Frankreich ist was extremen Metal betrifft ein komisches Land. Bei unseren Nachbarn gab und gibt es kaum international halbwegs bekannte Thrash- oder Death Metal-Combos, jedoch besitzt Frankreich seit Mitte der Neunziger Jahre eine explodierende Black Metal-Szene. Durch einige kriminelle Vorkommnisse (von Grabschändung bis hin zu Ansätzen terroristischer Strukturen) gilt die Szene unserer Nachbarn als besonders „berüchtigt“, und in der Tat, wer mal in Städten wie Marseille oder Toulouse auf einem Underground Black Metal-Konzert war, wird bestätigen können, dass dort allein schon vom Publikum her ein etwas anderer Wind weht. Wie kommt's? Warum tausende von Black Metal-Gruppen bei sonstiger schwermetallischer Unterernährung? Ja, vielleicht, weil der Black Metal mindestens so viel mit Punk zu tun hat wie mit dem „vorbereitenden“ Thrash Metal?
NUIT NOIRE aus Toulouse scheinen angetreten zu sein, um genau diese These noch einmal zu untermauern, denn nach dem Anhören ihrer Interpretation des Black Metal, darf man ohne Umschweife und Rückversicherungen behaupten: Nie war Black Metal punkiger. NUIT NOIRE besteht aus zwei Personen, ein TENEBRAS, der alle Instrumente bedient, schreit und früher in verschiedenen anderen Bands aktiv war und EMILIE, eine Frau, die lediglich auch manchmal schreit, aber auch erst seit dem hier rezensierten „Infantile Espieglery“-Album dabei ist. Sie ersetzte den vorher hier am Schlagzeug und Mikro aktiven AKHRON, der auch mal Teil der im internationalen Untergrund recht bekannten MÜTIILATION war und jetzt bei den sehr interessanten und VOIVOD-esk abgedrehten DARVULIA spielt, zu deren Line-Up auch TENEBRAS mal gehörte. NUIT NOIRE existieren seit nun schon zehn Jahren, „Infantile Espieglery“ ist das dritte Vollzeitalbum, nebenher erschienen aber einige Demokassetten und Vinylsingles. Das man es hier mit sehr punkigem Black Metal zu tun hat, wird bei der Band traditionell bereits beim Cover deutlich, alle Informationen scheinen schnell mit Filzstift in Schreibschrift hingekritzelt zu sein, das was auf dem spartanisch gehaltenen Cover an Bildern zu sehen ist, erinnert klar an die von CRASS bekannte Schwarz/Weiß-Collagentechnik. Dann die Musik: AQUARIUS nannten NUIT NOIRE die RUDIMENTARY PENI des Black Metal und treffen damit eigentlich vollkommen ins Schwarze. Zur Erinnerung: RUDIMENTARY PENI war eine Band aus dem CRASS-Umfeld, die wunderbar zwischen politischer Anarcho-Message und Death-Rock mit LOVECRAFT-inspirierten Horrortexten hin und her schwappte. RUDIMENTARY PENI waren später mit „Pope Adrian 37th Psychristiatric“ (1995) auch für eine der wenigen „authentischen Irrenalben“ der Rockgeschichte zuständig, doch zurück zu NUIT NOIRE. Wenn AQUARIUS behauptet, sie seien eben jene Band des Black Metals, dann meinen sie vermutlich, dass NUIT NOIRE heute wie jene damals in zwei Welten heimisch sind. Die Franzosen erinnern musikalisch tatsächlich eher wenig an Black Metal. Der meist französische Gesang ist zwar in hoher Tonlage und etwas „quietschend“, doch versteht man das meiste, besonders wenn zweistimmig geschrien wird. Der Gesangstil hat insgesamt weitaus mehr etwas von Death-Rock a la SUPER HEROINES, 45 GRAVE oder sogar CHRISTIAN DEATH bis hin zu X-MAL DEUTSCHLAND als vom typischen Black Metal-Keifen. Seltsam „dazwischen“ auch die instrumentale Basis und die Produktion des Ganzen: Die Riffs und vor allem das Drumming lassen schon eine starke DARKTHRONE-Beeinflussung erkennen, aber diese zugleich rasend-schnellen und „sehnsüchtig“-wirkenden Grifffolgen, die Alben wie „Under A Funeral Moon“ (1993) so zur Black Metal-Referenz werden ließen, könnten genauso gut von alten Hardcore-Bands herrühren. Dann die