Letztlich ist man dann doch mit etwas gemischten Gefühlen nach Leipzig gefahren. Die Vorfreude ob eines beeindruckenden Festival-Line-Ups überwog natürlich; aber andererseits kam auch schon ein leichtes Verlustgefühl auf, da die Runes & Men-Festivalreihe mit der fünften Ausgabe auch ihr Ende finden soll. Die Veranstalter hatten sich deshalb auch darum bemüht, die Bands der ersten Ausgabe noch einmal auf die Bühne zu holen, was bis auf wenige Ausnahmen gelang. Nach dem erzwungenen, kurzfristigen Standortwechsel im Vorjahr hatte man in diesem Jahr eine Lokalität im Angebot, die der erfahrene Wave-Gotik-Treffen-Kenner durch unzählige Konzerte kennen dürfte – den Volkspalast. An der Optik gibt es hier sicherlich kaum etwas zu bemängeln. Die Akustik ist wegen der offenen Kuppelkonstruktion allerdings seit jeher etwas schwierig, sodass auch an diesem Wochenende trotz der sehr gut laufenden Technik nicht an jedem Standort der perfekte Klang zu vernehmen war.
Freitag
Am Freitag ging es erst einmal etwas unspektakulärer mit LARRNAKH los. Die Ungarn um Frontmann SÖRÖS GERGÖ, der auch bei CAWATANA in unterschiedlicher Intensität mitwirkt, traten als Quartett mit Gitarre, Bass und zweiköpfiger Streichersektion auf, um zumeist Stücke ihrer beiden Alben zu spielen – wobei das jüngste tatsächlich auch schon von 2011 ist. Stimmig und musikalisch live gut umgesetzt, kommt die Band allerdings nicht darum herum, dass man es musikalisch letztlich mit eher stromlinienförmigem, nicht übermäßig kreativem Neofolk ohne Ecken und Kanten zu tun hat.
ARNICA schlagen dagegen in eine andere musikalische Richtung, die mit deutlich erdigem Sound und rituellem Habitus ans Werk geht. So stand das Trio auch hauptsächlich trommelnd und singend in schamanenhafter Gewandung auf der Bühne, wobei hier bei all dem Druck, den die Band aufzubauen versteht, doch auch eine gewisse Monotonie zu Buche schlägt.
NAEVUS Betrachtet man das Line-Up des Festivals hinsichtlich der Veröffentlichungen der Bands, so lässt sich feststellen, dass kaum eine auftretende Band ein einigermaßen aktuelles Album im Gepäck hatte. Daraus könnte man natürlich schließen, dass außergewöhnliche Kreativität auch eine besonders lange Zeit benötigt. Tatsächlich lässt sich hieran allerdings auch ablesen, dass die Szene mittlerweile alles andere als produktiv ist. Auch bei DIE WEISSE ROSE liegt das letzte Studioalbum sehr lange zurück. Der Aufritt beim diesjährigen Runes & Men-Festival wirkte darüber hinaus aus meiner Sicht etwas zweidimensional. Recht helle Bühne, keine Videos oder sonstige optischen Reize und dazu die beiden an den Trommeln beschäftigen Herren – u.a. KIM LARSEN, die THOMAS BOJDEN unterstützten, das war neben dem weitaus bekannten Material irgendwie etwas dünn. Der Auftritt auf dem Runes & Men-Festival 2014 ist mir jedenfalls atmosphärisch in deutlich besserer Erinnerung geblieben.
Mit NAEVUS wurden schließlich die E-Gitarren ausgepackt. LLOYD JAMES und seine drei Mitstreiter wussten wie immer live mit ordentlichem Druck zu überzeugen. Dabei berücksichtigte man weite Teile der Diskographie und stellte sogar einen neuen Song des kommenden Albums vor. Das letzte Stück, das post-punkige „Dominic Song“ wurde schließlich dem vor fast genau einem Jahr verstorbenen JOHN MURPHY gewidmet, der an dem Stück und an dem Album „Silent Life“ aus dem Jahr 2007 aber auch an anderen NAEVUS-Alben mitgewirkt hatte. Ein anderer ehemaliger Mitstreiter MURPHYs - nämlich bei KNIFELADDER - stand mit HUNTER BARR als Schlagzeuger für NAEVUS ebenfalls auf der Bühne. Ohnehin waren Im Festival-Line-Up genug Bands vertreten, bei denen JOHN MURPHY in der einen oder anderen Art mitgewirkt hat.
