SYNANTHESIA - s/t
(1969, UK, RCA) Es scheint vor allem ein Phänomen der späten Sechziger und frühen Siebziger Jahre zu sein, dass manche Bands nicht mehr als ein einziges Album veröffentlichen, sich nach nur wenigen Monaten auflösen und dann für immer aus der Musiklandschaft verschwinden. Erklären lässt sich das relativ schnell und einfach: Privatpressungen und Eigenproduktionen waren vor vierzig Jahren noch vergleichsweise teuer und schwierig zu handhaben, weshalb junge Bands in viel größerem Maße als heute davon abhängig waren, ihre Aufnahmen bei einer Plattenfirma unterzubringen. Verkaufszahlen und Publikumszuspruch spielten daher auch für experimentelle, Non-Mainstream Musiker eine nicht zu unterschätzende Rolle, denn noch gab es keine echten Independentlabels, die es sich leisten konnten, drei oder vier Jahre auf ein Nachfolgealbum zu warten. Das Gute daran: Eintagsfliegen, zumal vergessene, leben manchmal paradoxerweise länger. Solche geschwisterlosen Alben haben immer Potential zum Legendär-sein, auch wenn zu diesem Status mithin mehrere Dekaden zurückgelegt sein wollen, und es bleibt ihnen ebenso erspart, vom Qualitätsabfall späterer Platten in Mitleidenschaft gezogen zu werden (Gleiches gilt ja für frühverstorbene Künstler.). Man denke an die unzähligen alten Folk- und Rockbands, die sich durch die Achtziger Jahre haben verderben lassen, man denke daran, wie lächerlich sich manche Veteranen heute noch immer machen. Wie ungleich reiner und schicksalhafter wirken dagegen die für immer einsam bleibenden Werke von Bands, deren hoffnungsvolle Karriere jäh beendet wurde. Das 1968 in London ins Leben gerufene Projekt SYNANTHESIA gehört genau in diese Kategorie. Nicht länger als anderthalb Jahre währte der Versuch des Trios, mit einer Mischung aus Folk, Jazz und Psychedelia die Sechziger musikalisch abzuhaken. Bandleader DENNIS HOMES erkannte schon früh den Unterschied zwischen bloßer Unterhaltungsmusik und echter, kreativer und eigenständiger Musik. In seinen Jugendjahren tingelt er durch einige halbgare Londoner Soul- und R'n'B-Bands, später spielt er Bass in THE INHIBITION, die bemüht sind vom letzten Ausläufer der Beat-Welle nicht geschluckt zu werden. Nachdem er BERT JANSCH in Soho auf der Bühne sieht, beginnt sich Homes für Folk und Bands wie PENTANGLE, TYRANNOSAURUS REX und THE INCREDIBLE STRING BAND zu interessieren und versucht vergeblich diese Einflüsse bei THE INHIBITION einfließen zu lassen („my fellow band members thought folk clubs were for weirdos“.). Stattdessen muss er mit ihnen einen von J. NORWELL geschriebenen Song für ihre erste Single aufnehmen, die prompt floppte. Das ganze entwickelte sich offensichtlich immer mehr zu einer Sackgasse und 1968 verlässt Homes frustriert die Band. Währenddessen entdeckt er die Vorzüge des Vibraphons und dehnt seine musikalischen Erkundungen nun auch auf Jazz aus. Erst jetzt bieten sich ihm die Möglichkeiten, mit seinen selbstgeschriebenen Songs etwas anzufangen und er beginnt damit, Musiker mit ähnlichen Ideen zu suchen. Szenenwechsel: der achtzehnjährige Journalismus-Student und Hobby-Gitarrist LESLIE COOK arbeitet als Praktikant in der Anzeigenabteilung des Melody Makers, der damals größten britischen Musikzeitschrift, und sitzt also direkt an der Quelle, als eine Anzeige ins Haus flattert, die sein Leben zumindest für die nächsten 18 Monate ziemlich umkrempeln wird. Und was für ein Glückstreffer es ist. Homes und Cook wohnen im selben Viertel, hören die selben Bands und sind sich einig, nicht die hundertste Folk-Rock-Kopie zu werden. Gewähr dafür bot vor allem der schon etwas ältere Jazz-Saxophonist JIM FRASER, der sich ebenso auf die Anzeige hin meldete. In Anlehnung an den ISB-Dilettantismus beginnt der unerfahrene Cook nun