Im ersten Augustdrittel veröffentlichen DEAD CAN DANCE ihr neues Album "Anastasis". Wohl kaum ein Longplayer hat in den vergangenen Jahren so viele Erwartungen geschürt und ist schon im Voraus mit so vielen Lorbeeren überschüttet worden wie dieser. Hat doch die 1981 in Australien – damals als Quartett – gegründete Band die Fans diverser Genres geeint in dem Urteil, etwas Außergewöhnlichem beizuwohnen. Post Punk, Barock, Weltmusik, Neoklassik, Neofolk, Mittelalter – all das brachten die beiden Protagonisten LISA GERRARD und BRENDAN PERRY zusammen. 1998, acht Jahre nach dem – auch kommerziellen – Höhepunkt "Aion", trennten sich GERRARD und PERRY aufgrund musikalischer Differenzen, wie die Sängerin Jahre später in mehreren Interviews erklärte.
Einige gemeinsame Konzerte im Jahr 2005 waren wegen der lieblosen Darbietung unter Fans höchst umstritten und standen in dem Ruf, lediglich für die Bandkasse gedacht gewesen zu sein. Es dauerte weitere sechs Jahre, bis BRENDAN PERRY 2011 schließlich völlig überraschend ein neues DCD-Album ankündigte.
Um einen ersten Höreindruck gleich in Worte zu fassen: Poppig, weich und wenig historisch sind die acht Songs in 56 Minuten auf "Anastasis". Vor allem die erste Hälfte enttäuscht, was aber zum Teil auch an den übergroßen Erwartungen liegen kann. "Children Of The Sun" (01) beginnt sehr luftig und leicht süßlich, mit Synthieflächen und Streichern. Auch trompetende Stöße von Blechbläsern sind zu vernehmen. Mit dem einsetzenden Gesang von BRENDAN PERRY ist die erste Hürde genommen: eindringlich und klar, immer mit diesem speziellen antiken Timbre. Trotzdem ist der Gesamteindruck überwiegend esoterisch, was auch am Text liegen mag: "We are the children of the sun, there's room for everyone." Der Refrain findet im Duett statt, wobei die Frauenstimme kaum zu hören ist. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier die erfolgreiche Idee anderer Popgrößen kopiert wurde, mit einem Sinfonieorchester zusammenzuspielen. Auf Dauer sehr gleichförmig und sehr weltmusikalisch, im zweiten Teil dann stärker mit mehr Stimme und weniger Instrumentierung. Der Einstieg von "Anabasis" (02) tönt ebenfalls sehr orientalisch, was sowohl die Percussion als auch das Zupfinstrument angeht. Für den 'weichen' Eindruck sorgt eine verwehte "hm-haaaaa"-Chorbegleitung, und LISA GERRARD singt anschließend, als hätte sie türkische Wurzeln. "Agape" (03) schließt sich nahtlos an, wirkt wie ein südostasiatischer Muezzin-Beitrag für den Grand Prix Eurovision, nur mit kurzen Phasen von Silbengesang und in der Abfolge des Songs erneut recht eintönig. "Amnesia" (04) – die Singleauskopplung – bleibt langsam und weich, ist aber bisher am interessantesten. Sparsam instrumentiert mit einem fortwährend tickenden Beat und leiser Percussion, dazu an einigen Stellen noch eine Pianolinie, ohne Ethno und mit vielschichtigem Gesang von BRENDAN PERRY. Allerdings taucht auch hier in den Zwischenteilen wieder das Sinfonieorchester auf. Erinnert mich am ehesten an einige alte 'Hits' von DCD und macht weniger einen gleichförmigen, mehr einen hypnotischen Eindruck. Weiter geht es allerdings erneut orientalisch ("Kiko", 05), mit langen Instrumentalstrecken und dem typischen GERRARD-Gesang, aber selbst der kann diesen Achtminüter nicht nach vorne bringen, auch eine lange Blende von 