So beschreibt LUÍS COUTO im
NONPOP-Interview die Arbeit an und mit seinem Projekt
THE JOY OF NATURE, das bis 2006 noch den Zusatz AND DISCIPLINE führte. Der von den
Azoren stammende Portugiese macht damit sehr deutlich, dass seine Musik nicht immer eine einfache Angelegenheit ist, wie es Seelentrips von Intellektuellen nun mal per se nicht sind. In das vorliegende erste Album der geplanten ""Empty Circle"-Trilogie packt LUÍS so viel Lebensstoff hinein, dass andere Künstler ganze Box-Sets daraus gemacht hätten. Zunächst einmal ist der Portugiese ein eifriger Student der hermetischen Schriften ("
Corpus Hermeticum") und Lehren. Die Hermetik verspricht ein besseres Verständnis der Welt und ihrer Zusammenhänge. Gelesen als Naturphilosophie soll sie verborgene Prinzipien in der Natur sichtbar machen; ein 'Zurückfinden zum Ursprung', wie es in der deutschen Übersetzung des "Corpus" heißt. Sie hat also eine Lebensgestaltung zur Folge, die im Einklang mit der Natur steht. (Einige Grundsätze der Hermetik sind
hier erklärt).
Auch die Alchemie als eine der 'Wissenschaften' der Hermetik soll in die Musik mit einfließen, denn einer der Produktionsphasen für den '
Stein Der Weisen' ist das komplette Album gewidmet: der Schwärzung (Nigredo). Dabei wird der 'Urstoff' im Bauch der Erde vergraben, wodurch er fault und schwarz wird. Die nächste Stufe wäre die Aufhellung (Albedo). Ebenfalls soll "Part 1" – wie der erste von zwei Untertiteln andeutet – eine Welt der Rastlosigkeit darstellen, bevor die notwendige 'Reinigung' durchgeführt wird. Das von LUÍS als 'zweiter Untertitel' deklarierte Thema "A Theatre Lost In The Vast Abyss Of Starry Skies", das auch den ersten und den letzten Track betitelt, beruht auf einem Wachtraum, den der Musiker im Booklet beschreibt: "Wir verstehen plötzlich, dass die Welt, in der wir unsere alltäglichen Leben abspulen, mit einem kleinen Theater am riesigen Sternenhimmel verglichen werden kann. Das menschliche Leben ist so winzig, aber gleichzeitig ist das Göttliche in jedem Menschen wiederum unendlich."
Viele Ideen, wie gesagt, die natürlich alle unmittelbar miteinander zu tun haben. Damit ist "The Empty Circle Part 1" eigentlich ein typisches Neofolk-Album, das zum Wälzen von Büchern einlädt, zum Studieren von Weltanschauungen und naturnahen Lebensweisen. Obwohl er Bands wie
CURRENT 93,
SOL INVICTUS,
IN GOWAN RING oder
FIRE + ICE zwar verehrt, möchte LUÍS dem 'Dark Folk' aber gar nicht zugeordnet werden. Tatsächlich war THE JOY OF NATURE einmal als Dark Ambient-Projekt konzipiert, und mit dieser Veröffentlichung macht sich LUÍS offenbar auf den Weg zurück zum Ursprung, ganz im Sinne der Hermetik. Nach dem folkigen Zwischenspiel von 2006, der Single "The Shepherd's Tea At 7" (
NONPOP-Rezension), und dem ebenfalls gerade erschienenen, sehr folkigen Album "
aGkaanta, asRti, Parasamgate", einer Werkschau der seit zehn Jahren existierenden Band, überraschen die vielen Dark Ambient-Elemente während der 62 Minuten Spieldauer.
Der erste, lange Track setzt gleich alle Eckpunkte für die gesamte CD: Zunächst dröhnt, klingelt und trommelt es, eine unheimliche, düster-gespenstische Atmosphäre zieht auf, typisch Dark Ambient. Ein Piano – das von SOL INVICTUS-Verehrung zeugt, so sehr hallt es nach WAKEFORD – bringt den Wechsel hin zum reinen, traditionellen Folk: Akustikgitarre, Flöte, Glöckchen und Kantele formen einen natürlichen Reigen, durch den nur noch ab und zu ein spaciges Zischen gleitet. Dazwischen ein wenig fehl am Platze wirkt ein Ausschnitt aus dem berühmten Trauermarsch von
CHOPIN. Die portugiesischen Vocals am Ende der acht Minuten bringen die rituelle, schamanische Komponente. Sie taumeln zwischen Beschwörung und Verträumtheit, schweben wie einzelne Atome aufgelöst und verteilt durch das Universum. Diese kosmische Sprechstimme kündigt eine weitere Überraschung an: die fast gänzliche Abwesenheit von Gesang auf "Empty Circle".
