Endsal
ANEMONE TUBE: The Three Worlds (III)Vanity Of Allegory - Arupaloka oder Himmelreich als Falle
Genre: Post Industrial
Verlag: The... Vertrieb: The... Erscheinungsdatum: 23. Oktober 2017 Erstellt: 26.01.2018 Preis: ~13,00 € Kaufen bei: TESCO Germany Mit "Vanity Of Allegory", dem dritten Teil der Werkretrospektive von ANEMONE TUBE, wenden wir uns zweifellos dem Höhepunkt der Trilogie zu, wenigstens nach des Rezensenten unmaßgeblicher Meinung. Die mystisch-religiösen Hintergründe des Opus wurden ja bereits in den vorangegangenen Besprechungen in Umrissen erörtert, doch einleitend sowie der Vollständigkeit halber sei der fragliche Faden auch an dieser Stelle noch einmal beherzt aufgenommen. Die dritte der drei buddhistischen Welten heißt Arūpaloka: sie ist die Sphäre reiner Formlosigkeit und als solche, wenn man so will, nur noch einen minimalen Schritt weit vom endgültigen Erlöschen im Nirvana entfernt. Insofern aber selbst in ihr noch die grundlegende Spaltung von, wenn auch unendlich subtilen, individuierten Entitäten und dem Raum, in dem sie lokalisiert sind, aufrechterhalten bleibt, unterliegt auch sie dem Kreislauf der Wiedergeburten, birgt insofern die Gefahr der Anhaftung und damit einer abermaligen Regression in "niederere" Seinsformen für die in ihr existierenden Wesen: egal welchen Grad der Transzendenz eine individuierte Existenzform auch erreicht haben mag, sie unterliegt qua Individuation letztlich ebenso dem samsarischen Rad der Wiedergeburten und des Leidens wie die triebgesteuerten Lebewesen der "niedersten" Sphäre, Kāmaloka. Ganz in diesem Sinne heißt es im "Wake-Up Sermon" des sagenhaften Begründers der Zen-Linie des Buddhismus, Bodhidharma: "When a thought begins, you enter the three realms. When a thought ends, you leave the three realms. The beginning or end of the three realms, the existence or nonexistence of anything, depends on the mind." Und: "The eternal bliss of nirvana comes from the mind at rest. Rebirth in the three realms also comes from the mind." Selbst in Arūpaloka, der dritten Sphäre, ist der Geist also noch nicht zur Ruhe gekommen und verharrt im illusionären Reich der, wenn in diesem Fall auch überaus subtilen, erhabenen, Erscheinungen – die letztlich dennoch nichts anderes als seine eigenen Spiegelungen sind. So gesehen sind alle Allegorien, sind alle Bilder, so gesehen ist auch und gerade alles Sprechen, auch und gerade über die "letzten Dinge": eitel – und so erschließt sich möglicherweise die tiefere Bedeutung des Titels von Teil III der "Three Worlds": "Vanity Of Allegory" - Jedes Gleichnis ist letztendlich eitel. Um mit Wittgenstein zu sprechen: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." Dies wird im Frontcovermotiv, welches den, abermals standesgemäß vermummten, Künstler mit einem gerahmten Vanitas-Stilleben hinter einer offenkundig soeben erst erloschenen Kerze zeigt, sinnfällig illustriert wird: was könnte dieses, die Eitelkeit alles bildmächtigen Fabulierens endende, Schweigen, was das Erlöschen im Nirvana qua "mind at rest" besser zum Ausdruck bringen als eine erloschene Kerze, von der nur noch eine feine Rauchsäule aufsteigt, Zeugnis abzulegen vom Ende aller Differenz(ierung)en?
