I. Über Rolf Schilling
Baldur
Es kam ein Ruf aus Norden,
Es sind im Wintergau
Die Wölfe wachgeworden
Auf sturmverharschter Au,
Nun, Lichter, im Verglimmen
Gib dich den Hütern hin,
Die dir das Los bestimmen
Vor allem Anbeginn.
Du, Letzter der Erlauchten,
Aus Nebelheim entsandt,
Wirf an die zeitverbrauchten
Gestade deinen Brand,
Aus Wolkensturz und Wetter
Kehr heim, den Raben gleich,
Ins Jenseits ohne Götter –
Dort ruht dein letztes Reich:
Das Reich der weißen Schleier,
Aus Wahn und Weh gewebt,
Noch einmal Schwert und Leier
Für deinen Traum belebt,
Mit schwarzem Lorbeer kränze
Der Locken goldnes Licht,
Des Himmels Huld erglänze
Auf deinem Schneegesicht. […] (1)
Der europäische Mythos in all seiner bunten Vielfalt und scheinbaren Widersprüchlichkeit ist der Boden, auf dem Rolf Schillings Dichtung gedeiht. Alte Götter und Helden erwachen zu neuem Leben; totgeglaubte Sagen und Mythenkreise werden mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit in das Tageslicht gestellt, gleich so, als hätten wir unsere Mythen nie verloren und müßten sie nicht neu lernen. Die Selbstverständlichkeit des symbolhaften und mythologischen Denkens durchzieht das gesamte Werk Rolf Schillings. Hier wird das Mythisch-Heroische nicht beschrieben; es ist verinnerlicht und spricht aus sich selbst heraus. Schillings Lyrik ist abwechselnd fragil und betörend, dann wiederum hart und klar. Einer Ode an die Liebe folgt der nordische Stabreim der Edda.
Geboren wurde Rolf Schilling am 11. April 1950 in Nordhausen am Harz; seine Geburtsstätte hat er niemals wirklich verlassen, noch heute lebt er am Rande Nordhausens in dem Dorf Bielen. Nach dem Philosophiestudium an der Berliner Humboldt-Universität war er in Ilmenau am Institut für Marxismus-Leninismus der Technischen Hochschule tätig. Hier war er bis zum Jahre 1977 beschäftigt, seitdem konzentriert er sich auf seine schriftstellerische Tätigkeit, obwohl seine Bücher niemals offiziell in der DDR publiziert werden konnten. Er schrieb für nichtoffizielle Literaturorgane wie z.B. die „Ariadnefabrik“ – und wirft man einen Blick auf sein für viele Leser wichtigstes Werk „Das Holde Reich“ (wenn man denn einen Band besonders hervorheben möchte, da überall derselbe Geist „weht“), wird sehr schnell deutlich, warum Schilling in jenen Jahren keine offiziellen Publikationen anstrebte: Seine, wie Ernst Jünger sie nannte, „mythisch-heraldische Grundhaltung“, die sich auf Heidentum, Heros und Individualismus beruft, kann nicht einhergehen mit politischer Gleichschaltung.
Nach der Wende findet das Schaffen Rolf Schillings eine publizistische Heimstatt in dem von seinem Dichterfreund Uwe Lammla betreuten Münchner Verlag „Edition Arnshaugk“, in dem die mittlerweile 16 Bände umfassende Werkausgabe erscheint. Daneben macht sich der Arnshaugk Verlag auch um die Veröffentlichung von Dichtungen geistesverwandter Freunde wie Oda Schäfer verdient. Besonders zu erwähnen ist die in der „Edition Arnshaugk“ erschienene zweibändige Ausgabe der Lyrik Karl Wolfskehls, die eine gewisse geistesgeschichtliche Traditionslinie des Dichterkreises um Schilling und Lammla deutlich macht: Wolfskehl zählte zum Kreis um Stefan George, der ein „Geheimes Deutschland“ propagierte und die Gegenwart aus einem an der Antike sowie an der nationalen Vergangenheit gebildeten Geist zu erneuern suchte.
Georges „Neues Reich“ – so der Titel seines letzten Gedichtbandes von 1928 – wandelt sich bei Schilling zum „Holden Reich“; wo George geistige Eliten zu schaffen und (recht dogmatisch) um sich zu versammeln suche, zieht sich Schilling mit wenigen Gefährten buchstäblich in den Wald zurück. Schilling sucht keine Anhänger, sondern wenige Gleichgesinnte, in denen er verwandte Motive erkennt. Eine besondere Verehrung empfindet er für Ernst Jünger und Arno Breker, denen er freundschaftlich verbunden war. Die Begegnung mit ihnen brachte ihm jedoch auch einige Kritik ein – mehr als z.B. Helmut Kohl, der ebenfalls die Nähe der genannten Künstler suchte. Die Frucht der Zusammenarbeit mit Arno Breker ist das gemeinsame Werk „Tage der Götter“. Wenige Wochen vor Brekers Tod wurde es vollendet.
