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Michael We.

DEATH IN JUNE: The Rule Of Thirds

Drei Redakteure, drei Meinungen


DEATH IN JUNE: The Rule Of Thirds
Genre: Neofolk
Verlag: NER
Vertrieb: Soleilmoon
Erscheinungsdatum:
17. März 2008
Medium: CD
Preis: ~17,00 €
Kaufen bei: Tesco


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Im gläsernen Sarg von Fort Nada

Niemand, scheint es, erwartet noch ein neues DEATH IN JUNE-Album mit Spannung. Ich selbst vernehme es sogar mit einigem Widerwillen, ja Schaudern, wenn wieder eine CD bevorsteht. In den schwärzesten Stunden wünschte ich, der Mann hinter diesem Projektnamen hätte nach "Rose Clouds of Holocaust" gleich seinem Idol YUKIO MISHIMA Seppuku begangen. Gedanken, die sich dann einstellen: Was für Enttäuschungen und ästhetische Entgleisungen erwarten einen wohl diesmal? Was für Phantomschmerzen werden diesmal ausgelöst? Was für traumatische Erinnerungen reaktiviert? Wer mit DIJ erst jetzt bekannt wird, wird wohl kaum nachvollziehen können, was für einen tiefen emotionalen Einschnitt der künstlerische Abstieg und die parallel laufende Image-Demontage für jene Hörer wie mich bedeutete, deren Leben, Fühlen und Denken von DIJ maßgeblich beeinflußt und verändert wurde. Nun gehört es freilich zum Standard der Kritiken seit etwa "All Pigs Must Die" (2001), und zum Teil auch schon seit "Take Care & Control" (1998), die Klage über die guten alten Zeiten anzustimmen. Ich will nicht wiederholen, was schon unzählige Male dazu gesagt wurde. Aber angesichts dieser Wiederbegegnung mit DIJ im Jahre 2008, kann ich nicht daran vorbei, ein paar grundsätzliche Gedanken zu äußern.

Für mich war schon "Rose Clouds of Holocaust" ein deutlicher Abfall gegenüber "What Ends When The Symbols Shatter?" Auf "Symbols" hatte jeder Song einen unvergeßlichen Charakter, eine andere Stimmung, jeder Song kreiste um ein anderes Bild und Motiv, jeder Song hatte das Zeug zum Hit. Auf "Rose Clouds" machte sich bereits eine gewisse Monotonie breit, und bis auf zwei, drei Songs – das Titelstück, "Luther's Army" und "Lifebooks" – habe ich das Album nur wenig gespielt. Der Biß war auch auf den eher langweiligen Kollaborationen "Kapo!" und "Scorpion Wind" nur gelegentlich zu spüren. "Take Care & Control" hatte viele reizvolle, ja hinreißende Momente und schwarzen Humor, dazu einen wahren Alltimer mit einem herrlichen Text und zündender Melodie, "Little Blue Butterfly". Aber die Effekte nutzten sich so schnell ab wie der Geschmack eines Kaugummis, und ich empfand das Album stets mehr als eine ALBIN JULIUS-Platte, denn als ein originäres DIJ-Produkt. Das Einschneidenste jedoch war das Schwinden der Ästhetik und der optischen Präsentation. Zu dem DIJ-Erlebnis gehörten auch stets die faszinierenden Cover und Bildbeigaben. Dieser ästhetische Mehrwert war ein wichtiger Verstärker und Resonanzkörper für die Musik. Man sage mir nicht, daß das unwesentlich sei für die Rezeption, die Aura und den "Kult", die ikonische Wirkung und den Gesamteindruck. Zu einer Wagner-Oper gehört auch immer eine Aufführung. Um ein paar klassische, populäre Beispiele zu nennen, denke man an die Cover von BOB DYLANS "Bringing it all Back Home", von "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" und dem "White Album" der BEATLES, von dem Debütalbum von VELVET UNDERGROUND & NICO. Wieder zurück in den non-populären Postindustrial-Gewässern denke man an die Covergestaltung von "20 Jazz Funk Greats", "Swastikas for Noddy", "Chance Meeting on a Dissecting Table of a Sewing Machine and an Umbrella", "Dedicated to Peter Kürten", "Horse Rotorvator", "Music, Martinis & Misanthropy" oder "The Gospel of Inhumanity", um nur wenige zu nennen (Tja. Von diesen Genüssen hat die Mp3-Filesharing-Generation natürlich keine Ahnung.)