Wer im Lichte des bis an dieser Stelle Ausgeführten seine gesammelte Aufmerksamkeit nun dem musikalischen Material zuwendet, das im Rahmen von "Vanity Of Allegory" zusammengestellt wurde, der wittert möglicherweise einen leisen Widerspruch, denn sollte er mit betont kontemplativen Klängen gerechnet haben, so ist er, wie sich recht flugs zeigt, reichlich schief gewickelt: auch die finale CD der "The Three Worlds"-Trilogie wartet mit reichlich geharnischtem, in jedem Falle robustem, mal mehr, mal weniger finsterem, allerdings – verglichen mit den beiden vorangegangenen Teilen – durchaus vertrauterem Liedgut auf, will heißen: hier kommen wir jenem Sound wieder deutlich näher, den ANEMONE TUBE im Laufe der letzten Jahre kultiviert und etabliert hat – was freilich durch das geringere Alter vieler Tracks unschwer zu erklären ist. Der vermeintliche Widerspruch zwischen musikalischer Grundstimmung und thematischem Referenzobjekt indes ist lediglich ein vordergründiger, denn wie bereits ausgeführt, erweist sich auch Arūpaloka, die dritte der Drei Welten, ungeachtet ihres unendlich hohen Grades an Transzendenz, letztlich als ausgefuchste Falle, in die der sich selbst verzückt spiegelnde Geist tappt und dergestalt seinen endgültigen Ausgang aus dem ewigen Rad von Wiedergeburt und Leiden selbst sabotiert. Die eigentlich angemessene Stimmungsausleuchtung ist also auch und gerade in diesem vordergründig paradiesischen Himmelreich eine abgründig-desperate – zumindest, so lange der Geist schwelgend seinen eigenen Reflexionen anhaftet, weil er sein innerstes Wesen (und damit auch das der Welt) nicht durchschaut hat. Pointiert kommt dieser Umstand in einem der auf der Innenseite des Covers zitierten Bonmots zum Ausdruck, das einmal mehr vom historischen Buddha Shakyamuni höchstselbst stammt: "The world is afflicted by death and decay. But the wise do not grieve, having realized the nature of the world." nonpop/uploads/1_artikelbilder/rezensionen/musik/anemone_tube_-_three_worlds_iii_live.jpg" alt="" />
ANEMONE TUBE @ Madame Claude, Berlin, 16. Oktober 2017 - (c) Anemone Tube
Dementsprechend beginnt der bislang unveröffentlichte Opener "Obscure The Sun" von 2013 gleich ordentlich unheilschwanger und erzeugt mittels schnarriger, verhackstückter Gitarrensounds und diverser Noisepatterns eine erhabene, zünftig apokalyptische Stimmung. Die drei nun folgenden Stücke stammen von den "Death Over China"-Aufnahmesitzungen aus den Jahren 2007 und 2008, werden hier ebenfalls zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und unterscheiden sich durch ihre hohe Komplexität, emotionale Dichte und konzeptionelle Reife empfindlich von den, noch etwas unentschlossen tönenden, betont harschen Noisestücken aus den späten 1990er-Jahren, die auf "Allegory Of Vanity" und "Forget Heaven" zu hören waren. Insbesondere "Deathly Kingdom Of Desire" ist ein großartiger Noise-Dark-Ambient-Hybrid, wie man ihn so nur selten zu hören bekommt, strotzt vor Atmosphäre und walzt gemächlich, schwer und unaufhaltsam alles nieder, was in den Gehörgängen des Rezipienten Widerstand zu leisten trachtet. Verwaschenes, unverständliches Murmeln, amorphes Geschepper und ein tieftönender, flächiger Loop im Hintergrund vereinigen sich zu einem majestätisch-düsteren, abgründigen Sog, dem man sich kaum zu entziehen vermag: Definitiv einer der Höhepunkte des Albums. Das anschließende "The Sirens (Death Over China II)" ist ein absolut typisches ANEMONE TUBE-Stück im besten Sinne des Wortes: Feedbackgekreische, Noiseschleifen und verhaltene Beats ziehen den Hörer in ihren Bann, lediglich die eine Spur zu prominent in den Vordergrund gemischten Vocals wirkten auf den Autor ein klitzekleines bisschen prätentiös; hier wäre es der packend verdichteten Atmosphäre eventuell noch zuträglicher