mind Kalvary (6:54) 07. Saefe (3:34) 08. Paradies (4:50) 09. Kaltwelt (4:58) ~ 49 min. |