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Roy L.
THE GREEN MAN: The Teacher And The Man
...Of Lie oder: "the return of the final church..."
Genre: Neofolk
Verlag: HauRuck!...
Erscheinungsdatum:
April 2007
Medium: CD
Preis: ~12,00 €
Kaufen bei:
HauRuck!...
Kategorie: Rezension
Erstellt: 07.05.2007
Wörter: 1330
Artikelbewertung:
positiv:100% negativ:0%
Wenn wir mal ein mehr oder weniger kritisches Auge auf die Veröffentlichungen der letzten Jahre werfen, stellen wir fest, dass Neofolk irgendwie nicht mehr so richtig das ist, was es früher einmal war, dass sich der ganze Mythos, der vom einstigen Machtzentrum WORLD SERPENT ausging, in unzählige einzelne Klassifikationsstränge zerteilt hat und deswegen auch nicht mehr so akut hervorscheinen kann. Neofolk ist heute fast landesspezifisch geworden, der früher so enorme Post-Punk-Einfluss hat deutlich abgenommen und Genres wie Neoklassik, Military und Düster-Pop bilden nun das größere Einzugsgebiet der Szene. Der alte Rebellengeist ist in Provokationsschwärmerei umgeschlagen, thematisch kreist alles um immer abstraktere, unstrukturiertere konservative oder neo-paganistische Ideen; wir erleben das Zeitalter der Konzeptalben ohne wirkliche Konzepte. Ja, Entschuldigung für diese furchtbare Schwarzmalerei, aber das musste grad mal raus. Eigentlich hätte ich auch nicht mehr damit gerechnet, dass jemals wieder eine Band mit einer echten Neofolkplatte zum Vorschein kommen würde. THE GREEN MAN sind zwei junge, energische Süditaliener, die das Potential besitzen, den berühmten und bitter nötigen Umschwung einzuleiten. Nach einer Demo-CD und einer leider kaum wahrgenommenen Zehn-Zoll haben sie nun ein Album aufgenommen, das man richtig ‚anfassen’ kann, in dem man sich von Anfang bis Ende verlieren kann. „The Teacher And The Man Of Lie“ ist endlich wieder ein Werk mit riesigem Überbau, ein Werk, das regelrecht dazu auffordert, Bibliotheken zu durchstöbern, Texte zu interpretieren, prägnante Liedstellen unbewusst vor sich her zu singen. Kurz: ein Neofolkalbum. Thematisch orientiert es sich an den Arbeiten der australischen Theologin Barbara Thiering, die seit langer Zeit relativ einsam auf dem Gebiet der Qumran-Schriftrollen vom Toten Meer forscht. Diese Schriftrollen wurden 1947 von zwei Beduinen entdeckt, sie stammen vermutlich aus dem ersten Jahrhundert vor Christus und beinhalten die Aufzeichnungen der „Qumran-Sekte“, einer extrem apokalyptischen Gruppierung, die sich dem baldigen Weltuntergang ausgesetzt sah und sich zur spirituellen Rüstung in Wüsten und Einöden zurückzog. Aus den Schriftrollen geht ihre dialektisch organisierte Lehre hervor: dem „Teacher of Righteousness“ steht ein Priester des Bösen gegenüber, die Menschheit teilt sich im Angesicht der Apokalypse in die zwei Lager der Söhne des Lichts und der Dunkelheit. Thiering sieht hier Parallelen zur klassischen Geist-Materie Dialektik der gnostischen Schule, die zwischen einem wahren, rein geistigen Gott und dem unvollkommenen, düsteren Gott der physischen Schöpfung unterscheidet, analog dazu die Zweischichtung der Christusfigur, die sowohl den lebendigen Erlöser, als auch die fleischliche Manifestierung des Gekreuzigten kennt. In ihren Jesus-Büchern verknüpft Thiering die Qumran-Schriftrollen mit den apokryphischen Evangelien, nicht zuletzt dem kürzlich wieder aufgetauchten Judasevangelium, das die zentrale Rolle des Erlösers auf Judas verschiebt, der durch seinen Verrat Christus von dessen