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Martin L.

AMOR SOLA LEX: APOCALYPTIC FOLK 2008/09

ATARAXIA, IANVA, APOPTOSE live in Leipzig


AMOR SOLA LEX: APOCALYPTIC FOLK 2008/09
Genre: Neofolk
Verlag: Eislicht
Vertrieb: Eislicht
Erstellt: 03.02.2009
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Ich muß achtgeben, daß mein diesjähriger Bericht über das von EISLICHT veranstaltete Neujahrskonzert nicht allzu einseitig ausfällt. Schon letztes Jahr habe ich hemmungslos von CAMERATA MEDIOLANENSE geschwärmt, und die anderen Stars des Abends wie NEBELUNG und ROME allzu stiefmütterlich behandelt. Ein Fest für Italien-Fans war die Veranstaltung auch diesmal. Zur Jahreswende 2008/09 lud STEPHAN POCKRANDT die deutsche Formation APOPTOSE und die italienischen Bands IANVA und ATARAXIA ein. Headliner des Abends waren natürlich die letzteren, handelt es sich hier doch um eine Gruppe, die nach über 20 Jahren Aktivität so etwas wie Klassiker-Status erlangt hat. Mein persönlicher Hauptgrund, ein weiteres Mal den Silvesterabend in Leipzig-Engelsdorf zu verbringen, waren allerdings die Genueser IANVA, zu deren überzeugten Aficionados ich mich zählen darf. Damit stand ich keineswegs allein da – wen es trotz Finsternis, Kälte und komplizierten Anreisewegen in den "Hellraiser"-Club zum "Apocalyptic Folk" mit seinem nicht geringen Eintrittspreis verschlägt, der muß schon ein großer Liebhaber des Dargebotenen sein, und so wurde die Veranstaltung auch dieses Jahr zum Stelldichein eines kleinen, aber hingebungsvollen Publikums. Knapp 200 Leute garantierten das veranstalterische Wunder, entlegene Gruppen an einem entlegenen Ort ohne Verluste auftreten zu lassen, und es wird an diesem Abend wohl keiner seine Mühen bereut haben.

Eröffnet wurde die Runde von APOPTOSE, die sich vom Stil und Auftreten deutlich von den folgenden beiden Gruppen absetzten. APOPTOSEs Musik ist meiner Meinung nach nur bedingt geeignet für eine Live-Präsentation. Die ausgefeilten, düsteren Soundtrips von Alben wie "Nordland" und "Schattenmädchen" sind "Musick to Play in the Dark", in deren Stimmung man sich am besten in den eigenen vier Wänden versinken läßt, um entspannt zu lauschen und alle Feinheiten goutieren zu können. RÜDIGER, der Mann hinter APOPTOSE, ist auch kein Selbstinszenierer, sondern ein bescheiden im Hintergrund bleibender Tüftler. Um APOPTOSE bühnentauglich zu machen, erhielt er Verstärkung von einer charmanten jungen Dame (seiner wie die Fama erzählt teuren Anvertrauten), vor allem aber von den Trommlern des FANFARENZUGS LEIPZIG, die ungefähr ein Dutzend Köpfe zählten.


 
Mit letzteren hatten APOPTOSE auf der gelungenen Kollaboration mit GARY CAREY von JOY OF LIFE zusammengearbeitet und schon mehrere Live-Auftritte absolviert. So war denn auch ihre Neuinterpretation des JOY OF LIFE-Klassiker "Warrior Creed" mit dem FANFARENZUG der unbestrittene Höhepunkt des Konzertes, wie überhaupt der getrommelte Teil im Anschluß an das APOPTOSE-Album "Blutopfer" weitaus besser und bühnentauglicher als der Ambient-Part ausfiel. Letztgenanntes Album war inspiriert von den Karfreitags-Ritualen im aragonischen Calanda, bei denen quasi die ganze Stadt auf den Beinen ist und Tag und Nacht ekstatisch trommelt, bis die Hände bluten. Videoaufnahmen von diesem archaischen Brauch waren zusätzlich auf einer Leinwand zu sehen.

