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Endsal

LOCRIAN: Return To Annihilation

Schluss. Aus. Ende. - Schmissige Hymnen an die Entropie


LOCRIAN: Return To Annihilation
Genre: Post-Black Metal/Prog-Rock
Verlag: Relapse Records
Vertrieb: Relapse...
Erscheinungsdatum:
25. Juni 2013
Medium: CD / 2xLP
Preis: ~22,00 €
Kaufen bei: Bis aufs Messer


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"Return To Annihilation" ist das sechste offizielle Studioalbum von LOCRIAN und fasst die verschiedenen stilistischen, auf den vorangegangenen Veröffentlichungen durchexerzierten Facetten der in Chicago/Illinois gegründeten Band zu einem stimmigen Konzeptwerk zusammen, dessen Thema bereits in Albumtitel und -artwork unmissverständlich zum Ausdruck kommt: Das Cover zeigt einen herrenlosen Einkaufswagen auf einem ansonsten leeren, von Flutlichtern beleuchteten Parkplatz, dessen Grenzen sich, dem Auge nicht mehr sichtbar, im Nebel verlieren: letztes Zeugnis jener substanz- und konturlosen Welt des Konsums, in welcher sich der postmoderne Mensch ebenso ängstlich wie bequem eingerichtet hat, um sich – freilich vergebens – vor der essentiellen Nichtigkeit, Hinfälligkeit und Leere seiner Existenz zu schützen.

Christlich gesprochen kommt der Mensch bekanntlich vom Staub und kehrt zum Staube zurück. Insofern der Staub in diesem Bild nur als letzte, materiell gerade noch greifbare Vorstufe jenes vollkommenen Nichts fungiert, das am Ende jeder existenziellen Selbsterforschung – die ihrem innersten Wesen nach immer nihilistische Züge trägt – steht, kann "Return To Annihilation" als Soundtrack zu deren letzter, entscheidender Phase verstanden werden: Die Masken fallen, der Schleier vor den Dingen, oder besser: Der Schleier, der die Dinge selber sind, hebt sich und gibt den Blick frei auf das innerste Wesen, die Substanz jener glitzernden, verführerisch schimmernden Welt der Vielfalt. Am Ziel seiner Mühen gähnt dem Suchenden das Nichts entgegen, eine absolute Leere, die keinen Raum mehr zum Ausweichen oder Ablenken lässt. Der Begriff Annihilation bezeichnet im Englischen sowohl eine ganz bodenständig-hemdsärmelige, nämlich physisch-gewaltsame Vernichtung, als auch eine solche in deutlich abstrakterem, nachgerade dialektischem Sinne, will heißen: im Sinne einer kontinuierlichen Aufhebung von Differenzen und Differenzierungen, deren Finale ebenfalls im Nichts endet. Will man den interpretatorischen Furor noch etwas weiter treiben, so mag man das Album, physikalisch gesprochen, gar als musikalische Variation auf den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, sozusagen als Soundtrack zum Entropiegesetz sowie den damit verbundenen "Wärmetod des Universums" deuten, denn auch auf dieser Ebene der Betrachtung vollzieht sich nichts anderes als eben dies: Return To Annihilation. Egal, aus welcher Perspektive man es betrachten mag – die entscheidenden thematischen Schlüsselbegriffe des Albums lauten überall und jederzeit: Apokalypse. Schluss. Aus. Ende. – Das ist die eine Seite der Medaille.

Die andere Seite ist die musikalische, und die erscheint mir – im Unterschied zu manchem Zunftkollegen – weit weniger apokalyptisch, als man es nach den obigen, einleitenden Worten erwarten würde – wenigstens dann, wenn man es gewohnt ist, apokalyptische Umtriebigkeit mit finsterem Ingrimm gleichzusetzen. Sicherlich, der sich durch das Album ziehende Grundton ist zweifelsohne gedämpft und in Teilen durchaus düster, doch wird dieser Umstand durch die, ich möchte sagen postrockige Hymnenhaftigkeit, die allenthalben zelebriert wird, nachhaltig abgefedert. Darüber hinaus sei an dieser Stelle übrigens mit aller zu Gebote stehender Verve gegen die Einschätzung zu Felde gezogen, "Return To Annihilation" sei irgendwie ganz besonders unzugänglich und experimentell, wie das hier und dort bereits behauptet wurde. Das schiere Gegenteil ist der Fall, denn gerade im Vergleich zu den Vorgängeralben muss das aktuelle Werk als bis dato zugänglichster und schmissigster Output der Herren FOISY, HANNUM und HESS gelten. Dies ist freilich nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass insbesondere die sperrigen Noisepassagen, die so charakteristisch für LOCRIAN waren, deutlich in den Hintergrund gerückt sind. Stattdessen präsentiert man sich, wie gesagt, postrockiger denn jemals zuvor, auch der, früher einigermaßen raumgreifende Black Metal-Anteil wurde spürbar zurückgefahren und reduziert sich im Grunde genommen auf den – ohnehin ziemlich spärlichen und größtenteils in den Hintergrund gemischten – genretypisch verwaschenen Kreischgesang. Will man den Sound von "Return To Annihilation" auf einen einigermaßen prägnanten Begriff bringen, so könnte man ihn als ruppiges Postrock-Doom-Drone-Konglomerat mit black-metalesken und – dies vor allem! – prog- bis krautrockigen Einsprengseln bezeichnen. Die Begeisterung für "the kosmiche music of Tangerine Dream, Klaus Schulze and Cluster", die LOCRIANs Terence HANNUM im Interview mit Delayed Graffitification äußert, hört man einigen Stücken jedenfalls deutlich an: Man vergleiche in diesem Sinne "Two Moons" und insbesondere "Digression Of Air", den zweiten Teil des epischen Abschlusstracks "Obsolete Elegies", der durch schnarrige Synthiedrones in allerbester KLAUS SCHULZE-Manier besticht.

