Eins und eins ist manchmal doch mehr als zwei. Oder zumindest kann das Ergebnis einer Kollaboration zweier Künstler völlig anders ausfallen, als man es eingangs von den 'Grundkomponenten' her vermutet hätte. LARK BLAMES ist ein Projekt mit eigenartigem Namen, der sich sinnigerweise anagrammatisch aus den beiden involvierten Herren
LLOYD JAMES (NAEVUS) und MARC
BLACKIE (SLEEPING PICTURES) ergibt. Bei dem altehrwürdigen italienischen Label
OLD EUROPA CAFÉ erschien kürzlich das Album "Chimney". Doch zunächst einige wenige Worte zu den jeweiligen Hauptprojekten der
Beteiligten.
Mit NAEVUS konnte sich in Sheffield eine der derzeitig innovativsten Szenebands herausbilden. Die Arbeit des Duos
LLOYD JAMES & JOANNE OWEN hat sich bis zum immer noch aktuellen, meisterhaften
"Perfection Is A Process"-Album immer vielgestaltiger entwickelt und kann als eine coole, lockere, dennoch etwas militante Art Punk-Folk bezeichnet werden, die neben den obligatorischen Akustikgitarren viel dynamisches Schlagzeug, New Wave Bässe und immer öfter auch ein zum Dahinschmelzen breitwandiges Akkordeon impliziert. Von NAEVUS wird in Zukunft sicher noch sehr viel Interessantes zu hören sein - als nächstes erscheint ein Vollzeitalbum bei
HAURUCK!.
Zu SLEEPING PICTURES lässt sich von meiner Seite her leider wenig Konstruktives beitragen. Ich muss gestehen, dass ich bis auf die "The Killing Tide"-Coverversion rein gar nichts von diesem Projekt, das dem weitergefassten Umfeld von
SOL INVICTUS (GARY PARSONS ist die zweite Hälfte des Projektes) entstammt, kenne, vermute aber, dieser Titel kann durchaus als bandcharakteristisch betrachtet werden. Konkret heißt das: typisch britischer Dark Folk/Pop, mit einigen neoklassischen und gruftigen Einflüssen. Eigentlich ganz beachtenswert, wäre da nicht BLACKIEs seltsam femininer, geckenhafter Falsettgesang, der mir damals SLEEPING PICTURES von Anfang an vergraulte. Ansonsten kenne ich MARC BLACKIE nur als TONY WAKEFORD
-Photographen, der für einige 'seriöser gealterter Künstler mit Katze'-Bilder in den letzten
TURSA-Veröffentlichungen sorgte.
Bei LARK BLAMES singt BLACKIE glücklicherweise nicht, genauso wenig wie JAMES. Diese neuerliche Zusammenarbeit ist nun auch so gut wie gar nicht von den stilistischen Merkmalen der beiden Hauptprojekte inspiriert, sondern darf eher im experimentellen Industrial angesiedelt werden. "Chimney" hat diesen bekannt witzigen Austob-Charakter eines sinnvollen Nebenprojektes, wie man das im Grunde auch von WAKEFORDs diversen avantgardistischen Ausflügen - zuletzt
das zweite gemeinsame Album mit
ANDREW LILES unter dem Namen THE WARDROBE - gewohnt ist.
Ruhig und atmosphärisch beginnt das Album mit verfremdeten Akkordeonflächen und verhaltenen, elektrifizierenden Störfrequenzen. Im Prinzip ist das fast schon Ambient, aber es hat so etwas Warmes, abgefahren Umherkreisendes. Die Titel entstanden gemäß der 'alten Schule' allesamt in kräftiger Handarbeit - Fieldrecordings, Bassversatzstücke, schräge Gitarren, gute alte brachiale Analogelektronik und wahnsinnige Mikrofonzweckentfremdungen verwickeln sich mal verwirrend kontemplativ, mal unerwartet krachig zu durchweg interessanten und abwechslungsreichen Klangmosaiken. Dieses aggressiv pulsierende Auspuffgeräusch bei "Vuvka", oder was auch immer das sein mag, erinnert mitunter sogar an die 'tanzbaren' (haha) Passagen bei
CON-DOM, weist dabei aber natürlich überhaupt nichts Predigendes auf. "Convenience" ist dann sogleich eher ein psychedelischer Bass- und Gitarrentrip durch unterirdische Kanäle (oder besser Kamine?) mit einer völlig irren, ja krankhaften Geräuschkulisse. Dann vermischt das lange "Palms Down" flammenwerferartig einströmende Noiseteppiche mit verstimmten, abendlichen Spaziergängen auf der Klaviatur. Noch eine gewagte Legierung findet sich bei der Noise-Folk Komposition "Black Butterfly", bei dem als kleines Schmankerl der Sprechgesang unserer
ROSE MCDOWALL zu hören ist. Für ROSE-Verhältnisse natürlich eher mau und unspektakulär, aber diese originelle Kombination aus Krach, Folkgitarren und einer sphärischen Frauenstimme erinnert mich irgendwie an das amerikanische New-Weird-Folk Urgestein
CHARALAMBIDES.
