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Michael We.

HILDUR GUDNADOTTIR u.a.: 2nd Childhood

Dass Musik so leise sein kann.....


HILDUR GUDNADOTTIR u.a.: 2nd Childhood
Genre: Ambient
Verlag: Quecksilber-...
Vertrieb: Quecksilber...
Erscheinungsdatum:
Juni 2007
Medium: CD
Preis: ~13,00 €
Kaufen bei: Quecksilber


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Dies ist ein ganz und gar ungewöhnliches Album. Ungewöhnliche Menschen machen darauf in einer ungewöhnlichen Kombination ungewöhnliche Musik. Deshalb führt es auch immer wieder in die Irre, denn man erwartet - nachdem man sich brav ein wenig in den Hintergrund der beteiligten Musiker eingelesen hat - gänzlich andere Dinge als die, die in den knapp 60 Minuten tatsächlich passieren. Für "Second Childhood" hat sich eine 'Island- und Skandinavien-Allstar-Band' zusammengefunden, bestehend aus HILDUR GUDNADOTTIR, BJ NILSEN und STILLUPPSTEYPA (alle zusammen haben nicht in die Überschrift dieses Artikels gepasst). Jedes Mitglied hat wiederum schon an so vielen anderen Projekten mitgearbeitet, dass es unmöglich ist, alle Bezüge aufzuzählen. Wer die ganzen Namen nicht braucht, kann unten weiter lesen, wenn es um die Musik geht.

HILDUR GUDNADOTTIR (HILDUR INGVELDARDÓTTIR GUDNADÓTTIR) ist eine klassisch ausgebildete Cellistin, die ihr Instrument in Reykjavik und Berlin studiert hat. Mit den Isländern von MÚM setzt sie es wohl am prominentesten ein. Ansonsten spielt sie mit musikalisch unterschiedlichen Bands in ganz Europa zusammen, etwa mit dem deutschen Elektro-Musiker und Ex-Indierocker DIRK DRESSELHAUS alias SCHNEIDER TM oder den Miterfindern des 'Clicks & Cuts'-Sounds, den Finnen von PAN SONIC. Im vergangenen Mai hat GUDNADOTTIR in London zusammen mit THROBBING GRISTLE und dem NEW LONDON CHAMBER CHOIR einen Livesoundtrack zum DEREK JARMAN-Film "In The Shadow Of The Sun" aufgeführt, und gerade ist sie mit JÓHANN JÓHANNSSON in Island auf Tour. Legendär sind ihre Liveauftritte mit diversen Drone- und Noise-Projekten, bei denen ihr Cello allein gegen wüste Geräuschbretter besteht. Vor einem Jahr hat GUDNADOTTIR ihre erste Soloplatte auf 12 TÓNAR veröffentlicht ("Mount A"), mit traurigem Cello-Folk, eingespielt in einem Haus aus Holz ohne Nägel. STILLUPPSTEYPA ist ein Experimentalmusik-Duo (früher -Trio), bestehend aus HELGI THORSSON und SIGTRYGGUR BERG SIGMARSSON. Eine endgültige Bezeichnung für ihre Arbeit ist bis heute noch nicht erfunden worden, am schönsten finde ich 'Klangforscher', denn wie sollte man Menschen sonst nennen, die das Knabbern an Knäckebrot vertonen? STILLUPPSTEYPA arbeiten unter anderem mit dem ebenso experimentellen, britischen HAFLER TRIO zusammen, mit ZOVIET FRANCE oder STEVEN STAPLETON von NURSE WITH WOUND (auf "The Sleeping Moustache", HELEN SCARSDALE AGENCY, 2006). Eine gängige Bezeichnung für aktuellere Stücke der beiden Isländer wäre wohl Minimal Elektro. Die meisten STILLUPPSTEYPA-Veröffentlichungen erscheinen auf STAALPLAAT, dem niederländisch-deutschen Experimental-Label. Dort veröffentlicht auch BJ NILSEN (BENNY NILSEN), ein schwedischer Soundbastler, der oft mit klassischen 'field recordings' arbeitet, also Aufnahmen aus der Natur. BJ NILSEN ist der Künstler mit den meisten Pseudonymen auf "Second Childhood", er bietet seine Mixturen aus Ambient, Dark Ambient und Industrial auch als HAZARD, MORTHOUND oder TAPE DECAY an. Unter dem Namen JANITOR arbeitet er mit LINA BABY DOLL von DEUTSCH NEPAL zusammen an einer verrückten Mischung aus Romantik und Industrial inklusive Gesang. BJ NILSEN ist in Skandinavien ein begehrter Soundtrack-Komponist.

