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Tony F.

Looking for Europe

Neofolk und Hintergründe


Looking for Europe
Genre: Neofolk
Verlag: Prophecy
Vertrieb: Prophecy
Erscheinungsdatum:
21.10.2005
Medium: Buch
Preis: ~24,00 €
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Teil 2 - Interview mit den Autoren Andreas Diesel und Dieter Gerten

(v.l.n.r.: Dieter Gerten, Joshua & Kathryn Gentzke, Andreas Diesel, Richard Leviathan, Stephan Pockrandt auf dem 11. Lichtreigen in Jena)


"Neofolk", die Subkultur, die sich in Folge der Hinwendung einiger Ex-Industrial- und Punk-Projekte wie DEATH IN JUNE, PSYCHIC TV, CURRENT 93 und SOL INVICTUS zur Folklore-Musik herauszubilden begann und die für "Lichttaufe" zentral ist, steht, seit die stilbildenden englischen Projekte nicht mehr eine familiäre Klammer bilden (Stichwort "World Serpent"), etwas verlassen und orientierungslos da. Natürlich erscheinen in diesem musikalischen Bereich und auch in den angrenzenden Genres der Ritual, Ambient oder Industrial Musik nach wie vor Alben, die höchste Beachtung verdient haben, aber insgesamt scheint doch, im Vergleich zu früher, etwas künstlerisch oder philosophisch Verbindendes zu fehlen, und man wird sehen müssen, inwieweit sich hier nach einem Umbruch etwas Neues herausbildet oder ob dieser Zugewinn an Freiheit - raus aus dem Schatten von DEATH IN JUNE, CURRENT 93, SOL INVICTUS und anderen - sonst irgendwie positiv genutzt werden kann. Die letzten Jahre zeigten ja immerhin, dass dieses musikalische Umfeld in der Lage ist, neue stilistische Äste und Abzweigungen zu begründen, die dankbar aufgenommen wurden und Brücken zu anderen ästhetischen Welten bildeten, so stehen solche "Post- World-Serpent"-Verlagshäuser wie EIS UND LICHT, WKN oder auch PROPHECY ja auch jeweils für bestimmte Stilrichtungen und ästhetische Vorlieben (Gleiches gilt für die zentralen Label angenzender Genre – LOKI FOUNDATION, TESCO, COLD MEAT, DRONE usw.)
Schön ist, dass, seit diese unübersichtliche Situation jetzt schon ein paar Jahre lang Bestand hat, mit "Looking For Europe" aus der Szene heraus ein Buch entstanden ist, welches den Versuch unternimmt, einmal für uns alle allumfassend Zeugnis davon abzulegen, was gerade die genannten frühen Projekte, aber auch z.B. COIL, BOYD RICE/NON oder BLOOD AXIS mit ihren intellektuellen und esoterischen Einflüssen so unglaublich betörend und anziehend mach(t)en. Aus vielen Unterhaltungen mit Freunden weiß ich, dass viele ihre ersten DEATH IN JUNE-Alben ungehört vor allem wegen der magisch anziehenden Covergestaltung kauften und auch ich erinnere mich daran, dass ich zunächst als ca. 16jähriger Black/Death Metal-Hörer allein durch das Lesen solch Phantasie anregender Plattennamen wie "Hitler As Kalki" oder "Crooked Crosses For The Nodding God“ beschloss, sobald es mir möglich ist, solche Platten zumindest mal anzutesten. Das mag etwas seltsam klingen, aber so war es bei vielen, und auch ältere Freunde erzählten mir immer wieder mit leuchtenden Augen, was für eine Aura von der Freundschaft zwischen DEATH IN JUNE, CURRENT 93, COIL, SOL INVICTUS und anderen ausging, besonders bei gemeinsamen Auftritten, oder wie Dank dieser Projekte bisher unbekannte Dichter und Denker wie JEAN GENET (DI6), YUKIO MISHIMA (DI6, C93), EZRA POUND (SOL INVICTUS, BLOOD AXIS, ALLERSEELEN) oder LAUTREAMONT (C93) und auch kulturkritische Fragestellungen biographisch bedeutsam wurden. Von der Erinnerung an das befreiende Gefühl, das jemand wie BOYD RICE durch ein paar hingeworfene zynische- Misantrophen-Statements wider den großkoalitionären Konsens zwischen Antifa und evangelischem Kirchentag auslösen konnte, ganz zu schweigen.
Den Autoren von "Looking For Europe", ANDREAS DIESEL und DIETER GERTEN, ist es nun gelungen, dieses und anderes für uns alle noch einmal oder für jüngere zum ersten Mal lebendig werden zu lassen. Nach dem Lesen weiß man, dass das Geheimnis des Neofolk (wenn er gut ist) in seiner inspirierenden Wirkung auf den Geist liegt, er ist mehr als andere Genres eine Motivation, sich mit bestimmten nichtmusikalischen Themen auseinanderzusetzen – Literatur, Film, Okkultismus usw. Es wäre schön, wenn Neofolk weiterhin diese multiplikatorische Kraft entfalten könnte, auch wenn die Eltern, die dies vorlebten, längst in Scheidung leben.  
"Looking For Europe" ist nun seit ein paar Tagen auf dem Markt. Erste Rezensionen zeigen, dass die traditionellen Frontlinien zwischen "Antifa" und "Neofolkszene" langweilig wie eh und je verlaufen ("ein unkritisches Buch", werden sie schreiben), auch wenn die "normale" Mainstream-Musikpresse sich sicherlich wohlwollend äußern wird, aber auch nicht in dem Verdacht stehen möchte, allzu "unkritisch" gegenüber den Autoren oder dem Sujet zu sein.
Viel Bewegung ist also nicht zu erwarten, dennoch hoffen wir, dass folgendes Interview mit den Autoren Diesel und Gerten zur Erhellung einiger inhaltlicher Punkte und Zielsetzung des Buches beiträgt. Viel Spaß

