Im Jahre 1994 erschien mit „Musica Reservata“ das Debüt des italienischen Musikerkollektivs CAMERATA MEDIOLANENSE – mitten in der Blütezeit des Neofolks, in der Bands wie SOL INVICTUS oder CURRENT 93 ihre genreprägenden Alben veröffentlichten. Zwar erklingt bei CM durchweg keine für diesen Musikstil obligatorische Gitarre, aber dafür steht kaum eine andere Band derart konsequent für Stil, Inhalt und Gestus des Neofolks wie eben CAMERATA MEDIOLANENSE. Waren die Trommeln bei den Neofolkbands allenfalls dezente Ansätze von Military-Drumming, so haben CM das Schlagwerk perfektioniert – gerade ihre Liveauftritte waren und sind furiose Feuertaufen, bei denen das Publikum geradezu ekstatisch von Pauken und Drums vereinnahmt wird – zu den martialischen Trommeln gesellt sich der hymnische Gesang, der wechselnd von TRECOR, DANIELA BEDESKI oder LUMINCITA übernommen wird. Mit ihrem kulturellen Bekenntnis zu ihrer Heimatregion und zur Geschichte Europas verstanden sie es auch inhaltlich, die Anhänger des Neofolks für sich zu werben. Nur zwei Jahre nach dem Debüt erschien mit „Campo Di Marte“ ein Nachfolger, der die Band innerhalb kürzester Zeit in die erste Reihe der Szene katapultierte: Mit einer besseren Produktion, ordentlich Hall und einer faszinierenden Mischung aus kriegerischer Ästhetik und romantischer Melancholie entstand ein Meilenstein, an dem sich jede Band, die den Einsatz von Trommeln in den Vordergrund stellte, fortan messen lassen musste. Doch dann wurde es veröffentlichungstechnisch lange Zeit still um die Italiener – sieht man von einer EP und einer Mini-CD einmal ab – sodass mancher die Band schon als aufgelöst erahnt hätte, wenn sie nicht immer wieder mit Konzertauftritten in Erscheinung getreten wäre. Auch die im Jahr 2010 erschienene Live-CD erweckte den Eindruck, dass wenig Neues von dieser Band zu erwarten ist und primär das beeindruckende, aber an Anzahl überschaubare musikalische Erbe verwaltet wird. Umso größer war die Überraschung, als das deutsche Label PROPHECY für Mai 2013 ein neues Album der Italiener ankündigte, das neben neuem Material auch in einer exklusiven und hochwertigen Edition mit Bildern des Malers SATURNO BUTTÒ erscheinen sollte. Ein großes und ambitioniertes Werk wurde versprochen und nun endlich liegt zumindest schon der musikalische Teil dieses Gesamtwerks vor. Eröffnet wird das Album mit „Voi Ch'ascoltate“ und bereits nach wenigen Sekunden stellt sich das erhabene Gefühl beim Hören ein, das der Hörer von „Campo Di Marte“ kennt, dass einen hier tatsächlich ein großer Wurf erwartet. Bereits dieses erste Stück entschädigt für die Wartezeit von rund 15 Jahren ... Das folgende „Dolci Iri“ setzt diesen Weg fort; theatralisch und hymnisch, zwischen Klassik und Mysterienspiel bieten hier CAMERATA MEDIOLANENSE ihr Können in altbewährter Form und Tradition. „Canzone All' Italia“ ist ein Stück, das von TREVORs Stimme und seiner Snare dominiert wird und das bereits seit der Jahrtausendwende live von der Band gespielt wurde – dies mag einen Eindruck davon vermitteln, wie lange die Band bereits dieses Projekt in sich trägt. Zur Mitte der CD wird die Musik dann zunehmend elektronisch, was man durchaus mit gemischten Gefühlen betrachten kann. Zwar bereichert die Elektronik das Klangspektrum und ist auch eine konsequente Fortsetzung des bereits mit der Mini-CD „Madrigali“ beschrittenen Pfades, mir persönlich jedoch liegen die klassisch instrumentierten Stücke mehr als die elektronischen Rhythmen von Stücken wie „Tremo Et Taccio“, die mitunter ein wenig an die tanzbaren Beats von QNTAL zu Frühzeiten erinnern. Mit „Vergina Bella“ wartet das Album dann aber mit einem weiteren Glanzlicht der Bandgeschichte auf; dieses Stück ist ohne Frage eine der schönsten Balladen, die CAMERATA jemals aufgenommen haben. Die fragile Instrumentierung mit Harfe und Geige wird von wunderschönem Gesang unterstrichen und auch von keiner Trommel unterbrochen – ein wunderbares Stück Musik! „O Mia Stella“ hat einen Rhythmus, den man durchaus als beschwingt bezeichnen kann und der Parallelen zu IANVA und Ain Soph erkennen lässt, auch wenn man anhand des Alters der Bands schnell erkennen kann, wer hier wen beeinflusst haben mag. Danach geht es mit Gesang aus Kindermund dann auch schon dem Ende entgegen und nach 52 Minuten weiß der Hörer, das sich die Wartezeit gelohnt hat ... Thematisch sei noch gesagt, das sich „Honore, Vertute, Bellezza“ mit dem Werk des italienischen Dichters PETRARCA beschäftigt, einem der großen Geister der europäischen Kulturgeschichte, der zu einer Tradition gehört, der sich auch ELENA PREVIDI und ihre Mitmusiker zugehörig fühlen. Mehr über PETRARCA und SATURNI BUTTÒ, wird ELENA PREVIDI im bald folgenden Interview an dieser Stelle erzählen, sodass die thematischen Referenzpunkte in dieser Rezension nur kurz angeschnitten seien. Mit diesem Album ist CAMERATA MEDIOLANENSE ein überraschendes und fulminantes Comeback gelungen – zwar bleibt für mich „Campo Di Marte“ nach wie vor das beste Album der Band, aber dennoch ist „Vertute, Honor, Bellezza“ ein gutes bis sehr gutes Album geworden. Zwar mag der elektronische Anteil die Hörer ein wenig spalten, aber es gibt genug konservative Anteile in der Musik, welche die Puristen unter den CM-Hörern versöhnen. Beeindruckend ist und bleibt bei CAMERATA ihre Prinzipientreue und ihre Vision – wer solange nichts veröffentlicht und sich dennoch musikalisch und inhaltlich dermaßen treu bleibt, dem nimmt man ab, das es hier um mehr geht als um das reine Produzieren von Musik. Man kann nur hoffen, dass man nun nicht wieder fünfzehn Jahre auf ein neues Album der Italiener warten muss.
Thomas L. für nonpop.de
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Zusammenfassung
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Inhalt
1. Voi Ch'ascoltate
2. Dolci Ire 3. Canzone All'italia 4. 99 Altri Perfecti 5. Fragmentum Xxxv 6. Solo Et Pensoso 7. Tremo Et Taccio 8. Vago Augelletto 9. Vergine Bella 10. Lo Gran Desire 11. O Mia Stella 12. Quest'anima Gentil |