Wie sehr das zusammenhängt, spiegelt sich in den DIJ-Covern der letzten Dekade, die im Gegensatz zu früher zunehmend die Person von Douglas selbst, den eigensinnigen Künstler und Fetischisten, in den Vordergrund rückten. Man vergleiche die offiziellen Fotos von "The World That Summer" mit aktuellen Aufnahmen. Die Masken und Tarnanzüge in "The World" hatten einen ritualistischen Charakter, sie waren Bestandteil einer unheimlichen und faszinierenden Inszenierung, die die Person des poéte maudit hinter der Maske zu verbergen und mystifizieren versuchte: "We start a-fresh for Love and for Death". Die heutigen, immergleichen Inszenierungen, in der immergleichen Maske und Tarnjacke, im sonnigen Australien statt dem finsteren England, vor irgendwelchen dämlichen Panzern in dämlichen Schweinchenfarben, haben genau den gegenteiligen Effekt. Sie entmystifizieren, und vereint mit dem hemmungslosen Exhibitionismus der letzten Jahre betonen sie eher das Familiäre, Altbekannte, Allzumenschliche. Sollte früher das Ego hinter dem zwielichtigen Mysterium verschwinden, scheint es heute im Zentrum zu stehen, und wird einem mit ungenierter Lust an der Selbstdemontage geradezu ins Gesicht gerieben. Dahinter verbirgt sich zweifellos eine überaus sensible und verwundbare Seele. In dem Interview-Video "Behind The Mask" hat sich Douglas hinter seinem Standard-Outfit verschanzt wie in einem Krebspanzer. Er wirkt kauzig, pervers, labil, wie ein gekränktes Kind, das sich ein gruseliges Image zugelegt hat, um die feindliche Außenwelt abzuschrecken und auf Distanz zu halten, das sich aber gleichzeitig doch aus dem einsamen Innersten heraus mitteilen will, aber eben nur in der Maskerade öffnen kann.

Als ich nun das Cover von "The Rule of Thirds" zum ersten Mal sah, fühlte ich, wie sich eine lähmende Unlust in mir ausbreitete. Das allein war ein Signal, daß die künstlerische Stagnation noch nicht zu Ende ist. Zum x-ten Mal eines dieser saudummen, einfallslosen, nerdigen Cover, schon wieder Douglas in dem Outfit, mit dem ich inzwischen nur Ungutes assoziiere, dem Outfit, das längst zum Synonym für Selbstzitat und Selbstparodie geworden ist. Einer unfreiwilligen Selbstparodie allerdings, wie es scheint, denn Douglas nimmt sein Werk nach wie vor todernst. Dabei scheint er längst den Blick für die Realität verloren zu haben. Die notorischen, nicht enden wollenden Konzerte, in denen die DIJ-Songs auf eine vermeintlich "puristische" Einfachheit reduziert worden sind, empfindet wahrscheinlich nur er selbst als Knüller und intime Darbietung musikalischer Essenz. Aber der Mann und die Klampfe allein, das reicht nicht – weder auratisch noch musikalisch – zu dem "DIJ-Experience", das einst eine solch magische Wirkung entfalten konnte. Freilich, der Kern der DIJ-Faszination, das irritierende Kreisen um Themen, Ästhetiken und Motive einer gewissen historischen Epoche, scheint kaum mehr Thema zu sein, und damit ist sicher ein wesentliches Moment der Attraktion verlorengegangen. Im Grunde ließ diese berüchtigte, imageprägende Obsession schon nach "The Wall of Sacrifice" (1989) nach, und bereits in "What Ends..." spielte sie so gut wie keine Rolle mehr. Die gefrorene, doppelbödige, und bedrohliche Dekadenz begann sich allmählich zu verflüchtigen. Freilich hätte Douglas nicht ewig so weitermachen können. Als "All Pigs Must Die" erschien, war es offensichtlich, daß ihm die Themen und der schwarzromantische Schliff ausgegangen waren. "All Pigs" hat fesselnde, kühl-sarkastische Songs, aber das Album als Ganzes schmeckt letztlich schal, weil es ausschließlich von einem doch recht banalen Haß motiviert wurde, als "Fluch" gegen WSD. Es scheint, daß der letzte große Song im Sinne der "alten" DIJ "Leopard Flowers" war; der kurz darauf erschienene Sampler-Beitrag "The Only Good Neighbour" (1995) zeigte schon die zukünftige Marschrichtung an, ging es in dem Stück doch darum, einen unliebigen Nachbarn mittels Runenmagie zu verfluchen. Es scheint, daß diese Dinge viel zu viel Platz in Douglas' Seele eingenommen haben. Ständig scheint er um (im Gegensatz zu Boyd Rice) unproduktiven Haß zu rotieren, um Geld, um Geschäfte, um Betrug, um Existenzängste, um mißtrauische Animositäten, um Rechtsstreitigkeiten, also um unschöne und kleinliche Hanseleien, die zuletzt zum Bruch mit TESCO führten. In den Songs tauchen andauernd die "Traitors" auf, die ihn bestehlen, belügen, über den Tisch ziehen. Dieser mimosenhafte Verfolgungswahn wird eigentlich nur noch von KENNETH ANGER getoppt.

