Nach einem ersten Hören stand das Urteil eigentlich schon fest: ein gutes Album, zwei tolle Singles, aber große Teile des Songwritings erweisen sich letztlich doch als austauschbar – ja, als geradezu beliebig. Unterm Strich keine Enttäuschung, ebenso wenig Euphorie, dafür eine gewisse Ratlosigkeit, ob hier nicht letztlich Platte nur noch auf Platte folgt, weil es der Erfolgszirkus halt so vorsieht. Immerhin liegt mit “Years Of Refusal” jetzt bereits das dritte Album seit dem Jahr der bravosen Mozzer-Rückkehr (2004) vor – da wären Ermüdungserscheinungen wenig überraschend, eher naheliegend. Lediglich “I’m Throwing My Arms Around Paris”, “When Last I Spoke To Carol” und die unterhaltsam verschrobene Bonus-DVD bleiben wirklich hängen. Der Rest rockt gleichförmig und wuchtig geradeaus am Hörer vorbei, beinahe monoton: einfallsloses Musikhandwerk. Aber wie das manchmal eben so ist: Beim Verfassen der Rezension lege ich die CD noch mal ein, folge der Anweisung “play very loud” und bin zwölf Songs lang schockiert, fast euphorisiert. Der Opener “Something Is Squeezing My Skull” geht mich beinahe QUEENS OF THE STONE AGE-mäßig an, sehr melodisch, sehr schnell. Das Schlagzeug rumpelt wild, Mozzer führt mich über “There is no love in modern life” zu “There is no hope in modern life”, um mich schließlich nach “No true friends in modern life” zum verzweifelt wiederholten “Don’t gimmie anymore” unsanft aus dem Wagen zu stoßen. Der zweite Song “Mama Lay Softly On The Riverbed” bringt Marschtrommelsound und einen beinahe lebensfroh klingenden Refrain mit den altersweisen Worten “life is nothing much to loose / it’s just so lonely without you”. Energie und Zärtlichkeit verbunden – und dazu eine Prise Hass “Spare priggish money-men scared the life out of you […] I will slit their throats for you”. Obwohl eigentlich eine Ballade kommt der Sound dabei treibend, rockig daher: Die Musik scheint die ganze Zeit “Tempo! Tempo!” zu rufen. Soll sie auch ruhig. “Black Cloud” bringt daraufhin schicksalsschwere Streicher, besten Indierock, große Momente, große Gesten: “The one I love is standing near / The one I love Is everywhere”. Angesichts der unstrittig-effektiven Rockdramaturgie könnte man (aber wirklich nur) für Sekunden an METALLICA denken, doch dann wird es einfach ein großartiger Popsong. Das ist Musik für wilde Feiern und wilde Mädchen. “I’m Throwing My Arms Around Paris” stellte die Vorabsingle dar und dürfte bereits bekannt sein. Hier erscheint alles wieder ein wenig filigraner, Morrisseys Stimme darf pophymnenhaft auf- und absteigen, Pathos und Schönheit erklingen lassend. Das ist natürlich ganz großes (Melo)Drama – file next to “Everyday Is Like Sunday”. Oder anders gesagt: “Ist das schön. Los, alle knutschen!” Doch kaum schwelgt man in melancholischen “Nobody wants my love / nobody needs my love”-“Diesen Kuss der ganzen Welt”-Blasen, erwidert Mozzer ironisch sich selbst: “yes, you’ve made yourself plain / yes, you’ve made yourself very plain.” Noch nicht ganz runtergekommen, geht es bereits mit dem ebenso bereits bekannten “All You Need Is Me” weiter, der Gebrauchswert Rock treibt, Becken krachen, der Bass rollt wüstenrock-like vor sich hin. Darüber die Stimme Mozzers und ein Anflug von Melodie – spätestens hier war der Rezensent im ersten Hördurchlauf genervt, beinahe zynisch: Jetzt ist das Gegenteil der Fall. “When Last I Spoke To Carroll” überrascht daraufhin mit schönstem Mexiko-Sound der Marke CALEXICO. Bläser spielen auf, wir holen die Tanzschuhe raus und los geht’s. Ein bisschen klingt das wie ein Soundtrack zu SAM PECKINPAHs “Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia” – nur das da nicht getanzt wird, was eine Schande ist. Mit einem furios-ekstatischen Finale endet der Song auf die Zeilen “to the rescue / nobody ever comes”. Dann hört man nur noch den Wind pfeifen. Spätestens bei “That’s How People Grow Up” und “One Day Goodbye Will Be