Nun könnte man einfach alle genannten Musiker und Stile in einen virtuellen Mixer werfen und das Ergebnis auf "Second Childhood" vermuten, ziemlich nah am Wahnsinn. Offenbar ist das Gegenteil passiert: Die Platte ist so ruhig, als hätte jemand die stillsten Stellen aller Projekte herausgesucht, die leisen, ausklingenden Töne kurz vor den Pausen zwischen den Tracks, und sie auf "Second Childhood" wieder zusammengeklebt. Es gibt keine Info darüber, wer an welchen Stücken beteiligt war oder ob die Musik ein Konzept verfolgt. Die Betitelung der Stücke  ist nahezu ohne Sinn ("Writing On A Dead Animal"). Der Hörer ist frei, und das macht einen der Reize des Albums aus.
Das erste Stück, 18 Minuten lang, besteht hauptsächlich aus Cello-Drones, die ersten Minuten (bis ein Geräusch wie ein umgelegter Schalter klackt) sogar nur aus einem einzigen Ton, der gehalten wird. Später setzt sanft und leicht eine Kantele (oder etwas Ähnliches) ein, ein finnisches Zupfinstrument, das von skandinavischen Bands gerne verwendet wird, wenn sie die Geschichten ihrer Länder vertonen (wie zum Beispiel NEST). So entstehen seidene Fäden aus Tönen, die sich um einen legen und die selbst einen Ambient-Meister wie BRIAN ENO betören würden. Track 2 und 3, die ineinander übergehen und zusammen nur unwesentlich kürzer sind als ihr Vorgänger, wiederholen ein ähnliches Muster, allerdings rein elektronisch. Über ein volltönendes, warmes Brummen werden einzelne, später auch mehrere harmonische Töne gelegt, bis am Ende ein Sound entsteht, der an einen Dudelsack oder ein Didgeridoo erinnert. Auch das vierte Stück kommt mit wenigen Tönen aus, die deutlich verschiedenen, läutenden Glocken nachempfunden sind. Es folgt (Track 5) die erste Überraschung (ich vermute die Finger von STILLUPPSTEYPA am Werk): Durch die Dark Ambient-lastige Fläche aus maschinellen Geräuschen, die aber kaum unruhiger ist als die bisherigen Stücke auf "Second Childhood", dringt tatsächlich ein Beat, so als ob der Nachbar drei Häuser weiter zu laut Techno hört. Weil auch der Rest des Stückes eher verspielt klingt ("Welchen Sound haben wir denn da noch?") und sich am weitesten von der ansonsten wunderbar unaufdringlichen Harmonie entfernt, ist es das schwächste der CD. Der vorletzte Titel kehrt wieder zum Drone-Prinzip zurück und verbreitet einzelne, auf unterschiedliche Art und Weise elektronisch bearbeitete Töne. Zum Schluss verfängt man sich in einer Ambient-Schleife, der knapp zwei Minuten langen Wiederholung eines warmen Keyboardtons und eines Geräusches.
Die Beschreibung der Musik ist recht einfach, weil eben nicht viel passiert. Umso schwieriger ist es, die hypnotisierende Wirkung zu erklären, die - meistens - davon ausgeht. Es ist spirituelle, inspirierende Musik, die ganz sicher etwas von der typisch isländisch-skandinavischen Wärme, Kraft, Magie und auch Dunkelheit hat. Künstler sind am Werk, die wissen und können, was sie tun. Denn anders wäre das Hervorrufen einer so tranceartigen Stimmung mit so 'bescheidenen' Mitteln kaum möglich. Freunde von SIGUR RÓS werden sich hier zu Hause fühlen, allerdings müssen sie auf die emotionalen Ausbrüche verzichten und mit den leisen Passagen vorlieb nehmen. Ich bin mir noch nicht endgültig darüber im Klaren, ob mir "Second Childhood" an manchen Stellen vielleicht etwas zu leise ist. Ganz sicher weiß ich aber, dass ich die CD noch viele, viele Male anhören werde, um das herauszufinden.

 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» HILDUR GUDNADOTTIR
» HILDUR GUDNADOTTIR @ myspace
» STILLUPPSTEYPA @ myspace
» BJ NILSEN
» BJ NILSEN @ myspace

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Zusammenfassung
Prominente isländische und schwedische Musiker üben sich im Leisetreten. Die Songs klingen wie kurz vor der Pause zum nächsten Track, hypnotisieren aber umso mehr durch ihre Wärme und Ruhe. Wenige Töne, große Wirkung.

Inhalt
- It's about the size of a house
- Temple of the holy tooth
- How to catch the right thought
- The direction was foggy or cloudy
- I have seen similar stones
- Arrival
- Writing on a dead animal
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