Es wirkt auf "Chimney" alles ziemlich dreckig, kaputt, kleinstädtisch, im wahrsten Sinne industriell. Man spürt geradezu eine lastende Schwere aus Ruß und Nebel, die abstrakten Formen veralteter Ziegelbauten, so eine befremdlich unwohlige suburbane Stimmung liegt in der Luft. Das ganze wäre vor allem etwas für montane Klanginstallationen. Thematische Parallelen dürfen hier natürlich auch zu dem schwedischen ANDERSSON/ANDERSSON
-Projekt
BOCKSHOLM gesehen werden. Aber bei LARK BLAMES merkt man dennoch vom ersten Ton an, dass diese Musik aus dem industrieübersäten Norden Englands stammen muss. Die Briten setzen weniger auf den beschwörerischen skandinavischen Düstereffekt, sondern eher auf Klangforschung, empirische Experimente, daher ist ihr Sound alles andere als synthetisch. Die industrielle Vorstadt, das 'Milieu' wird hier zum überdimensionalen Laboratorium, der Schornstein zum Mikroskop, durch das unzählige Absurditäten betrachtet und improvisiert intoniert werden.
Auf zwei weitere herausragende Stücke sollte zum Ende noch verwiesen werden. "Lint Service" begibt sich mit seinen modifizierten Gitarrendrones und den unterschwellig kratzenden Noiseflächen in die beeindruckend meditativen Dimensionen von
TROUM oder auch
BAD SECTOR, deren kosmische Wellenzüge hirnrindenstimulierend zum Abdriften einladen. Wer hätte gedacht, dass sich JAMES und BLACKIE, wenn man ihren musikalischen Hintergrund kennt, jemals solchen Gefilden nähern würden. In dem abschließenden "Mondo Chimney" landet der allseits gern begrüßte
JOHN MURPHY (man beachte die endlos lange "appears on..." - Liste in seinem
Discogs-Eintrag) mit seiner hypnotischen, leider viel zu selten gehörten Stimme in einem feschen Cocktail aus Industriesafari und Loungeambiente, der zum Ende hin immer explosiver wird. Die animalische Coolness mancher
KNIFELADDER Stücke schwingt hier im Bass und den Worten MURPHYs natürlich auch mit. Ein überaus eingängiger und für manche Banausen sicher auch versöhnlicher Abschluss dieses erfrischenden Albums.
Auf ihrer ersten Zusammenarbeit zeichnen LLOYD
JAMES und MARC
BLACKIE dicke, rauchende Schornsteine in eine trostlose, steinerne Landschaft. In zehn sehr verschiedenen, aber gleichmäßig rauen Kompositionen stürmen sie kräftig ins Feld altmodischer Klangexperimente hinein. Für Kenner der Stammprojekte beider Künstler würde ich "Chimney" eher noch NAVEUS-Hörern zutrauen wollen, weil man dort an zeitweilige schräge und krachige Intermezzi gewohnt sein dürfte. Im Grunde aber ist LARK BLAMES eine Sache für sich, die sehr viel Spaß macht, weil es viele unverbrauchte Sounds zu entdecken gilt, die zudem mit der richtigen Attitüde, nämlich einer echten, schmutzigen Freude am autonomen Experimentieren entstanden sind. Reinhören sollten deswegen vor allem alte Industrial Hasen, die von 'Laptopnoise' und 'Angstpop' so langsam die Schnauze voll haben.