ORDO ROSARIUS EQUILIBRIO ORDO ROSARIUS EQUILIBRIO war tatsächlich die Band mit dem mit Abstand aktuellsten Material, da mit „Vision: Libertine – The Hangman’s Triad“ am Anfang des Jahres nach langer Ruhephase sogar ein Doppelalbum veröffentlicht wurde, das im ersten Teil mehr an frühere Zeiten erinnert, während im zweiten Teil der poppigere Weg der Vorgängeralben weiterverfolgt wird. Die seit einiger Zeit als Quintett mit u.a. NICOLAS VAN MEIRHAEGHE (EMPUSAE) an den Trommeln auftretende Band begann aber zunächst recht griffig mit „Nature Seeking Equilibrium/ War For The Principal Of Balance“ – ursprünglich 1997 noch unter dem alten Namen ORDO EQUILIBRIO veröffentlicht - bevor fast jedes Album in Form von gespielten Songs Berücksichtigung fand. Auch das neue Werk wurde natürlich mit u.a. „The Misantrophic Polygamist (How Gods Dream)“ und dem Titelstück bedacht. Bei ORDO ROSARIUS EQUILIBRIO war der fast ausverkaufte Volkspalast dann auch erstmals richtig voll und die positive Publikumsreaktion korrespondierte mit dem energetischen Set, das mit „A Song 4 Hate & Devotion“ fast etwas zu schnell beendet wurde.
BLOOD AXIS Die Verbindung zu ORDO ROSARIUS EQUILIBRIO zog dann beim nachfolgenden Auftritt von BLOOD AXIS Frontmann MICHAEL MOYNIHAN, der an das gemeinsam bespielte Cold Meat Industry Festival zum 10jährigen Bestehen des Labels 1997 in Schweden erinnerte. Zum Headliner des Samstags muss man ansonsten wohl kaum etwas sagen. Die während des Festivals wieder einmal vernommenen Diskussionen darüber, ob die folkigen Stücke der „späteren“ Phase passend, gut oder sonst was sind, möchte ich an dieser Stelle eigentlich nicht aufgreifen, zumal sich der Berichterstatter für beide Phasen des Schaffens der Band erwärmen kann. Der Hauptlast des Sets lag natürlich auf den folkigen Stücken. Beginnend mit „Herjafather“ stützte sich das Trio anschließend zunächst weitestgehend auf das Album „Born Again“ inklusive dem von ANNABEL LEE etwas atemlos vorgetragenen „The Path“. Beigemischt wurde u.a. das vom Publikum fast schon zu liederlich, ausufernd gefeierte „Wir rufen deine Wölfe“. Die Ansagen durch MICHAEL MOYNIHAN erfolgten dabei natürlich fast alle auf Deutsch. Musikalisch verlebte man einen mit lediglich kleineren Unwuchten versehenen Abend und einem kleineren technischen Problem, das ROBERT FERBRACHE mit einem beherzten Tritt behob. Zum Ende des Konzerts startete jener ROBERT FERBRACHE schließlich den Sampler für „Storm Of Steel“, „Eternal Soul“ und „Reign I Forever“. Nach einer kurzen Kunstpause folgten schließlich noch „Lord Of Ages“, „The Seeker“ und als Abschluss das JOY DIVISION Cover „Walked In Line“. Da es bei BLOOD AXIS fraglich ist, ob und in welcher Form man die Band in den hiesigen Gefilden noch einmal zu Gesicht bekommt, ein gelungenes, rundes und von der Atmosphäre her stimmiges Konzert.
Samstag
Der zweite Festivaltag begann mit VURGART, die trotz leider bisher immer noch fehlendem offiziellen Release wie schon beim ersten Runes & Men-Festival dabei waren. Was für LARRNAKH am ersten Tag gilt, ist allerdings auch hier festzustellen: letztlich bleibt man im eher gewöhnlichen Neofolk-Rahmen ohne große herausstellende Ideen oder Kreativleistungen.
