Das österreichische Projekt JAHRTAL haben wir anhand der beiden Veröffentlichungen "Lichtbuch" (Besprechung) und "William Blake" (Besprechung) schon vorgestellt und beleuchtet. Nun ist nach längerer Pause mit "Zwei Landler" eine neue CD-Single erschienen. Im Gegensatz zu den folkloristischen Gesangsstücken der beiden Vollzeit-Alben handelt sich um die rein instrumentelle Aufbereitung zweier traditioneller Tänze aus Tirol, verziert mit einigen überraschenden Effekten. Die Richtung bleibt dennoch dieselbe und unverkennbar: Traditionelle Texte und Klänge, nahe an Volksmusik, auf eine ganz spezielle JAHRTAL-Weise aufbereitet. Die beiden neuen Stücke waren für uns der Anlass, mit EWALD SPISS über JAHRTAL, Volksmusik und weitere Veröffentlichungen zu sprechen. Hallo EWALD! Du hast lange Jahre, eigentlich Jahrzehnte, ganz andere Dinge gemacht als Folkmusik: Experimentelle Elektronik in den 1980ern, Bilder gemalt in den 1990ern – was hat Dich vor recht kurzer Zeit dazu gebracht, diese handgemachte, folkloristische Musik in Dein Portfolio mit aufzunehmen? Zeichnen und Malen, Bilder zu machen war und ist über die Jahre / Jahrzehnte doch meine Haupttätigkeit auf künstlerischem Gebiet. Die Soundarbeiten und akustischen Collagen in den 80ern waren unter anderem auch der Versuch, sozusagen mit akustischem Material Bilder zu erzeugen. Es war das eine Zeit, in der ich ebenfalls intensiv gemalt habe. Die Arbeiten aus dieser Zeit – vorwiegend auf Papier – sind bislang nicht im Katalog auf meiner Webseite dokumentiert ... JAHRTAL als Projekt folkloristischer Musik wurde 2007 'erfunden'. Der Ursprung des Projekts – nicht der Name – geht jedoch in die 70er Jahre zurück: 2007 ist mir ein altes Tonband mit vertonten BLAKE-Gedichten wieder in die Hände gekommen – eine total verrauschte Aufnahme, die ich in den 70ern auf meiner damaligen 2-Spur-Tonbandmaschine mit etlichen Overdubs aufgenommen habe. Da ist mir die Idee gekommen, diese Lieder neu aufzunehmen mit den mittlerweile zur Verfügung stehenden technischen Mitteln. Sozusagen als Probe hab' ich dann eins meiner Lieblingsvolkslieder "Klein Wild Vögelein" aufgenommen. Das war der Anfang von JAHRTAL. Und es ist ein bisschen mehr draus geworden als die neu aufgenommenen WILLIAM BLAKE-Lieder. Eine Verbindung zu den Soundarbeiten findet sich auch in den JAHRTAL-Musikstücken: Gerne nehm' ich Themen und akustische Fragmente aus den Liedern und Musikstücken, kombiniere sie neu und füge sie sozusagen als Anhang dazu. Das ist wie ein Sinnieren oder Reflektieren über das Gehörte und hat auch etwas Erzählerisches, Bildhaftes an sich ... So ist's jedenfalls für mich ... So greifen Soundarbeiten, Zeichnungen und Malerei und die Folkmusik von JAHRTAL ineinander und ergänzen sich in gewisser Weise. Warum sind denn die Abstände zwischen den einzelnen Veröffentlichungen von JAHRTAL so lang? Oder kommt mir das nur so vor?? Künstlerische Tätigkeit, so auch JAHRTALs Aktivitäten, hab' ich immer neben meinem 'Brotberuf' als Sozialarbeiter ausgeführt. Aus diesem Grund ist das Ergebnis meiner künstlerischen Arbeit wohl nicht so umfangreich. Außerdem braucht auch die Familie Zeit und Energie. Die letzten Jahre waren darüber hinaus nicht so leicht, weil CHRISTINE, meine Frau – deren Stimme auf "Lichtbuch" und den BLAKE-Liedern zu hören ist – schwer erkrankt war. Das war gleich nach der Veröffentlichung des Albums mit den WILLIAM BLAKE-Liedern. Es geht ihr jetzt glücklicherweise wieder besser... Auf "Lichtbuch", dem ersten JAHRTAL-Album, hast Du einige Volkslieder neu vertont. Auch die neue Zwei-Stück-EP ("Zwei Landler") bietet Interpretationen von Volkstänzen. Ist JAHRTAL für Dich ein Instrument, die mit Volksliedern verknüpften Emotionen wie Naturverbundenheit, Ländlichkeit, Tradition, Heimatgefühl, Nostalgie