Michael We.
REUTOFF & SAL SOLARIS: EigengrauMächtige Schönheit aus Russland
Genre: Industrial
Verlag: Cyclic Law Erscheinungsdatum: Juni 2014 Medium: CD Preis: ~10,00 € Kaufen bei: Labelshop SAL SOLARIS - Ausschnitt
Zu REUTOFF und SAL SOLARIS muss man nicht mehr viel sagen – es handelt sich um zwei der wichtigsten und besten Projekte der großen russischen Industrial- und Dark Ambient-Szene. Dieses Split-Album beruht, so erklärt es der Labeltext, auf zwei Prinzipien der Psychoanalyse bei FREUD: dem Realitäts- und dem Lustprinzip. Also – frei übersetzt – der Erkenntnis, dass man sich auch nach den Anforderungen seiner Umgebung richten muss und dem gegenteiligen Antrieb, der puren Befriedigung eigener Bedürfnisse. Da die beiden Gruppen für mich schon immer zwei Stile verkörpert haben – SAL SOLARIS eher kühl und spacig, REUTOFF sehr viel organischer, menschlicher –, ist die Zuordnung nicht schwer. SAL SOLARIS stehen auf "Eigengrau" für die Realität, REUTOFF für die Lust, wobei der musikalische Unterschied jetzt nicht ganz so riesig ist. Was ich in diesem Zusammenhang nicht zuordnen kann, ist der Albumtitel: Als "Eigengrau" wird die Farbe bezeichnet, die das menschliche Auge in völliger Dunkelheit wahrnimmt; sie ist etwas heller als reines Schwarz. Vielleicht soll der Titel das 'In-Sich-Hinein-Hören' verdeutlichen, um zu erfahren, von welchen der beiden Prinzipien man getrieben wird ... Die ersten drei beziehungsweise vier Stücke stammen von SAL SOLARIS und gehören zu den besten, die ich bisher von dem Duo wahrgenommen habe. "Navigare Est Necess" (01) besteht zunächst aus einem scheuernden, metallenen Rhythmus – die schleifende Maschine, der kaputte Plattenarm in der Auslaufrille. Nach und nach mischen sich weitere, sehr kosmische Sounds hinein, erinnern auf eine mitreißende und hypnotisierende Weise an die 'Echtheit' von Musique Concrète, später auch an KRAFTWERK. Im zweiten Teil laufen mächtige Trommeln mit vereinzelten russischen Sprech-Vocals auf – mein neuer Lieblingstrack der Russen. Wir bleiben mit "Essay On Reality Of Science Studies" (02) unterwegs im Universum. Drones und quietschende, streicherähnliche Sounds bauen sich zu einem mächtigen, ehrwürdigen Vibrieren auf. Der typisch kratzige Hall von SAL SOLARIS taucht auf und sorgt für Wiedererkennbarkeit; überraschend dagegen sind die futuristischen gregorianischen Gesänge, knirschend und kratzend. In "Vivere Non Necesse Est" (03) klöppelt eine spacige Maultrommel, erzeugt brummende und tuckernde Sounds. Extrem fällt auf: ein überirdischer, rhythmischer Flow, der alle Stücke zusammenhält. Auch "Children Of The Dead" (04) – ein gemeinsamer Track mit REUTOFF, so wie auch das letzte REUTOFF-Lied zusammen mit SAL SOLARIS entstand – bleibt fast technoid, treibend jedenfalls, mit einem Didgeridoo aus Noise und Schrei-Samples in der Mitte. Harsch, trocken, knirschend und sehr, sehr rhythmisch. REUTOFF passen sich dieser Stimmung mit "No=Never" (05) zunächst an, bohrend und sägend. Dazu erklingen aber schon früh sehr ruhige und melodisch weiche Töne, die sich tatsächlich zu einer Gesamtmelodie fügen, überlagert aber von industriellen Geräuschen. Sehr typischer REUTOFF-Ambient, einsam und melancholisch, dieses Mal aber auch sehr rhythmisch. "Bury The Loved And Burn The Others" wirkt dann noch analoger, voll von sakraler Traurigkeit. Auch dieses Stück wird im Verlauf sehr mächtig, mit verzweifelten Schreien und dichten, peitschenden Drums zur Synthiemelodie. Einige Überraschungen bietet "Stolen Eyes" (07), mit seinem langen, experimentellen Vorspiel, dann getragen von militärischen Trommeln, immer wieder mit Pausen. Ein An- und Abschwellen, auch hier mit diversen Vocalsamples, im letzten Drittel als noisiges, verzerrtes Grollen. "Na Orbite", das letzte (08) und wiederum gemeinsame Stück, bleibt lange Zeit purer Rhythmus, aus Zischen und Klopfen, dazu kommt als Fläche eine schwelgerische Melodie im Mittelteil, gespielt von Trance Techno-Synthesizern. Meines Wissens gab es zwar einige gemeinsame Konzertauftritte, aber – neben einer mp3-Splitsingle – noch kein gemeinsames Werk. Höchste Zeit! Dass uns durchgängig hohe Qualität erwartet, ist bei REUTOFF und SAL SOLARIS ohnehin klar. Aber auf welchem Niveau die acht neuen Songs zwischen je sechs und 15 Minuten Länge ihre donnernde Schönheit abladen, hat mich dann doch erstaunt. Zwischen Minimal Techno, Industrial, Ambient und Noise beweisen beide vor allem ein Gespür für betörende Rhythmen. Eine Empfehlung, selbstverständlich, dazu noch mit schönem Prägecover und vier kleinen Postern. REUTOFF - Ausschnitt
Michael We. für nonpop.de
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Zusammenfassung
Dass uns durchgängig hohe Qualität erwartet, ist bei den Russen ohnehin klar. Aber auf welchem Niveau die acht Songs ihre donnernde Schönheit abladen, hat mich dann doch erstaunt. Zwischen Minimal Techno, Industrial, Ambient und Noise beweisen beide vor allem ein Gespür für betörende Rhythmen.
Inhalt
SAL SOLARIS
01. Navigare Est Necess (9:56) 02. Essay On Reality Of Science Studies (6:41) 03. Vivere Non Necesse Est (9:10) 04. (& REUTOFF) Children Of The Dead (7:32) REUTOFF 05. No=Never (8:58) 06. Bury The Loved And Burn The Others (8:14) 07. Stolen Eyes (14:31) 08. (& SAL SOLARIS) Na Orbite (9:18) ~ 1 h 15 min. |