Gibt man das Stichwort "Satanismus" als Suchbegriff bei "amazon.de" ein, bekommt man gegenwärtig verdächtige 93 Ergebnisse. Schon nach oberflächlicher Durchsicht fällt dem in diesen Themen halbwegs Bewanderten auf, dass nur drei dieser 93 Bücher den Leser wirklich "wahrheitsgetreu" informieren: 1. Joachim Schmidt, Satanismus, Mythos und Wirklichkeit. Eine solide Arbeit (schon in 2. Auflage) von einem studierten Religionswissenschafler. 2. Karl H. Frick, Satan und die Satanisten, 3. Bände. Das Werk stammt bereits aus den ersten Jahren der 1970er und ist deshalb nur für "Fälle von Satanismus" in früheren Jahrhunderten interessant, wenn sich Frick zu "Hippies", Kommunenleben, "freier Sexualität" u.Ä. äußert, reizt er aufgrund eines heute befremdlich wirkenden moralisierenden Kleingärtnerkonservatismus bestenfalls zum Lachen. 3. Joseph Dvorak, Satanismus. Kein wissenschaftliches Buch, sondern eine chaotisch wirkende Wissensanhäufung, die unter Kennern schon "Kult" und daher auch seit 1989 ununterbrochen im Buchhandel erhältlich ist.
Die 90 restlichen Bücher sind entweder "satanische" Selbstdeutungen, Romane, schlimmster Boulevardjournalismus oder stammen von Autoren, die selbst "tendenziös" (Antifa, Seelsorge) sind und auch dann, wenn sie es "gut meinen", nicht verbergen können, dass sie eigentlich keine Ahnung haben (Ingolf Christiansen). Leider verhält es sich bei ähnlich gelagerten Themen genauso, gerade erschien zwar beim ARES-VERLAG ein lesenswertes Buch über den "politischen" Aleister Crowley, aber ansonsten auch hier weit und breit (fast) nur Werke von "Okkultisten" oder sensationsheischender Boulevard. In der englischsprachigen bzw. us-amerikanischen Literatur sieht es übrigens im Wesentlichen nicht anders aus. Weil das alles so ist wie beschrieben, klafft auch hierzulande eine gewisse Informationslücke, wenn es um so besorgniserregende Themen wie angeblichen oder tatsächlichen "satanischen Kindesmissbrauch", sogenannte "Ritualmorde" oder schlicht um sonstige Verbrechen mit "satanischem" Hintergrund geht. Die Folge dieses Defizits ist ein echter "Information War": Seelsorger, besorgte Mütter Black Metal hörender Söhne, "Überlebende" angeblicher "satanischer" Schändungen (die man lieber psychologisch betreuen sollte, statt sie in Talkshows auftreten zu lassen), Journalisten, "Satanisten" und eine viel zu geringe Anzahl spezialisierter Religionswissenschaftler stehen sich oft unversöhnlich gegenüber und reden auf absurdeste Weise aneinander vorbei. Die Situation hat zwar in Deutschland bisher nie das Maß an Hysterie erreicht, das in den USA üblich war oder noch ist; dort kam es speziell in den 80er Jahren zu einer ganzen Welle sensationsheischender Berichte, genannt "Satanic Panic", auf der auch uns so wohlbekannte Künstler wie BOYD RICE und MICHAEL MOYNIHAN (BLOOD AXIS) surften, indem sie zusammen mit Radio- und TV-Prediger BOB LARSON eine Art "unsichtbares Theater" aufführten, sie natürlich in der Rolle der "bad guys" - "Evil Satanic Neonazis Of The Night" zum Anfassen ("Ja, sie gibt es wirklich und sie sind mitten unter uns.") -, aber zumindest die BILD-Zeitung und manch eine Fernsehreportage oder "Tatort"-Folge greift den alten Klassiker "Ritualmord" auch hierzulande gerne auf. Nun hat sich ein Autorenduo dem Thema "Satan - Jäger, Jünger und Justiz" einmal ganz grundsätzlich genähert: Der bisher unbekannte ANDREAS HUETTL und der allseits bekannte O.T.O.