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Claudia K.

MAX FRISCH: Homo Faber - Ein Bericht

Hörbuch


MAX FRISCH: Homo Faber - Ein Bericht
Kategorie: Vorschau
Verlag: Der Hörverlag
Vertrieb: Der Hörverlag
Erscheinungsdatum:
Oktober 2008
Medium: Hörbuch-CD
Preis: ~25,00 €
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Walter Faber, ein Schweizer, der in Amerika lebt und arbeitet, ist Ingenieur. An Fügung oder Schicksal glaubt er nicht, Motoren interessieren ihn mehr als Architektur oder Literatur, Turbinen sind ihm lieber als weibliche Zärtlichkeit am Morgen – und Frauen, namentlich seine amerikanische Geliebte Ivy, sind für ihn wie Efeu. Schließlich könne er ja nicht die ganze Zeit über Gefühle haben. Und heiraten – grundsätzlich nicht. Heiraten wollte er, über 20 Jahre sind seitdem vergangen, nur eine: Seine Jugendliebe Hanna Landsberg, Halbjüdin nebenbei, die in den 30er Jahren gemeinsam mit ihm in Zürich studierte. Und die ein uneheliches Kind von ihm erwartete. Hanna jedoch verließ ihn – Ich hatte gesagt: Dein Kind, statt zu sagen: Unser Kind. Das war es, was Hanna nicht verzeihen konnte -; eine Abtreibung wurde vereinbart, bei der Fabers Studienfreund Joachim Hencke helfen sollte. Faber ging beruflich ins Ausland und verlor den Kontakt zu beiden.

Über zwei Jahrzehnte später wird das technisch-rationale Weltbild Fabers durch eine geradezu unwahrscheinliche Verkettung von Ereignissen in Frage gestellt. Da hilft es auch nicht, dass er den Glauben an die Berechenbarkeit des Lebens bis zuletzt vor sich selbst aufrecht zu erhalten versucht: Ich bestreite nicht: es war mehr als ein Zufall, daß alles so gekommen ist, es war eine ganze Kette von Zufällen. Aber wieso Fügung? Ich brauche, um das Unwahrscheinliche als Erfahrungstatsache gelten zu lassen, keinerlei Mystik; Mathematik genügt mir. Beim einem Flugzeugabsturz in der Wüste kommt Faber mit einem Mitreisenden ins Gespräch: Herbert Hencke, Bruder von Joachim. Faber erfährt: Joachim war, obgleich inzwischen geschieden, verheiratet. Verheiratet: Ausgerechnet mit Hanna. Und es gibt ein gemeinsames Kind beider. Nach einem Abstecher zu Joachims Plantage in Südamerika, wo der Freund nur noch tot aufzufinden ist, erhängt, kehrt Faber nach New York zurück. Umstände führen dazu, dass er zu einer Dienstreise nach Europa nicht per Flugzeug aufbricht, sondern eine Schiffspassage bucht. Auf dem Schiff lernt er ein junges Mädchen kennen: Elisabeth Piper, die er Sabeth nennt – weil Elisabeth ein unmöglicher Name ist. Noch weiß er es nicht: Sabeth ist Hannas Tochter. Der nüchterne Techniker und die kindlich begeisterungsfähige junge Frau – er erzählt von der Funktion der Schiffstriebwerke, sie von Tolstoi – verlieben sich ineinander. Faber begleitet Sabeth auf ihrer Weiterreise durch Südeuropa. Obgleich er irgendwann die Identität von Sabeths Mutter in Erfahrung bringt rechnet er sich aus, dass Sabeth die Tochter von Joachim sein müsse. Daran will er glauben. In Griechenland schließlich kommt es zu einem folgenschweren Unfall: Sabeth wird von einer Schlange gebissen und stürzt eine Böschung hinab. Im Krankenhaus in Athen trifft Faber auf Hanna, die es besser weiß: Sabeth ist Fabers Kind, das sie, entgegen der Absprache, nicht abgetrieben hat. Und dann erfährt es endlich auch Faber – der es im Grunde schon lange weiß. Sabeth indes stirbt im Krankenhaus – nicht am Schlangengift, gegen das es ein wirksames Serum gibt, sondern an einer Gehirnverletzung in Folge ihres Sturzes.

