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Michael We.
BAD SECTOR: The Harrow
Komposition für Geigerzähler und Radium
Kategorie: Rezension
Erstellt: 29.07.2007
Wörter: 670
Artikelbewertung:
positiv:100% negativ:0%

Wenn die Lösung nicht schon über dem Artikel stehen würde, könnten wir ihn mit einem Rätsel beginnen, etwa so: Welcher Künstler verwendet unter anderem die folgenden 'Instrumente' für seine zahlreichen Veröffentlichungen? "Impulsive sounds were obtained with a PKCB104 Digital Geiger Counter, using Radium as a gamma radiation source. Air, naval, military radio bands scanned with a AOR 2000 Wide Range Monitor receiver." MASSIMO MAGRINI alias BAD SECTOR ist geradezu besessen von außergewöhnlichen Klangquellen, die er seit mehr als 15 Jahren zu ebenso außergewöhnlichen, elektronischen Werken 'zusammenkomponiert'. MAGRINI führt Versuche so lange durch, bis er die gewünschten Geräusche bekommt, und hält überall auf der Welt Ausschau nach Quellen für neue 'field recordings', also Originalaufnahmen von der jeweiligen Umgebung. Für sein Projekt OLHON hat er zum Beispiel Aufnahmegeräte gebastelt, mit denen seine Kollegen in das tiefste 'sinkhole' (so heißt auch die CD auf EIBON RECORDS) der Welt in der Nähe von Rom gestiegen sind. Solche Karsttrichter sind natürliche 'Löcher' im Gestein, die bis zu mehreren hundert Metern tief werden können.
Lange hielt ich den studierten Informatiker aus Pisa für einen Russen, einfach weil seine elektronische Musik (und das ist ein Kompliment) oft 'russisch' klingt. Sie hat viel von der typischen, spacig-organischen Kühle mancher russischer Elektro-Bands, vom russischen Pioniergeist, von alten sowjetischen Synthesizern und manchmal von C64-Sounds, die ich gerne mit russischem Kosmonautentum verbinde. Immerhin hat MAGRINI eine seiner jüngeren BAD SECTOR-CDs, " Kosmodrom" (2005, erschienen bei den Russen von WAYSTYX), KONSTANTIN EDUARDOVITCH TSIOLKOVSKY (1857 bis 1935) gewidmet, dem russischen Mathematiker und Physiker, der als einer der Vordenker des Raketenantriebs und damit der gesamten Raumfahrt gilt. Auch die Wiederveröffentlichung eines seiner besten Alben, "The Harrow" von 2001 (auf dem die oben genannten Sounds auftauchen), hat mit EWERS TONKUNST ein russisches Label übernommen.
Mit der Titelgebung bezieht sich MAGRINI auf KAFKA: 'Harrow' bedeutet 'Egge', und diese Egge ist in der "Strafkolonie" von KAFKA ein Teil der seltsamen Bestrafungsmaschine: der ausführende und damit schmerzhafte Teil, der dem Verurteilten seine Vergehen auf die Haut graviert. Aber wie immer bei MAGRINI ist seine Musik wesentlich weniger düster, disharmonisch und 'schmerzhaft', als man das vielleicht erwarten würde. Das gilt auch (und bei Verweisen auf KAFKA erst recht) für "The Harrow", ein Album mit fast schon melodischen Zügen. Hier beweist MAGRINI, was ihn von 999 anderen Computerbastlern unterscheidet: Er produziert nicht nur interessante Sounds, die für sich stehend vielleicht schon ganz spannend zu hören sind, sondern er versteht es auch über die Länge eines Albums, mit diesen Sounds zu komponieren, also Musik zu erschaffen, welche über die reine Aneinanderreihung von Geräuschen weit hinausgeht. Das Fiepen und Flirren, das Knacken des Geigerzählers, die Variationen eines Brummens und die verrauschten Frequenzen ergeben auf "The Harrow" eine moderne, organische und stimmige Sinfonie. Manche der Songs erinnern ein wenig an ANTLERS MULM (wie Track 3, "Hide"), was an der von MAGRINI selbst programmierten 'voice treatment software' liegen könnte. Sie basieren auf einfachen Melodien, umhüllt von Stimmfetzen und Frequenzrauschen, eine elektronische Wärme erzeugend. Andere Tracks sind 'fremder', alienhafter, mit den für Dark Ambient typischen Drone-Passagen und mehr Rauschen als Melodie. Aber auch hier findet sich immer ein Rhythmus oder ein anderes Element, das diese Stücke zusammenhält und nie abgehackt oder 'aneinandergebaut' wirken lässt. Selbst in Tracks, die hauptsächlich auf den Geräuschen der Geigerzähler basieren ('Contaminate'), fügt sich das scheinbar willkürliche Knacken mit den piependen Geräuschen von Science Fiction-Computern zu einem 'Song' zusammen. Kleine musikalische Ausreißer wie 'Generate', das eine kirchenorgel-artige, sakrale Stimmung erzeugt, sorgen für eine in diesem Genre nicht unbedingt übliche Durchhörbarkeit des Albums. Die Wiederveröffentlichung unterscheidet sich vom Original durch den Zusatztrack "Powerwaves" (12), der 2005 auf der ersten Ausgabe des CDR-Magazins " Taucher" erschien. Er ist einer der melodiöseren und passt - selbstredend - hervorragend zum Rest des Albums. Wer "The Harrow" vor sechs Jahren aus irgendeinem Grund verpasst hat, sollte jetzt zugreifen und seine BAD SECTOR-Sammlung ausbauen. Oder beginnen. Ein ausführliches Interview mit MASSIMO MAGRINI über seine Arbeit und Inspiration ist übrigens in der ersten Ausgabe von " Zwielicht" abgedruckt.
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Verweise zum Artikel:
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Zusammenfassung
MASSIMO MAGRINI komponiert mit seinen außergewöhnlichen Sounds ein paar 'Hits' der modernen, elektronischen Musik. Knackende Geigerzähler, Sprachfetzen und Rauschen hüllen den Hörer in einen wärmenden, elektronischen Teppich. Eine Wiederveröffentlichung, die Sinn und Spaß macht.
Inhalt
TH1: Erase (6:02)
TH2: Search (3:58)
TH3: Hide (6:06)
TH4: Analyze (3:13)
TH5: Learn (4:50)
TH6: Generate (4:08)
TH7: Contaminate (3:05)
TH8: Decode (3:43)
TH9: Wait (4:37)
THA: Damage (5:02)
THB: Transform (11:06)
THC: Powerwaves (4:37)
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