Spätestens seit Veröffentlichung der so charmanten "Todesblei salonfähig gemacht“-Vinylscheibe dürfte es auch dem letzten vors Auge geführt worden sein: Weite Teile der Szene von Neofolk-, Industrial- und Minimal Wave-Enthusiasten erlebten ihre erste Initiation in die Welten dunkler Subkultur durch das Death Metal-Genre. Death Metal, das ist die Metal-Musik der grunzenden Sänger, der heruntergestimmten Gitarren, der blutrünstigen Motive auf T-Shirts von Jugendlichen und das Genre der ungeheuer flinken Schlagzeuger (Blastbeats). Death Metal war aber auch eine einzigartige, wenn auch kurze Erfolgsgeschichte.
Für JOHN PEEL waren Death Metal und Grindcore „die Rückbesinnung auf eine extreme Punk-Attitüde“. Death Metal ist außerdem Geburtshelfer ganzer, davon losgelöster „Folge-Genre“, die ihrerseits wieder extrem erfolgreich waren und sind. Nehmen wir den Bereich „Gothic Metal“: Alle (bis auf TYPE O’ NEGATIVE) stilprägenden Bands dieses Bereiches, angefangen bei PARADISE LOST über TIAMAT bis hin zu MY DYING BRIDE starteten mit Death Metal. Ähnlich das schillernde Verhältnis zum Black Metal. Einerseits ist Black Metal der historische Vorgänger des Death Metals, andererseits aber auch wieder sein Nachfolger. Die Übergänge sind ohnehin fließend. Death Metal kommt somit unter allen Genres mit intendierter Schockwirkung (also Punk, Industrial, Dark Wave) eine Sonderstellung zu, weil es - ohne in seiner Wirkung sonderlich zu verwässern - das kommerziell erfolgreichste war. Death Metal sollte also schon aus diesem Grund jeden, der sich in Subkulturen bewegt, die einst als mehr oder weniger anstößig empfunden wurden, interessieren. Diesem so wichtigen Death Metal und seiner Geschichte ist nun endlich auch ein vernünftiges Buch gewidmet: „Choosing Death. Die unglaubliche Geschichte von Death Metal und Grindcore“. Autor ist ein ALBERT MUDRIAN. Eine Einleitung verfasste niemand geringeres als der kürzlich verstorbene JOHN PEEL. Das Buch erschien zuerst 2004 beim US-Verlag FERAL HOUSE, also dort wo auch u.a. schon ANTON LAVEY, MONTE CAZAZZA, MICHAEL MOYNIHAN („Lords Of Chaos“), BOYD RICE oder GERHARD (ALLERSEELEN) publiziert haben. Seit Juni 2006 liegt nun, besorgt vom verdienstvollen IRON PAGES Verlag aus Berlin, eine deutsche (unaktualisierte) Übersetzung vor. Um es gleich zu sagen, dem Buch ist sowohl was die Faktensicherheit und den Unterhaltungswert angeht, als auch bezüglich des methodischen Vorgehens eine absolute Spitzenleistung zu bescheinigen. Der Autor traf offensichtlich beim Schreiben des Buches eine Grundsatzentscheidung: Er entscheidet sich, die Geschichte des Death Metals um 1983/1984 beginnen zu lassen. VENOM, SODOM, HELLHAMMER und Konsorten werden nicht behandelt und auch kaum erwähnt, vielmehr werden diese Vorreiter sozusagen vorausgesetzt. Mudrian wählt meist eine Art biographischen Zugang. Somit besteht „Choosing Death“ auch aus verschiedenen, kunstvoll miteinander verwobenen bandbiographischen Skizzen solch maßgeblicher Gruppen wie NAPALM DEATH, CARCASS oder MORBID ANGEL, daneben immer wieder Beschreibungen der Lebenseckpunkte wichtiger Musiker wie CHUCK SCHULDINER (DEATH), Labelbetreiber wie DIGBY PEARSON (EARACHE) oder Produzenten wie SCOTT BURNS (MORRISOUND Studio). Der Autor lässt die Geschichte des Death Metals in den USA beginnen und zwar relativ zeitgleich an zwei Orten: 1. 1982 in Kalifornien, als die etwa 15 und 16-jährigen High School Kids und VENOM-Fans JEFF BECCERA, MIKE TORRAO und MIKE SUS beschließen mit POSSESSED eine Band zu gründen, die "noch brutaler" klingen soll als ihre Vorbilder. 