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Michael We.
ODA RELICTA: The Crown + The Plough
My first Marschmusik
Genre: Neo - Klassik
Verlag: Neuropa
Vertrieb: Neuropa
Erscheinungsdatum:
Mai 2007
Medium: CD
Preis: ~14,00 €
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Going...
Kategorie: Rezension
Erstellt: 09.07.2007
Wörter: 893
Artikelbewertung:
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Um sich dem Thema 'Marschmusik' ernsthaft und ohne Klischees anzunähern, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum einen die musikhistorische: "...eine Musik, deren Zweck es ist, die Bewegung einer größeren Menschenmenge zu regeln, in diesem Sinn dem Tanz verwandt. Der Marsch ist ohne Zweifel sehr alt [...] Die Trommeln, Pauken, Trompeten und Schweizerpfeifen [eines Militärmarsches] waren schon zu Anfang des 16. Jahrhunderts in Gebrauch, wenn ein Fürst in eine Stadt einritt oder in das Feld zog." (Aus: Meyers Konversationslexikon, Verlag des Bibliographischen Instituts Leipzig und Wien, Vierte Auflage 1885-1892) Eine weitere Möglichkeit bietet die Diskussion über die umstrittene, heroische Ästhetik von militärischer Marschmusik, vor allem natürlich in der nationalsozialistischen Propaganda, welche auf die Blasmusik des 19. Jahrhunderts zurückgriff, um Massenaufmärsche zu inszenieren. (Susann Witt-Stahl: "...But his soul goes marching on". Musik zur Ästhetisierung und Inszenierung des Krieges. Coda Verlag, Karben 1999)
Um ehrlich zu sein: Marschmusik - also die 'reine' Marschmusik, nicht die Marsch- und Trommelsamples, die im Neofolk häufig auftauchen - hat mich, wissenschaftliche Herangehensweise hin oder her, bislang als Hörer nicht interessiert. Der ukrainische Musiker OLEGH KOLYADA hat meine Einstellung mit seinem Projekt ODA RELICTA und der CD "The Crown & The Plough" allerdings gründlich geändert. Zusammen mit dem ZHYTOMYR MILITARY BRASS ORCHESTRA und dem ZHYTOMYR CHAMBER ORCHESTRA hat er Militärmärsche und 'Kreis-' oder 'Rundtänze' (eine Art Militärmarsch bzw. -tanz für's feiernde Volk, zum Rhythmus von Trommeln) neu eingespielt, gelegentlich leicht dissonant, manchmal begleitet von sanfter Elektronik. KOLYADA baut dabei um Versatzstücke der Originale von PROKOFJEV, RACHMANINOV, CHERNEZKY oder um alte ukrainische, byzanthinische und armenische Volksweisen herum eine überwältigende, akustische Dark Ambient-/Neoklassik-/Folk-Kombination. Womit endlich auch die Antwort auf die Frage gegeben wäre, warum NONPOP so eine Platte überhaupt bespricht. OLEGH KOLYADA wuchs in Zhytomyr (deutsche Schreibweise: Schytomyr) auf, einer im 7. Jahrhundert auf dem Gebiet der heutigen Ukraine gegründeten Gemeinde, die später zur Stadt ernannt wurde. Ihre Stadtgeschichte ist geprägt von Befreiungskämpfen (der Ukrainer gegen die polnische Besatzung), Bürgerkriegen und sowjetischen Wirtschaftsinteressen. Also die passende historische Kulisse für ein reichhaltiges Repertoire an Liedgut zwischen herrschaftlichen Märschen und aufrührerischen 'Bauernliedern' ('plough' ist der Pflug, in den Begleittexten zur CD ist oft von den 'Pflugmännern' die Rede). OLEGH erzählt, dass er sich an viele Feste seiner Kindheit erinnern kann, die draußen in der Natur genau mit dieser Musik gefeiert wurden. 'Märsche und Tänze bestimmten in Russland jeden Schritt deines Lebens' (OLEGH). Die Geschichte seiner Stadt und diese Erinnerungen bilden die Grundlage für "The Crown & The Plough". Die Fahrt durch die vergangenen Jahrhunderte russischen und ukrainischen Glanzes beginnt mit einer Variante von PROKOFJEVs "Romanze", mit dunklen, schwelgerischen, wogenden Streichern und ein paar synthetischen Glöckchen. Eine kurze, erste Marschsequenz schließt sich an, über die sich schnell das - neben den Blechbläsern - bestimmende Instrument von "The Crown & The Plough" setzt, die Balkanflöte. Sozusagen als Gegenstück der schweren, stampfenden, militärischen