- Mit „Looking for Europe“ habt Ihr ja nun ein sehr umfangreiches Kompendium vorgelegt. Ihr habt Unmengen an Material zusammengetragen, Interviews geführt, etc. Wie aufwändig waren die Arbeiten für Euch im Endeffekt, und wie sah die Arbeitsteilung zwischen Euch aus?
Aufwändig war das Ganze natürlich schon, auch wenn sich die Arbeiten letztlich über fünf Jahre hingezogen haben, und das Internet für die Recherchen ganz schön nützlich war. Am anstrengendsten war, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und das ganze Material zu einer Synthese zusammenzuschreiben, was uns hoffentlich gelungen ist (namentlich im ersten und dritten Teil des Buches). Die Nachtschichten und Wochenenden, die wir immer wieder mal eingelegt haben, sind nicht gezählt – ohne eine gehörige Portion Idealismus wäre es jedenfalls nicht gegangen. Das gilt nicht nur für die Synthese-Kapitel, sondern auch für die Kapitel über Bands wie z. B. Sixth Comm, über die man trotz ihrer Bedeutung kaum Informationen findet (und zu denen wir leider den kurzfristig hergestellten Kontakt wieder verloren haben).
Im wesentlichen haben wir zunächst verschiedene Kapitel in Arbeitsteilung geschrieben (je nach Zeit und Interesse), diese aber später immer wieder gegengelesen und gemeinsam an den Formulierungen und Argumentationen gefeilt. So wie jetzt bei diesem Interview …
Nachdem Prophecy einer Veröffentlichung zugestimmt hatten, konnten wir auch mit deren kräftiger Unterstützung die Interviews führen, was der Arbeit eine neue Dimension eröffnete.

- Was kann oder soll dieses Buch in der Öffentlichkeit bewirken und inwiefern ist es ein Buch für den Neofolk-Liebhaber?
Was „Looking for Europe“ in der Öffentlichkeit bewirken kann, lässt sich schwer vorhersagen; was es bewirken soll: Dass Apocalyptic Folk in seiner Vielschichtigkeit, Komplexität und auch Widersprüchlichkeit erkannt wird; dass diese Musik (wieder) als integraler Bestandteil des Independent-Bereichs im weiteren und der Schwarzen Szene im engeren Sinne wahrgenommen wird; dass es sich in großen Teilen um intelligente Musik handelt, die sich an ebenso intelligente Hörer wendet; dass Neofolk in der Hauptsache wesentlich Interessanteres zu bieten hat als vermeintliche politische Bestrebungen oder Unterwanderungen. Vermutlich weiß nicht jeder Hörer dieser Musik um alle Details, daher ist es hoffentlich auch eine Fundgrube für den Neofolk-Liebhaber.
Die begleitenden CDs schließlich sollten den noch „Unbedarften“ einen Einblick in und Zugang zu dieser Musik gewähren – letztlich ist es ja doch die Musik, die das Ganze ausmacht.

