Der erste Schnee: der Winterdienst in München ist total überfordert, Verkehrschaos bleibt nicht aus und bei ATU bekommt man natürlich auch kurzfristig keinen Termin mehr zum Winterreifen aufziehen. So geschehen, vergangenes Wochenende. Also traten wir am 19.11. auf glatten Straßen ganz unerschrocken mit Sommerreifen die Fahrt von München nach Augsburg zum November Electronics Festival an. Und da das Fahrzeug von einem äußerst kompetenten Fahrer gelenkt wurde, konnte ich den Anblick der schönen vereisten Winterlandschaft im Mondschein bei guter Musik in Ruhe genießen. Gegen 21:15 Uhr erreichten wir dann die Augsburger Musikkantine, auf einem ehemaligen Kasernengelände gelegen, in der ein weiteres mal ein Festival der Pagan Organization stattfinden sollte. Der eigentliche Anreiz für mich vorbeizuschauen, waren THOROFON, die ich im Zuge ihrer Abschiedstour wenigstens einmal leibhaftig auf der Bühne erleben wollte. Des weiteren würde es sicher auch sehr interessant sein, KLANGSTABIL und THIS MORN’ OMINA einmal live zu sehen.
Bei unserem Eintreffen war die Lokalität recht gut gefüllt, denn das erste Konzert war auf Flugzetteln und im Netz bereits für 20:30 Uhr angekündigt, aber wie es nun mal üblich ist, fangen die Konzerte zumeist später an als geplant. Da wir selber recht spät dran waren, störte mich dieser Umstand persönlich nicht. Von Bekannten erfuhren wir allerdings, daß sich auch der Einlass aufgrund eines verspäteten Soundchecks nach hinten verschoben hatte, so daß pünktliche Besucher erst einmal in der Kälte warten mußten. Die Lokalität an sich gefiel mir vom Ambiente her recht gut: beim Eintreten geht man einen Flur entlang und erreicht dann ein Vorzimmer mit Kasse, Bar und Tonträgerstand, weiter geht’s über einen Zwischenraum mit Kiosk und Garderobe zum eigentlichen, recht geräumigen Konzertsaal, mit zwei Bars, unterbrochen durch einen weiteren Tonträgerstand an der rechten Seite und einem etwas erhöhten Sitzbereich mit Merchandise Stand links neben der Bühne. Die Räumlichkeit erinnerte mich ein wenig an das Conne Island in Leipzig. Die Wände waren durch allerhand Malereien nett verziert und durch die eher dunkel gehaltene Farbgebung wirkte die Örtlichkeit sehr gemütlich. Das Publikum [schätzungsweise 300 Leute] war bunt gemischt: von übertrieben zurecht gemachten Gruftimädels, über die Batcavemieze, bis hin zum Old School EBMer, Rastas tragenden Alternativleuten, Neofolkern, Uniformträgern, Depri-Grufties und ganz normal aussehenden Leuten war alles vertreten.
Gegen 21:30 Uhr eröffnete TECROC [KOMMANDO 6] aus Augsburg den Abend. Das Einmannprojekt war noch kurzfristig als Ersatz für BAKTERIELLE INFEKTION hinzu geholt worden, da letztgenannte aus persönlichen Gründen leider nicht auftreten konnten. TECROC gab sich wirklich alle Mühe das Publikum mit seiner 80er inspirierten Dark-Minimal-Elekro Musik, aus welcher KRAFTWERK deutlich heraushörbar war, und seinen verzerrten Gesangseinlagen zu unterhalten. Die Publikumsreaktion war durchaus unterschiedlich. Den einen hat’s recht gut gefallen, andere beklagten die Monotonie des Programms und alles in allem waren nach 15 Minuten einige Abwanderungslücken vor der Bühne zu sehen, die allerdings durch Neuankömmlinge schnell wieder aufgefüllt wurden. Auch ich gehörte zu den ‘Abgewanderten’, denn mir persönlich waren die einzelnen Titel zu ähnlich klingend und die gesamte Darbietung hatte den faden Beigeschmack von ‘schon tausendmal gehört’ – kurzum, die Musik war nicht mein Fall. So war ich auch nicht traurig, als das Konzert 22 Uhr zu Ende ging.