Mandoline, Geige und Bongos zu spielen, Homes findet dagegen endlich Verwendung für sein Vibraphon und lässt Fraser viel Raum für Improvisationen mit allen möglichen Blasinstrumenten. Songs und Demos entstehen schnell und spontan und wachsen wild zu einem Konglomerat verschiedenster musikalischer Einflüsse zusammen. Schon binnen kürzester Zeit lernt das Trio JOHN PEEL kennen, tritt als Vorband für PINK FLOYD, FAIRPORT CONVENTION und BRIDGET ST. JOHN auf und tourt ausgiebig mit der Poetry-Band THE LIVERPOOL SCENE. Auf der Bühne konnten sie freilich nicht mit der Lautstärke der anderen, elektrisch verstärkten Bands mithalten, versetzten das Publikum jedoch mit ihrer bloßen Andersartigkeit (und Frasers Nasenflöte!) in Staunen. Auch Manager DOUG D'ARCY staunte, als er SYNANTHESIA zum ersten Mal hörte und stellte Kontakt zu SANDY ROBERTON her, der gerade dabei war, sich eine ganze Flut an jungen Folk-Neuentdeckungen für sein frisch gegründetes Label SEPTEMBER PRODUCTIONS zu sichern. Fast übereilt wird die Band schon im Februar 1969 ins Studio geschickt, um dort ihr erstes Album aufzunehmen, das auch ihr einziges bleiben sollte. Das unbetitelte Album wurde in nur zwei Sessions nahezu live eingespielt. Die elf Lieder sind daher sehr schlicht und minimalistisch orchestriert und kommen ohne große Effekte aus, leben dafür aber umso mehr von komplexen Kompositionen. In dem träumerisch geknüpften Teppich aus Vibes und Akustikgitarren sind die Flöten- und Saxophonarrangements von JIM FRASER mehr als bloße Farbtupfer oder Ausschmückung. Oft ist gerade er es, der die Musik von SYNANTHESIA durch psychedelische Wirbelstürme leitet und in phantastische Länder entführt, in denen Folk und Jazz ineinander verschwimmen und flimmernd wie eine Wüstenspiegelung vor dem Hörer auftauchen. Lange Instrumentalpassagen wie bei „The Tale Of The Spider And The Fly“ oder dem grandiosen „Vesta“ entarten auch ohne quietschende E-Gitarren und ungestüme Schlagzeugorgien zu weit abschweifenden Trips, die sich auch ein wenig aus orientalischen Töpfen bedienen, vor allem jedoch die Atmosphäre endlos langer Jazz-Improvisationen beschwören. Parallel dazu verläuft eine viel naivere, erdigere Folkschiene, auf der sich SYNANTHESIA als unschuldige Kinder der Natur stilisieren. Der INCREDIBLE STRING BAND wäre es vermutlich ähnlich ergangen, wenn sie sich einmal auf ein grasgrünes Hippie-Picknick in einer Jazzkneipe eingelassen hätte. Die Platte besteht zu etwa gleichen Teilen aus den konzeptuell organisierten Stücken von DENNIS HOMES, die sich am griechischen Pantheon orientieren (Das Album sollte ursprünglich „The Gods“ heißen.) und den leichter verdaulichen, poppigeren Songs von LESLIE COOK. Letzteren hört man sehr schnell den damaligen Musikgeschmack des jungen Gitarristen an: besonders der DONOVAN der „A Gift From A Flower To A Garden“-Phase, und das schon mehrfach genannte Duo MIKE HERON und ROBIN WILLIAMSON haben hier tiefe Spuren hinterlassen. Dieser Part des Albums schwebt und hüpft unendlich subtil und harmonisch durch die wildwuchernden Vorgärten der späten Sechziger und ist auch nach mehrmaligem Hören für die eine oder andere Überraschung gut, gleitet dann aber auch ebenso leichtfüßig ins Belanglose ab. Homes' Stücke sind ungleich dramatischer, düsterer, bedrohlicher, zu ständigen Stimmungsschwankungen aufgelegt und von einer impulsiven Dynamik durchglüht, die sich nicht mit dem Musikverständnis des Zeitgeistes zufrieden geben will. Auch Fraser reagiert darauf mit einem tieferen Griff in die Improvisationskiste und bringt an diesen Stellen häufiger das Saxophon zum Einsatz. Besonders „Morpheus“ wird so zu einem ekstatischen, melodramatischen Hymnus, bei dem deutlicher als bei allen anderen Stücken des Albums, das archaische