Vor knapp anderthalb Jahren wurde an dieser Stelle mit wohlwollenden Worten das Debüt des hessischen Post-Industrial-/Noise-Projektes SALÒ SALON vorgestellt, welches um den Jahreswechsel 2015/16 als CDr bei 412RECORDINGS erschienen war. Nach der daran anschließenden, Ende 2016 als Cassette erschienenen EP "Agonal Pessimism", die dem Rezensenten leider nicht zu Gehör kam und insofern unberücksichtigt bleiben muss, legt das Ein-Mann-Unternehmen mit "The Scent Of Voluntarism" nun beim WAPPENBUND-nahen WHITE ASHES-Label einen würdigen Nachfolger im CD-Format vor, der nicht zuletzt durch seine liebevolle Verpackung das Herz des Endverbrauchers zu erwärmen weiß: Der Silberling wird in einer kleinen, quadratischen, mit Siegel und Banderole verschlossenen Pappschachtel geliefert, die neben dem CD-Schuber noch zwei Info-Karten enthält – insgesamt ein schmucker Anblick mit diskreter Note, der gut zu dem von SALÒ SALON zelebrierten, musikalischen Kulturpessimismus passt.
Dass Projekt und Album einer entsprechenden Agenda folgen, ist keine Einsicht, die etwa erst mühsam aus weit verstreuten Indizien destilliert werden müsste: Nein, denn schon die Bandcamp-Seite von SALÒ SALON deklariert "the rise of (pessimistic / tragic) life philosophy in the tradition of German thinkers like Schopenhauer, Klages, Nietzsche, etc. and its historical reception" als Sujet des Albums – die gewählten Titel sowie ein einschlägiges Schopenhauer-Zitat runden das durch & durch konsistente Gesamtbild in dieser Hinsicht ab. Trotzdem kontrastiert das dargebotene musikalische Material durchaus erfrischend mit der relativen Homogenität des gewählten philosophischen und ästhetischen Kontextes: wie seinerzeit mit Blick auf "Execution Tourism" bereits anerkennend festgestellt wurde, unterläuft auch das aktuelle Album konsequent jede Erwartung fanfarenlastigen Martial-Noise-Gebollers mit Vintage-Attitüde, das üblicher- & ärgerlicherweise mit der umrissenen weltanschaulichen Positionierung korrespondiert. Nein, "The Scent Of Voluntarism" erweist sich als überaus abwechslungsreiches und vielschichtiges Opus, das weitgehend ohne stilistische Plattitüden & Allgemeinplätze auskommt und stattdessen einen erfreulich eigenständigen Sound kultiviert, der irgendwo in den Grenzregionen von Noise, Dark Ambient und experimenteller Elektronik angesiedelt ist – nicht umsonst assoziierte der Rezensent auch diesmal wieder als erstes, spontanes Referenzobjekt den frühen ASMUS TIETCHENS, irgendwo zwischen "Geboren, um zu dienen" und "Aus Freude am Elend".
Man tut dem Album also ganz sicher nicht unrecht, wenn man seinen Sound insgesamt als eher oldschool-lastig charakterisiert, was nicht zuletzt den zahlreichen analogen Elementen und diversen Metal-Junk-Schraddeleien geschuldet ist, mit denen es immer wieder so charmant aufwartet. Indes muss die Klassifizierung Oldschool in einer Welt, die es jedem Deppen ermöglicht, zuhause am Rechner ein paar Knöpfchen zu drehen, um im Anschluss seine Umwelt flächendeckend mit redundantem Digital-Müll zu überziehen, ohnehin als vollumfängliches Kompliment verstanden werden, und dies gilt freilich für den umso mehr, der sich selbst dem Dunstkreis des kulturpessimistischen Lager zuzurechnen beliebt. Im Vergleich zum Debüt wirkt "The Scent Of Voluntarism" zweifellos deutlich gereifter, durchdachter, straffer komponiert und insgesamt authentischer – hier hat jemand nach einer Phase des Experimentierens zu seiner eigenen Ausdrucksform gefunden, was unter anderem in einem weitgehenden Verzicht auf klischeelastige Martial-Genrestereotypen sowie einer sparsameren Dosierung von Sprachsamples seinen erfreulichen Ausdruck findet.