2. In Orlando, Florida. Dort freunden sich 1983 an der Schule die ebenfalls 15-jährigen VENOM-Fans Barney Lee (KAM LEE), Frederick DeLillo (RICK ROZZ) und CHUCK SCHULDINER an und beschließen ebenfalls, eine Band zu gründen, die sie nach dem VENOM -Gitarristen MANTAS nennen. POSSESSED folgen dem "Satanismus" ihrer VENOM-Vorbilder. Im Buch wird die "Urszene" so geschildert: "Mike Torrao schlug vor, ich solle wie CRONOS von VENOM oder SLAYERs TOM ARAYA singen...also habe ich mir einfach die Eingeweide rausgebrüllt." (Zitat: JEFF BECCERA). 1983 erscheint ihre Demokassette "Death Metal", darauf auch ein gleichnamiger Song. Beccera: "Der Titel ist mir während des Englischunterrichts...eingefallen. Speed Metal und Black Metal gab es ja schon." Ähnlich die Geschichte von MANTAS, trotz ihres Namens wollten sie jedoch den "Satanismus" VENOMs nicht so konsequent übernehmen, sondern beschäftigen sich lieber mit Zombies aller Art und besuddelen sich mit Kunstblut. Ihr Demo nannten sie 1983 in Unkenntnis des POSSESSED Demos "Death by Metal", kurz darauf folgte die Bandumbenennung in DEATH. So also der Ursprung des Genres oder besser des Genre-Namens, denn natürlich entstanden zu der Zeit auch in Europa oder sonstwo Bands, die erfolgreich versuchten, die musikalische Brutalität VENOMs noch einmal zu übertreffen, nur blieben sie bei bereits geläufigen Bezeichnungen wie "Black Metal" oder "Thrash Metal". Der Autor unterstreicht das aufgrund seiner Entscheidung, den Black Metal zu umschiffen, oft nicht deutlich genug. Ebenso erwähnt er nicht, dass auch 1984 in Deutschland ein Sampler namens "Death Metal" mit zwei HELLHAMMER-Songs erschienen ist, die langsame Etablierung des Namens also nicht nur allein von der Szene in den USA ausging. Etwas komplizierter ist laut Mudrian der Ursprung des Grindcores. Im Grindcore vermischen sich Attitüde und Stil des Hardcore- Punks mit Metal, dementsprechend waren die ersten Grindcore-Gruppen meist Bands aus dem Hardcore-Bereich, die ihren Musikststil immer weiter "brutalisierten". Mudrian schildert die Frühzeit der englischen NAPALM DEATH, die sich 1982 in Birmingham gründeten. Bandgründer NIK BULLEN ist Metal- und Punkfan, vor allem begeistert ihn der apokalyptische, rohe Hardcoresound von DISCHARGE, die 1982 mit "Hear Nothing See Nothing Say Nothing" gerade einen absoluten Meilenstein des noch jungen Genres veröffentlicht hatten. Mit den autonom in einer Kommune lebenden Linksanarchisten CRASS (von denen bekanntlich auch CURRENT 93 wichtige Impulse erhielten) teilten er und seine Mitstreiter das politische Bewusstsein, auf dem CRASS-eigenem Label CRASS RECORDS erschien auch einer der ersten NAPALM DEATH Songs, wütender Hardcore-Punk im DISCHARGE-Stil. Unter vielen ähnlich ausgerichteten Bands (Die Mitglieder sind immer so zwischen 14 und 17 Jahren), unter ihnen HERESY und EXTREME NOISE TERROR, beginnt nun eine Art Wettkampf - wer schafft es den schnellsten und aggressivsten Punk zu spielen. NAPALM DEATH gönnen sich derweil, aufgrund einiger Wechsel im Bandgefüge, eine Auszeit. Währenddessen finden in der Hardcore-Punk-Szene in den USA, speziell um Boston herum, ähnliche "Wettkämpfe" statt. Der Autor konzentriert sich zunächst auf DEEP WOUND und vor allem SIEGE, kommt dann aber auf GENOCIDE zu sprechen. GENOCIDE wiederum sind typische Metaller, haben mit "Politik" gar nichts am Hut und versuchen einfach möglichst "kranke" Horror- und Gewalttexte zu schreiben, die aber