V/A: "4th World: Afterworkpopsongsfor...

Die vorliegende Cassette steht in direkter Nachfolge jener ersten "4th World"-Compilation, die 2015 beim TESCO-affinen Label ZAETRAOM erschien und unter der thematischen Leitlinie "Vital Comments On Recent Conspiracy Practices" firmierte. Diesmal nimmt man unter dem Titel "Afterwork Pop Songs for Child Soldiers" das Thema Kindersoldaten in den Blick, das, so führt der kurze, an die "dear fellow slaves" adressierte Begrüßungstext im Booklet aus, keineswegs symptomatisch für die globale Gesellschaft ist, sondern vielmehr konstitutiv für deren hierarchischen Status quo: "Therefore child-soldiers are not a symptom of societies, they are an institution of stability to keep men away from standing up against their masters: Those who mourn this on Television, who bring foundations to life are the very responsible ones." Und so präsentiert sich das Album an der Oberfläche erst einmal als das, was der Titel expressis verbis verspricht: Ein Liederkränzlein für den Kindersoldaten nach Feierabend, wenn er, eine Kippe vom gerade massakrierten Gegner im Mund, ein wenig zur Ruhe kommt und über sein Tagwerk sinniert, freilich verbunden mit einem frommen Wunsch, der – und hier öffnet sich die Oberfläche – vom imaginierten Kindersoldaten subtil auf den ganz realen Rezipienten umgeleitet wird: "[L]isten carefully and after reapeating and rethinking it all several times, take up your arms again, maybe that time pointing with your gun barrel the right direction."

 – Botschaft angekommen?


Musikalisch haben wir es mit einem ausgesprochenen Schmankerl zu tun – und das kann an dieser Stelle schon insofern gar nicht genug betont werden, als der Rezensent zu Anfang durchaus einen leichten inneren Widerstand zu überwinden hatte, weil er zum einen dem Medium Cassette über die Jahre gänzlich abhold geworden ist und zum anderen es eigentlich ganz prinzipiell nicht so sehr mit Compilations hat. Dieser leichte Widerwille verwandelte sich jedoch recht flugs in helle Begeisterung, da ihm zum einen die haptischen und rezeptionstechnischen Freuden des Mediums wieder ins Gedächtnis zurückgerufen wurden, und es sich zum anderen um eine wirklich & wahrhaftig hochkarätige, maximal abwechslungsreiche Zusammenstellung verschiedenster Projekte aus dem PE-, Noise- und (Post-)Industrial-Bereich handelt. Kein Flachs: Hier kommt buchstäblich keine Minute Langeweile auf!



Stilistisch kann man das gebotene Programm in drei zentrale Blöcke differenzieren: Den umfangreichsten gibt freilich das PE-/Noise-Genre im engeren Sinne ab, vertreten durch DEATHPANEL, LINEKRAFT, PAIN NAIL, III, GRUNT und AM NOT. Mit den Beiträgen von GENEVIÉVE PASQUIER, FRED UND LUNA sowie DOGPOP liebäugelt man in Richtung Elektro/Cold Wave, während das mutmaßliche GREY WOLVES-Nebenprojekt SALFORD ELECTRONICS mit seinem delirierend-düsteren Ethno-Death-Ambient sowie DAVID E. WILLIAMS mit seiner schmissig-mitreißenden Adaption eines "classic folk song from the late 2Øtieth centurion" (dem Rezensenten allerdings unbekannt) unter die Rubrik "Vermischtes" fallen und jeweils ganz eigene Wege gehen. Da eine Detailbesprechung angesichts der Fülle des Materials eher ermüdend zu werden droht, seien lediglich die unstrittigen Höhepunkte dieses, an unstrittigen Höhepunkten durchaus nicht armen Sammelsuriums einer expliziten Kommentierung unterzogen.