Kein Wunder also, daß Douglas heute unter seinen Musikerkollegen isoliert ist, menschlich wie geographisch und künstlerisch, im Gegensatz zu DAVID TIBET, der ganze Heerscharen von Kollaborateuren um sich geschart hat, und CURRENT 93 dadurch in schöpferischem Fluß hält. Douglas hingegen sitzt als Gefangener seines Ego in dem passend so genannten "Fort Nada", im Irgendwo der australischen Wüste nur mehr um sich selbst kreisend, offenbar ohne vitalen Austausch mit geistesverwandten Seelen, wie zu den Zeiten von "Brown Book" und "The World That Summer". Folgerichtig sind die Lieder auf "The Rule of Thirds" zwar intimer, einsamer, persönlicher geworden, aber eben auch thematisch und musikalisch einseitiger. Kryptische Verschlüsselung und private Offenherzigkeit gehen Hand in Hand. Wenn auch das neue Album, erst recht im Vergleich mit der Höhe des Werkes, mittelmäßig und still geworden ist, die Besonderheit von Douglas' künstlerischer Sensibilität ist noch deutlich zu spüren, vor allem bei der Lektüre der Texte, deren Gewicht von deutschen Hörern oft unterschätzt wird. Ich glaube, daß es unerläßlich ist, die Texte mitzulesen, die bei Douglas so wichtig sind wie bei BOB DYLAN. Es mag zwar abgelegen erscheinen (und ist es wohl auch) daß ich auf Dylan zu sprechen komme, aber manchmal, wenn ich an DIJ verzweifle, und Douglas für alle erfahrenen Enttäuschungen verfluchen möchte wie die Deutschen 1945 ihren Führer, dann denke ich daran, wie oft Dylan seine Fans mit Stilwechseln und Image-Demontagen frappiert und abgestoßen hat, um glorreich wieder zurückzukehren. Und daran, daß Dylan die gesamten Achtziger Jahre fast ausschließlich Schrott produziert hat, aber nun als Endsechziger unter Kritikern und Fans angesagter denn je ist. Douglas ist nun über fünfzig, und ein Album wie "The Rule of Thirds" ist vielleicht schon als "Alterswerk", wie man so schön sagt, zu rubrizieren und zu beurteilen.

In manchen Liedern spürt man noch die Glut, die hoffen läßt, daß der Winterschlaf im gläsernen Sarg von Schloß Nada eines Tages zu Ende geht, ich nenne die hervorragenden Titel "The Glass Coffin", "Good Mourning Sun", "The Perfurme Of Traitors" (mit einem Sample "im alten Stil", das wahrscheinlich auf bilderstürmerische Aktionen der HJ anspielt), "Takkeya" (der offenbar mehrere politische Anspielungen enthält) und die Suizid-Drift-Nummer "Let Go". Glut, aber auch die eigentümliche, spezifische Kälte, die "Haltung", die "dignity and solitude", die einem beim Hören der besten DIJ-Titel durchströmt. Die Texte sind unverkennbar, voll mit den rätselhaften, DIJ-typischen Wendungen, die an magische Losungen erinnern.