-Forscher PETER R. KÖNIG. Das Buch ist knapp über 400 Seiten dick und in zwei Teile geteilt. Der erste, kleinere Teil (Seite 7-123) stammt von ANDREAS HUETTL, einem Rechtsanwalt aus Leipzig, der beruflich mit dem Thema "Satanismus und Verbrechen" in Berührung gekommen ist, sich offensichtlich über das Ausmaß irrationaler, sich widersprechender Literatur zum Thema ärgerte und schnell erkannte, dass man mit Vernunft und Recherchewillen ein guten Text zum Thema schreiben kann, der auf dem deutschen Buchmarkt bisher fehlte. Bei dem zweiten Teil (Seite 124-413) handelt es sich um ein langes, per e-mail geführtes "Gespräch" zwischen beiden Autoren. ANDREAS HUETTL ist meist der Fragesteller, P.R. KÖNIG der Experte, der alles, "was sie schon immer zum Thema wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen gewagt haben" beantwortet, auf einigen wenigen Seiten dreht sich das Verhältnis aber auch um, etwa wenn es darum geht, "okkulte Praktiken" juristisch zu bewerten. ANDREAS HUETTL ist als Jurist natürlich auf religionswissenschaftlichem Gebiet ein Laie, dennoch hat er sich in seiner Freizeit gründlich in die vorhandene Literatur zu "Satanismus" und "Ritualmord" im Allgemeinen eingearbeitet. Er beschreibt sämtliche Verbrechensfälle der BRD, bei der (meist von der Boulevardpresse) ein "satanischer" Hintergrund vermutet wurde, bewertet sie juristisch und trennt "Richtiges" von "Falschem". Darüberhinaus bringt er den Leser auf den aktuellen Forschungsstand zum Thema, rekapituliert den Inhalt der wichtigsten Bücher, die in den USA während der Hochzeit der "Satanic Panic" erschienen sind (u.a. von Kriminologen) und weist mit bestechender Ratio nach, was für ein kompletter, oft schon rein logisch, Unsinn in den "Hysterie-Büchern" den Lesern zugemutet wird. Schlussendlich wagt er sogar eine beträchtliche Ausweitung des Themas und widmet sich dem "Ritualmord" im Allgemeinen, denn auch den frühen Christen und natürlich den Juden wurde das rituelle Töten von Kindern (Essen, Blut Trinken usw.) vorgeworfen. Schon der Hobbypsychologe ahnt, dass diese Verdächtigungen der Mehrheitsgesellschaft gegenüber einer religiösen Minderheit etwas mit "Projektionen" zu tun haben, Huettl unterlässt es aber auch, noch auf kulturpsychologischem Gebiet zu dilletieren und lässt Deutungen von kulturphilosophischer Tragweite außen vor. Sicher eine weise Entscheidung. Wer sich darüber hinaus mit dem Themenkreis "Opfer(n)", "Sündenbock" beschäftigen möchte, sollte RENE GIRARD und GUNNAR HEINSOHN lesen. RENE GIRARD wurde bereits im IKONEN und bei GOLGATHA thematisiert, und zu GUNNAR HEINSOHN findet sich eine gute Einführung, nebst Interview, in der aktuellen Ausgabe der SEZESSION. Spannend an dieser Stelle ist auch, dass sich hier schon begriffsgeschichtlich der Kreis zum Teufel schließt, den laut Bibel ist eine Rolle des Teufels ja gerade "Sündenbock zu sein" (vergleiche: 16. Kapitel, 3. Buch Moses, AT), und tatsächlich, einige "satanische Denksysteme" bauen wesentlich darauf auf, bewusste Absorbierer des "Verdrängten" zu sein. Angeschnitte Themen des ersten Teil des Buches sind der "Satansmord" von Sondershausen (ABSURD), der von Witten ("Rudas"), aber auch "der Fall Klingenberg", der "Fall ULLA VON BERNUS" (Tochter des dichtenden RUDOLF STEINER-Freundes und Alchemisten ALEXANDER VON BERNUS, die eine individualisierte Form "Schwarzer Magie", gemischt mit anthroposophischen Elementen praktizierte und 1984 im ZDF jemanden "live verfluchte", woraufhin sie ein Priester wegen versuchter Tötung verklagte. Kurz bevor sie starb, kehrte VON BERNUS in den Schoß der offiziellen Anthroposophie zurück.), aber auch Fälle früherer Jahrhunderte werden behandelt: GILLES DE RAIS, LA VOISIN, Gräfin BATHORY, der immer wieder lustige TAXIL SCHWINDEL und die Gerüchte um ALEISTER CROWLEY. Alles grundsolide und bisher