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Roy L.
TREES: Walking Trees
Dream-Pop oder: wenn Bäume laufen lernen
Kategorie: Rezension
Erstellt: 20.04.2007
Wörter: 1046
Artikelbewertung:
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Die Entstehungsgeschichte der italienischen Wave-Band TREES könnte kaum langweiliger verlaufen sein: 1993 setzten sich fünf junge New Wave-Enthusiasten aus Neapel zusammen und nehmen ihr erstes Demotape in typischer Besetzung Gitarre-Bass-Schlagzeug-Keyboard auf. In der Szene ihrer Heimatstadt werden sie schnell durch zahlreiche Auftritte in verschiedenen Clubs bekannt. Mit dem Lied „Frost Upon The Trees“ schaffen sie es 1995 auf die zweite Ausgabe des „Intimation Of Immortality“-Samplers, der von dem inzwischen nicht mehr existierenden Kultlabel ENERGEIA (ATARAXIA, LIMBO, ANDROMEDA COMPLEX u.a.) zusammengestellt wurde, was ihnen daraufhin einen Plattenvertrag und zwei produzierte Alben – „Trees“ (1997) und „Harmonizer“ (1999) – einbrachte. Die Band beteiligt sich an dem „Anyone Can Be A Virgin Prunes“-Tributsampler und zählt zu dieser Zeit zu den nationalen Größen des italienischen Dark Wave. So gegen 2000 zeigen sich erste Auflösungserscheinungen, Schlagzeuger Davide zieht es nach London, Sänger Paolo verbringt einige Zeit in Miami. Doch nicht viel später ist die Besetzung wieder zusammengekommen, um mit „Ash“ ihr drittes Album aufzunehmen, das eigentlich über SEAHORSE RECORDINGS hätte erscheinen sollen. Anscheinend ist das kleine Independentlabel nun ebenso wie ENERGEIA eingestellt worden, was für die TREES einige Jahre Vakuum bedeutete. Zehn Jahre nach der Veröffentlichung des Debütalbums ist es wiederum ein Label aus der Heimatstadt Neapel, das sich der Band annimmt. ARK RECORDS haben den fünf Musikern Gelegenheit gegeben, ihre Aufnahmen an „Ash“ unter Mithilfe von Violinist ALFREDO NOTARLOBERTI und anderen Gästen abzuschließen. Das ARGINE-Label packte die beiden ausverkauften Alben gemeinsam mit dem neuen Werk Anfang des Jahres in eine durch und durch elegante 3CD-Box (das Coverphoto ist übertrieben JOY DIVISION inspiriert) und bewahrte TREES somit vor dem verfrühten Vergessen.
Und dem sollten die Süditaliener auch nicht unbedingt anheimfallen, denn ihre Musik sorgt für angenehm atmosphärische Stunden. Nun zaubern sie auf den ersten beiden Alben nicht gerade ein Feuerwerk an Innovationen aus ihrem Repertoire hervor; einige Melodien und Bassläufe schwirren einem im Kopf herum, als hätte man sie hier und da öfter schon mal gehört, aber der Authentizitätspool in diesem Genre dürfte ohenhin recht limitiert sein. Stilistisch bewegen sich TREES zwischen New Wave und keyboardlastigem Dream Pop, die Kompositionen sind so seicht und ätherisch wie nur irgend möglich, meist wirken sie verträumt und wie hinter einem nebligen Schleier aus Welt- und Liebesschmerz hervorkriechend. Mit anderen Worten: es geht auf die ganz gefühlvolle Schiene. Hier profitieren die Stücke von Stimmungen und Wetterverhältnissen. Man braucht etwas Herbst im Blut und gescheiterte Beziehungen, dann ist man eventuell für diese Schwelgerei empfänglich. Das erste Album enstand in lang und breit ausgedehnten Aufnahmesessions in einem zum Studio umgebauten Landhaus an einer abgeschiedenen Küste. Das Resultat hört man besonders in den drei langen, ruhigen Stücken „Heart“, „Gone“ und „Near“, die allesamt ihre feinen Traumfäden spinnen und sich dafür so unwirklich schwebend die größte Zeit lassen. So richtig zur Sache geht es hier nur in dem Opener „In Your Hive“, aber die Qualitäten der Band liegen ohnehin mehr in den sanften Tönen. Die Keyboards spielen warme Harmonien und polyphone Streicher, die Gitarren verlieren sich manchmal in unendlich sentimentalen Zupfsoli. Diese mediterrane Wärme, gepaart mit einer Überdosis Melancholie und ein wenig Düsternis ist für den italienischen Wave immer sehr charakteristisch gewesen. Irgendwie ist dort auch jeder, der in den frühen Neunzigern „alternativ“ sein wollte ohne mit Industrial etwas zu tun zu haben, in diese Musik abgedriftet. Ich habe wilde Fantasien davon, dass das ganze Land zu dieser Zeit von jugendlichen und jungen erwachsenen THE CURE- und AND ALSO THE TREES-Fans bevölkert war, besonders der Süden, aber dazu vielleicht später mal... Das 99er Album „Harmonizer“ birgt keine allzugroßen stilistischen Abenteuer, die Band verfeinert sich nur klangtechnisch und handwerklich und löst sich vom depressiven Downtempomodus des Erstlingswerks. Gerade hier büßen TREES allerdings ihren schlafwandlerischen Zauber der frühen Stücke ein, der mehr Platz für instrumentale Passagen bot und stärkere Bilder zeichnen konnte. Die Titel sind nun eingängiger, songorientierter, deutlich lebhafter und besonders das dramatische „Devotional“ und das bunt glitzernde „Grace“ haben echtes Hitpotential. Auf „Harmonizer“ lässt sich mehr Produktion vernehmen, aber insgesamt ist das Album kein Quantensprung. Dazu rauschen die Stücke auch zu sehr im Gleichstrom vorbei.
