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Michael We.

BOHREN & DER CLUB OF GORE: Dolores

Die erträgliche Langsamkeit des Seins, Teil 6


BOHREN & DER CLUB OF GORE: Dolores
Genre: Jazz
Verlag: Pias
Erscheinungsdatum:
Oktober 2008
Medium: CD
Preis: ~14,00 €
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Badumm...... badumm...... badumm...... Jedes 'badumm' ein halliger Bassschlag, jeder Punkt eine gefühlte Sekunde Pause. Vor 14 Jahren erschien mit "Gore Motel" das erste Album von BOHREN & DER CLUB OF GORE. Seitdem nähern sich die vier Herren mittleren Alters aus Mülheim an der Ruhr auf Basis der eben beschriebenen Technik an die musikalische Nulllinie, die Flatline an. Suchen die langsamstmögliche Art, Musik zu machen. Beinahe jede Stilrichtung ist schon zur Eingrenzung ihrer Arbeit verwendet worden: Doom, Drone, Ambient, Jazz, Noise undundund. Weitgehend etabliert hat sich die treffende Kombination 'Doom-Jazz', eine Verkürzung der von der Band auf ihrer Homepage selbst angebotenen Umschreibung "Doom ridden Jazz Music". Unheilvoller, düsterer Untergangsjazz eben.
In Zeiten von Videoclips, die mit ein paar hundert Schnitten über den Bildschirm flimmern, ist allein schon die Langsamkeit von BOHREN, ihr kriechender, schleichender Sound etwas Besonderes. Das Quartett, das seit 1997 in unveränderter Besetzung spielt (THORSTEN BENNING, CHRISTOPH CLÖSER, MORTEN GASS und ROBIN RODENBERG), ist sich der Außergewöhnlichkeit bewusst. Man beäugt den eigenen Status mit ironischer, ob des Erfolges fast ungläubiger Distanz und pflegt ihn wie ein liebenswerter Eigenbrötler seine Ticks. Gerne kommt in Interviews zur Sprache, wie alles begann. Mit stundenlangen Hardcore-Session (oder war es Doom Metal?) im Probenraum fing 1988 die Geschichte von BOHREN an. (Der Zusatz CLUB OF GORE kam erst vier Jahre später hinzu, als Verweis auf die inspirierende niederländische Instrumentalband GORE.) Wie DANZIG sollte es in Mülheimer Kellern klingen, tat es aber nicht. (Sagt die Band, nicht ich.) Nach vielen Stunden der erfolglosen Annäherung an die Vorbilder einigten sich die Mitglieder von BOHREN einfach darauf, so langsam wie möglich zu spielen. Auch irgendwie extrem, nur nicht so schwierig. (Sagt die Band....)
Das erwähnte Debüt "Gore Motel" war die Ursuppe der neuen Langsamkeit: pur, roh. Eine irgendwie RY COODER-artige Gitarre, dazu Bass und ein jazziges Schlagzeug. Ein Jahr später (1995) folgte mit "Midnight Radio" zum ersten Mal Musik in Superzeitlupe. Noch dunkler und droniger, mit einem Ton für Ton hervorkriechenden Synthesizer, glimmend wie eine Zigarette in absoluter Dunkelheit. "Sunset Mission" (2000) bot Mitternachtsjazz mit Streichern, Klavier und Saxophon; vor allem letzteres erinnerte manchmal an JAN GARBAREK. "Black Earth" (2002) war reine Hoffnungslosigkeit, das jazzigste und – bis dato – langsamste Album, klebrig-zäh kroch es durch die Nacht. Das erste BOHREN-Konzeptalbum "Geisterfaust" (2005, jeder der fünf Finger bekommt einen Song) verstörte viele Fans. So nah an der Flatline wie keiner der Vorgänger schleppte es sich seltsam blutleer dahin. Herzstillstand, endgültig.