- Im Grunde sind alle wichtigen Bands, die dem Genre zugerechnet werden können, im Buch erwähnt. Wo habt Ihr die Trennlinien z. B. zum Military Pop gezogen oder warum habt Ihr Euch entschieden, auch Bands wie Coil oder Kirlian Camera mit aufzunehmen?
Wir haben eigentlich weniger scharfe Trennlinien gezogen als uns vielmehr nach einem gewissen „common sense“ gerichtet, dem zufolge eben auch weitgehend „unfolkige“ Bands wie Allerseelen und Kirlian Camera zum Neofolk-Umfeld gehören, weil es erhebliche ästhetische, atmosphärische, thematische und teils auch personelle Überschneidungen mit dem „klassischen“ Neofolk gibt. Unsere Neofolk-Definition ist keine stilistische, sondern eher eine inhaltliche und ästhetische.
Coil zumindest kurz darzustellen war uns wichtig, weil sie mit ihren oft magischen und mythischen Themen ebenso dazugehören wie über persönlichen Austausch mit Neofolk-Bands wie Current 93 und Death In June. Außerdem sind bzw. waren Coil ganz einfach ein essentieller Bestandteil dieser esoterischen Post-Industrial-Ursuppe, aus welcher der britische Apocalyptic Folk überhaupt erst entstehen konnte. Auf dem CD-Sampler ist der Kreis der Einflussgrößen dann noch etwas ausgeweitet auf Bands wie Test Dept., Laibach oder Thee Majesty (G. P-Orridge) – und bevor Missverständnisse aufkommen: Sie haben sich alle gerne an der Compilation beteiligt.
Klar ist, dass die Grenzen zu Bereichen wie Military Pop oder Industrial fließend sind; irgendwo mussten wir aber aufhören bzw. uns mit der Nennung von Bands aus dem Umfeld begnügen.

- Von Euch sind letztendlich alle Facetten des Neofolk-Umfeldes angesprochen worden. Die Hörerschaft wird auch des öfteren erwähnt. Es werden Verhaltensweisen beschrieben und Erklärungen bzw. Erklärungsversuche gegeben. Habt Ihr jemals erwogen, in diesen nicht unwichtigen Bereich noch stärker einzusteigen? Oder wäre die Arbeit, die auf das Auswerten von Fragebögen, Interviews etc. hinausgelaufen wäre, wenn man so etwas fundiert betreiben möchte, doch zuviel geworden?
Wir haben tatsächlich darüber nachgedacht, die „Fans“ stärker in die Betrachtung mit einzubeziehen, haben uns aber wegen der großen Heterogenität der Hörerschaft dagegen entschieden. Will heißen: Wenn ich mich in meinem eigenen Bekanntenkreis umsehe und die Leute herauspicke, die Neofolk hören, dann habe ich äußerst unterschiedliche Individuen mit unterschiedlichen Biografien, Lebensstilen, Ansichten, Geschmäckern usw. Hinzu kommt die Internationalität: Es gibt Neofolk-Hörer von Schweden bis Israel, von Russland bis Australien. Natürlich hat sich gerade in den letzten Jahren eine Art Fan-typisches Verhalten herausgeschält, doch bleibt festzuhalten, was wir in „LFE“ auch geschrieben haben: „Den“ Neofolker gibt es nicht, und wohl niemand hört nur Neofolk, sondern auch ganz andere Sachen.
Vielleicht macht ja jemand mal eine soziologische Untersuchung über den Hörerkreis, wäre vielleicht ein gutes Thema für eine Dissertation. In diesem Rahmen konnten wir das einfach nicht leisten – zu viel musste erst einmal zu der Musik selbst und ihren Hintergründen gesagt werden.