das Beste zum Thema in deutscher Sprache! Im Gesprächsteil des Buches findet nun unweigerlich eine Verlagerung des Themas statt, denn PETER R. KÖNIG ist mehr ein Experte für die "thelemitische" und "saturngnostische" Szene um den ORDO TEMPLI ORIENTIS bzw. die FRATERNITAS SATURNI, mitsamt ihrer Ableger und weniger ein "Satanismus"-Experte, das ist schon deshalb ein wichtiger Unterschied, weil in der Regel Okkultisten dieser Coleur nicht mit dem als "oberflächlich" geltenden ANTON LAVEY (CHURCH OF SATAN), anderen, expliziten "Satanisten" und schon gar nicht mit "Black Metal Jugendlichen" verwechselt werden möchten und man dieses Selbstverständnis auch als Forscher begrifflich ernst nehmen muss. PETER R. KÖNIG bleibt also auf dem Gebiet, das ihn berühmt machte, sprich, im ersten Teil ging es um "Verbrechen", im Zusammenhang mit einem methodisch bisher nicht näher definierten und rein deskriptiv gebrauchten "Satanismus"-Begriff, nun geht es um THELEMA, d.h. die Kultur und Szene, die sich auf ALEISTER CROWLEY beruft. Doch zunächst kurz, wer ist überhaupt PETER R. KÖNIG? KÖNIG ist Schweizer, ein studierter Ethnologe und Psychologe und DAVID BOWIE-Fan, der nun schon seit vielen Jahren zum O.T.O. publiziert und damit Anhänger dieses Ordens zur Weißglut treibt, in der Regel nicht, weil er "Falsches" behauptet, sondern, weil er dieser Okkultszene den Spiegel vorhält, ihre allzumenschlichen Intrigen thematisiert und "wunde Stellen" des Selbstverständnisses dieser Orden ohne viel Worte zu verlieren aufdeckt. (Er lässt die Dokumente sprechen, die er sich durch Recherche und auf seinem Spezialgebiet, der Feldforschung, erwarb.) Die Initiaten verschiedener O.T.O.-Gruppen wissen, dass es hier jemanden gibt, der sich mit ihnen und ihrer Geschichte detailversessen beschäftigt, was sie einerseits ehrt, aber andererseits auch verletzt, denn - und das wird besonders bei der Lektüre dieses Interviewbuchs deutlich - er scheint sie auch nicht ganz ernst zu nehmen, die Eingeweihten des O.T.O. - und das ist nun wirklich der Supergau eines jeden praktizierenden Okkultisten, nicht ernst genommen zu werden! Auch wenn z.B. die okkulte Strömung der Chaos-Magie von Anbeginn an versuchte, Techniken der "Selbstironie" (via Selbstdistanz durch den Gebrauch von "Glauben" als Werkzeug) zu entwickeln, die einen gegen solche "Angriffe" schützen soll, bleibt dies doch eine Achillesverse der Okkultszene. PETER R. KÖNIG wird also von Thelemiten geliebt und gehasst, und ihn, den Unruhestifter, ehrt diese Hassliebe wahrscheinlich ebenso, obwohl er durchaus glaubwürdig versichert "persönlich", also emotional, gar nicht involviert zu sein. Ein echtes Beziehungsdrama, welches sich nun schon seit Jahren, vor allem im Internet abspielt. Ein wichtiger Protagonist ist hier übrigens BILL BREEZE, Bratschenspieler von CURRENT 93 und COIL, der als HYMENÄUS BETA den größten O.T.O.-Orden (Caliphat) leitet und jeden gerne exkommunizieren möchte, der auch nur Kontakt zur Schweizer Unperson hält. Obwohl sich natürlich die Oberen des O.T.O. selbst oft genug an König wenden, wenn sie in Lästerstimmung sind oder sonst was auf dem Herzen haben. König ist der O.T.O.-Kummerkasten.
Dominik T. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » Homepage zum Buch » Koenigs O.T.O. Seite
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Zusammenfassung
1. Teil: Wissenswertes zu Themen wie "Ritualmord"
2. Teil: One Man Show Peter R. König Positiv aufgefallen
Rational, aufklärend und unterhaltsam.
Negativ aufgefallen
Kein Namensverzeichnis
Inhalt
ISBN 3-937611-01-0
Leipzig 2006 Broschiert, 416 Seiten mit 65 Abbildungen 18 EUR |