irdischer Hülle befreit. Ein Großteil der apokryphischen Evangelien wird den Gnostikern zugeschrieben, ihre Lehren greifen die katholische Kirche grundlegend an. Natürlich bewegt man sich mit so einer Thematisierung dahingehend auf dünnem Eis, dass man schnell oberflächlich werden kann und sich in den widerlichen religiösen Entblößungsrummel der Medien einreiht. „The Teacher And The Man Of Lie“ hält sich jedoch mit äußerster Stringenz an Thierings gnostischen Forschungen fest und gleitet nicht in die Untiefen der Bestsellerromane ab. Es erzählt in teils gesprochenen, teils gesungenen Versen die Geschichte zweier prophetischer Schulen in der apokalyptischen Dekadenz des vorchristlichen Israels. Der „Teacher“ ist eine archaische, asketische Figur, das Ur-Bild des spirituellen Führers, in dem sich Wahrheit und Licht manifestieren. Ihm gegenüber steht der „Man of Lie“, der falsche Messias Jesus, aber die Dialektik funktioniert hier natürlich nicht so einfach, weil sich die Christusfigur auch selbst auf zwei Ebenen bewegt und das Konzept der „Irrlehre“ vielmehr die Sache nachfolgender Generationen ist. Die Texte sind lyrisch überhöht, oft wirken sie hymnisch, zuweilen auch kämpferisch und kraftstrotzend. Es ist so eine Art Gnostizismus für Neofolker, und das ist im Grunde auch das eigentlich Interessante daran. Musikalisch haben THE GREEN MAN den lang verschollen geglaubten Pfad der ganz alten Schule wiedergefunden. Alles, was die WORLD SERPENT-Familie jemals gut und einzigartig machte, findet sich auf diesem Album in irgendeiner Weise verarbeitet. Die Italiener spielen zunächst einmal lockeren mediterranen Folk, wie man es aus der Region gewohnt sein dürfte. Das zu großer Überraschung hervorragende Englisch in den Texten und im Gesang bringt eine erste latent britische Note hinein. In den Liedern, die ELIAHU richtig singt, hat seine Stimme so etwas cool 80er-haftes und erinnert ein wenig an RICHARD LEVY zu STRENGTH THROUGH JOY-Zeiten. Bei dem Historikersprechgesang und den gehetzten Rezitationen muss ich dagegen immer an gewisse Passagen vom „Horse Rotorvator“-Album von COIL denken, dann natürlich auch an die misanthropischen Predigten von BOYD RICE, aber ELIAHU ist nicht ganz so böse und zynisch wie Mr. Intolerance. Der Thematik angemessen, dringen sehr starke orientalische Einflüsse, sei es durch Tablas, gesampelte Flöten, Dulcimer und andere Saiteninstrumente, immer wieder in den Vordergrund und der Zusammenprall westlicher und östlicher Musiktraditionen wirkt sogar ziemlich 70er-psychedelisch. Ein Bezug lässt sich hier auch zu BACKWORLDs erstem Album „Holy Fire“ sehen, das seinerzeit an manchen Stellen - zwar etwas undeutlich und unterschwellig, aber dennoch evident - orientalisch gefärbt war. Auch „Hitler As Kalki“ hatte für mich immer so einen leichten Nahost-Einschlag und Anklänge an NICK SALOMANs (THE BEVIS FROND) legendären E-Gitarrenpart lassen sich auch auf „The Teacher And The Man Of Lie“ finden. Eine starke rockige Komponente hat das Album ohnehin, bei „Man Of Lie“, „Crucification“ und „Magdalene“ bricht diese dann ganz explizit hervor, aber im Untergrund grummeln fast die ganze Zeit über ein paar elektrische Gitarren. Das sanfte und schöne „Last Supper“ ist dagegen mehr eine Songwriter Akustik-Ballade, deren eingängige Melodie einen auf Tage nicht verlässt. Überhaupt ist Einprägsamkeit ein Gut, das THE GREEN MAN endlich wieder etwas mehr als andere Zeitgenossen kultivieren. Man fühlt sich wie