Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends wir trinken und trinken Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng. Wer kennt sie nicht, diese Zeilen aus der berühmten „Todesfuge“ von Paul Celan (1920 – 1970). Das Gedicht, 1952 erschienen in Mohn und Gedächtnis, umschreibt den Mord an den europäischen Juden durch die Nationalsozialisten und ist wohl das bekannteste Werk aus der Feder des Dichters, Übersetzers und Schriftstellers Celan, der 1960 mit dem Büchnerpreis ausgezeichnet wurde. Die Todesfuge auf Hebräisch - das jedoch dürfte noch nicht jeder gehört haben; und genau damit bestreiten POOCHLATZ grandios und klanggewaltig die Eröffnung der Victims of Self Preservation.
Doch genug der Vorrede. POOCHLATZ, das sind Maor Appelbaum (Produktion, Engineering, Mixing und Mastering) und Rani Zager (Vocals und Lyrics), zwei Musiker aus Israel, die mit dem vorliegenden Album eine Mischung aus schrillenden und kreischenden Noise-Schichten, monotoneren Parts, klassischer Instrumentalisierung (einer nicht ganz leicht zu identifizierenden Klarinette in den Stücken I will not survive the ravage und Just a litte conflict) und heiseren Sprachfetzen abliefern, denen sie Gedichte von Celan und Aba Kovner, rezitiert auf Hebräisch, hinzufügen. Der israelischen Musik- und Noiseszene sind Appelbaum und Zager keine Unbekannten. So vereint das Multitalent Appelbaum, das als Produzent, Musiktechniker und Musiker an verschiedenen Instrumenten in Erscheinung tritt, in seinen Appelbaum Productions sowohl diverse Soloprojekte, als auch weitere Bandprojekte, an denen er beteiligt ist – und für die Zeitschrift Metal Hammer Israel schreibt er auch. Zager mischt indes bei dem Industrial Projekt Vultures mit (an dem, wie könnte es anders sein, auch Appelbaum beteiligt ist). Wie also klingt die Todesfuge auf Hebräisch. Nun… das Prädikat „zutiefst unheimlich“ trifft es ganz gut. Verstörend, befremdlich, fast ein wenig nach einem Gebet, einer Beschwörung. Allein am Titel Black Milk und den Namen Sulamith und Margarete lassen die dem europäischen Ohr fremdartig – ich bin fast versucht zu sagen: exotisch - anmutenden Klänge das Gedicht erkennen; die heiser verzerrten und mit einem leichten Hallen unterlegten Worte rufen Assoziationen mit einem rituellen Kontext wach und eine leichte Gänsehaut hervor, und sie sind, wie gesagt, vor allem eins: unheimlich, auf eine ganz besondere, schwer in Worte zu fassende Weise beunruhigend. Der reibende Sprachklang des Hebräischen, der fremdartige, an eine Anrufung erinnernde Sprachrhythmus, unterlegt mit einer großartigen Kulisse aus Rauschen, Störfetzen, Zischen – eine großartige Eröffnung. Aufgrund dieses Anfangs mag es überraschen, dass die Victims of Self Preservation dennoch kein Werk zum Thema Holocaust ist. Jene Thematik mag ein Teil davon sein, die hauptsächliche Idee hinter der Preservation jedoch ist eine andere: „I guess that this is what we're questioning with Poochlatz - the almost obvious need for these self-preservation acts, commemorations and routine rituals - not only as a state or as a community, but also as persons trying to deal with everyday, life while suffering some sort of a high-volumed traumatic experience.” So drückt Rani Zager es aus. „Poochlatz“ ist das hebräische Wort für „ausgestopftes Tier“ – ein Begriff, den Appelbaum und Zager auf den Menschen übertragen: ausgestopfte Menschen ("stuffed humans"), das heißt Menschen, die aufgrund ihrer Selbstschutzrituale unbeweglich geworden, erstarrt sind. Um im täglichen Leben, im beruflichen und privaten Alltag zu bestehen, muß jeder von uns sich notwendigerweise gewisse Selbstschutzrituale aneignen. Dieser Mechanismus jedoch kann, so POOCHLATZ, in seiner übertriebenen Form zu einer Verhärtung der Persönlichkeit führen, zu Stagnation, zu einem Erstarren hinter den Mauern des Selbstschutzes, die zum Gefängnis werden - während im Inneren Ängste und Zweifel nagen. Die Verbindung zum Holocaust durch die Gedichte von Celan und Aba Kovner (My Sister nach dem Gedicht „My little Sister", das den von Black Milk eröffneten Bogen und zugleich das Album beschließt) haben Appelbaum und Zager hergestellt, weil ihrer Ansicht nach der Holocaust eines jener Ereignisse ist, von dem die Menschheit, besonders die Menschen in Israel, immer „besessen“ sein werden, und das aus diesem Grund ein hohes Potential dafür hat, wie auch immer geartete Selbstschutzmechanismen auf den Plan zu rufen. Musikalisch wartet die Preservation mit einem breiten Variantenreichtum von Krachcollagen auf. Ohne Track für Track einzelne Elemente aufzählen zu wollen, ließe sich das Ganze grob umreißen als eine Mischung irgendwo zwischen Power Electronics und Teilen, die an Japan Noise erinnern, aus monotoneren und krachigeren, einander stark überlagernden und einfacheren, kreischenden und flüsternden Passagen (über mangelnde Abwechslung kann man sich wahrlich nicht beklagen). Nun ja, Noise halt, könnte man sagen, und vielleicht die Schultern zucken. Dennoch hat diese Veröffentlichung, aus der die Rezitationen der beiden Gedichte eindeutig als Höhepunkte herausstechen, ganz klar ihre eigene Note und verbreitet jede Menge bizarren Charme. Allein der Anfang - und auch das Ende - sind so gelungen, dass sie die gesamte CD zu etwas Besonderem machen, mit einer Klammer des Ungewöhnlichen umgeben und ihr, ja, wirklich einen ganz besonderen Charme, verleihen. Zum Abschluß noch ein Wort von Rani Zager zum schrägen Cover der CD: Den Mann, der darauf abgebildet ist, gibt es wirklich: "Regarding the person on the cover: he may look cute but when i talk about "stuffed humans" he's the first person i see in front of my eyes. he's more than 90 and he plays on the streets of Tel Aviv and Haifa for money. i guess he has quite a story to tell, but most people just pass by him without paying attention. i think he's running some crazy shit in his head, and while i admire he's will and strength to survive this world, even by playing accordion for pennies on the streets in his age, i do believe he's the most strong embodiment of the issues we're dealing with - he's a true victim of self-preservation: strong and anxious on the outside, fragile, tormented and confused on the inside. he is cute, though. don't know if you can see it, but he's wearing four or five hats on his head..." Und was Ali Baba und die 40 Räuber in Note to Myself damit zu tun haben? Eine Antwort darauf habe ich leider nicht gefunden. Aber ein bisschen Raum für Interpretation muß schließlich offen bleiben. I would like to thank Rani Zager for the enjoyable conversation and for the detailed answering of my questions.
Claudia K. für nonpop.de
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Zusammenfassung
Todesfuge auf Hebräisch
Inhalt
001 Black Milk
002 I will not survive the ravage 003 Imitate - meditate 004 Not just a conflict 005 Note to myself 006 We degrade 007 I got mice on it 008 To grief and to hold 009 Get down and finish the job 010 My sister |