Das zweite Stück beginnt folkig: Eine wirklich betörend gezupfte Harfe geht über in ein rotorartiges Geräusch, später wird Wasserplätschern von liturgischen, verhallten Gesangsfetzen abgelöst. Eine Kinderlied-Melodie (wie auf der Märchenbahn im Vergnügungspark) läutet nach fünf Minuten das Ende ein. Überhaupt scheint Musik aus Kindertagen ein weiteres Motiv zu sein. Wie zur Rückbesinnung auf die angebliche Leichtigkeit der Kindheit klingen öfter Spieluhren oder ähnliches an. Das darauffolgende Dampferdröhnen, mit dem Track 3 beginnt, überrascht da schon nicht mehr.
Am heimeligsten sind die Tracks, die hauptsächlich aus folkigen Instrumenten bestehen und sich mit Dark Ambient-Material zurückhalten. "The Cyclical Return Of Wolves And Blacksmiths" (4, hier erinnert schon der 'Blacksmith' an alte Folkrock-Traditionen) hat zum Beispiel eine unwiderstehliche Atmosphäre, die einer Nacht im Wald am Lagerfeuer sehr nahe kommt: Man ist sich selbst sehr bewusst und fühlt eine starke Verbundenheit mit der Natur. Auch die Parts von "Empty Circle" mit begeisterndem Beschwörungsgetrommel (vielleicht im Wald zu später Stunde?) erreichen dieses verzaubernde Level. Minutenlange Geräusch-Höhlen – wie im zehnminütigen "Nemesis's Factory Of Nightmares Beyond The Curtain" – ermüden hingegen.
Alle 'Vorteile' der CD treffen im Song "In The Kingdom Of The Blind" (7) zusammen: Durch den seltenen (weiblichen) Gesang, das ekstatische Tommeln und die an traditionelle Weisen anlehnenden, gezupften Folkinstrumente schimmert tatsächlich etwas Großes, Kosmisches. Ähnlich stark beginnt der Nachfolgetitel (8), um abrupt vom Sample einer Militärkapelle unterbrochen zu werden – vielleicht eines von vielen Zeichen für die Rastlosigkeit, die ja thematisiert werden soll. Die zweite Hälfte des Albums ist, weil sie sich auf weniger Zutaten beschränkt, stärker als die erste. Nach dem platten Motto "Weniger ist Mehr" kommen sehr viel aussagekräftigere Stücke zustande.
Wie kann nun ein Fazit für dieses komplexe Werk aussehen? Das rezitative Wort, die akustischen Instrumente in Vermischung mit der Dark Ambient-Elektronik und die Field Recordings schaffen eine sehr mystische und naturnahe Atmosphäre. Mystisch soll heißen, dass manchmal etwas spürbar wird, das über dem Bewusstsein jedes Einzelnen steht. Musikalische Vergleiche gibt es viele: In urigen, schrägen Momenten tauchen
WALDTEUFEL oder
SANGRE CAVALLUM (ebenfalls aus Portugal) auf. Die folkigen Waldgeschichten mit Kantele erinnern an
NEST aus Finnland. Wenn es elektronischer wird, kommen die irischen
CLANNAD zu ihren besten Soundtrack-Zeiten ins Spiel, als sie mit einer waldigen Mischung aus Synthie und Folk Naturdokumentationen untermalten. Und in seltenen Momenten funkelt die Schönheit von
NATURE AND ORGANISATION.
So interessant dieses lebhafte Verfolgen vieler philosophischer und musikalischer Fäden ist, ein intimer Seelentrip eben – immer klappt es nicht, alle Ansätze ästhetisch unter einen Hut zu bringen. In schwächeren Momenten wirkt die Musik einfach nur gewollt esoterisch. Eine Beschäftigung mit dem ersten Teil der "Empty Circle"-Trilogie lohnt aber dennoch, weil das Album eine Fundgrube für die persönliche Weiterbildung ist und nach und nach beim Hören immer mehr von seinem Geist freigibt. Der zweite Teil wird laut LUÍS (noch) experimenteller ausfallen.