Überhaupt ist die Scheibe gespickt mit Zitaten, Verweisen und Anspielungen auf eigene und fremde Werke. Immer wieder fühlt sich der Hörer an EARTH oder BARN OWL, hin und wieder an SUNN O))), da und dort sogar an SONIC YOUTH erinnert; zu guter letzt knüpft "Obsolete Elegies" nicht nur mit der Titelgebung, sondern mit dem gesamten musikalischen Thema an zwei Tracks – "Obsolete Elegy In Effluvia And Dross" und "Obsolete Elegy In Cast Concrete" – des ersten Studioalbums "Drenched Lands" von 2009 an. So schließt sich in jeder Hinsicht der Kreis und überhaupt wird man den Eindruck nicht los, als fügten sich sämtliche Teilaspekte, die die Musik der Band zwischen Noise und Elektronik, Doom, Drone, Post und Black Metal im Laufe der vergangenen Jahre bestimmten und formten, zu einem großen Ganzen zusammen und höben sämtliche internen Dissonanzen in einer großen, harmonischen Synthese auf. "Return To Annihilation" kommt als ausgereiftes Meisterwerk einer Band daher, die ihre Selbstfindung abgeschlossen und einen eigenen, souveränen Stil entwickelt hat: Man präsentiert dem Hörer einen musikalischen Rundumschlag, der sämtliche Vorgängeralben an Kohärenz übertrifft und eine interne Stimmigkeit aufweist, die das Album ebenso packend wie eingängig macht, ohne dabei ins Konventionelle und Gefällige zu kippen.

Ein zentrales Leitmotiv des Albums ist die Figur des Kreislaufs: Dies deutet sich im Titel bereits an, insofern im Begriff der Rückkehr die Idee des Kreises ja immer schon mitschwingt, und wird mit dem Opener "Eternal Return" noch einmal bekräftigt. Der Rezensent fühlt sich hier an NIETZSCHEs Gedanken von der Ewigen Wiederkehr erinnert, welcher nur einen Katzensprung von jenem Konzept von der Selbstaufhebung der Wahrheit entfernt ist, das er in seiner Spätphilosophie entwickelt hat: Das Streben nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit, das allem empirischen Forschen – und damit der Welt, wie wir sie kennen – zugrunde liegt, entlarvt in einem letzten Akt der Selbstdurchdringung sein Objekt als gegenstandslos und hebt sich damit selber auf. Ganz in diesem Sinne erweist sich der Albumtitel als programmatisch: Aus der Ununterscheidbarkeit des Nichts hebt sich der Kreisbogen der Entwicklung empor, um seine Bahn zu ziehen und schließlich wieder in dieses Nichts zurückzusinken – dort, unsichtbar für uns, schließen sich seine Enden wieder zusammen. (Nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser Überlegungen scheint mir übrigens auch die Symbolik des Covermotivs einigermaßen offensichtlich.) Geht es jedoch nach LOCRIAN, so hat man sich die Grundstimmung des fraglichen Prozesses eher harmonisch und hymnisch, in Teilen gar pathetisch – ohne dabei kitschig zu klingen –, als dissonant und/oder morbide vorzustellen.

Die Apokalypse hat viele Gesichter: LOCRIAN präsentieren ihr abgeklärt-feierliches in Form eines komplexen Doom-Drone-Postrock-Opus, das die gesamte Bandbreite an musikalischen Ausdrucksformen Revue passieren lässt, die die Band in den letzten Jahren kultiviert hat, und lassen dieses in einen grandiosen Abgesang auf eine entsinkende, sich auflösende Welt kulminieren. Die scharfen Ecken, schrundigen Kanten, harschen Dissonanzen und sonstigen Ungemütlichkeiten, die man von vorangegangenen Alben kennt, sind auf "Return To Annihilation" abgerundet und zurückgefahren, ohne das Album deshalb gefällig oder gar konventionell klingen zu lassen. – Nicht zuletzt dieser Umstand macht es zu einem idealen Einstieg für all diejenigen, die mit der Musik von LOCRIAN noch nicht vertraut sind. Und diese Bildungslücke – so vorhanden – gilt es unter allen Umständen zu schließen.

 
Endsal für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» LOCRIAN-Homepage
» LOCRIAN @ bandcamp
» LOCRIAN @ facebook
» LOCRIAN @ relapse
» LOCRIAN @ bigcartel
» LOCRIAN-Interview (2013) @ Delayed_Graffitification
» LOCRIAN-Mini-Interview (2013) @ Metalnews

Themenbezogene Artikel:
» LOCRIAN / CHRISTOPH HEEMANN: S/T


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Zusammenfassung
Ausgereiftes Konzeptalbum, dessen Titel Programm ist: Hier wird das ultimative Ende besungen, dies jedoch überaus energetisch, schmissig & mitreißend. Der Sound präsentiert sich glatter & eingängiger als früher, ohne dabei konventionell oder gefällig zu klingen. Idealer Einstieg für LOCRIAN-Novizen!

Inhalt
A1: Eternal Return (2:51)
A2: A Visitation From The Wrath Of Heaven (8:25)
B1: Two Moons (4:26)
B2: Return To Annihilation (6:45)
B2.a: Into One Light
B2.b: Anathemata
B2.c: All Mineral In Upheaval
C1: Exiting The Hall Of Vapor And Light (5:15)
C2: Panorama Of Mirrors (6:38)
D1: Obsolete Elegies (15:30)
D1.a: Isostasy
D1.b: Digression Of Air
D1.c: Hydriotaphia
D1.d: In Felsic Splendor

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