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Michael We.

ROSES NEVER FADE: ~

Zum Sterben in den Keller


ROSES NEVER FADE: ~
Genre: Death Folk
Verlag: Neuropa
Erscheinungsdatum:
August 2009
Medium: CD
Preis: ~11,00 €
Kaufen bei: Neuropa


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Da ich in der Regel um alles, was als 'Hardcore' bezeichnet wird, einen großen Bogen mache, hatte ich bislang keinen Kontakt mit DWID HELLION und seiner Band INTEGRITY. Über den wohl einmaligen Seitensprung des in Belgien lebenden US-Amerikaners, ROSES NEVER FADE, bin ich per Zufall in einem Shop gestolpert. Darauf ein dreifaches Hallelujah, denn dieses Album – mit wunderbarem Dark, Death oder Apocalyptic Folk – gehört zu meinen schönsten musikalischen Überraschungen der vergangenen Jahre. Das Werk – heute ohne Titel, damals noch "Fade To Black" – entstand 2006, wurde auf ROCK VEGAS RECORDS veröffentlicht und hauptsächlich im Metal-Untergrund als Geheimtipp weitergegeben. Auf dem belgischen Label NEUROPA ist es nun – im Vergleich zu damals sogar mit ein paar Bonussongs einer verschollenen 7inch – wieder erschienen.
ROSES NEVER FADE ist ein kunterbunter Haufen, der sich aus Künstlern zusammensetzt, die HELLION über seine Arbeit als Regisseur von Videoclips oder als Coverkünstler kennen gelernt hat. (Auch das Cover des hier besprochenen Albums hat er selbst gemacht; es sieht auf den ersten und auch den zweiten Blick eindeutig nach Punk aus.) Gründungsmitglied ist THORSTEN WILHELM von der deutschen Metal Hardcore-Band VEGAS. Die Akustikgitarren stammen von NICK BREWER und MATHEW SHACK (beide Ex-PALE CREATION). Ergänzend wirken die Belgierin STEPHANIE VAN HOUTTE (hat schon Videos für UTE LEMPER gedreht) und der deutsche Gitarrist ADAMI (?) mit.

Die wenigen Kritiken, die sich damals mit ROSES NEVER FADE beschäftigten, verglichen Songs der Band mit Musik von DIJ, was meiner Meinung nach aber höchstens für die Akustikgitarren gilt: deren traurig-melancholische Melodien bilden die Grundlage für viele Lieder. Dazu flüstern ein oder zwei Stimmen, mehr Rezitation als Gesang, die tief düsteren, sehr lyrischen Texte, die von Dunkelheit, Kälte, Ängsten und Paranoia handeln und von einem morbiden DWID-Text im Booklet begleitet werden. Diese Art der vortragenden bzw. -flüsternden Vertonung erinnert stark an OTWATM. Die Hauptstimme – vermutlich von dem übrigens mit BOYD RICE befreundeten DWID – gleicht im Timbre der eines NICK CAVE, womit nun alle wichtigen Vergleiche gezogen wären. Was die ROSES aber von fast allen anderen Apocalyptic Folk-Bands unterscheidet, ist die verzweifelte Aggressivität der Songs. Jederzeit droht sie auszubrechen, wobei die Konsequenzen wohl eher selbstzerstörerisch wären – wie die geknüpfte Schlinge im Inlay andeutet – und sich weniger nach außen, gegen den Rest der Welt richten würden. Diese Stimmung ist so emotional packend, so einsaugend, dass das Album trotz der zarten Töne die Wucht eines Orkans entfaltet. Ich höre Akustikgitarren, warte aber jede Sekunde auf ein Inferno aus wüsten Grunts. Zwei auf NONPOP besprochene Bands bzw. Alben weisen ein ähnliches Phänomen – Black Metal-Stimmung trotz zarter Töne – auf: AMBER ASYLUM (@ NONPOP) und die Death Folk-Sammlung von CADAVEROUS CONDITION (Besprechung).

Vor allem die ersten beiden Songs setzen Referenzen, was Stimmung und feines Songwriting angeht: In "Sickness That Never Sleeps" ticken zwei Akustikgitarren wie eine Endzeituhr, die Seele löst sich vom Körper in Form einiger schwebender E-Gitarren-Töne, und die Stimme ist personifiziertes Ersterben: knisternd, rauchig und kriechend schafft sie es immer nur kurz, vom Flüstern in eine Art Gesang überzugehen. Auch für eine Atmosphäre wie in "Runaway" würden Schriftsteller viele Seiten benötigen: In nur zwei Minuten und zehn Sekunden verabschiedet sich ein Mensch, der noch tiefer spricht als JOHNNY CASH, von allem Leben, der Hall auf der Gitarre lässt als Ort des Geschehens ein unterirdisches Kellergewölbe sichtbar werden. Jeder Song eine schwarze Träne, wie die besten 4AD-Acts mit einem Schuss Tod. (Zu diesem Song gab es im Original übrigens ein von HELLION gedrehtes Video als CD-Rom-Track, das inzwischen im Netz zu sehen ist.) Später werden einige experimentellere Lieder eingestreut, so dass die schräge Stimmung auch durch einzelne schräge, dissonante Töne unterstützt wird. Fast durchweg verzichten ROSES NEVER FADE auf Percussion, und wenn doch an wenigen Stellen die Trommeln ausgepackt werden, weit im Hintergrund, dann klingt die Band wirklich verblüffend nach den melodischen DIJ der 1990er-Jahre – aber das geschieht nur selten. Mit "Rosa Italia" brechen sich zum Schluss die lange zurückgehaltenen Schreie Bahn, es ist das einzige Stück, das musikalisch wohl eher auf eine INTEGRITY-Scheibe gepasst hätte. "The Man They Want To Hang" ist, dem Titel entsprechend, ein staubiges, einsames Stück Wüstenfolk, CALEXICO nicht unähnlich. Es beschließt dieses herausragende Album.

Was soll ich noch sagen? Alle Lagerfeuer-Klampfer trauen sich hoffentlich nie wieder, auch nur einen Ton zu produzieren, nachdem sie ROSES NEVER FADE gehört haben. Es gibt nichts besseres, um den bevorstehenden Herbst einzuläuten. Eines der schönsten Dark, Death, Apocalyptic oder Wieauchimmer-Folkalben überhaupt. Kaufen!


 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» HELLION @ discogs
» INTEGRITY @ discogs
» INTEGRITY @ myspace
» DWID @ myspace

Themenbezogene Artikel:
» ROSES NEVER FADE: Devil Dust
» ROSES NEVER FADE: ~ (3track-EP)


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Zusammenfassung
Akustische Gitarrensongs mit der Wucht eines Orkans. DWID HELLION hat mit Freunden den persönlichen Weltuntergang aufgenommen. Die Flüsterstimme charismatisch wie NICK CAVE, die Musik betörend wie 4AD-Acts, die Atmosphäre wütend und verzweifelt wie Black Metal. Gehört ab sofort zu meiner Top3.

Inhalt
01. Sickness That Never Sleeps
02. Runaway
03. Cauterize November
04. Fourth Horseman
05. Don't Let The Hell Come Down
06. So Far Removed
07. ... Fear For You
08. Loved Alone
09. The Letter
10. Fruition Revisited
11. Fade To Black
12. Cellar Door
13. God Gone
14. Rosa Italia
15. The Man They Want To Hang

~ 52 min.
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