30 Sekunden am Ende verursacht nicht gerade Euphorie. "Opium" (06) ist wieder ein stärkeres PERRY-Stück nur mit Percussion, nein, dann setzen doch Streicher ein, aber zusammen mit "Amnesia" und dem folgenden "Return Of The She-King" einer der besten Songs, ohne Firlefanz, ein rhythmisches und mitreißendes Schlagwerk und die starke Stimme, die auf diesem Album der von GERRARD eindeutig den Rang abläuft. Das angesprochene "Return Of The She-King" (07) lehnt sich an "Aion" an, wirkt mittelalterlich mit seinen ruhenden Trommeln und dem feenhaftem Chorgesang. LISA GERRARD wird gedoppelt, und auch hier gilt: Weniger ist Mehr, der Gesang bleibt fast a capella und ist hervorragend, würden nur diese blöden Streicher nicht doch immer wieder hineinschnulzen. PERRY übernimmt im zweiten Teil die Führung, womit endgültig Erinnerungen an die früheren DCD wach werden: ein tolles Gesangsduo, welches Stimmung mit wenigen Mitteln erzeugen kann. Auch der letzte Song ("All In Good Time", 08) folgt diesem alten Pfad; nur dezente Synthiecluster und der wirklich großartige, teilweise allein stehende Gesang von PERRY, ein würdiger Abschluss. Nicht ohne dramatische, synthetische Zwischenspiele. Ich lehne mich aus dem Fenster: Wären dies nicht DEAD CAN DANCE, würde das Album nur wenig Aufmerksamkeit bekommen. Die ersten drei Tracks sind erschreckend klebrig und ziemlich penetrant 'ethno'. Danach steigert sich "Anastasis" Stück für Stück und gleicht vor allem mit den letzten drei Liedern einige vorherige Schwächen aus. Die Auskopplung "Amnesia" steht irgendwo in der qualitativen Mitte des Feldes und ist ziemlich untypisch für das Album. Abwechslung gibt es wenig: Die Stücke sind alle ähnlich lang; eine Mischung etwa aus kürzeren Instrumentals und längeren Stücken mit Vocals existiert nicht. Liegt es an der Euphorie und den hohen Erwartungen, die auch ich hatte? Konnten die vielleicht einfach nur enttäuscht werden? Ein Sog, eine über Wochen andauernde Hochstimmung wie bei vielen der vergangenen DCD-Alben entsteht jedenfalls nicht. Auf der Homepage des Duos könnt ihr "Anastasis" in mehreren Editionen vorbestellen. Nach der Veröffentlichung begeben sich PERRY und GERRARD auf Welttournee; die Deutschland-Termine sind aber alle ausverkauft.
Michael We. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » DCD-Seite » DCD @ Wiki Themenbezogene Artikel: » DEAD CAN DANCE: In Concert Themenbezogene Newsmeldungen: » Neues Album und Tour von DEAD CAN DANCE » DEAD CAN DANCE-LPs neu aufgelegt » Livealbum von DEAD CAN DANCE » DEAD CAN DANCE im Sommer auch in Frankfurt » Update DEAD CAN DANCE - Tour im Sommer » Weitere Livetermine von DEAD CAN DANCE » DEAD CAN DANCE @ Nonpop » DEAD CAN DANCE Live! » DEAD CAN DANCE mit neuem Album » Dead Can Dance in concert
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Zusammenfassung
Ich lehne mich aus dem Fenster: Wären dies nicht DCD, würde das Album wenig Aufmerksamkeit bekommen. Die ersten Tracks sind erschreckend klebrig und ziemlich penetrant 'ethno'. Danach steigert sich "Anastasis" Stück für Stück und gleicht einige vorherige Schwächen aus.
Inhalt
CD, Do-LP u.a.
01. Children Of The Sun (7:33) 02. Anabasis (6:50) 03. Agape (6:54) 04. Amnesia (6:36) 05. Kiko (8:01) 06. Opium (5:44) 07. Return Of The She-King (7:51) 08. All In Good Time (6:37) ~ 56 min. |