- Wir wissen alle, dass der Grundtenor der Kritiker summa summarum in etwa lauten wird, dass ihr zwei schreibbegabte, aber letztendlich doch naive Fans seid, die mit „LFE“ den Versuch unternommen haben, ihre Lieblingsmusik zu verteidigen; wie entgegnet Ihr solchen Einschätzungen?
In einer Rezension im Internet wurde „Looking for Europe“ ja bereits als „Gegendarstellung“ bezeichnet. Ich weiß nicht, ob man solchen vorhersehbaren Klassifizierungen überhaupt etwas entgegnen sollte; alle aufmerksamen Leser werden merken, dass die Wirklichkeit weitaus komplexer ist. Wir persönlich sehen uns nicht als naive Fans, die ihre „Lieblingsmusik“ verteidigen (wir favorisieren letztlich auch noch ganz andere Musik). Ein Fan-Buch sähe ganz anders aus und hätte sicher keine Interviews mit Kritikern drin bzw. würde sich mit Kritik gar nicht erst auseinander setzen – von daher unterscheidet sich „Looking for Europe“ etwas von Büchern über andere Musikgenres. Dass unser Buch an ein paar Stellen defensiv wirkt, liegt primär an der Gesamtsituation des Genres, über das wir schreiben. Wenn die allgemeine Ansicht über einen Gegenstand besagt, dieser wäre „neurechts“, „faschistoid“ oder „anti-emanzipatorisch“, und jemand kommt daher und sagt: „Nein, das ist es nicht bzw. es ist eigentlich etwas ganz anderes“, dann klingt diese Stimme zwangsläufig wie die eines Verteidigers – angesichts des derzeitigen Diskussionsstands zum Thema Neofolk geht es manchmal gar nicht anders, als aus der Defensive zu argumentieren. Da wir uns aber um Ausgewogenheit bemüht haben, ist „Looking for Europe“ keinesfalls als bloße Apologie zu sehen – und schon gar nicht als Gegendarstellung zu oder Reaktion auf „Ästhetische Mobilmachung“, da wir schon einige Jahre vor dessen Erscheinen an „LFE“ gearbeitet haben.

- Erkennt Ihr über die Jahre einen Wandel der Hörerschaft? Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Szene in Teilen ver- bzw. abgeschlossener wirkt, da auch vielfach die Brücken zu anderen Genres abgebrochen wurden? Oder liegt das zum Teil auch daran, dass sich der Hörer einfach nicht mehr rechtfertigen möchte?
Durch unterschiedliche Faktoren ist es in den letzten Jahren tatsächlich, namentlich in Deutschland, zu so etwas wie einer mehr oder weniger geschlossenen Neofolk-Szene gekommen, die sich teils bewusst vom einstigen Umfeld (Schwarze Szene allgemein) distanziert hat, andererseits aber auch – aufgrund des schlechten Rufes – aus der Gesamtheit des Independent-Bereiches herausgedrängt wurde. Wir halten es nicht für gut, Brücken zu anderen Genres abzubrechen; man sollte jenseits des Tellerrandes immer offene Augen und Ohren behalten. Der „Nur-Neofolk-Hörer“ ist ebenso engstirnig wie der „Nur-Metaller“ oder der „Nur-EBM-Hörer“. Letztlich führt diese Horizontverengung dann zu Szene-Klischees: dass man sich zu Konzerten oder anderen Veranstaltungen so oder so zu kleiden hat, nur diese oder jene Lektüre konsumiert etc. – dieses Verfestigen von Bildern und Erwartungen ist einer wirklich kreativen, aufregenden Subkultur nicht gerade förderlich. Die so oft diskutierte „militaristische“ Garderobe einiger Neofolk-Fans ist in letzter Konsequenz ein Nachahmen von Bands wie DIJ oder Der Blutharsch – in einem älteren Interview hat Stephan Pockrandt das mal treffend mit den Hardcore-Fans von The Cure verglichen, die sich eine Robert-Smith-Frisur zulegen. Vielleicht setzt sich in den nächsten Jahren ja ein Neo-Hippie-Look à la Forseti oder In Gowan Ring durch? Aber das ist wahrscheinlich nicht rebellisch genug.

- Ihr habt ja erfreulicherweise viele zum Teil recht kritische Interviews mit Musikern, Label-Chefs, Kritikern und anderen Protagonisten der Szene geführt, in denen Ihr auch oft deutlich nachgehakt habt. Hattet Ihr ab und zu den Eindruck, dass sich manche Band ob der Nachfragen aus kundigem Umfeld vielleicht doch etwas angegriffen fühlte bzw. sich mancher Kritiker über die Art seiner Kritik vielleicht doch einmal Gedanken gemacht hat?
„Angegriffen“ haben sich höchstens ein paar Musiker gefühlt insofern, als sie verständlicherweise keine große Lust hatten, schon zigmal Durchgekautes oder Unwichtiges nochmals zu erklären. In anderen Fällen hat das Nachhaken gezeigt, dass es bei den meisten gar nichts zu verheimlichen gibt, wenn auch manche ihrer Aussagen streitbar sind. Interessant war z. B. bei Tony Wakeford (Sol Invictus), dass er entgegen der landläufigen Meinung überhaupt kein besonderes Interesse an Kulturkritikern wie Spengler und Evola hat.
Ob die Fragen „Nachwirkungen“ hatten, wissen wir nicht; vielleicht löst ja die Lektüre des ganzen Buches ein größeres Nachdenken aus? Bei den Berufskritikern aber sicher nicht – wer Neuheidentum, Filme von Fritz Lang oder Bücher von Ernst Jünger für was Schlimmes hält, für den ist Neofolk nach wie vor ein prima Feindbild, da kann auch „Looking for Europe“ nichts dran ändern. Ebenso wenig wie jemand ernsthaft versuchen würde, den örtlichen Pfarrer davon zu überzeugen, was für ein interessanter Mensch doch Crowley war, so kann man die eingefleischten „Neofolk-Gegner“ nicht belehren. Das muss aber auch gar nicht sein – nur sollten sie einfach mal realisieren, dass es auch noch andere Ansichten als die ihren gibt; und die vielen, die ihnen nur nachplappern, mögen darüber nachdenken, ob sie nicht einfach nur Vorurteilen aufsitzen.

