Zwei wertige Wiederveröffentlichungen auf
STAUBGOLD; das inzwischen in Frankreich beheimatete Label macht sich mehr und mehr einen Namen für das Ausgraben und Renovieren alter Schätze ... (
=> Hier findet Ihr ein kurzes Interview mit dem Labelbetreiber, MARKUS DETMER.)
FAMILY FODDER: Monkey Banana KitchenSTAUBGOLD, 31. Januar 2014, CD / LP / DLGäbe es auf
NONPOP die Kategorie 'Meine liebste Wiederveröffentlichung' –
FAMILY FODDER hätte glatt den ersten Platz belegt. "Monkey Banana Kitchen" ist wirklich umwerfend, sprühend wie eine nicht enden wollende Feuerwerksrakete. Multitalent ALIG FODDER (auch ALIG PEARCE oder, im richtigen Leben, JOHN PEARCE) gründete das Kollektiv 1979. Dabei gibt es einige Parallelen zu den ebenfalls auf
STAUBGOLD erschienenen und hier schon vorgestellten THE 49 AMERICANS (
Besprechung). Entstanden in London ungefähr zur selben Zeit, waren beide Gruppen eher ein Experimentierfeld für zahllose Künstler denn eine feste Band. Im Fall von FAMILY FODDER gehörten Mitglieder von
THIS HEAT,
THE FLYING LIZARDS oder
THE SLITS dazu. Außerdem erscheinen sowohl die 'AMERICANs' als auch die 'FODDERs' in der "100 Records That Set The World On Fire (While No One Was Listening)"-Liste von
THE WIRE, ein untrügliches Zeichen für Qualität. In den 80ern zunächst aufgelöst, später aber wieder ins Leben gerufen und bis heute aktiv, versammelt "Monkey Banana Kitchen" frühe Aufnahmen der Gruppe von 1979 bis 1983. Die CD-Version mit 80 Minuten Laufzeit beinhaltet dabei den meisten Stoff: Das komplette erste Album gleichen Namens, die EP "Schizophrenia Party" und die Singles "Film Music" und "The Big Dig".
Der A capella-Song zum Auftakt ist ebenso überraschend wie viele weitere Stücke des Albums, der vielfältige Chor erinnert mich irgendwie an "Aquarius" aus dem Musical "Hair". Es folgt eine energetische Mischung aus Punk, Wave, Folkrock und Reggae mit improvisiert wirkenden Zwischenparts. "Savoir Faire" liefert dann Synthierock mit Girliestimme, brummigem Bassspiel und einem textlixch französischen Zwischenteil. Allein diese ersten drei Tracks zeigen, wie viel Power, Spaß und Ideen in "Monkey Banana Kitchen" stecken, zwischen XTC, QUEEN und THEY MIGHT BE GIANTS ist alles dabei. Jedes Lied gleicht einer Entdeckungsreise, die meisten sind dennoch unglaublich eingängig, was zum Beispiel die
Gesangslinien angeht. Sämtliche Stimmen bewegen sich auf sehr hohem Niveau, begleitet von tausenden Instrumenten. Meine Favoriten: das schräge, verwunschene "Organ Grinder" mit Geige, Glöckchen und deutschen (!) Lyrics, Psych-Rock der 70er. Und "Bass Adds Bass", sehr dub-like mit Ähnlichkeiten zu frühen Stücken von POLICE, auch vom Gesang her. Hintenraus wird die Zusammenstellung durchweg poppiger und weniger experimentell, bietet kurz vor Schluss mit dem spacigen, krachigen "The Big Dig" noch einen weiteren Hit!
Wie schon eingangs erwähnt: Dieses XXL-Album ist eine Perle, und für diese Erkenntnis ist kein Funken Retro-Romantik nötig. Intelligenz, Witz, Energie, tausend Genres und Instrumente sowie eine gewisse Portion an Ausgeflipptheit sorgen auch 33 Jahre nach Erscheinen der Original-LP für zeitunabhängigen Hörspaß.
Parallel zu "Monkey Banana Kitchen" erscheint übrigens von FAMILY FODDER auch die LP "Schizophrenia Party" auf STAUBGOLD, welche die gleichnamige EP und die beiden Singles vereint.MIXED BAND PHILANTHROPIST: The Impossible HumaneSTAUBGOLD, 14. März 2014, LP (lim. 400) / DownloadDer Opener der Neuauflage...Die beiden Brüder RICHARD und PHILIP RUPENUS aus Nordengland gründeten Anfang der 1980er-Jahre
THE NEW BLOCKADERS. Das Duo gilt als Pionier der modernen Noise-Musik und ist bis heute aktiv. Es versteht sich als Widerspruch zum üblichen Kunstbegriff und versucht, so weit wie möglich von handelsüblicher Musik wegzukommen. Hauptsächlich durch die mal mehr, mal weniger brutale Verwendung von Alltagsgegenständen und -geräuschen. MIXED BAND PHILANTHROPIST war Mitte der 80er ein Seitenprojekt von RICHARD (unter anderem zusammen mit ALLAN ZANE). Das einzige Vollzeitalbum "The Impossible Humane" entstand zwischen 1984 und 1986 und erschien – ein Jahr später (1987) – auf dem namhaften Label
SELEKTION. Wie die frühen Werke von THE NEW BLOCKADERS auch, ist es heute nicht mehr aufzufinden. Und so hat
STAUBGOLD dankenswerterweise die Wiederveröffentlichung in die Wege geleitet und auf die LP noch zwei weitere Tracks (die einzigen, die außerhalb der LP noch erschienen sind, soweit ich weiß) dazugepackt.
Besonders spannend an diesen Stücken, zumindest an den beiden längeren der Original-LP ist, dass die verwendeten Sounds exklusiv von Industrial- und Noise-Größen beigesteuert wurden, wie zum Beispiel
NURSE WITH WOUND,
ÉTANT DONNÉS,
P16.D4,
ASMUS TIETCHENS,
CONTROLLED BLEEDING,
MERZBOW und anderen. Der 'Menschenfreund' aus dem Bandnamen kann nur so gemeint sein, dass viele der Originalquellen von Menschen stammen. Das Ergebnis ist nämlich alles andere als freundlich, wenn auch nicht so brutal und verstörend wie der Output von THE NEW BLOCKADERS. Per Definition handelt es sich überwiegend um Musique Concrète: Stimmen, Kinderlachen, Scratchen, Loops aus Geräuschen, Atmen oder Weinen. Daneben allerdings auch minimale Ausschnitte aus Pophits der 60er, 70er und 80er (wenn ich das richtig identifiziere) und Zeichentrickfilmen. In den beiden längeren Stücken bleiben aber auch Flächen aus Rauschen, Flirren und Knurren stehen, die dann an Dark Ambient und Noise erinnern.
Selbstverständlich ergibt sich bei dieser Masse an Sounds der klassische Vergleich mit der Frequenzsuche am Radio. Allerdings wirkt die wilde Mischung nie gestückelt, sondern immer wie ein Gesamtmix, der eine Geschichte erzählt. "The Impossible Humane" erinnert mich deshalb auch an Collagen von
COLUMN ONE, bei denen ich ähnliche Eindrücke habe. Immer noch verstörend und eine Kriegserklärung an standardisierte Hörgewohnheiten.