Was folgt ist die Auflösung der Welt Fabers, welche die Statistik nicht retten konnte: Besuch bei Herbert Hencke, der in Südamerika geblieben ist, Reisen nach Caracas und Düsseldorf. Kaleidoskopische Erlebnisse in Kuba, die von einer für Faber untypischen sinnlichen Wahrnehmung geprägt sind. Faber mit Geschäftsfreunden, aber er ist schon nicht mehr da. Erinnerungen an Sabeth, Briefe an Hanna – und eine Diagnose: Bei den Magenbeschwerden, die Faber seit längerem plagen, handelt es sich um Magenkrebs. Ein Tumor, es erscheint geradezu passend. Faber muss sich einer Operation unterziehen, mit der sein Bericht endet: 08.05 Uhr – Sie kommen. Am Ende ist der Techniker dem Tod begegnet – möglicherweise, obwohl der Eingriff statistisch in über 90 % aller Fälle gelingt, inklusive seinem eigenen.

Eine ungekürzte Lesung der 1957 erschienenen Erzählung von MAX FRISCH bringt der Münchener HÖRVERLAG auf sieben CDs mit insgesamt 450 Minuten Laufzeit als Hörbuch heraus. Es liest der Schauspieler FELIX VON MANTEUFFEL, der für das Schauspielhaus Zürich, das Deutsche Schauspielhaus Hamburg, das Burgtheater Wien, das Bayerische Staatsschauspiel München und aktuell für das Schauspiel Frankfurt spielte und spielt. Daneben wirkte er an zahlreichen Fernsehproduktionen wie unter anderen dem „Tatort“ oder in „Das Schwein – Eine deutsche Karriere“ mit GÖTZ GEORGE mit. (Zuletzt war er übrigens 2008 als General in der unsäglichen Neuverfilmung von BERNHARD WICKIS „Die Brücke“ zu sehen.) 1981/82 sprach er in einem Radiohörspiel von „Per Anhalter durch die Galaxis“; für den HÖRVERLAG war er u.a. in den Hörspielversionen von THOMAS MANNs „Der Zauberberg“, DANIEL DEFOEs „Robinson Crusoe“ und BRAM STOKERs „Dracula“ zu hören. Zuletzt las er „Montauk“ von MAX FRISCH. Im Hör-„Homo Faber“ leiht er unter der Regie von ANDREAS WEBER-SCHÄFER dem Rationalisten und Zyniker Walter Faber seine Stimme und trägt dessen rückblickend verfasste Aufzeichnungen vor.

Kühl und sachlich, bisweilen, wo es die übertriebene Emotionalität anderer Leute betrifft, mit ironischem Spott, trägt FELIX VON MANTEUFFEL die Aufzeichnungen eines Mannes vor, der alles zu verstehen glaubt, die wahre Erkenntnis jedoch fortwährend, und ab einem gewissen Zeitpunkt fast angestrengt, von sich schiebt. In der Rückschau, in dem bitteren Wissen um die schreckliche Wahrheit und das schlimme Ende, versucht er sich zu rechtfertigen: Warum er seine Tochter nicht erkannt hat, nicht erkennen konnte. Dass man bestenfalls von Zufällen sprechen könne, keineswegs von Schicksal: Wieso Fügung! Es hätte auch ganz anders kommen können. Dass er, hätte er es gewusst, natürlich anders gehandelt hätte – ich bin ja nicht pervers. Ein Techniker, der viel weiß von Maschinen, Flugzeugen, Turbinen – aber nicht versteht, dass seine Freundin Hanna nicht aus Gründen der Vernunft heiraten wollte. Der Gefühle für weibisch hält, sich nicht binden will, in einer Welt von Fakten, Zahlen und Berechnungen lebt. Und der letztlich einsehen muss, dass eine wissenschaftliche Betrachtungsweise der Welt nicht schützt vor schuldhaften Verwicklungen und tragischem Unglück.