- Eure Bemühungen, mit einigen bekannten Kritikern Interviews zu führen, sind im Buch dokumentiert. Wie Ihr anmerkt, waren allerdings nicht alle dazu bereit. Wisst Ihr bzw. habt Ihr eine Erklärung dafür und disqualifiziert so eine Haltung einen Kritiker nicht per se?
Wir bzw. Prophecy haben im Laufe der Arbeit an „Looking for Europe“ wirklich alle namhaften Kritiker (Journalisten, Aktivisten, Musiker aus der Schwarzen Szene) kontaktiert, ob sie für Interviews bzw. Diskussionen zur Verfügung stünden. Martin Büsser, Lars Brinkmann (ein Journalist der taz) und die Grufties gegen Rechts Kassel haben das Angebot angenommen, wie man im Buch nachlesen kann. In den anderen Fällen waren die betreffenden Personen entweder gar nicht erreichbar, wollten nicht als „Alibi-Kritiker“ für ein „affirmatives“ Buch herhalten oder bummelten ohne weitere Rückmeldung so lange, bis die Deadline überschritten war. Schade, denn eine Diskussion in diesem Rahmen (uns schwebten z. B. Streitgespräche zwischen Kritikern und besonders umstrittenen Musikern vor) wäre wesentlich gehaltvoller und vielleicht auch fruchtbarer ausgefallen als die übliche Strategie, von der Kanzel herab über Menschen zu schreiben, mit denen man nie ein Wort geredet hat und deren Lebenswirklichkeit einem völlig fremd ist. Ich möchte nicht soweit gehen, dass das einen Kritiker per se disqualifiziert (es besteht ja kein Diskussionszwang), aber es wirft ein bezeichnendes Licht vor allem auf diejenigen, die sich darüber aufregen, dass die umstrittenen Musiker sich angeblich nie klar äußern bzw. auf kritische Nachfragen ausweichend oder gar nicht reagieren.
Generell möchte ich aber nicht so schwarzweiß in Kritiker und Nicht-Kritiker unterschieden wissen, wie das stellenweise bereits geschehen ist. Einige der Musiker, Journalisten, Labelchefs und Veranstalter, die wir für „Looking for Europe“ interviewt haben, äußern sich ebenfalls kritisch zu diesem oder jenem Aspekt, dieser oder jener Entwicklung im Neofolk, die sie persönlich für negativ erachten. Warum sollten ihre Meinungen weniger Gewicht haben als die der Kritiker von außen? „Die Szene“ ist doch keineswegs eine unkritische Masse.

- In Eurem Buch nehmen die „großen“ ursprünglichen Neofolk-Bands erwartungsgemäß den meisten Platz ein. Wo seht Ihr die Zukunft des Neofolk? Werden neuere Projekte die Szene in den nächsten Jahren interessant halten können, auch wenn von den „alten Helden“ vielleicht keine bahnbrechenden Werke mehr veröffentlicht werden?
Bislang hat es noch immer Projekte gegeben, die wunderbare Alben abgeliefert und teils auch neue Wege aufgezeigt haben. Für mich etwa sind Ostara und Argine Paradebeispiele dafür, wie man musikalisch ganz andere Bahnen einschlagen kann, ohne dabei die „Neofolk-Grundessenz“ zu verlieren. Im „richtig“ folkigen Bereich liefern Bands wie In Gowan Ring oder Lux Interna seit Jahren handwerklich perfekte, innovative und ganz eigenständige Klangperlen, haben aber selbst in der kleinen „Szene-Welt“ bislang bei weitem nicht die verdiente Beachtung gefunden. Frischen Wind bringen auch „Exoten“ wie Agnivolok und Sangre Cavallum, die – vielleicht auch aufgrund einer eher isolierten geografischen Lage – Musik machen, die sich jedem Klischee und jeder szenegeprägten Erwartungshaltung entzieht.