We go to sleep with
The Perfume Of Traitors
A Nosegay - A Saturn Day

We’ll pillage upon return
Digging up grief 
And, spreading the debt
Capri on The Styx
A mere Bagatelle

....

God Is Now Here
God Is Nowhere.

....

The influence is the opposite, the influence is the enemy

....

Something, suffers somewhere.
Someone dying?
Scan, doctor, lying?

....

It’s a good sign
If you understand
What flies, what flies symbolize

Mag sein, daß Douglas musikalisch und innovationstechnisch seinen Epigonen nur mehr nachhinkt – dennoch sind seine Lieder anders als bei diesen aus einer tiefen Notwendigkeit heraus geboren. Man spürt, daß hier einer nicht schreibt und singt, um irgendwelche Erwartungshaltungen zu erfüllen, eine Pose einzunehmen, einen Hit zu landen. Hier folgt einer stur seiner inneren Stimme, auch wenn sie leiser geworden ist. Hier hält einer Kontakt zu seiner Vision, auch wenn sie verschwommener erscheint. Er sucht nicht, er findet. Man spürt gerade beim Mitlesen der Texte diesen feinen Unterschied, der einen authentischen Künstler von einem bloßen guten Kunsthandwerker unterscheidet. Hier liegt auch die wesentliche Grenze zwischen DIJ und den Epigonen à la OTWATM oder DIE WEISSE ROSE. Ich setze weiterhin auf die Glut unter der Asche:

"Hermit, pregnant, or menopause?
Carry the Lantern, a stick and a cause."


Martin L. für NONPOP. Happy Birthday to me.


 
Michael We. für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» DEATH IN JUNE offiziell
» DIJ-Newsgroup @ Yahoo
» DIJ @ Wikipedia (eng.)

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Die WS-Familie historisch betrachtet
Hubert (16-03-2008, 17:04)
Wie immer eine grossartige Kritik von Martin L.! Für mich selbst sind mittlerweile sogar die alten DIJ-Alben obsolet geworden. Ich kann heute nicht mehr nachvollziehen, was ich an diesem dumpfem Geschrammel faszinierend fand. Current 93 und Sixth Comm haben m. E. die Zeit überstanden, DIJ nicht. Sie erfüllten vor und nach der Wende in die Neunziger den Zeitgeist, ohne musikalisch genug Stoff zu bieten, der die Szeneaktualität überleben würde. Eigentlich wurde C. 93 erst richtig gut, als die dumpfe Schrammelgitarre von Douglas durch die herrliche gezupfte Folkgitarre von Michael ersetzt wurde. Und der echte Juner ist für mich im Grunde Patrick Leagas. Seinen sehnsüchtigen, nihilistischen Ritual-Wave höre ich mir auch heute noch gerne an. Und war es nicht Patrick, der das Thema Militär als erster aufgriff? Wer weiss, vielleicht ändere ich eines Tages noch meine Meinung. Ich glaube aber nicht.
...
(13-03-2008, 13:23)
Martin L, herzlichen Glückwunsch nachträglich - deine Kritik hat mir am meisten gegeben, auch oder weil mit DI6 nicht (mehr) die Bohne interessieren. Das mit den Cover-Abbildungen wäre noch Stoff für längere Diskussionen - ich finde ja, die haben was ...

Zusammenfassung
-

Inhalt
01 The Glass Coffin (5:55)
02 Forever Loves Decay (4:04)
03 Jesus, Junk And The Jurisdiction (4:09)
04 Idolatry (3:35)
05 Good Mourning Sun (3:58)
06 The Perfume Of Traitors (3:45)
07 Last Europa Kiss (2:09)
08 The Rule Of Thirds (4:13)
09 Truly Be (2:45)
10 Their Deception (3:08)
11 My Rhine Atrocity (3:35)
12 Takeyya (3:32)
13 Let Go (4:10)
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