Am bemerkenswertesten ist wohl der besagte "Elektro-Block", der ohne Ausnahme restlos zu begeistern weiß: ob das nun GENEVIÈVE PASQUIER mit der grrrroovigen Cold-Wave-Arschwackelnummer "Not Young Enough", die obskuren FRED UND LUNA (das Booklet gibt sich in Sachen Vorstellung tautologisch: "Fred und Luna are Luna and Fred" ...) mit dem hypnotischen, von komplexen Beatmustern getragenen "Plasma" oder DOGPOP mit ihrem beinahe hymnischen und gleichzeitig unterkühlt-sarkastischen "Heimat Lied" (sic!) sind - eine Nummer ist schmissiger und mitreißender als die andere, wobei insbesondere bei DOGPOP die gelungenen Lyrics ("Unsere Leben sind den Herr'n verschrieben / In Heer, Fabrik und im Büro / Weil sie uns leiten, müssen wir sie lieben / Und ihre Führung stimmt uns froh ...") lobende Erwähnung finden müssen. Aus dem zahlenmäßig umfangreichsten Segment stechen insbesondere PAIN NAIL mit dem treibend-wütenden, bemerkenswert vielschichtigen Percussion-Noise-Hybriden "Autuuden Virtaan", AM NOT mit der getragenen, von unterkühlt-pathetischen Vocals durchsetzten, harschen Downtemponummer "Young Brutalist und die weitgehend unbekannten DEATHPANEL hervor, die mit dem eiskalten, schmerzhaft die Gehörgänge durchpflügenden "Better Than Home" einen Track vorlegen, der im besten denkbaren Sinne an die soeben bereits erwähnten AM NOT erinnert. SALFORD ELECTRONICS und DAVID E. WILLIAMS zu guter letzt wissen schon alleine insofern maximale Unterhaltungswerte zu mobilisieren, als sie, gemessen am Gros des präsentierten Genrespektrums, vergleichsweise unkategorisierbar und abseitig daherkommen, dabei jedoch durch ihren jeweils ganz eigenen Charme zusätzlich punkten. Unnötig zu sagen, dass auch der Rest toll ist, um nicht zu sagen: Toll, toll, toll. Es ist jedenfalls kein einziger wirklicher Ausrutscher zu verzeichnen, der das durchgängig hohe Qualitätsniveau auch nur ansatzweise hinabzuziehen vermöchte – und das kommt bei Compilations selten genug vor. Eigentlich nie. Doch Ausnahmen bestätigen eben die Regel.
Alles in allem ist "4th World: Afterworkpopsongsforchildsoldiers" – so die korrekte Original-Schreibweise – nicht mehr und nicht weniger als eine uneingeschränkte Rundumempfehlung wert! Und das gilt, wie gesagt, für Form und Inhalt gleichermaßen, denn ebenso wie die Musik wissen auch Verpackung und Gesamtoptik zu überzeugen: Die Cassette wird von einer charmanten, mit farbenfroher Architektur nebst diskret implementierter Militärflugmaschinerie bedruckten O-Card umschlossen, dazu gibt es ein 24-seitiges Booklet auf die Augen, das Kommentare und Artwork von bzw. zu jedem einzelnen vertretenen Projekt enthält, zusammengehalten wird das Ganze schließlich durch eine DIN-A-5-Plastikhülle. Kurz gesagt: hier gibt's für kleines Geld ein Maximum an Gegenwert und das in jeder Hinsicht. Der bemerkenswerte Umstand, dass es zu dem guten Stück bislang keinen Downloadcode gibt, erhöht seinen Unikatfaktor freilich immens und könnte den einen oder anderen Rezipienten mittelfristig auf den exotischen Gedanken verfallen lassen, zum Behufe mobilen Genusses mal wieder den ollen Walkman von anno dunnemals aus den staubigen Kellerkatakomben auszubuddeln. Der Suchtfaktor dieser – Zitat Booklet – "fine and international blending of differently deranged electronic music styles" ist nämlich beträchtlich.

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