SALÒ SALON
Das musikalische Gesamtbild wirkt dementsprechend stimmiger und atmosphärischer, während Harshness und Aggressivität etwas in den Hintergrund treten, so dass die Anmutung insgesamt eine konzentriertere, ja: introvertiertere ist, ohne dabei doch den gebührenden Druck und die wünschenswerte Wucht missen zu lassen. Exemplarisch ist in dieser Hinsicht bereits der Eingangstrack "Mind-Body-Problem" mit seinem hypnotischen Sample-Loop zu brachialem, verrauschtem Hintergrundgewummer; auch "Kampf ums Dasein" haut mit verwaschen-zerrissenem Glockengeläute sowie einer prologisch und epilogisch auftretenden Spoken-Word-Passage, die, so sehr sie auch an BOYD RICE erinnern mag, dennoch nicht von diesem vorgetragen wird, in dieselbe Kerbe, gefolgt von "Decadenza" und "Beyond Affirmation And Negation", mit denen SALÒ SALON die ebenso empfindliche wie reizvolle Balance zwischen offensiver Brachialität und quasi-kontemplativer Introvertiertheit auch weiterhin souverän zu halten vermag. Sämtliche Tracks des Albums zeichnen sich ungeachtet ihrer Wucht und relativen Massivität durch eine, im Laufe der Spielzeit jeweils zunehmende, irgendwie irrlichternde Zerfaserung aus, die ihnen ihre anfänglich vorherrschende Schwere nimmt; wollte man ein – zugegebenermaßen etwas schwülstiges – Bild bemühen, so ist der Effekt einer flatternden Fahne vergleichbar, die zu den Rändern hin immer mehr ausfranst und ihre stofflich gebundene Integrität peu à peu wieder an den Wind zurückgibt. Das Bild ist zwar wirklich arg schwülstig, passt aber irgendwie doch ganz hervorragend zum Anspruch des Albums, als "soundtrack of the undermining / absence of (illusionary) rationality" zu fungieren, denn wie wir ollen Nietzscheaner wissen, ist es das verdinglichende, apollinische Prinzip, das sich im Rationalismus bis zur Erstarrung verfestigt, um schließlich vom irrationalen Prinzip des Dionysischen wieder aufgebrochen und veflüchtigt zu werden.
Langer Rede kurzer Sinn: "The Scent Of Voluntarism" ist der rundum gelungene Nachfolger eines ziemlich gelungenen Debüts, welcher die Stellung von SALÒ SALON als einer frischen Größe im einschlägigen Genre, mit der man zu rechnen hat, verdientermaßen weiter etablieren dürfte. Das Album überzeugt durch Eigenständigkeit, Abwechslungsreichtum und packende Atmosphäre, lässt insgesamt keine Langeweile aufkommen und kann jedem bedenkenlos ans Herz gelegt werden werden, der Musik zu schätzen weiß, die Klischees souverän umschifft und neue, eigene Wege jenseits der hinlänglich ausgetrampelten, genretypischen Pfade geht. Gerüchten zufolge ist im Laufe des Jahres übrigens noch eine Version im Königsformat Vinyl geplant – das Album hätte es verdient.
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Zusammenfassung
Gelungener Nachfolger eines gelungenen Debüts, der den gesetzten Kurs konsequent fortführt, oberflächliche Martial-Anmutungen musikalisch raffiniert konterkariert und dabei einen bestrickenden, irgendwo zwischen Dark Ambient, Noise & Experimental changierenden Oldschool-Sound entfaltet.
Inhalt
01: Mind-Body-Problem (5:37)
02: Primat des Willens (4:14)
03: Kampf ums Dasein (6:17)
04: Decadenza (5:35)
05: Beyond Affirmation And Negation (3:58)
06: La Volonté Aveugle (5:43)
07: Alienated Vitalism (6:04)
08: Urnichtung (5:00)
09: Emptiness Is Form, Form Is Emptiness (2:18)
CD im Kartonumschlag + 2 Info-Karten, in Pappschachtel mit Siegel und Banderole, limitiert auf 100 Exemplare.