Musik symbolisiert sie die Leichtigkeit, das Feurige, Slawische der feiernden 'Pflugmänner'. Im Hintergrund bleibt als Bedrohung aber fast in allen Stücken ein leise dröhnender, nicht näher zu identifizierender Soundteppich stehen. Nach einer Mischung aus einer alten ukrainischen Kosakenhymne mit einem Militärmarsch des 20. Jahrhunderts vermengen sich Geigen und Trompeten in "Ave Rex Luciferi" zu einem der bedrohlichsten, Dark Ambient-ähnlichsten Stücke, bei dem die hervorgestoßenen Toncollagen immer noch eine Weile düster im Raum hängen bleiben. Mit Track 5 ("Ave Rex Crowned With Laurel") sind wir dann beim Kern angelangt: einer Reihe von Märschen, die aus neu eingespielten Versionen verschiedener Originale zusammengemischt sind und deshalb in ihrer pompösen Überladenheit fast noch 'mächtiger' wirken als ursprünglich. Das Prinzip des Bruches, welches das ganze Werk durchzieht, kommt hier besonders zum Tragen: Plötzlich singen mitten in einen Marsch hinein schiefe Stimmen, oder zwei Melodien überlagern sich nicht ganz taktgenau. Ebenso werden die folgenden Versionen folkloristischer Tänze (mit den erwähnten Trommelrhythmen und der Flöte) zum Beispiel durch plötzliche, kurze Übersteuerungen 'gestört'. Fast unverfälscht setzt ein Marsch von CHERNEZKY ("Die Rote Armee erobert Budapest") den letzten Höhepunkt, bevor "The Crown & The Plough" wieder zurück zum Anfang geht und mit einer düsteren Version von PROKOFJEVs "Romeo & Julia" endet. Die 32 Minuten (die Kürze ist das einzige Manko, das ich feststellen kann) verbreiten eine historische, altertümliche, festliche Stimmung aus der Zeit der Zaren und Kaiser, der Lehnsherren und Fürsten. Es ist die Vergnügungsmusik der Herrschenden auf der einen und die des Volkes auf der anderen Seite, meist mit klaren Grenzen, manchmal sich ähnelnd oder sogar überlagernd. Durch die Verschachtelung der vielen neu eingespielten Originale und die erwähnten, zarten 'Industrial'-Effekte bekommt "The Crown & The Plough" das nötige Maß an Modernität, unterstützt durch den aufwändigen Produktionsprozess: Die verschiedenen Teile wurden einzeln in unterschiedlichen Studios von den Orchestern und Solisten eingespielt und mit 'field recordings' von ukrainischen Sommerfesten vermischt. Das Puzzle zusammen gebaut hat der Schwede HENRIK N BJÖRKK, der durch seine Mitarbeit an zahllosen Projekten (wie zum Beispiel MASCHINENZIMMER 412 oder MALDOROR KOLLECTIVE) bekannt ist. "The Crown & The Plough" ist, im besten Sinne, eine Wahnsinns-Arbeit. Mein momentaner NONPOP-Alltimefav. Ich schränke die Kaufempfehlung trotzdem ein, denn potentielle Hörer sollten eine gewisse Leidenschaft für klassische und/oder militärisch-folkloristische Musik mitbringen, sonst wird der Zauber von "The Crown & The Plough" vermutlich nicht funktionieren.
Die Tracks auf myspace stammen übrigens schon von der neuen ODA RELICTA-Platte "Czarstvo dukha", die im Herbst (in Zusammenarbeit mit ALBIREON, LONSAI MAIKOV und DISSONANT ELEPHANT) erscheint, ein Album mit liturgischer Musik. Ebenfalls im Herbst soll eine Split-7inch mit HOROLOGIUM auf den Markt kommen.
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Verweise zum Artikel:
» ODA RELICTA auf myspace
» NEUROPA auf myspace
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Zusammenfassung
Ein Album mit Marschmusik und Rundtänzen hätte ich bisher höchstens meinen Eltern empfohlen. Der Ukrainer OLEGH KOLYADA hat mich mit seiner hinreißenden CD bekehrt. Historisch-festliche Lieder zwischen Neoklassik, Folk und Dark Ambient. Leider viel zu kurz.
Inhalt
- Introitus Nocturnus
- Aurora in the Icon-Lamp
- Ave Ploughman the Golden
- Ave Rex Luciferi
- Ave Rex Crowned with Laurel
- Ave Ploughman Lauriferi
- Ave Ploughman the Dusky
- Ave Rex Vesperi
- Angel upon Throne
- Zenith of Valour
- Marching in Flames
- Outroitus Nocturnus
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