FIRE + ICE Deutlich eher als am Freitag ging es, was die Popularität der Bands anbetrifft, danach auf die Zielgerade. Die Auftritte von FIRE + ICE macht unter anderem auch aus, dass IAN READ keine festen Begleitmusiker hat, sodass man immer wieder überrascht sein darf, wer ihn auf der Bühne denn nun unterstützt. Für das Festival hatte sich IAN READ keine geringeren als BLOOD AXIS als Begleitband organisiert, was nicht so exotisch klingt, wenn man die Mitarbeit der Band am „Birdking“ oder „Fractured Man“-Album kennt. Stücke wie „Dragons In The Sunset“ oder „Greyhead“ konnte man also endlich einmal von den BLOOD AXIS Musikern gespielt erleben, die sie auch im Studio miteingespielt hatten. Interessant war aber ohnehin die andere Anlage der Musik, was sich z.B. in einer etwas raueren, druckvolleren Variante von „Treasure House“ zeigte. IAN READ bildete dabei wie immer das ruhige, souveräne und vor allem auch authentische Zentrum des Geschehens, was ihm scheint mir auch vom Publikum seit Jahren gedankt wird. Üblicherweise gestaltete er seine Ansprachen zumeist auf Deutsch. Nach „Gilded By The Sun“ komplettierte IAN READ schließlich noch seine All-Star-Band um DOUGLAS P., der die beiden von ihm mitgeschriebenen Stücke „Take My Hand“ und natürlich „Fractured Again“ mitspielte und mitsang. An dieser Stelle wurde natürlich wieder der alte World Serpent Geist fühlbar, wo in den alten Tagen irgendwie alle mit allen kooperiert hatten. Lange ist es her…
FIRE + ICE Wie die meisten Bands so hatten auch DARKWOOD eigentlich viel zu wenig Zeit, um ihr Gesamtwerk auf die eher kurze Festival-Spielzeit herunterzudampfen. Wie immer musikalisch souverän präsentierte die Band einen Querschnitt ihres Schaffens, wobei die seit einiger Zeit stärker eingesetzte Percussion, die dem Ganzen deutlich mehr Druck verleiht, dem Livesound sehr gut tut.
DARKWOOD OF THE WAND & THE MOON spielten anschließend ein Set, das sich an den letzten Auftritten z.B. dem WGT orientierte und somit wenig Überraschung bot, wobei der Sound durch die Abwesenheit der weiblichen Backgroundsängerin etwas luftiger wirkte. Auch durch die zurückgenommenere E-Gitarre – was vielleicht auch einfach am Mix lag - entstand ein Sound, der tatsächlich wieder etwas folkiger klang. Ein neues Stück war allerdings auch wieder zu vernehmen, so dass man langsam den Eindruck bekommt, dass sich KIM LARSEN nach und nach an ein neues Album herantestet. Zu wünschen wäre es.
Von SIMONE SALVATORI konnte man wie immer eine schwungvolle Party erwarten, was dieser ebenfalls wie immer natürlich auch erfüllte. Mit üblichem, schwarz-weißen italienischen Hintergrundfilm im Rücken und seinen drei Musikern auf der Bühne spielte er sich jedenfalls durch ein energetisches und gefeiertes Set, wobei für mich langsam zum Problem wird, dass in der Live-Umsetzung die kurze und produktive Phase der Jahre 2003 bis 2006 immer noch übermächtig ist und die Band seitdem ansonsten durch viel zu viele Best-Of-Zusammenstellungen und Remakes auffällt. Insofern empfinde ich bei all dem Schwung SPIRITUAL FRONT Auftritte zunehmend als schal.
Durch einige Verspätungen war man zwar bereits in die nachtschlafende Zeit vorgerückt, aber es gab natürlich nur für wenige einen Grund, den Volkspalast zu verlassen. Zu den folgenden DEATH IN JUNE ist dabei vermutlich schon mehr als genug gesagt worden. Dennoch kann man an dieser Stelle sicherlich noch einmal kurz auf dieses Projekt eingehen. Dass DEATH IN JUNE über seine gesamte Laufzeit ein hochinteressantes, teilweise schwer zu durchschauendes und damit auch kontroverses Projekt war, das sich sowohl als stilprägend zeigte als auch immer die Befähigung besaß, den Schrecken und die Einsamkeit in hinterhältig eingängige Musik zu kleiden, dürfte wohl unumstritten sein. Konsens ist rückblickend wohl aber auch, dass ein gewisser Bruch in der Arbeit zur Jahrtausendwende erfolgte. Nach den eigentlich als DER BLUTHARSCH – featuring DOUGLAS P. zu bezeichnenden Alben „Take Care And Control“ und „Operation Hummingbird“ folgten jedenfalls immer sporadischer Alben, die in ihrer Qualität gegenüber dem früheren Werk abfielen, wobei ich persönlich immer noch der Ansicht bin, dass man aus „The Rule Of Thirds“ mit einer ideenreicheren und kompakteren Produktion und vielleicht auch der einen oder anderen Kooperation deutlich mehr hätte machen können. Gleichzeitig erfolgten allerdings auch eine teilweise als verstörend zu empfindende Dekonstruktion des Mythos DEATH IN JUNE sowie teilweise recht offen ausgetragene Kleinkriege mit ehemaligen Weggefährten. Die nach längerer Pause wieder einsetzenden Live-Auftritte ließen dann auch eine gewisse Tiefe vermissen. So wie die neueren Alben gestaltet waren, so wurden auch diese immer minimaler dargebracht und viele Stücke wurden in einer Weise gespielt, die ihnen nicht immer nur guttat. Insofern zieht der Berichterstatter – so ehrlich muss man sein - jedes Konzert in den 90er Jahren den Konzerten der letzten Jahre vor.