Lagerfeuergeschraddel und das mäandernde Fernweh inklusive der anschließenden epileptischen Anfälle des Saxophons miteinander zu einem fruchtbaren, phantasievollen Amalgam verschmelzen, aus dem sich eine ganze Musikrichtung hätte entwickeln können. Das Album schließt mit einer wehmütigen, großspurigen Songwriternummer - „Just As The Curtain Finally Falls“. Fast so als hätte das Trio da schon um seine limitierte Lebensdauer gewusst. Man spürt geradezu, wie die Tische zusammengerückt, der Boden gefegt wird und nach und nach die Lichter ausgehen, während die Band noch einmal mit all ihrer charmanten Theatralik ihr letztes Lied vorträgt bevor der Vorhang fällt. Vielleicht war es allzu überstürzt, eine Band ins Studio zu schicken, die gerade einmal seit fünf Monaten zusammen war und deren Mitglieder sich noch gewissermaßen akklimatisieren mussten. Nun ist daraus aber eine Platte entstanden, deren Reiz gerade im Ungeschliffenen, Spontanen liegt und die bei ihrem Erscheinen 1969 mit einem Bein noch in den Sechzigern steht, mit dem anderen aber schon die Spuren für die Prog-Folker der kommenden Dekade vorzeichnet. Symbolisch dafür steht ein Auftritt in Birmingham am 31.12.1969 im SYNANTHESIA-Logbuch. Es war eines der letzten Konzerte des Trios. Kurz darauf verlässt LESLIE COOK die Band, um sich besser seinem Studium widmen zu können. HOMES und FRASER arbeiten noch etwas weiter zusammen, lösen das Projekt dann aber endgültig auf und vermeiden es so, zu einer ganz normalen, mittelmäßigen Rockband zu verkommen. Dennis Homes zog sich nach SYNANTHESIA aus dem Musikgeschäft weitestgehend zurück und beteiligte sich an diversen Theaterproduktionen. Dabei hat er nie wirklich aufgehört Songs zu schreiben und seit Mitte der 90er tritt er wieder regelmäßig und mit großem Repertoire in verschiedenen Folkclubs auf. Von revolutionären Folk/Jazz-Fusionen ist nun nichts mehr bei ihm zu hören, aber die Flucht ins Konservative ist sicher ein Vorrecht des Alters. Heute ist es in der Independentmusik zu einer Selbstverständlichkeit, manchmal auch zu einem verlegenen Kunstgriff mangels Können und Kreativität geworden, verschiedenste Stile miteinander zu vermengen. Vor knapp vierzig Jahren standen SYNANTHESIA mit ihrem Cocktail aus psychedelischem Folk, Jazz und orientalischen Einflüssen dagegen zwischen allen Stühlen und suchten vergeblich nach einem geeigneten Publikum. Ihr Album verkaufte sich seinerzeit so gut wie gar nicht und erst dem Engagement von SUNBEAM RECORDS ist es zu verdanken, dass es als eines der wertvollsten und sonderbarsten Werke der britischen Folkmusik geschätzt werden darf. Titel: A Minerva Peek Strangely And Worried Evening Morpheus Trafalgar Square Fates The Tale Of The Spider And The Fly B Vesta Rolling And Tumbling Mnemosyne Aurora Just As The Curtain Finally Falls 46min Erstauflage: RCA Victor SF 8058 | 1969 Re-Releases: 2005: Sunbeam Records SBRCD5007 | CD 2006: Sunbeam Records SBRLP5007 | LP
Roy L. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » Synanthesia @ MySpace Themenbezogene Artikel: » Das Jahr der Seele: PENTANGLE » JAN DUKES DE GREY: Mice And Rats ... » ÄLGARNAS TRÄDGÅRD: Framtiden Är ... » PAUL GIOVANNI: The Wicker Man O.S.T. » SUBWAY: s/t » COMUS: First Utterance » GARY HIGGINS: Red Hash » HÖLDERLIN: Hölderlins Traum » DR STRANGELY STRANGE: Kip Of The Serenes » CAN AM DES PUIG: The Book Of Am » C.O.B.: Moyshe McStiff ... » ALAN SORRENTI: Aria » TONY, CARO & JOHN: All On The First Day » PERRY LEOPOLD: Experiment in Metaphysics » FOREST: Full Circle » BRIGITTE FONTAINE & ARESKI: L'Incendie » MAGICAL POWER MAKO: Super Record » SPIROGYRA: Bells, Boots & Shambles » EXTRADITION: Hush » SHIRLEY COLLINS & DAVY GRAHAM: Folk ...
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