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Roy L.
ICH WOLLTE, ICH KÖNNTE: In Memoriam
"Damals war alles besser!" J.L., 1978
Kategorie: Rezension
Erstellt: 17.12.2006
Wörter: 995
Artikelbewertung:
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Die Legende besagt, es sei im Jahre 1978 gewesen, da JOHANNA LIEBHART, ihrerseits Töchterchen des mythischen Elektropioniers ALOIS VON GRÜNENWÖRTH-MÖMPELGARD (ADVERTANCE EDITIONS) das Verständnis von jeglicher Musikkultur revolutionierte und sich mit ihrem Label NEO MUZIK und den eigenen Aufnahmen zur umstrittenen New Wave-Ikone aufschwang. Als entscheidende Initiatorin habe JOHANNA LIEBHART mit ihrem konspirativen Kreis von Künstlern einen Kosmos entworfen, der weit über das Wesen von Musik-an-sich hinausgeht, der zur Weltanschauung wurde, alles Mögliche und Unmögliche in sich einsog und allegorisierte und schließlich Ende der Neunziger von der ominösen Gigabrother-Kommune absorbiert wurde. Ihre erste LP trug den konjunktivischen Titel "Ich Wollte, Ich Könnte", kontrovers-blutig-rituelle Performances mit dem Kulturterroristen EGON OPPL einerseits und tanzbare Elektro-Pop-Romantik andererseits seien im Laufe der Neue-Welle-80er gefolgt. Am 12. Februar 2000 wurde die Verfasserin zahlreicher metapolitischer Manifeste von 66 Messerstichen durchdrungen tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Die verantwortlichen Behörden vermuten hinter dieser grausamen Tat MOONCHILD ERIK, der unter dem Deckmantel seines magischen Projektes HIS DIVINE GRACE sogar ein merkwürdig lakonisches Geständnis ablegte..."I Did Anna". Legenden sind dazu geschaffen, dass man ihre Oberfläche schimmern lässt und nicht stumpfsinnig an ihrem Glanz kratzt, und was würde also ein reicheres Funkeln bewirken als eine Platte, die uns eine solche Legende mit äußerster Hingabe wieder in Erinnerung ruft? "In Memoriam" ist dem Andenken JOHANNA LIEBHARTs gewidmet, und in der Tat nimmt die LP direkten Bezug auf ihr 1978 "erschienenes" Werk. Hinter ICH WOLLTE, ICH KÖNNTE sollte man auf den ersten Blick ein Nebenprojekt des norddeutschen Duos WERMUT ausmachen können, das anfangs als Soloarbeit von LASZLO P.S. angelegt gewesen zu sein schien, nun aber ebenso durch die Geistesblitze SOFIA E.R.s Gestalt annimmt. Das Konzept der vorangegangenen 7-Zoll "Musique Au Mètre" fortsetzend, werden wiederum klassische Stücke der elektronischen Musik der frühen 1980er herangezogen und neu arrangiert, wobei nicht vergessen wird, dem Ganzen den markanten Stempel des Hauses TREUE UM TREUE / REUE UM REUE aufzudrücken. Diesmal stammen die Referenztitel aus dem Frühwerk von JOHANNA LIEBHART, und in den Kompositionen schwingt die schiere Emotionalität einer andächtigen Hommage natürlich mit. Angemerkt sei hier übrigens noch, dass der bereits Anfang des Jahres veröffentlichte IWIK Film "Conspiracy" unzählige Anlehnungen, oder besser gesagt Plagiarismen, aus JOHANNA LIEBHARTs Videoclip "Control" beinhaltete. Das lang erwartete Debütalbum "In Memoriam" wurde mit höchster Sorgfalt aufs schwarze Plastik gebannt. Schon dem positiv-pathetischen Intro "Conscious Ruins" entströmt eine kühne Professionalität, ein gipfelstürmender Hauch von Größe und unüberstürzter, ruhiger Konzentration. Es ist vor allem LASZLOs fröstelnd machender Sprechgesang, der im Grunde jenseits diverser gesangstechnischer Finessen liegt, aber von innen her Hymnisches beschwören kann. Imposantere Zusammenhänge flackern da am Horizont, verheißungsvolle Klanglandschaften kündigen sich bereits hier für die kommende halbe Stunde an. Man mag, und das ist wichtig, zu dem sich kürzlich neu etablierten Phänomen der Minimalelektronik und des Retrosynthies stehen wie man will - sobald einem das erste Anbrausen der warmen Flächen des Instrumentals "Pattern I" wie durch eine Hochpräzisionskanüle hindurch in die Venen gespritzt wird und ins Blut stößt, ist man paralysiert und wie losgelöst vom Körper, der etwas verträumt und selbstlos