gewesen, sie weiter nach hinten zu verlagern, doch das mag man getrost unter kritikasterische Erbsenzählerei verbuchen – auch dieses ohne Zweifel ein grandioses Stück. Dass im Gegensatz dazu "Abstract Death", erstmalig 1998 auf der Compilation "Deafness Is Not A Gift" erschienen, wieder ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel hat, hört man recht schnell: auffällig ist der deutlich ausgeprägte Impetus in harsche Gefilde, und auch die Stimmung, die das Stück entfaltet, fällt roher, brutaler und destruktiver aus als bei den Vorgängertracks, denen durchweg ein subtil melancholischer Unterton eignet. Auch mit "Under The Mask Of Beauty", dem Conaisseur freilich schon von der, 2013 als Tape erschienenen EP "The Transfiguration Of The Image" bekannt, knarzt es ordentlich im Gebälk, doch eignet der Nummer mit anderthalb Minuten Laufzeit eher Zwischenspielcharakter. "Screen Test Intersection" und "State Of Preservation" schließlich datieren beide wieder von 1998, tummeln sich abermals auf der betont bratzigen Seite der musikalischen Spielwiese und kommen, wiewohl separiert erschienen, im Grunde wie aus einem Guss daher. Den Abschlusstrack bildet mit "From Anthropocentrism To Demonocentrism II" zu guter letzt nochmal eine rundum gelungene Noisenummer, die aus der Schaffensphase des Splits "This Dismal World" mit DISSECTING TABLE herrührt, auf welchem auch Version I zu finden ist: Anfangs rumpelig, schrill und amorph, im weiteren Verlauf jedoch von einer zunehmend packenderen, apokalyptischen und doch subtil kontemplativen Stimmung geprägt, die nicht zuletzt dem raffiniert konzipierten, schleichenden Übergang in den, schon fast sphärisch zu nennenden Ausklang geschuldet ist – ein phänomenaler Abschluss für den letzten Teil der "The Three Worlds"-Trilogie, auf den die unlängst bereits bemühte Devise beinahe noch mehr zutrifft: Das Beste kommt tatsächlich immer zum Schluss. Was Optik, Verpackung, Gestaltung etceterapepe betrifft, so gilt für "Vanity Of Allegory" selbstredend kein Jota weniger, was schon für "Allegory Of Vanity" und "Forget Heaven" galt: THE EPICUREAN und LA ESENCIA haben alles schick gemacht und geklotzt, nicht gekleckert: Qualitativ hochwertiger 6-Panel-Kartonschuber, in Schwarz-Weiß-Grau gehaltene, elegant anmutende Covergestaltung, insgesamt eine auch den anspruchsvollen Konsumenten in allen Punkten rundum zufriedenstellende Außenwirkung – kurzum: eine Augenweide und Zierde für jedes wohlsortierte CD-Regal. Insofern kann hinsichtlich des vorliegenden Albums denn auch wieder eine generalisierte Empfehlung für Novizen wie Eingeweihte in Sachen ANEMONE TUBE gleichermaßen ergehen: So lange wir, von Leid und Leidenschaft quer durch die Drei Welten gepeitschten, armen Tröpfe uns notgedrungen noch unter der Herrschaft des samsarischen Rades der Wiedergeburten tummeln, spornt eine Veröffentlichung wie "Vanity Of Allegory" an, nicht zu rasten noch zu ruhen, bis dass der bilderwütige, illusionsverliebte Geist endlich, endlich Ruhe gibt. – Fazit: Runde Sache, das!
Endsal für nonpop.de
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Zusammenfassung
Rundum gelungenes Finale der Trilogie, der ebenfalls grimmiger als in jüngerer Zeit üblich tönt, den Bogen jedoch wieder zu vertrauterem Sound schlägt, ohne indes vorhersehbar oder gefällig zu klingen. Klare Empfehlung für Novizen wie Eingeweihte in Sachen ANEMONE TUBE gleichermaßen.
Inhalt
01: Obscure The Sun (4:00)
02: Climate Controller (3:11) 03: Deathly Kingdom Of Desire (5:13) 04: The Sirens (Death Over China II) (7:26) 05: Abstract Death (4:35) 06: Under The Mask Of Beauty (1:26) 07: Sreen Test Intersection (2:20) 08: State Of Preservation (3:20) 09: From Anthropocentrism To Demonocentrism II (6:28) CD im 6-Panel-Kartonschuber; limitiert auf 300 Exemplare. |