zu ganz alten Neofolk-Zeiten sofort vertraut mit den Stücken, es gibt diese charakteristischen, magischen Momente, die für diese Musik so immens wichtig sind. THE GREEN MAN machen insgesamt alles richtig, sie vermitteln so eine stoische Ernsthaftigkeit und militante Gerüstetheit, sie benutzen viel Keyboards und synthetische Instrumente, aber das ist in Ordnung, solang es Neofolk ist. Sie setzen, anders als viele Epigonen, Sprachsamples an den richtigen Stellen und mit intensivierender Wirkung ein, sie machen es mit diesem Hauch mystischer Coolness wie SOL INVICTUS damals zu „Lex Talionis“ Zeiten. So, nun habe ich bisher eine ganze Liste von Vergleichen und Referenzen heruntergeleiert und keine Merkmale der Eigenständigkeit des Albums herausgestellt, obwohl diese zur Genüge anzutreffen wären, wenn man denn darauf achtet, wie ELIAHU und MARCO mediterrane und orientalische Folklore miteinander vermischen und in einen Indie-Rock/Pop-Zusammenhang bringen, aber das ist alles vielmehr Mittel einer gewissen Dynamik, auf die wir ein paar Zeilen weiter unten noch mal zurückkommen. Wichtig ist: THE GREEN MAN teilen mit der ersten WORLD SERPENT-Generation ihre wesentlichen musikalischen Einflüsse: Post-Punk und 60er Folk, die Vorliebe für apokalyptische Themen und diese mikrokosmische Gesamtwerksattitüde ihrer Veröffentlichungen. Sie sind fast so eine Art „in alter Frische“ wiederauferstandene WORLD SERPENT-Neofolker. Das Ganze stimmt außerordentlich hoffnungsvoll und optimistisch, wenn man bedenkt, das THE GREEN MAN noch relativ am Anfang ihrer Karriere stehen und noch einiges auf sie zukommen mag. Man spürt auf diesem Album wirklich so eine wiedergefundene Vitalität des Genres. Nun also zur Aufgabe der Band: THE GREEN MAN könnten durchaus diejenigen sein, die den altersschwachen Neofolk ins neue Jahrtausend „hinüberretten“ und neu beleben. Sie machen musikalisch einiges anders als die Veteranen, haben keine Ängste sich anderen, auch populäreren Stilen zu öffnen, aber in ihrem Blut pulsiert der alte 80er-„Spirit“, der nichts mit den späteren Militaria-Nachwehen gemein hat. Hinter ihrem Albumkonzept steckt eine intelligente Herangehensweise und eine tiefverwurzelte Faszination, die mehr ist, als bloßes Interesse an obskuren und okkulten Themen. Genau dies könnte der richtige Weg sein, und vielleicht hören wir auf „The Teacher And The Man Of Lie“ schon einen Ausblick auf die Zukunft des Neofolks. Deswegen, liebe junge und neueingestiegene Neofolkhörer: hört Euch THE GREEN MAN an und bitte nicht die tausendste DEATH IN JUNE-Uniformfetisch-Verwurstung. Kauft Euch die CD, lest die Texte, summt die Melodien mit, es wird eine Zeit kommen, in der es wieder Spaß macht, Neofolker zu sein.
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Verweise zum Artikel:
» The Green Man @ MySpace
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Zusammenfassung
Liebe junge und neueingestiegene Neofolkhörer: hört Euch THE GREEN MAN an und bitte nicht die tausendste DEATH IN JUNE-Uniformfetisch- Verwurstung. Kauft Euch die CD, lest die Texte, summt die Melodien mit, es wird eine Zeit kommen, in der es wieder Spaß macht, Neofolker zu sein.
Inhalt
Intro
The Tree Of Evil
Teacher Of Righteousness
Sons Of Dawn
The Man Of Lie
The Son Of God
Setting Sun
Calling Of The Twelve
Wedding At Cana
Magdalene
Dream Of Him
Gospel Of Judas
Last Supper
Spring In Mird
Crucification
Final Journey
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