Zu Beginn ein kleines Gedankenspiel: Man stelle sich einen lauen Sommerabend in einer mediterranen Metropole vor. Der Tag war anstrengend, und nun ist man auf der Suche einem Ort, sich zurückzulehnen und die restlichen Stunden entspannt bei einem Glas Wein und einer deftigen Mahlzeit zu verleben. Man sucht und sucht und sucht und findet schließlich, versteckt in einem heruntergekommenen Hinterhof, ein kleines, verrauchtes Restaurant, das schon seit Anbeginn der Zeit zu existieren scheint und bei dessen Anblick man sich fragt, wie man solch eine urige Lokalität nur seit Jahren übersehen konnte. Schnell sind Speis und Trank gewählt und serviert, und die ersten Happen haben bereits Zeugnis von der zweifelsohne liebevollen Zubereitung des Gerichts abgelegt, als in der hintersten Ecke des Gastraums, kaum zu erspähen durch das Zwielicht und den Rauch, eine Band zu spielen beginnt. Diese Band, sie könnte SPIRITUAL FRONT heißen, zumindest wenn man ihr neustes Werk, "Armageddon Gigoló", als Maßstab nimmt. Die auf den letzten Veröffentlichungen bereits mehr und mehr anklingende Stilkorrektur findet mit dem aktuellen Album ihren neuen Höhepunkt: An die mehr als nur trottelig-unbeholfenen ersten Gehversuche in Form von "Songs for the Will" mit dem schrecklichen hervorgepressten "Gesang" erinnert rein gar nichts mehr - zum Glück! Stattdessen positioniert sich Simone "Hellvis" Salvatore mit seinen Mannen selbstbewusst jenseits dröger Szeneklischees und -erwartungen im weiten Feld der Singer/Songwriter und zelebriert einmal mehr die Nöte des weichherzigen Machismos. Inhaltlich dreht sich alles (natürlich) um Sex, Religion und ein beweihräuchertes Leben als Außenseiter - Nihilistic Suicide Pop eben. Unterstützt vom Ennio Morricone-Orchester, dem mitunter eine erstaunliche Präsenz eingeräumt wird, wandeln die Italiener souverän auf den Pfaden eines JOHNNY CASH und NICK CAVE, angereichert mit einer ordentlichen Portion mediterranen Flairs und mit einer Prise Tango verfeinert. Zugegeben: Als ich erfuhr, dass das Album über Trisol veröffentlicht wird, war mir schon ein wenig mulmig zumute, wird das Label doch von verschiedenen Bands zuvorderst als letzter Hafen gebraucht, um voller Genuss der bedingungslosen Selbstdemontage zu frönen. Alle Ängste waren mit den ersten Tönen "Armageddon Gigolós" allerdings im Nu verflogen. Nie klangen SPIRITUAL FRONT unverbrauchter, nie frischer und beschwingter. Es geschieht nicht oft, dass man von "Weiterentwicklung" sprechen kann, ohne "künstlerische Kompromittierung zugunsten finanzieller Interessen" zu meinen. Im Falle dieses Albums trifft eine solche Aussage den Nagel jedoch auf den Kopf, und dies ohne jeden Euphemismus oder irgendeine Doppeldeutigkeit. Dass sich mit dem Labelwechsel und der Stiländerung neue Geldquellen aufgetan haben, steht außer Zweifel, doch gönne ich SPIRITUAL FRONT ebensolche, wenn sie das Ergebnis solch großartiger Musik sind. Es ist gewiss kein Urteil, das ich über jedes bessere Album fälle, doch ist "Armageddon Gigoló" problemlos zu den besten Veröffentlichungen der letzten Jahre zu zählen.
Micha W. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » Spiritual Front » Spiritual Front @ MySpace Themenbezogene Artikel: » SPIRITUAL FRONT: Amour Braque » September Warning Festival 15.9.06 » Rückschau: Spiritual Front in Bochum » Naevus/Spiritual Front - Bedtime/... » Ordo Rosarius Equilibrio & Spiritual Front ::... » Ein Gespräch mit IANVA Themenbezogene Newsmeldungen: » SPIRITUAL FRONT: Sendetermin steht » Spiritual Front im WDR-Rockpalast » September Warning Festival
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Zusammenfassung
"Armageddon Gigoló" ist ein hinreißendes Album voller mediterranem Flair und einer Prise Tango geworden. Hebt die Gläser, und stoßt auf SPIRITUAL FRONT an - verdient haben sie es sich allemal.
Inhalt
1.Slave
2.Bastard angel 3.I walk the (dead) line 4.The shinning circle 5.My Kingdom for a horse 6.Jesus died in Las Vegas 7.Cruisin' 8.Love through vaseline 9.Ragged bed 10.No kisses on the mouth 11.Redemption or myself |