Die Lektüre der Werke Schillings ist eine Reise in die Welt der universellen Mythen und archaischen Symbole. Das Heidentum der Germanen verbindet sich mit Gestalten aus der keltischen Mythologie wie Parzival und Merlin, ägyptische Mysterien treffen auf den asiatischen Drachen, der im Harz gelegene Questenberg (auf dem sich ein altes Sonnensymbol in Gestalt eines Radkreuzes befindet) und die Externsteine sind ebenso präsent wie Parnaß und Delphi. Inmitten des universalen Götterreigens steht der Held in der Gestalt des „Questers“: gleichermaßen Heros und Eremit, der immer wieder Götter- und Schicksalsschau betreibt und sich den Mysterien hingibt.
Wer sich einen Zugang zu den alten Göttern bewahrt hat, wird auch von Rolf Schillings Gedichten berührt und begeistert sein, denn kaum jemals (und zumal in unserer Zeit!) wurde ihnen in solcher lyrischen Perfektion gehuldigt. Wie das Räucherwerk griechischer Tempel erscheint seine Lyrik als ein Götterdienst, und selbst wenn der Dichter dies nicht so gerne hört, ist seine Kunst letztlich auch ein religiöser Akt, ein Kult. Sein Werk transzendiert und erhöht; es ist Gesang und Lehre gleichermaßen.
Neben der heidnischen Symbolik spielt in Schillings Dichtung das Konzept einer „heiligen Landschaft“ eine bedeutende Rolle. Die Heimat des Dichters zwischen Harz und Kyffhäuser ist überall in seinem Werk präsent und wird gleichsam zum Schauplatz der Mysterien. In seiner Dichtung verbindet sich das heimatverbundene Element mit einer universalen Schau. Die Verbundenheit mit örtlichen Traditionen steht nicht im Gegensatz zur Mythologie der Antike oder des Orients. Diese Weltoffenheit (und poetische Qualität) unterscheidet Schillings Dichtung bei aller Betonung des heimatlichen Aspekts von einer völkischen Literatur, die stets nur Eigenes erhöht und vermeintlich Fremdes abwertet. Nichts liegt Schilling ferner als die plumpe Germanenlyrik deutschtümelnder Pseudo-Poeten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Das Patriotische erfährt durch Schilling eine Wiedergeburt in Unschuld und Ästhetik; in einem freien und von der Vergangenheit unbelasteten Zugriff (da er niemals auf die konkrete Geschichte, sondern auf den Mythos bezug nimmt) akzentuiert er das Schöne und Edle und schenkt es seinen Lesern mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie es die heimatverbundenen Dichter der Iren, Engländer, Schotten oder Inder tun. Heimat ist für Schilling die Landschaft der „Goldenen Aue“, eingebettet zwischen den mythischen Harz und den Kyffhäuser Barbarossas, zwischen Heidentum und „Holdem Reich“. Hier vollzieht er mit seinen Gefährten alljährlich seine „Questenwanderung“ und erkundet den „Traum-Harz“. Heimat ist allgegenwärtig, doch niemals pathetisch überhöht, sondern still erwandert, erdichtet und besungen.
Eine publizistische Resonanz auf Schillings Werk ist bislang – von einigen emphatischen Würdigungen, etwa in der „Neuen Zürcher Zeitung“, abgesehen – weitgehend ausgeblieben; man mag vermuten, daß es seine Bezugnahme auf den germanischen Mythos ist, die ihm den Einzug in die Kultursparten von der FAZ bis zur „Süddeutschen Zeitung“ verwehrt. Würde er statt dessen als symbolische Referenz den jüdisch-christlichen Gott, Buddha oder das Tao benennen, wäre er gewiß in den Feuilletons präsent. Ebenso macht sich verdächtig, wer Jünger und Breker verehrt. Doch dazu später mehr.
In letzter Zeit wird Schilling jedoch – gerade von einem jüngeren Publikum fernab der etablierten Literaturszene – entdeckt, und trotz seiner Zurückgezogenheit verweigert sich der Dichter auch größeren öffentlichen Auftritten nicht: So hielt er 2006 beim „Wave Gothic Treffen“ in Leipzig im Rahmen eines Konzertes der deutschen Neofolkband „Orplid“ eine Lesung in der Krypta des Völkerschlachtdenkmals. Diese Begegnung soll kein Einzelfall bleiben, und Schilling wird sich an einer neuen CD der Band mit einer Rezitation seines „Gesangs an den Horusfalken“ beteiligen.
Zu Beginn des hier wiedergegebenen Interviews steckt der Dichter sorgsam die Grenzen ab und macht deutlich, daß er sich weder für politische noch für weltanschauliche – auch neuheidnische – Ziele einspannen lassen möchte. Trotz seiner Nähe zu Richard Wagner geht es ihm keinesfalls um einen neuen Kultus. Nachdem ich ihm aber versichert habe, daß wir keinen völkischen Bestrebungen anhängen und ihn auch nicht als „heidnischen Vorzeigedichter“ vereinnahmen wollen, ergab sich ein überaus interessantes Gespräch, für das ich Rolf Schilling herzlich danken möchte.
II. Interview
III. Quellenangaben
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