- Wie, denkt Ihr, entwickelt sich die Hörerschaft? Ab und an hat man als Beobachter der Szene ja schon den Eindruck, dass die Hörerschaft in Teilen einfach überaltert und dass aufgrund der gewissen Abgeschlossenheit und der Ignoranz durch die Medien für die Szene gerade in Deutschland auch nur wenige neue Hörer gewonnen werden können.
Über die Hörerschaft haben wir uns ja schon geäußert, und es scheint in der Tat so, als ob aus den genannten Gründen nur wenige neue Hörer dazustoßen. Dass das auf Dauer einer Subkultur abträglich ist, ist klar. Hinzu kommt ein Phänomen, auf das uns ein befreundeter Journalist aus Frankreich vor ein paar Tagen aufmerksam gemacht hat: die „Cyberfolker“. Damit sind neue wie alte Hörer gemeint, denen es reicht, sich in Internet-Foren über die Musik auszutauschen, die sich die Alben womöglich auch nur „saugen“ oder brennen etc. und darüber vergessen, dass eine Subkultur auch auf die physische Teilnahme und Präsenz angewiesen ist – das Besuchen und Veranstalten von Konzerten und Discos, Herausgabe von Fanzines etc. Es ist jedenfalls bedenklich, wenn – wie in den letzten Monaten zweimal in Deutschland geschehen – Konzerte von durchaus renommierten Bands wegen Mangel an Zulauf abgesagt werden oder letztlich nur eine Handvoll Leute kommt.

- Gab es während des langen Schreibprozesses Momente der Desillusionierung in dem Sinne, dass ihr euch mal unweigerlich fragen musstest, ob es sich überhaupt lohnt, diese Szene zu verteidigen, und wie seht ihr das heute, hat diese intensive Beschäftigung eure Leidenschaft und Identifikation gestärkt oder trifft eher das Gegenteil zu? Welche Dinge kritischer als auch liebenswürdiger Art seht ihr nach Fertigstellung des Buches klarer?
Eine wirkliche Desillusionierung gab es nicht, aber natürlich hatten wir – wie alle Autoren – zwischendrin immer mal wieder „Schaffenskrisen“, in denen man sich fragt, warum bzw. für wen man sich die Arbeit eigentlich macht, ob der Aufwand sich lohnt etc. Das kennt wohl jeder, der sehr lange an etwas arbeitet. Ob es sich lohnt, diese Szene zu verteidigen? Diese Frage stelle ich mir so nicht. „Looking for Europe“ verteidigt ja keineswegs eine Szene, sondern beleuchtet ein Musikgenre und die dazugehörigen Künstler und vor allem auch ihre Einflussgrößen. Was wir von einer Szene-Gettoisierung dieser Subkultur und den daraus erwachsenden Erstarrungen halten, habe ich ja schon weiter oben beschrieben. Die intensive Beschäftigung mit der Materie hat den eigenen Blickwinkel zuweilen natürlich verändert, klar. Ob es meine Leidenschaft für diese Musik gestärkt hat, kann ich so pauschal nicht beantworten. Es gab Tage, da konnte ich das Wort „Neofolk“ nicht mehr hören! Identifikation ist ein schwieriger Begriff; als Autor muss ich ja nicht zwangsläufig alle im Buch beschriebenen Sichtweisen teilen. Generell war die Arbeit aber natürlich ein Prozess, in dem wir beide uns auch mit unseren eigenen Reaktionen, positiven wie negativen wie ambivalenten, auf die Inhalte, Aussagen und Präsentationen der Bands auseinandersetzen mussten – und gerade dazu regen viele Neofolk- und Industrial-Bands ihre Hörer ja auch an.

Text : Dominik Tischleder
Interview : Tony, Dominik Tischleder

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Tony F. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
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Zusammenfassung
Wem ist dieses Buch zu empfehlen? Sicherlich allen Neofolk-Fans, wobei der eingefleischte Fan natürlich nicht nur mit Neuigkeiten überrascht wird, wohingegen der Fan, der vielleicht erst ein paar Jahre dabei ist, sicher viele interessante Informationen erhält, die sonst nur durch umfangreiche...

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