Aber warum diese Vorrede? Weil es wohl danach aussieht – den Rücktritt vom Rücktritt gab es ja schon einmal, dass es nach der „Last Europa’s Kiss“-Tour mindestens keine Live-Auftritte mehr geben wird. Der Anfang des Sets an diesem Abend bestand jedenfalls zunächst aus einem „Lounge Corps“-Teil. MIRO SNEJDR spielte einige instrumentale Stücke am Piano bevor DOUGLAS P. wie üblich mit Maske und Armee-Poncho die Bühne betrat, um drei „Peaceful Snow“ Stücke vorzutragen. Nach dem Titelstück war das bisher letzte Album von 2010 soweit abgearbeitet – „The Maverick Chamber“ tauchte später in der „Snow Bunker Tapes“ Fassung noch auf. Nun folgte ein zusammenhängender Teil, der musikalisch alleine mit Trommelrhythmen und Samples auskam und gesanglich „We Drive East“, „Death Of A Man“, „Bring In The Night“ sowie „Till The Living Flesh Is Burned" beinhaltete und an diesem Abend noch einmal am deutlichsten auf den Mythos DEATH IN JUNE verwies.
DEATH IN JUNE Danach verließ MIRO SNEJDR die Bühne und DOUGLAS P. entledigte sich seiner Maske. Wer sich nun fragt, wer JOHN MURPHYs Stelle auf der Bühne eigentlich einnahm? Nun, niemand; was auch als weitere Minimalisierung gewertet werden konnte – ein Mann und seine Gitarre. DEATH IN JUNE wie zuletzt immer mehr nur noch auf sich selbst zurückgeworfen. Die Mischung der folgenden Stücke war an sich gut gewählt, da neben echten Klassikern auch „All Pigs Must Die“ und „The Rules Of Third“ Stücke im Set auftauchten und so eine reine Classics-Akustik-Gitarren-Show verhindert wurde. Douglas führte dabei ungewöhnlich redselig durch das Set. Anfangs betonte er, dass dies ein recht emotionaler Abend werden könnte. Später erzählte er wie MICHAEL MOYNIHAN ihn bei der Arbeit an „Music, Martinis And Misanthropy“ zu der Textzeile "If Blood Is Another Colour Of Hope“ aus „Symbols Of The Sun“ verhalf. Gegen Ende der Spielzeit bat DOUGLAS schließlich noch GARY CAREY von JOY OF LIFE auf die Bühne, der in grauer Vorzeit ja auf DOUGLAS‘ Label die E.P. "Enjoy" seiner Band veröffentlicht hatte. Am Ende des Sets fehlten jedem Zuhörer vermutlich noch ein paar wichtige Stücke; aber nach einer Spielzeit von rund zwei Stunden endete mit – natürlich - „Runes And Men“ – wozu noch einmal alle noch anwesenden Künstler des Festivals auf die Bühne gebeten wurden schließlich das Konzert. Was bleibt: DOUGLAS‘ Worte, dass er nun für Jahrzehnte DEATH IN JUNE war und dass er dem Publikum ein weiteres fantastisches Leben wünschte und vielleicht auch bei dem einen oder anderen ein leicht einsetzendes Gefühl des Verlustes.
DEATH IN JUNE Damit endete das fünfte Runes & Men-Festival. Ohne Frage ist es schade, dass so eine nun auch etablierte Veranstaltung und die einen derartigen Publikumszuspruch für diese Art von Musik für sich verbuchen kann, vermutlich in der Art nicht mehr geben wird. Natürlich stellt sich aber auch die Frage, ob so eine Veranstaltung auch weiterhin erfolgreich durchführbar wäre. Ohne Ausweitung des Programms auf zumindest angrenzende Stile würde man wohl von Jahr zu Jahr mehr Probleme bekommen, zugkräftige Bands, die nicht ständig und wiederholt auftreten würden, für ein zweitägiges Festival zu buchen. Dies vor allem auch, weil ernstzunehmender Nachwuchs schlicht und einfach fehlt und unter der schon weiter oben erwähnten Prämisse, dass die Aktivitäten der meisten Bands doch stark zurückgegangen sind. Ob es unter diesen Vorzeichen noch einmal zu einem neuen, überzeugenden Aufbruch in der Neofolk-Szene reichen wird wie dies in anderen Stilen wie Post-Punk oder Minimal-Elektronik/ Angst Pop in den letzten Jahren gelungen ist, wird die Zukunft zeigen.
Tony F. für nonpop.de
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