Farewell” entscheidet sich dann alles: Wer jetzt noch mitgeht, dem wird der Rest des Albums auch gefallen, wer abwinkt, dem wird das Ganze nicht zusagen. Bei den ersten Hördurchläufen stellte sich hier eine gewisse Müdigkeit ein, doch beide Songs haben ihre Eigenheiten. “That’s How People Grow Up” posiert mit einem schönem 80ties Refrain, “One Day Goodbye Will Be Farewell” wirkt geradezu in sich kreisend melodieselig, mit einer coolen Trompete gegen Ende. Nach soviel Tempo fährt “It’s Not Your Birthday Anymore” das Tempo zunächst einmal herunter. Die Stimme ist auffällig weit nach vorn gemischt, die Gitarren nehmen sich stark zurück, leichte Elektronik-Anleihen fallen auf. Dann drehen Mozzers Helfershelfer im wahrsten wie depraviertesten Sinne des Wortes wieder auf: Denn jetzt folgt klarer, breiter Stadionrock. “Marke PLACEBO” möchte man da fast schreiben, aber dieses “Laut/Leise”-Spiel, der elegische Gitarrenklang im Refrain, die Verträumtheit der Strophe – eigentlich ist das COLDPLAY, vor allem der Instrumentalpart, und deswegen ganz klar hymnisch. Im Anschluss wird “You Were Good In Your Time” introspektiv. Eine narzisstisch gefärbte Sterbebett-Ballade mit Streichersounds, die in eine experimentelle Klanglandschaft mündet, welche die Frage “Are you aware whereever you are / that you just died” letztlich offen lässt. “Sorry Doesn’t Help” und “I’m OK By Myself” folgen daraufhin leichtfüßig, ironisch-aggressiv und gegen Ende des Albums gut gesetzt. In letzterem beschließt ein dreifaches “nooooooooo” doppeldeutig ein Album, das nicht unbedingt wütend, wohl aber eigensinnig, geradezu störrig ist. “Years Of Refusal” ruft nach der Bühne, transportiert Live-Energie und erwischt selbst den skeptischen Hörer letztlich hinterrücks. Wenn das Comeback-Album “You Are The Quarry” trotz Indiehits wie “Irish Blood, English Heart” oder “First Of The Gang To Die” letztlich eine Balladensammlung war und der Nachfolger “Ringleader Of The Tormentors” diesen Sound ins Epische fortspann, dann ist “Years Of Refusal” das Rockalbum der inoffiziellen Trilogie. Vielleicht wird es sich mit ein wenig Abstand als das haltbarste der drei erweisen, jedenfalls überzeugt es jetzt voll und ganz, erneut die Bedeutung dieses Kerls dick unterstreichend. Zuletzt noch ein Wort zum Cover – “selten hässlich” – und zur Bonus DVD. Neben ein paar Live-Videos bekommt man hier ein sehr empfehlenswertes Interview mit dem Entertainer, Comedian und Moderator RUSSELL BRAND geboten. Ein neckisches Spiel der Posen und Gesten, voller Ironie und englischem Humor, jedoch ebenso mit knietiefen Schlaglöchern: Als es um Tierschutz und Vegetarismus geht, kramt Morrissey nämlich urplötzlich mit einem Holocaust-Vergleich einen ziemlichen Gerede-Blocker hervor. Russel Brant schlägt angesichts dieser Positionierung nachvollziehbarerweise lachend-ungläubig die Hände über dem Kopf zusammen, da kommen die beiden nicht zueinander und der Zuschauer merkt es, selbst aufgefordert sich zu positionieren. Vielleicht auch ein Moment der Ehrlichkeit, zeigend wie differenziert das Spiel der Popularkultur sein kann.
Maik L. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » Offizielle Webpräsenz » Myspace-Seite mit vielen aktuellen Hörbeispielen Themenbezogene Artikel: » Morrissey - Ringleader of the...
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Zusammenfassung
"Years Of Refusal" ruft nach der Bühne, transportiert Live-Energie und euphorisiert ungemein. Vielleicht das beste Album seit dem Comeback.
Positiv aufgefallen
Die Bonus DVD
Negativ aufgefallen
Das Cover...
Inhalt
CD:
1. Something Is Squeezing My Skull 2. Mama Lay Softly On The Riverbed 3. Black Cloud 4. I'm Throwing My Arms Around Paris 5. All You Need Is Me 6. When Last I Spoke To Carol 7. That's How People Grow Up 8. One Day Goodbye Will Be Farewell 9. It's Not Your Birthday Anymore 10. You Were Good In Your Time 11. Sorry Doesn't Help 12. I'm OK By Myself |