etc. auszudrücken? Volksmusik, ob man sie nun mag oder nicht, transportiert – finde ich – mit ihren typischen Harmonien bestimmte kulturelle Eigenheiten einer Region, den Charakter der Landschaft und auch Auffassungen, Lebensinhalte der Menschen, die dort leben. Letztere sollte man sich natürlich genauer anschauen, denn nicht alles, was traditionell ist, ist mitunter wert, erhalten zu bleiben. So sehe ich zum Beispiel keinen Grund, verherrlichende Jäger- und Soldatenliedern zu erhalten, zu bewahren. Aber es gibt sehr schöne Volkslieder mit eindrucksvollen, geistreichen, auch heiteren, pfiffigen Texten und Inhalten. Und um die wär's schade, wenn sie in Vergessenheit geraten würden. Was die Musik von JAHRTAL angeht, bist Du ja nicht alleine. Viele Musiker produzieren gerade regionale, oft im Dialekt gesungene, moderne Folkmusik, um alte Lieder oder Traditionen zu bewahren (STURMPERCHT, FRÄKMÜNDT ...). Auch in anderen Genres – wie zum Beispiel Heavy Metal – gibt es viele Bands, die mit volkstümlichen Elementen und Dialekt arbeiten. Siehst Du Dich in einer Art geistigem Verbund, oder machst Du mit JAHRTAL einfach 'Dein Ding'? Ich sehe es nicht vordergründig als Aufgabe von JAHRTAL, Volksmusik zu bewahren – das machen andere (Musikhistoriker und Musiker) auf professionelle Weise. JAHRTAL interessiert in erster Linie, Volksmusik etwas anders – so wie es JAHRTAL eben kann – zu interpretieren. THE INCREDIBLE STRING BAND, DR. STRANGELY STRANGE und MR. FOX sind nur einige jener Folkbands und -musikerInnen, deren Musik mich seit den 70er Jahren begleitet – auch in den Zeiten vor JAHRTAL, in denen ich ganz andere akustische Arbeiten aufgenommen und produziert habe. Und es freut mich sehr, dass ich mit JAHRTAL an dieser Art 'Tradition', mit Volksmusik umzugehen, Jahrzehnte später hier in den Alpen mit meiner Geschichte und meinem kulturellen Hintergrund anknüpfen durfte, ohne mich mit diesen erstklassigen Musikern messen zu wollen. Du hast bislang verschiedene Inspirationsquellen in die, wie ich finde, typische JAHRTAL-Musik gegossen: Volkslieder, Texte von WILLIAM BLAKE, traditionelle Volkstänze. Kannst Du einen Ausblick geben, was wir von JAHRTAL noch zu erwarten haben, oder sind das eher spontane Veröffentlichungen, je nach dem, was Dich gerade beschäftigt? Das aktuelle "Zwei Landler" ist so entstanden: Zum 80. Geburtstag meiner Mutter wollte mein 15jähriger Neffe JOHANNES mit seiner Steirischen Harmonika aufspielen. JOHANNES wohnt mit seiner Familie in jenem Bauernhaus in den Stanzertaler Bergen, in dem ich geboren wurde und in dem bis vor ein paar Jahren meine Großmutter gelebt hat. Von da her bin ich diesem Ort sehr verbunden. So hab' ich also bei dieser Geburtstagsfeier JOHANNES auf dem Banjo begleitet. Das hat zwar gut gepasst, aber doch einen etwas fremdartigen Charakter in diese 'ur-Tiroler' Musikstücke gebracht. Das hat mir gefallen, und so hab' ich beschlossen, zwei dieser Stücke für eine JAHRTAL-Single aufzunehmen. Auch JOHANNES hat die Idee gefallen, und so wurden zu den Aufnahmen seines Ziehharmonikaspiels mehrere zusätzliche Spuren aufgenommen und abgemischt ... Ja, und seit mehr als einem Jahr schon wäre Material für ein Album in einer Mischung ähnlich wie auf "Lichtbuch" bereit zum Aufnehmen und Einspielen. Leider hat dazu bis jetzt die Zeit gefehlt. Ob dieses Album erscheinen wird, kann ich derzeit nicht abschätzen. Deshalb möchte ich auch nicht mehr darüber sagen ... Auch werd' ich immer älter – bin jetzt schon 58 –, und der Anspruch, die Zeit möglichst sinnvoll einzusetzen, wird immer wichtiger. Da kann es schon sein, dass sich die Prioritäten meines Tuns verschieben... EWALD, danke für das Gespräch!
Michael We. für nonpop.de
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