mitschwingt. Glasklare und saubere minimalistische Rhythmen, die mit denen der alten Garde durchaus mithalten können, bringen die Platte langsam aber sicher in Schwung. Überraschend tritt eine echte Akustikgitarre hinzu, deren Saitenspiel nicht im folkloristischen Lager verortet werden sollte, sondern vielmehr kosmisch-krautig daher kommt, die den Rhythmus wie von selbst unterstreicht und die Atmosphäre noch etwas mehr verdichtet. Bei "Pattern II" gibt sie teilweise sogar noch etwas stärker den Ton an. Fast würde ich hier bessere TANGERINE DREAM als Vergleich bemühen wollen, aber auch nur aus so einem spontanen Gefühl heraus. Das Album allerdings hat mit "ME 110" daneben auch einen verschrobenen WERMUT-infizierten Elektrowalzer zu bieten, ein wenig gnarzend und kratzend, wie die Motoren einer alten Messerschmitt, garniert mit fatalistischem französischen Gesang. Ein desperates chanson d'amour für "wäldliche" Kriegsschauplätze. "In Memoriam" mutet auch insgesamt wie ein zerfallenes Heiligtum für desillusionierte moderne Pilgerfahrer an. Es hat etwas stark isolationistisches, einen Hauch von "Menschen inmitten von Ruinen". Jedes Stück wirkt wie ein Schlussstrich für sich, ein Wunsch nach Auflösung und Entgrenzung, nach Aufopferung in einer Welt, die ihre Schuld durch das Dogma der Schuldlosigkeit vermehrt, also eher richtet als opfert. Es müssen dabei auch gar keine Abstrakta und großen Ideale im Spiel sein; nur um das Feuer der Existenz zu schüren, will man die Welt auf den Schultern tragen, ans Kreuz genagelt sterben, für Kriegsverbrechen gehenkt werden können. Ein dichtes Vermengtsein von Erschaffung und Auslöschung drängt sich auf im Moment des Ansammelns von Hinterlassenem, wie die Kadaver und Ruinen auf dem Plattencover anzeigen. Beim Kehrtwenden der Platte wird man mit "Vagues de Silence" auf einen mehr als virulenten Hit stoßen. Seit COILs finalem "Fire of the Mind" habe ich nicht mehr so viel Gänsehaut beim Hören eines Lieds verspürt. IWIK gelingt hier die Montage von kühler Minimalelektronik, echter Melodiestruktur und breitwandiger Atmosphäre. Das Wechselspiel des Gesangs von LASZLOs andächtigem Englisch und SOFIAs distanzierter Wiederholung auf Französisch führt dem Stück noch eine intensivere Dynamik zu, währenddessen zwischendrein dann wiederum diese ungewöhnlich nach Mandoline klingende Akustikgitarre spielt. Beschlossen wird "In Memoriam" von dem bitter melancholischen "So Much Joy", einem E-Piano- Stück auf dunklen Tasten, die jene, in wenigen Sätzen zirkulierende, hermeneutische Einsamkeit des Gesangs nachfühlen und am Ende, in gesteigerter Tragik, von einer helleren, zweiten Klavierstimme begleitet werden. Die beiden ex-Hamburger haben einmal mehr ihr scheinbar unbegrenztes Kunstvermögen unter Beweis gestellt, es fügt sich erneut alles zusammen in ein großes Gesamtkunstwerk. Im Grunde wäre es namentlich durchaus denkbar gewesen, eine separate Besprechung nur zur Gestaltung dieses Tonträgers abzufassen. Denn wovon dies Vinyl so sanft umhüllt wird, ist wahrlich edelster mattschwarzer Karton, präzise bedruckt, elegant bis in die letzte Linie, kein Wort zuviel, alles angemessen und an richtiger Stelle platziert. Ein in höchsten Maßen stimulierender Augenschmaus für den wahren Sammler. Nicht zu vergessen, dass die Musik hier in so göttlicher Weise korrespondiert, dass die Kunde von ihr selbst bis über den Styx zu unserer maliziös erdolchten ANNA dringen mag. Ohne Zweifel, ein Klassiker. Schon jetzt.
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Zusammenfassung
Das lange Warten auf das Debüt von WERMUTs Nebenprojekt hat sich gelohnt. "In Memoriam" ist ein andächtig-perfektionistisches, höchst melodisches Minimalelektro-Machwerk in kongenialer Gestaltung geworden. Ohne Zweifel, ein Klassiker. Schon jetzt.
Inhalt
A
Conscious Ruins
Pattern I
ME 110
Obsession
Iwik
B
Vagues de Silence
Waiting
Pattern II
So Much Joy
35min
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