Vom Sprecher herrlich bissig vorgetragen sind Fabers distanziert-ironische Gedankenexkurse. Verständnislosigkeit in der Wüste; Faber begreift nicht, wieso die Notlandung für seine Mitreisenden ein solches Erlebnis ist: Ich habe mich schon oft gefragt, was die Leute eigentlich meinen, wenn sie von Erlebnis reden. Ich bin Techniker, und gewohnt, die Dinge zu sehen, wie sie sind. Ich sehe alles, wovon sie reden, sehr genau; ich bin ja nicht blind. Ich sehe den Mond über der Wüste von Tamaulipas – klarer als je, mag sein, aber eine errechenbare Masse, die um unseren Planeten kreist, eine Sache der Gravitation, interessant, aber wieso ein Erlebnis? Ich sehe die gezackten Felsen, schwarz vor dem Schein des Mondes; sie sehen aus, mag sein, wie die gezackten Rücken von urweltlichen Tieren, aber ich weiß: es sind Felsen, Gestein, wahrscheinlich vulkanisch, das müßte man nachsehen und feststellen. Fabers wissenschaftliche Weltsicht von MANTEUFFEL ätzend auf die Spitze getrieben bei der Rechtfertigung der Abtreibung; Faber versteht nicht, wie ein vernünftiger Mensch gegen Schwangerschaftsabbruch sein könne: Wir leben technisch, der Mensch als Beherrscher der Natur, und wer dagegen redet, der soll auch keine Brücke benutzen, die nicht die Natur gebaut hat. Dann müßte man schon konsequent sein und jeden Eingriff ablehnen, das heißt: Sterben an jeder Blinddarmentzündung. Weil Schicksal! Sein Spott über die Unvernunft der Frauen, sein Befremden angesichts der Modeversessenheit Ivys und der kulturellen Besichtigungswut Sabeths, die, so scheint es ihm, an keinem antiken Stein vorbeikommt ohne ihn zu besichtigen. Besonders schön sein Unverständnis angesichts des Götterglaubens der Geisteswissenschaftlerin Hanna: Sie redete von Mythen wie unsereiner vom Wärmesatz, nämlich wie von einem physikalischen Gesetz. Intellektuelle Damen mag er nicht; doch noch unverständlicher erscheint es ihm, wenn selbst gebildete Frauen wie Hanna, wie er meint, diversen Irrationalitäten anhängen. Dabei verhält er selbst sich, spätestens seit seiner Begegnung mit Sabeth, irrational: Großartig, wenn MANTEUFFEL als Faber sich auf dem Schiff einzureden versucht, dass er Sabeth nicht nachstelle, dass ihn der junge Mann, mit dem sie Tischtennis spielt, nicht interessiere, sein Ärger, als ein Mitreisender mit dem Mädchen flirtet. Eine harmlose Reisebekanntschaft. Natürlich. Sie beobachten mich die ganze Zeit, sagt Sabeth, ich mag das nicht!

Es ist eine Freude, dabei zuzuhören, wie Fabers Rationalisierungsversuche mit der offensichtlichen Realität kollidieren, wie sein Denken und Handeln einander widersprechen. Gelesen von MANTEUFFEL entwickelt die karge berichtende und von technischen Exkursen und Definitionen geprägte Sprache einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Dabei sind die mürrisch-zynischen Ausführungen Fabers manchmal fast von einer gewissen Komik. Was im Buch bissig ist, wird in der Hörversion zuweilen beißend. Den knappen Sätzen Fabers, seiner Ironie, seiner verständnislos-spöttischen Distanz gegenüber der Unvernunft seiner Mitmenschen verleiht MANTEUFFEL einen kühl-trockenen Tonfall, oft leicht verächtlich, der wie gemacht ist für diese Erzählerfigur. Seinem von Magenbeschwerden, dem Ekel vor allem Organischen und einem beständigen Rasierbedürfnis geplagten Faber zuzuhören, macht, ungeachtet der Tragik der Geschichte, großes Vergnügen. Amüsant seine diffuse Überforderung angesichts der Frauen in seinem Leben: Seine klammernde Geliebte Ivy, von der er sich nur postalisch, aus der Distanz, trennen kann. Die bildungsreisende Sabeth, die ihm nicht glaubt, dass er sich tatsächlich nicht für Kunst interessiert. Und die für ihn letztlich rätselhafte Hanna, die er nur ein einziges Mal versteht: Als sie am Totenbett der gemeinsamen Tochter mit den Fäusten auf ihn einschlägt. Ein Hörvergnügen mit einem hervorragenden Sprecher, der genau an den richtigen Stellen Ironie mitschwingen lässt oder Wörter vielsagend betont; die gelungene Umsetzung eines Werkes, das vom Scheitern einer rationalistischen Weltorientierung erzählt und zugleich nach der Position des Menschen in einer sich rasend fortsetzenden Technisierung der Welt fragt – eine Frage, die seit den 50ern an Aktualität noch gewonnen hat. Und wenn die letzte CD den Spieler verlässt, ist es, als hätte Walter Faber niemals eine andere Stimme gehabt. Einziges – kleines – Manko der Box ist vielleicht, dass sie, abgesehen von einem kurzen Text von UWE KOSSACK zur Buchvorlage keine weiteren Informationen zum Werk enthält. Stattdessen finden sich einige, immerhin gut gewählte Zitate, aus Homo Faber, die das Informationsbedürfnis aber nicht stillen. Ohne ein komplettes Sekundärliteraturbändchen als Beigabe zu erwarten: Etwas weniger sparsam hätte man sich hier zeigen können. Aber nun gut. Nebenbei: Das Cover der CDs zeigt ein Bild aus der „Homo Faber“ Filmadaption von VOLKER SCHLÖNDORFF mit SAM SHEPARD und JULIE DELPY aus dem Jahr 1991.

 
Claudia K. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Der Hörverlag


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