Daß IANVA schon als zweite Gruppe an die Reihe kam, traf mich völlig unvorbereitet, war ich doch als ATARAXIA-Banause davon ausgegangen, daß meine Stars selbstverständlich wie letztes Jahr die "Eroi" von CAMERATA erst nach Mitternacht an die Reihe kämen. Der Werdegang von IANVA wird von NONPOP ja nun schon seit geraumer Zeit wohlwollend bis enthusiastisch beobachtet, vor allem von unserem Mann für "Italian Connections", Roy L. Spätestens seit dem monumentalen Konzeptalbum "Disobbedisco", das eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund von GABRIELE D'ANNUNZIOs Fiume-Abenteuer erzählte, bin ich dem spätgereiften, vielköpfigen Ensemble um MERCY und STEFANIA D'ALTERIO verfallen. Im Gegensatz zu anderen Projekten mit hohem Anspruch verstehen es IANVA, ihre thematischen Konzeptionen gleichermaßen lyrisch überzeugend und musikalisch exzellent umzusetzen. Anders als CAMERATA kultivieren IANVA einen modernen "chanson"-artigen Stil, der vor Pathos und Melodrama offen einsetzt. Die reichhaltige Orchestrierung umfaßt MORRICONE-Trompeten, elektrische und akustische Gitarren, Schlagzeuge, Akkordeon und gelegentlich Violinen, seltener allerdings Keyboard- und elektronische Verstärkungen. Vor allem aber wären IANVA nicht IANVA ohne den reizvollen Wechsel zwischen den vollen Stimmen MERCYs und STEFANIAs. Die Größe des Ensembles und MERCYs skrupulöse Arbeitsmethoden lassen zwischen den einzelnen Veröffentlichungen viel Zeit verstreichen und Live-Auftritte zur Rarität werden. Umso mehr war das Silvesterkonzert eine seltene Gelegenheit, diese Fabeltiere des jüngeren Neofolk (oder schon Post-Neofolk) einmal in natura erleben zu dürfen. Sie wurden ihrem Ruf gerecht: Die Einsätze der komplizierten IANVA-Stücke saßen punktgenau, die Lieder erklangen wie aus einem Guß und bekamen live eine beinah rockige Note.



Gespielt wurde fast das gesamte "Disobbedisco"-Album, außerdem die spenglerianische Hymne "L'Occidente" und ein neues, unfaßbar mitreißendes Stück aus dem noch unveröffentlichten neuen Album. Obwohl noch sichtbar von einer Grippeerkrankung angeschlagen, präsentierte der hochgewachsene Mastermind und Frontmann MERCY seine Songs mit einer hinreißenden Mischung aus Leidenschaft und kühler Eleganz. Seine Bühnenpräsenz wurde freilich noch übertroffen von seiner Gefährtin in Kunst und Leben, STEFANIA, der die Rolle der süditalienischen Diva von Anno Dazumal wie auf den Leib geschneidert ist. Sie wußte derart in den Bann zu schlagen, daß sich bei manchen Zuschauern jedesmal, wenn sie die Bühne wieder verließ, entzugserscheinungsartige Gefühle einstellten. Besonders reizvoll waren die leider viel zu seltenen Momente, in denen MERCY und STEFANIA zusammen auftraten, um herrlich theatralische Duette zum Besten zu geben. STEFANIA verabschiedete sich mit dem klassischen napolitanischen Dialekt-Lied "'O Surdato 'Nnamurato" (Der verliebte Soldat), das auch "Disobbedisco" abschließt, und das unter anderem von ANNA MAGNANI in einer berühmten Szene des Films "La Sciantosa" gesungen wurde.
 
Eine anwesende napolitanische Signorina versicherte mir übrigens, daß STEFANIAs Dialekt sehr glaubwürdig sei. Das Publikum tobte und konnte noch zwei Zugaben hervorkitzeln, bevor IANVA endgültig Feierabend machten. So mancher Skeptiker war innerhalb einer knappen Stunde zum glühenden Fan geworden, und wer es schon zuvor war, dessen Erwartungen waren noch übertroffen worden. Einige aufgeputschte Zuhörer mit selig funkelnden Augen waren dem Vernehmen nach schon drauf und dran, im D'Annunzio-Style Elsaß-Lothringen oder Danzig zu besetzen, um dort einen anarchistischen Freistaat zu errichten, aber zunächst mußte erstmal auf das neue Jahr angestoßen werden.



Einen Wermutstropfen hatte das Konzert freilich, und das war die notorisch suboptimale Akustik des "Hellraiser". Die Schwierigkeit, neun Instrumente abzumischen, ist zwar einigermaßen gemeistert worden, aber leider kamen die (essentiellen) Vokalparts von IANVA eine Spur zu undeutlich. Dasselbe Problem stellte sich auch den Headlinern des Abends, ATARAXIA, deren Frontfrau FRANCESCA NICOLI ständig Regieanweisungen in Richtung Mischpult geben mußte. Nach meinem Erlebnis mit IANVA war meine Aufnahmekapazität allerdings schon so gut wie aufgebraucht; zudem kann ich mit der neoklassischen Musik von ATARAXIA nicht allzu viel anfangen. Ein paar Mal jedoch erwachte ich aus meinem lethargischen, quasi post-koitalen IANVA-Trauma, etwa bei der wunderbar interpretierten FABRIZIO DE ANDRÈ-Nummer "Fila la lana" und vor allem beim grandiosen zweiten Teil der Show, für den FRANCESCA das Präraffaeliten-Kostüm gegen einen Zylinder tauschte und zu einem makaber-burlesken Stil wechselte. Um ATARAXIAs Auftritt gerecht zu werden, übergebe ich hier das Wort der verehrten MADAME PAQUERETTE, die aufmerksamer als ich zugehört hat, und anders als ich, mit dem Schaffen der Band intim vertraut ist.

Madame Paquerette zum Auftritt von ATARAXIA.


 
Martin L. für nonpop.de


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