auch bei den Hardcore-Kids gut ankommen. Es entstehen Kontakte und Besetzungswechsel zwischen DEATH und GENOCIDE und schlussendlich nennen sich GENOCIDE um in REPULSION. REPULSION gelten heute den meisten als erste Grindcore-Band. Zu verdanken haben sie dies ihrem seltsamen Drummer DAVE "Grave" HOLLINGSHEAD, der bereits als "Grabschänder" eine gewisse, lokale Berühmtheit genoss, sich wie ADOLF HITLER stylte und das "wie wild auf das Schlagzeug Einprügeln" in ganz neue Dimensionen führte. Mittlerweile haben sich in Europa, in Birmingham, auch NAPALM DEATH durch zwei neue kreative Mitglieder, MICK HARRIS am Schlagzeug und JUSTIN BROADRICK am Bass (beides große THROBBING GRISTLE-"Fans") wieder aufgerappelt. 1987 stoßen "Hippie" LEE DORRIAN (später CATHEDRAL) und BILL STEER (später CARCASS) hinzu und in dieser Besetzung prügeln sie, beeinflusst durch REPULSION und SIEGE, den sagenhaften Grindcore-Meilenstein "Scum" ein, der ihnen nicht nur durch die 1-Sekunden-Attacke "You Suffer" einen Platz im "Guiness Buch der Rekorde" beschert hat, sondern auch "Anerkennung" von "High-Brows-Kunstverständigen" oder eine JOHN PEEL (der sich generell an diesem Genre sehr interessiert zeigt) Session einbrachte. NAPALM DEATH waren/sind, wie auch die nun entstehenden CARCASS, in der Art wie sie von "Avantgardisten" gerühmt wurden/werden, durchaus mit WHITEHOUSE zu vergleichen. Mit WHITEHOUSE teilen sie auch ein weiteres Schicksal: 20 Jahre später kann man auf der NAPALM DEATH Homepage den schönen, selbstironischen Satz lesen: "Being a legend is no easy thing", wohl wahr, besonders wenn dieser Status durch musikalisches "Extrem-Sein" erreicht wurde. Der Autor zeigt nun schön, wie ab da alles Schlag auf Schlag geht, schon 1987 entstehen die beiden anderen stilprägenden Grindcore-Scheiben: 1. "I Reek Of Putrefaction" von CARCASS, die englische Band lässt sich originellerweise von medizinischen Sezierungs- und Autopsie-Fachbüchern inspirieren und veröffentlicht 1989 endlich auf dem bandeigenen NECROSIS Label das Debut von REPULSION und 2. TERRORIZER: "World Downfall", auf dem "politischer" Grindcore im Sinne von NAPALM DEATH geboten wird. Der sagenhafte TERRORIZER-Schlagzeuger PETE SANDOVAL wird von nun an mit MICK HARRIS (NAPALM DEATH) ein jahrelanges Fernduell zur Frage des schnellsten und präzisesten Schlagzeugers eingehen und bereits 1988 von MORBID ANGEL, einer schon länger existierenden, strikt "satanischen" Death Metal-Band abgeworben werden. 1989 ist dann das Jahr, in dem der Death Metal, vor allem gefördert durch das englische Label EARACHE, so richtig durchstartet. Es entstehen unglaubliche Klassiker wie MORBID ANGELS "Altars Of Madness", niemals zuvor wurde musikalische Aggression mit so einem spieltechnischen Können kombiniert, und OBITUARYS "Slowly We Rot", ein Album, auf dem erstmals der perverse "Gesang" allein lautmalerisch wirkt und wirken soll. Florida, USA, ist nun ein Mekka des Death Metals. Hier entstehen Bands wie AMON (später DEICIDE) oder CANNIBAL CORPSE, die alle einen bestimmten, vom MORRISOUND Tonstudio geprägten Sound gemeinsam haben.
Dominik T. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » Homepage zum Buch
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Zusammenfassung
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Positiv aufgefallen
Inhaltlich nahezu perfekt,
sehr gute Uebersetzung! Negativ aufgefallen
Kein Namensverzeichnis!!
Inhalt
256 Seiten. Zum Buch erschien gerade via
RELAPSE RECORDS ein gleichnamiger CD-Sampler. |