Autor: Roy Liebscher
In der kalten Jahreszeit, wenn im Norden die Elche ihr majestätisches Geweih abwerfen, auf dass ihnen in den folgenden Monaten eine mächtigere Krone wächst, schließt sich einmal mehr ein Zyklus der Natur, der sinntragend ist für das ewige Vergehen und Gestaltwerden aller lebenden Wesen. Mit HARMAAs AAMUJEN erschien diesen Winter ein perfekter Soundtrack für diese mythologisch hinterlegte Thematik, der überdies die, von TENHI mit CIWI begonnene AIRUT Saga auf dem eigenen Label UTUstudio fortführt. HARMAA (zu deutsch: grau) ist dabei weniger ein Nebenprojekt, denn mehr eine eigene variable Form des kreativen Schaffens von Ilmari Issakainen und Tyko Saarikko. Was bedeutet, dass man sich auf AAMUJEN in etwas anderen musikalischen Bereichen wiederfinden wird. Von allen folkloristischen Elementen, die TENHIs Veröffentlichungen kennzeichnen, entledigt, wurde die Instrumentierung auf Schlagzeug, Bass und ein recht dominierendes Piano reduziert. Jedoch merkt man den Stücken sofort die Handschrift ihrer beiden Komponisten und Künstler an, die für AAMUJEN von Janina Lehto und Tuuka Tolvanen unterstützt wurden. Janina, die bereits VÄRE durch ihr progressives Flötenspiel unermesslich aufwertete (man denke z.B. an VILJA), bezaubert hier mit ihrer stets angenehmen, wundervollen Stimme, die über die Worte sanft hinwegzugleiten scheint und für zukünftige TENHI/HARMAA Aufnahmen eine echte Entdeckung sein sollte. Trotz einem klanglich homogenen Fluss, stellt jedes einzelne Stück ein wahrhaft differenziertes Erlebnis dar, das von der riesigen emotionalen Bandbreite der Lieder erzeugt wird, die von düsterer Melancholie bis zu überschwänglichem Enthusiasmus reicht. Nur manchmal vermisst man dabei den oftmals intensivierenden Effekt einer Violine oder eines Cellos, deren Einsatz jedoch die eigentliche Intention von HARMAA verfehlen würde. Vor allem bei OIKEA SOINTI wirkt diese Instrumentierung vollkommen ausreichend, zumal Schlagzeug und Piano fast schon virtuos miteinander harmonieren. Wie auch bei TENHI unterwirft man die Kompositionen keiner konventionellen Liedstruktur, sondern fügt teilweise lange instrumentale Passagen ein oder lässt sie ebenso träumerisch ausschweifen, was besonders bei den letzten drei Titeln der Fall ist, die den Eindruck erwecken, sich schier endlos Zeit nehmen zu wollen. Der markante finnische Gesang ist wiederum sehr reizvoll und fügt die Lieder zu einem atmosphärischen Ganzen. HARMAAs AAMUJEN hat einen solch einzigartigen neo-romantischen Charakter, dass sich Vergleiche, wenn überhaupt, höchstens zu CANAAN ziehen lassen, die dann jedoch auch nur auf die schwermütige Attitüde bzw. Klangfarbe, nicht aber auf die Musik selbst bezogen werden können. Einen ähnlich besonderen Klang besitzen die Texte, die im Finnischen immer wieder auf phonetische Stilmittel zurückgreifen. Meist kryptisch und metaphorisch, sprechen die Verse von flüchtigen Berührungen zwischen unterschiedlichen Sphären und Wesensarten und vermitteln dabei sowohl sprachlich als auch inhaltlich ein starkes Bezugsgefühl zur Natur und Landschaft. Das Artwork überzeugt neben einem schicken Frontcover eher durch elegante Schlichtheit und ein empfindlich schwarzes Beiheft hält neben den Liedtexten und deren englischen Übersetzungen auch Impressionen des UTU-Studios bereit. AAMUJEN ist ein ästhetisch ausgereiftes Werk professioneller Künstler, dem TENHI - Kenner und Freunde kontemplativer Kopfhörermusik mit einem Hang zu nordischer Mentalität ihre vollste Aufmerksamkeit schenken sollten. Wer sich dagegen lieber in Neofolk- und Ethnoklängen ergeht, wird sich gedulden müssen bis TENHIs neues Album voraussichtlich März/April 2005 bei Prophecy erscheinen wird. Release: 2004, UTU 001, CD Tracklist: 01. Saapuminen (Emerging) 02. Seitsensarvi (Grey Shine Of June) 03. Lävitseni Kaikkeen (Thru Me And Into Everything) 04. Luopumisen Laulu (Eloign) 05. Kuvajainen (Apparition) 06. Oikea Sointi (Lay Down A Tune) 07. Kahluu (Fury Revived) 08. Hiensynty (Burning) 09. Läheltä (A Brief Passing Moment) 52min www.utustudio.com / harmaa@utustudio.com
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