PETER ANDERSSON: Music For Film...

Der Schwede PETER ANDERSSON wurde am 20. März 1973 in Boxholm geboren. Ganz bestimmt haben ihm seine Eltern schon im Kreißsaal ein Schlaflied auf einem Synthesizer vorgespielt. Oder er lag während seiner ersten Nächte im Krankenhaus an der Heizung und schlummerte zu deren Stampfen und Klopfen. Anders ist seine leidenschaftliche Hingabe an elektronische, industrielle Klänge kaum zu erklären. ANDERSSON ist inzwischen 34 Jahre alt und macht nach eigenen Angaben seit 1988 Musik, also seit 19 Jahren. In dieser relativ kurzen Zeitspanne dürfte er die meisten seiner (lebenden und toten) Musikerkollegen schon überholt haben, was die Zahl der Veröffentlichungen angeht. Ich kenne jedenfalls keinen anderen Musiker, der so viele verschiedene Projekte mit einem solch immensen Output hat, meistens pro Jahr und Projekt eine CD. ANDERSSON selbst sagt von all seiner Musik, dass sie nicht mehr und nicht weniger als das darstellt, was in seinem Inneren vorgeht. Trotzdem lässt eine solche Menge an Veröffentlichungen schon erahnen, dass die musikalische Qualität nicht immer die allerhöchste sein kann. Um eine Vorstellung von seiner umfangreichen Arbeit zu bekommen, folgt hier eine kurze Auflistung der wichtigsten Projekte:


Mit 'Music For Film And Exhibition' hat ANDERSSON jetzt einen Ambientsampler herausgebracht, der - wie der Name schon verrät - sämtliche seiner Arbeiten beinhaltet, die er zwischen 1999 und 2006 entweder für Filme oder für Ausstellungen gemacht hat. Darunter der Soundtrack für den schwedischen Untergrundfilm 'Tulpa', der nie fertig gestellt wurde (der Film), der Soundtrack für einen Informationsfilm der Röntgenabteilung der Universität in Linköping, Musik zu eigenen Kurzfilmen und die Untermalung für eine Keramikausstellung, die 'Tod' und 'Frühstück' zum Thema hatte. Diese Zusammenstellung ist durchaus repräsentativ für das Schaffen von PETER ANDERSSON, mit all seinen guten und schlechten Seiten. Das heißt, dass die schon angesprochene qualitative Schwankung auch bei den Stücken auf 'Music For...' zu beobachten ist. Auf CD1 sind viele Perlen, die zu Recht veröffentlicht werden, weil sie belegen, warum ANDERSSON zu den wichtigsten Ambient- und Dark Ambient-Musikern gehört. Zum Beispiel die neun Stücke des 'Tulpa'-Soundtracks, die eine wohlige Atmosphäre im Sinne der klassischen Ambient-Definition von BRIAN ENO schaffen: Flächige, warme und langgezogene Sounds, die die Weite und Ruhe skandinavischer Schneelandschaften ins Wohnzimmer bringen, mit einigen Überraschungen wie Samples von Obertongesang. Hier funktioniert die Musik ohne die dazu geplanten Bilder, weil ANDERSSON beweist, wie gut er mit Tönen malen kann. Dasselbe gilt für die zwei Stücke zur Röntgen-Ausstellung: Man spürt beim Hören förmlich die Strahlen durch den Körper gleiten. Die restlichen Tracks auf CD1 fallen - bis auf den letzten und zugleich dynamischsten der Compilation - etwas ab, und die ersten Zweifel tauchen auf, ob tatsächlich jedes Stück, das für ein Zusammenwirken mit optischen Reizen gedacht war, auch alleine stehen kann. Diese Zweifel werden auf CD2 von Stück zu Stück größer. Die Klangcollagen, die ANDERSSON für Kurzfilme von sich und einigen Freunden zusammengestellt hat, sind eben genau das: aneinandergereihte Klänge, aber nicht mehr. Ein Zusammenhalt fehlt, auch wenn plätscherndes Wasser oder Vogelstimmen klar machen, dass es wohl um 'Natur' geht. Ich würde gerne Bilder sehen, und das ist kein Kompliment für Ambientmusik, deren erster Auftrag darin besteht, eine Stimmung zu erzeugen. Erstaunt lässt mich auch ein Ton zurück, der eine Minute und 39 Sekunden dauert und einmal das Intro einer alten Version der RAISON-Internetseite war. Der letzte, 17-minütige Track der zweiten CD quietscht ebenfalls an mir vorbei. 
 
Beim Hören dieser Doppel-CD stellt sich für mich wieder einmal die Frage, ob denn tatsächlich alles veröffentlicht werden muss, was PETER ANDERSSON so umtreibt, oder ob es sich nicht lohnen würde, die schier unendliche Energie, die der Mann zu haben scheint, auf weniger Projekte zu konzentrieren, dafür aber das Qualitätslevel durchweg hoch zu halten. Im Fall der aktuellen Veröffentlichung hätte zum Beispiel eine CD mit den wirklich guten Tracks ausgereicht, denn der Hörer ist doch immer dankbar, wenn er sich nicht sowohl bei einzelnen Veröffentlichungen als auch im Gesamtwerk die (zahlreich vorhandenen) Rosinen rauspicken muss. Bitte nicht falsch verstehen: Ich schätze die Arbeit von PETER ANDERSSON sehr und glaube, dass er einer der wichtigsten und besten elektronischen Musiker ist, aber ich würde mir einfach etwas mehr Selektion wünschen. 

Fazit: 'Music For Film And Exhibition' beweist auf CD1, was für ein genialer Kopf ANDERSSON ist, der mit einem Soundtrack den eigentlichen Film verzichtbar macht. Deshalb können sich alle RAISON D'ÊTRE- und NECROPHORUS-Fans das Album unbesehen kaufen. Fans des Genres, die dessen Entwicklung und die einer seiner Gallionsfiguren beobachten, werden es bereits besitzen. Alle anderen, die einen Einstieg in die Welt von PETER ANDERSSON suchen oder ihre Erfahrungen ausweiten möchten und nicht zu den manischen Sammlern gehören, finden andere Veröffentlichungen, die durchgängig überdurchschnittliche Ware bieten. Den etwas älteren Sampler 'Collective Archives' zum Beispiel, der - ebenfalls auf zwei CDs - unveröffentlichte und rare Songs von RAISON D'ÊTRE (bis 1996) bietet und den PETER ANDERSSON selbst als guten Einstieg empfiehlt: 'This CD is a good introduction for new listeners.'

Die Tracks auf 'Music For Film And Exhibition' und ihr ursprünglicher Zweck:

Disc I
Disc II

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