Nach einer kurzen Umbaupause betraten gegen 22:15 Uhr die Helden des deutschen Industrial THOROFON die Bühne. Ganz in weiß gekleidet präsentierten Madame Genevieve Pasquier und Anton Knilpert, ein vorletztes mal vor dem Einstellen des Projekts, ihren einzigartigen Minimal-Industrial. Mit Titeln von krachig-noisig bis hin zu minimal-psycho-poppig zogen sie das Publikum in ihren Bann. Madame Pasquier und Herr Knilpert wechselten sich während des Konzerts am Mikrofon ab und gelegentlich quälte Herr Knilpert einer E-Gitarre kreischende Geräusche ab oder bereicherte die Musik mit interessanten Rückkoppelungen, welche er mit Hilfe eines Mikrofons und einer Monitorbox erzeugte. Sehr wirkungsvoll fand ich die unterschiedliche Darbietung der beiden am Mikrofon. Seine Vokalarbeit reichte von Sprechgesang bis hin zum brachialen Schreien. Dabei legte er sich bewegungsfreudig aggressiv-effektvoll ins Zeug und scheute auch einen Sprung ins Publikum nicht. Lustig empfand ich die Reaktion der umstehenden Leute, denen soviel Nähe zum Künstler wohl irgendwie unheimlich war. Madame Pasquier ließ wiederum eine kühle, unnahbare Erotik auf das Publikum wirken und während sie sich lasziv-elegant vor ihrem Retro-Mikrofon bewegte, präsentierte sie dem entzückten Auditorium ein Stimmspektrum von zart-lieblich bis hin zum punkigen Schreien, welches mich ein wenig an HANIN ELIAS erinnerte. Nach 75 Minuten verabschiedeten sich THOROFON mit einer Zugabe von der Bühne. Eine geniale Darbietung.
Als nächstes standen KLANGSTABIL auf dem Programm. Maurizio Blanco und Boris May machen Musik, die sich im etwas anspruchsvolleren härteren Elektronikbereich ansiedelt. Sie werden seit ihrer Ant-Zen Veröffentlichung als die neuen Stars am Electronic/Industrial Himmel gefeiert und sogar mir ist ihr Clubhit ‚You may start‘ geläufig. So war ich sehr gespannt. Nun, meine Erwartung wurde nicht enttäuscht, aber mit Industrial hatte das ganze für meine Ohren nichts gemein. In jedem Fall hat es mich sehr beeindruckt in welcher Art und Weise KLANGSTABIL ihre Musik auf der Bühne ‚gelebt‘ haben. Hier sah man zwei Künstler, die mit Leib und Seele und voller Leidenschaft hinter dem stehen, was sie da machen. Beeindruckend. Maurizio und Boris teilten sich, wie ihre Vorgänger, die Arbeit am Mikrofon auf und machten ihre Sache ausgesprochen gut. Die Vokalarbeit erinnerte mich an einschlägige ‚NuMetal‘ Gruppen und sogar ein wenig an HipHop [mit dem ich so gar nichts anfangen kann] und wurde sehr, sehr emotional dargeboten. Die Reaktionen des Publikums waren pure Begeisterung und Bewegungsfreude und sogar nach zwei Zugaben und über eine Stunde Spielzeit wollte man die Herren nicht von der Bühne verschwinden lassen.
Da ich irgendwann mal nicht mehr auf die Uhr geschaut habe, kann ich leider keine Auskunft geben, wann THIS MORN‘ OMINA mit ihrem Auftritt begannen. In jedem Fall ging die Umbaupause mal wieder sehr flott vonstatten. Die Musik der Belgier kannte ich bereits aus der Konserve. Ihr ‚Rhythm-Tribal-Electronics‘ ist mir persönlich teilweise etwas zu technoid, aber man kann sich prima dazu bewegen. Dies nahmen auch die meisten Zuschauer wahr und tanzten sich mindestens Schweißperlen auf die Stirn. Und nicht nur die legten ordentlich los, sondern vor allem auch die drei Herren auf der Bühne: in der Mitte stand der eigentliche Kopf von THIS MORN‘ OMINA, der die Elektronik bediente und gelegentlich irgendwas ins Mikro sang oder sprach, sowie zwei Herren an diversen Percussion- und Schlagwerkinstrumenten. Alles in allem klang das dann wie Techno mit Naturvolkgetrommel untermalt. Geschmackssache. Gegen 1:30 Uhr traten wir den Rückzug an, da war die Darbietung von THIS MORN‘ OMINA allerdings noch in vollem Gange. Doch ich hatte für diesen Abend genug gehört...
Resümee: Interessante Veranstaltung. Für Leute, die eher musiktechnisch eine Vorliebe für Projekte in Richtung THOROFON haben, war es mE alles in allem etwas zu poppig, aber die Atmosphäre und das Ambiente waren für so ein Festival durchaus sehr tauglich. Man darf sicher gespannt sein, was die Pagan Organization als nächstes in der Musikkantine veranstalten wird...
D.Willer für Lichttaufe, November 05
http://www.hegira.be
http://www.klangstabil.de
http://www.umbkollektif.com
http://www.paganwelt.de
http://www.kommando6.de
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