Es knisterte an diesem Augustabend in Chemnitz. Nein, kein gewöhnliches Lagerfeuer war es. Die Stimmung rührte nicht von glimmenden Holzscheiten, sie drang aus Lautsprechern, die mit, von Laptop und Synthesizer erzeugten Klängen gespeist wurden.
Das in Genrekreisen etablierte Label raster-noton. um Frank Bretschneider, Olaf Bender und dem inzwischen international anerkannten Künstler Carsten Nicolai, lud zu einem dreitätigen Festival minimalelektronischer Klangkompositionen ins Chemnitzer Voxxx. Das Electric Campfire kann vom Konzept her mit dem bekannten Sonar Festival verglichen werden, freilich mit der Bemerkung, dass hier alles in deutlich kleinerem Maßstab als in Barcelona vonstatten ging.
Für einen fairen Eintrittspreis von 6 Euro bot man seinen Gästen vom Freitag zum Sonntag neben acht Musikprojekten auch ein entsprechend elektronisches Rahmenprogramm, das von Club Floor, Präsentation audio-visueller Werke bis hin zu Filmvorführungen breitgefächert war. Mir war leider nur der Freitag Abend dieses Programms beschieden, ich möchte aber dennoch meine Eindrücke dieses Ereignisses nicht vorenthalten.
Angenehm und für ein solches Festival angemessen war die Stimmung im Voxxx, einem baufälligen Industriegebäude, das zur Zeit noch eines der wenigen unabhängigen Kinos in Chemnitz beherbergt, hin und wider Konzerte ausrichtet und für die raster-noton. Betreiber sozusagen als zweite Heimat dient. Mit der fantastischen Atmosphäre des Voxxx wird es allerdings bald zuende sein, für die Stadt ist es bereits beschlossene Sache, dass der Club geschlossen wird. Wieder ein trauriges Beispiel dafür, wie sehr den Behörden Jugendarbeit und alternative Kultur doch am Herzen liegt.
Das umliegende Areal ließ sich für das Electric Campfire perfekt nutzen. Kurz nach Zehn machte Richard Chartier unter freiem Himmel den Anfang mit seinem "Sunset - Set". Nun ja, die Sonne war zwar längst entfleucht, was aber der allmählich aufkommenden elektrifizierenden Lagerfeuerstimmung keinesfalls abträglich war. Ein wenig, als hätte man sich im Hintergarten für eine kleine private Sommerparty zusammengefunden, nur das anstelle der Bratwürstchen und des Grills (nein, auch kein Elektrogrill) diverse digitale Gerätschaften den Besuchern komplex konzipierte Klangwelten auftischten. Der amerikanische Soundtüftler präsentierte ein knapp vierzig Minuten langes Stück, das sich aus berauschend-aufwühlenden und minimalistischen Ambientenpassagen zusammensetzte und zuweilen von unterschwellig rhythmisierenden Bässen durchzogen wurde. Stille herrschte auf den Holzbänken, das Zirpen der Grillen fügte sich überraschend gut ins Klangbild, Chartiers Komposition war vollkommen mit seiner Umwelt und der heraufziehenden Nacht verschmolzen. Ein entspannter Trip aus kleinsten und vorsichtigen Tönen geflochten, der an den Zuhörern nahezu gänzlich ohne zeitliche Wahrnehmung vorüberstrich und doch leise Spuren hinterließ.
Danach ging es ins Innere des Gebäudes. Das Voxxx bietet für Konzerte durchaus ganz brauchbare Räumlichkeiten. Der Ire Donnacha Costello / MODUL und Jon Egeskov / PIXEL aus Dänemark spielten nacheinander auf und ich war froh und dankbar, die monologischen, statischen Rhythmusorgien beider Projekte im Sitzen über mich ergehen lassen zu können. Mag sein, dass sich der ein oder andere Szeneneuling zu derlei Klängen die (elektronische?) Seele aus dem Leib tanzen kann, mir schienen diese Stücke einfach nur zu konstruiert, vorhersehbar und allzu ideenlos, wobei ich jedoch Herrn Egeskov die gelegentlichen Noise Eskapaden und die ebenso zeitweilig chaotisch zerfasernden Strukturen nachdrücklich zugute halten muss.
Nach Mitternacht war es bereits, als schließlich mit Ivan Pavlov, der einzige mir näher bekannte Künstler die Bühne betrat. Mit seinem Projekt COH (sprich 'Son') arbeitete Pavlov, ein guter Freund des verstorbenen Jhonn Balance, bereits im Umfeld von COIL und erwarb sich auf zahlreichen Veröffentlichungen eine ganz persönliche Handschrift und Herangehensweise an minimalelektronische Soundexperimente.
Wie sehr sich COH von den vorangegangenen Darbietungen unterscheidet, sollte in der kommenden Dreiviertelstunde deutlich werden. Ivan Pavlov wusste das Moment von Stille und Eruption bis zu den äußersten Grenzen auszureizen. Scheinbar verspielt, fast sogar melodisch, drängte sich immerwiederkehrend ein synthetisches Saitenspiel mit fernöstlichem Einschlag zwischen die pulsierenden Sequenzen, die ständig wechselten, nie auch nur flüchtig einander glichen und bevor sie sich abnutzten entweder in kristallklaren, mitunter auf hohen Frequenzen zirkulierenden Kollisionen explodierten oder in einem tiefbrummenden Drone in sich zusammenfielen. Dann wiederum gab es in diesem einzigen langen Klangkonglomerat Augenblicke des Anbahnens, des sich langsam entladenden Sturms, der selbst vor Drum'n'bass Anleihen nicht halt machte. Im Laufe des Tracks verkürzten sich schrittweise die Intervalle zwischen den Ausbrüchen, was einen aufs Ende fixierten Spannungsbogen heraufbeschwor, der mir entgegen aller Erwartung einen aufregenden, begeisternden Auftritt des schwedischen Russen lieferte.
Positiv überrascht und hocherfreut über dieses Klangspektakel beschloss ich für mich den Konzertabend, der mit iPod - Einspielungen der Lablebetreiber immer noch keine Anstalten machte zu endigen.
Mit dem Electric Campfire haben sich raster-noton. ein sehr durchdachtes, stimmungsvoll ausgeführtes Konzept einfallen lassen, das es der Region zudem möglich machte, musikalisches Neuland zu betreten. Es bleibt zu wünschen, dass dieses "Summercamp" zu einer alljährlichen Veranstaltung wird, auch um zu zeigen, wie viel mehr Chemnitz zu bietet hätte, als das wenig alternative Splash! - Festival.
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