Produktion: Schon seltsam alles, es wurde zwar mit dem Black Metal typischen klirrenden Hall aufgenommen und sie ist auch sehr primitiv Lo-Fi belassen, aber der Black Metal-typische Druck und somit auch der Hass, der "transylvanische Hunger" fehlt. Die Musik wirkt vielmehr wie von Nebelschwaden durchzogen und auch durchaus eigentümlich lebensfroh, wenn auch entrückt von irdischen Problemen. Damit kommen wir zu der letzten Besonderheit von NUIT NOIRE, den Texten, die sind nämlich auch kein bisschen "böse" oder „menschenverachtend“. Es geht nämlich in betörender Schlichtheit entweder um die Schönheit der Nacht, um Elfen und um die Anziehungskraft des Waldes oder – auch ganz wichtig – um das „anders sein“, was jetzt so romantisch-gruftig anmutet, ist aber gar nicht so gemeint, denn ehrlich gesagt, geht es oft vor allem ums Ficken, und zwar eben im Wald mit Elfen in der Nacht in allen Variationen. Ein paar Auszüge, weil diese auch einen guten Eindruck der Gesamtstimmung vermitteln: Fairies Fuck Humans: We are not like you, you are not like us, We are from the night, you are from the day; Every day of life we roam in your world, You don't even know that we're around you... Oder: Immature Attitude: Again it is another dream, again the night is so bright, again the faires love me, again the madness shall be. We will run towards the skirt of the forest, we will dance between the trees, we will throw ourselves on the ground and soll in the leaves, we will hang on the branches and climb very high, we will fuck everybody Oder: Never be like you: See not like you In the dark Feel not like you In the night Move not like you Among the trees Be not like you Never be like you I’ll never see like you I’ll never feel like you I’ll never move like you I’ll never be like you Nun etwas schlicht, zugegeben, die Mehrzahl der französischen Texte ist kaum anders, aber es passt sehr gut, man muss sich vorstellen, dass diese Zeilen mit viel Elan und Spaß an der Sache herausgeschrien werden, besonders EMILIE zeigt sich hier sehr engagiert. NUIT NOIRE ist eine äußerst interessante und obskure Black Metal-Band, man kann ihre Musik nicht oft hören, sie nervt recht schnell, aber als Hörer kommt man immer wieder darauf zurück, zumal die Riffs wirklich im Ohr bleiben und gemessen an all den DARKTHRONE-Epigonen absolut im oberen Viertel anzusiedeln sind. Das letzte DARKTHRONE-Werk selbst wird locker geschlagen. Wer herzzerreißenden, rotzigen Lo-Fi Punk/Metal sucht, genau zwischen DARKTHRONE, RUDIMENTARY PENI und amerikanischem Deathrock, der muss NUIT NOIRE eine Chance geben. Um sich eine Erholung vom Black Metal „Natur“, Troll und Waldschrat-Kitsch abzuholen, sind sie allemal geeignet!
Dominik T. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » NUIT NOIRE offiziell » NUIT NOIRE @Myspace » NUIT NOIRE @Myspace II » NUIT NOIRE@Todestrieb » NUIT NOIRE@Dead Bees Records
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Zusammenfassung
Obskurer, französischer Lo-Fi Black Metal, der mehr nach Deathrock und Anarcho-Punk klingt als wirklich nach Black Metal und über das Anders-Sein und den Sex mit Elfen in immer neuen Variationen erzählt.
Inhalt
Espieglery' is based on the French word 'espièglerie' which roughly translates
as mischief 1. Creatures Of The Night 02:34 2. Are You Ready For The Night? 02:15 3. Turn On Your Light 02:39 4. Alone? 02:23 5. Scrapheap! 02:36 6. Join Me In The Night 02:53 7. Enfant Spectre 03:09 8. Les Êtres De Lumière 02:42 9. Dans Le Noir 02:32 10. Rêve De Nuit 02:11 11. Fairies Fuck Humans 02:12 12. Never Be Like You 02:44 13. Osmose 02:36 14. Immature Attitude 02:59 Total playing time 36:06 Jewel Case, Faltblatt mit allen Texten |