Wie immer haben BOHREN & DER CLUB OF GORE nur behutsame, zaghafte Veränderungen an ihrem Sound vorgenommen. Ein leichter Geschwindigkeitszuwachs ist 2008 zu verzeichnen, aber bitte: Wir reden immer noch über BOHREN, also maximal die Spielstraße unter den Tempozonen. Zu den Instrumenten der letzten Jahre (Drums, Rhodes Piano, Vibraphon, Saxophon, Bass und Synthesizer) gesellt sich eine Kirchenorgel. So viel zu den Äußerlichkeiten. Das wichtigste verrät aber der Titel: "Dolores", vom lateinischen 'dolor', was Schmerz bedeutet. Kennen wir ja schon von den Mülheimern. Gleichzeitig ist Dolores ein Name, der zum Beispiel eine Reihe von gutaussehenden, lateinamerikanischen Filmschauspielerinnen ziert. Also nicht mehr nur Leiden, auch Schönheit. Nach Stunden der dunkelsten Nacht werden bei Morgendämmerung die Fensterläden aufgeklappt. BOHREN sind immer noch schleichend, schwer, ölig schwarz und vor allem in der zweiten Hälfte von "Dolores" elend langsam, aber an manchen Stellen hat die Putzfrau die dicksten Spinnweben weggepustet.
Der Mitternachtsjazz des ersten Stückes erinnert sofort an "Sunset Mission". Ein Bass, das Fender Rhodes (Muss noch jemand bei diesem speziellen Klang an den traurigen CHARLIE BROWN denken?), ein Schlagzeug (mit Besen gespielt). Die Melodie tropft wie aus dem Wasserhahn: gemächlich, aber stetig und klar. Die Doom-Orgel verstärkt den Eindruck von Nacht, Alleinsein und Schwermut. Schon das zweite Stück schüttelt aber die Verzweiflung ab und geht als entspannter 'Bar Jazz' durch. Im Anschluss rinnt "Schwarze Biene" fast freundlich dahin. "Unkerich", eines der besten Stücke, das auch schon vorab zu hören war, ist dann wieder ganz in Moll getränkt. Ausweglose Traurigkeit mit Saxophon, von dem CHRISTOPH CLÖSER behauptet, es nie schöner als auf "Dolores" gespielt zu haben. Ja, das sind die BOHREN-Momente, für die wir sie lieben! "Still am Tresen" hält (mit viel Saxophon), was der Titel verspricht.
Mit "Welk", dem sechsten Stück, vollzieht sich eine Wandlung von Jazz zu Ambient. Die dronigen Synthesizerflächen drängen, bis auf ein gelegentliches Schlagzeug, andere Instrumente in den Hintergrund. Zusammen mit dem nachfolgenden "Von Schnäbeln" ist hier der schwächste Punkt der CD erreicht, der phasenweise wie das Wachkoma auf "Geisterfaust" anmutet. Erst "Orgelblut" (8) holt den Hörer mit einem brummenden (ach was) Orgelton und schepperndem Becken wieder zurück. "Faul" ist eine träumerische, wie improvisiert wirkende Kombination aus Saxo- und Vibraphon. Und mit "Welten" steht am Schluss noch einmal ein ganz starkes Stück, mit dem BOHREN präsentieren, was sie am besten können: Die Pausen sind maximal, die einzelnen Töne dahingetupft, ein Beckenschlag fällt nur wenn nötig. Kurz vor dem Ende setzt das Saxophon ein. Verweht, als ob doch gleich wieder alles zu Staub zerfällt. Auch so weit auseinanderliegende Melodiebögen werden, wie fast auf der gesamten CD, von einer übernächtigten, greifbaren Klarheit zusammen gehalten.

"Dolores" ist nicht das stärkste Album von BOHREN & DER CLUB OF GORE. Dazu hält es nicht stringent genug eine Stimmung durch, wie das die Vorgänger gemacht haben. Auf der anderen Seite bietet das aktuelle Werk einen sehr angenehmen Zugang zur Arbeit von BOHREN. Die Stücke sind nicht überlang (max. acht Minuten), haben ein entspanntes Antlitz und zeigen wie im Querschnitt, aus welchen Elementen Düster-Jazz bestehen kann. Musikalisch geht "Dolores" in Richtung "Black Earth" (manchmal) und "Sunset Mission" (häufiger). Hinter diesen beiden Platten reiht sich die neue mit respektvollem, aber nicht übergroßem Abstand ein.


Zu "Dolores" findet seit Mitte Oktober eine Reihe von Konzerten statt. Termine siehe unten. Alles bestuhlt, übrigens. Nur so kann man BOHREN live ertragen. (Sagt die Band.....)

15.10. Ancienne Belqique (w/Alexander Tucker), Brussels (B)
16.10. Corsica Studios (w/Guapo), London (UK)
17.10. Gebäude 9 (w/Alexander Tucker), Köln (DE)
18.10. Backstage @ O..Sullivans (w/Alexander Tucker), Paris (FR)
19.10. Paradiso (w/Alexander Tucker), Amsterdam (NL)
20.10. Gleis 22 (w/Alexander Tucker), Münster (DE)
21.10. Sinkkasten (w/Alexander Tucker), Frankfurt (DE)
22.10. Übel & Gefährlich (w/Alexander Tucker), Hamburg (DE)
23.10. Festsaal Kreuzberg (w/Alexander Tucker), Berlin (DE)
24.10. UT Connewitz (w/Alexander Tucker), Leipzig (DE)
25.10. Scheune (w/Alexander Tucker), Dresden (DE)
26.10. Babszinhaz (w/Alexander Tucker), Budapest (HU)
27.10. Arena (w/Alexander Tucker), Wien (AT)
28.10. Feierwerk (w/Alexander Tucker), München (DE)
29.10. Club Firlej (w/Alexander Tucker), Wroclaw (PL)
30.10. Manufaktur (w/Alexander Tucker), Schorndorf (DE)
31.10. Bad Bonn (w/Alexander Tucker), Düdingen (CH)
15.11. Südpoltheater, Luzern (CH)

 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Web-TV-Interview mit BOHREN
» BOHREN @ myspace
» BOHREN @ Nonpop ("Black Earth")
» Konzertkritik @ Nonpop (11/2006)

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Zusammenfassung
Kirchenorgel, mehr 'Tempo', kürzere Stücke. Und die Putzfrau hat die dicksten Spinnweben weggepustet. Wie immer sind die Veränderungen bei BOHREN minimal, ihr Doom Jazz bleibt unverkennbar. Dennoch wirken sie 2008 frischer und weit weg vom Wachkoma des Vorgängers. Reicht für die BOHREN-Top-3.

Inhalt
01. Staub
02. Karin
03. Schwarze Biene (Black Maja)
04. Unkerich
05. Still Am Tresen
06. Welk
07. Von Schnäbeln
08. Orgelblut
09. Faul
10. Welten
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