Wie ein ziemlicher Schuss ins Blaue wirkt nun das mehr oder weniger neue Album „Ash“. Die Italiener spielen immer noch ihren verträumt emotionalen Wave-Pop, aber im vergangenen Jahrhundert hat man ihnen die Rolle der zarten Romantiker besser abnhemen können. Ein Großteil der Platte lässt sich auf ein unnötiges Aufwärmen mit den altbewährten Zutaten reduzieren. Hinzu kommen die elektronischen Grooves bei „Love Like Mantra“, „December“, „All We Dreamers“ und „Mistral“, die äußerst bemüht versuchen, die Kompositionen mit etwas Coolness und Modernität aufzulockern. Eine glanzvollere Ergänzung bietet dagegen NOTARLOBERTIs schwindelerregend virtuoses Violinenspiel auf „Heaven In Disarray“ und „Treasure“. Der Mann ist vom Neapolitaner Konservatorium aus direkt in der Dark Wave Szene gelandet und auch wenn seine Arbeiten für ASHRAM, ARGINE, CORDE OBLIQUE usw. alle wie Teile eines großen Einheitsbreies klingen, sprüht immer ein Funken wilder Ekstase und Wehmut daraus hervor. Auf „Ash“ sorgen sie für kurze Momente der Eleganz, die Musik gewinnt sofort eine anspruchsvollere und erhabene Note. Der fragile, feminine Gesang von PAOLO D'ADDIO reißt einen jedoch wieder auf den Boden der Realität hinab und dieser ist hier noch viel gefühlsduseliger und schmalziger ausstaffiert, als auf den beiden Vorgängeralben zusammen. Manchmal schmachten TREES so sehr in ihrer verschwommenen Traumweltsoße, dass man versucht ist, einfach weiterzuskippen, weil einem die Musik im Gehörgang zu schmelzen und zu zergehen beginnt und am Ende nichts mehr übrig davon bleibt. Dennoch zeigt sich „Ash“ als das ausgereifteste, sicher auch abwechslungsreichste Werk der Italiener. Es ist sauber produziert und verlässt sich nicht ausschließlich auf eingängige Hitmelodien. Auch ein paar Akustikgitarren finden hier Zugang und besonders die nachdenkliche Ballade „Missing“, eigentlich das schönste Stück der Box, das fast an die THE CURE Unplugged Sessions erinnert, beweist, dass weniger doch mehr ist. Vielleicht hätte es nach diesem Motto eine Best-of dann auch getan, aber die Alben sind ja immerhin ausverkauft bzw. gänzlich unveröffentlicht. Und ARK RECORDS lassen mal wieder ihre Überästhetik und Kreativität raushängen, was die Gestaltung anbelangt. Späte Wertschätzung ist den TREES also gewiss. Die 3CD-Sammlung „Walking Trees“ hat letztendlich eher Dokumentcharakter, aber bei einer Auflage von nur 500 Stück sollte sich die Box zumindest in Italien relativ gut verkaufen.
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Verweise zum Artikel:
» Trees
» ARK Records
» Trees @ MySpace
Themenbezogene Artikel:
» Isobel Campbell & Mark Lanegan
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Zusammenfassung
Komplette Diskographie der italienischen Romantik-Popper TREES in einer fein gestalteten Box. Verträumte, seichte Musik im alten New- und Dark Wave Stil für gewisse Stunden, durchzogen von Melancholie und mediterraner Wärme, die manchmal von einer zu großen Portion Gefühlsduseligkeit beseelt ist.
Inhalt
„Trees“
In Your Hive
The Fringe
Heart
Crimson
Gone
The Web
Near
When Day Yields Way To Night
50min
Energeia, 1997
„Harmonizer“
Frenzy
Naive
Devotional
Undone
Harmonizer
The Wind That Moves The Sky
Lesbian Kiss
Grace
Sunrise
A Different Kind Of Time
43min
Energeia, 1999
„Ash“
Asian Summer Haiku
Love Like Mantra
The Sea As Horizon
Heaven In Disarray
December
All We Dreamers
Beauty
Treasure
Mistral
Missing
57min
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