Nach dem offiziell letzten Konzert von COLUMN ONE in der Berliner Volksbühne gibt es nun wieder berichtenswerte Neuigkeiten um die Herren SCHALINSKI, ECKLOFF und Co. MOLEGLOVE heißt die neue Inkarnation, die aus den genannten Herren plus RASHAD BECKER besteht. 2017 traten sie in dieser Zusammensetzung auf dem NNOI-Festival zwar schon einmal auf. In Berlin aber standen sie noch nicht auf der Bühne. Am 13.6. wurde dieses Versäumnis nachgeholt. Und zwar im ACUD, der Kultureinrichtung im Berliner Stadtzentrum, das eine bewegte Vergangenheit aufzuweisen hat, nun jedoch eher ein, dem eingeschränkt heterogenen Besucherspektrum nach zu urteilen, touristischer Hotspot geworden zu sein scheint. Das dürfte allerdings an der zentralen Lage dieser Institution liegen, die es vor Ort bereits seit 1991 gibt und die aus einem Kino, einem Club, einem Theater, einer Galerie und einem Studio besteht.
Im Studio, das sich im ersten Stock, der vom Innenhof zu erreichen ist, befindet, spielten dann auch schon ROBERTA PERZOLLA und MARTA GARCIA GOMEZ. Sehr ätherische Töne, nur Harfe Chimes, (Mini-)Gong und eine Schamanentrommel. Dazu ein verhangenes Gesicht und Musik im Stile von CURRENT 93 zur Zeit von "As The World Disappears". Als dann doch einmal gesungen wurde, klang es nach MARIE BOINE, also durchaus sphärisch und bezaubernd. Dazu war der Auftritt angenehm kurz, so dass er durchaus in Erinnerung bleiben wird.
Davor und danach liefen auf zwei Leinwänden altbekannte Filmsequenzen von COLUMN ONE und anschließend die Musik aus der Plattenkiste von SIGOURNEY SKYWALKER. Nach ihr legte DJ SCHLUCHT seine ausgewählten Seltsamkeiten auf. Nach ihm wieder Filme. Im Zentrum der zweiten Filmrunde stand ein 2017 produzierter Film von RENÈ LAMP, der viele Schmunzler provozierte. Dazwischen verstreut: Altbekannte aus der SIBIRISCHEN ZELLE, die wie die anderen gesehen werden wollen.
Dann aber beginnen MOLEGLOVE. Anzüge und Blumenmasken, Halbeliterdosen, ein Stuhl und eine Hupe mit Gummigebläse. Der Sound dazu plastisch. Der Stuhl wird auf ein Podest gestellt. SCHALINSKI und BECKER stehen seitlich an den Decks. ECKLOFF performt mit den genannten Gegenständen. Diese zu begreifen, bedeutet lernen - so HEINER MÜLLER in einem Gespräch. Eine Metallplatte als Gong. Summen, Pfeiffen, Zupfen. Dazu leichteres Koppeln. Währenddessen steckt sich der vermutete SCHALINSKI lange Grashalme in den Gesichtsbusch. Dahinter läuft auf beiden Leinwänden ein S/W-Film, dessen Bilder in mehreren Schichten übereinander gelagert zu sein scheinen. Synthetisches Entenquaken, Bienensummen, Frösche im Teich und Luftpumpensounds. Die Metallplatte von kurz davor ist nun rhythmisiert. SCHALINSKI hat schon einen Grashalmvollbart. Bassbrummen zur Rhythmik, die annähernd wie eine Hawaii-Trommel bzw. Steel-Drum klingt. Immer wieder wird der Sound derart plastisch, dass der Eindruck entsteht, es stünde eine Skulptur mitten im Raum. Auf diese, das heißt auf die Sitzfläche des Stuhles, der auf dem Podest steht, streut ECKLOFF Zucker oder auch Mehl. Der Stuhl steht übrigens mittlerweile nicht nur auf dem Podest sondern auch auf den vier Dosen. Der Sound wirkt organisch. Und das obwohl er doch synthetisch ist. ECKLOFF zieht sich zwischendurch die Socken aus und legt sie vor die Vorderbeine des Stuhls. In den Spalt zwischen Lehne und Sitzfläche schiebt er kleine Gummischweinchen, die damit beginnen, das Mehl zu verspeisen. Die Musik wird wieder rhythmisch. Dann flächiges Reiben. Ein Keramikhirsch sitzt auf dem Stuhl. Das Jackett von ECKLOFF hängt nun über der Lehne. Der Stuhl wird abgehoben und erneut auf die Dosen gestellt - was nicht auf Anhieb gelingt. Dazu ein pumpendes Atmen. Und eine verfremdete Stimme, die im Sound nach und nach verschwimmt und schließlich gänzlich untergeht. Es werden auch die Hosen ausgezogen und auf die Sitzfläche des Stuhles gelegt. Etwas Puderzucker drauf, den Porzellanhirsch noch auf die ausgebreiteten Hosen gestellt: fertig. MOLEGLOVEs Sounds stehen weiterhin unüberhörbar im Raum. Abgang ECKLOFF. Er tritt die Gummihupe, die entsprechende Töne von sich gibt. Als nächster geht der Grasvollbart SCHALINSKI. Und zum Schluss klatscht BECKER in die Hände, was er zu Beginn des Konzertes auch schon tat, hält eine Hand nach vorne - die Handfläche zum Publikum. Die Musik verstummt, und er geht.
Das Acud war nicht unbedingt der ideale Veranstaltungsort, weil es aus dem Innenhof nach oben in die erste Etage, also nach da hin schallte, wo das Konzert stattfand - woraufhin dort die Türen geschlossen werden mussten, was wegen der Hitze an diesem Tag nicht sonderlich angenehm war. Auch die zeitlich lange Wegstrecke bis zu MOLEGLOVEs Auftritt, die über DJs, Filme und Vorband lief, ging in Anbetracht der glühendheißen Umstände auf das Minuszinskonto der Konzentration. Allerdings entschädigte das Gezeigte dann doch derart, dass alle Anwesenden nach Ende des Konzertes entspannt und doch angeregt in die Nacht verschwanden, um für den Rest eben dieser keine Unterhaltung mehr zu benötigen ...
Ein perfekter Auftakt für das am 5.7.-7.7. stattfindende NNOI-Festival, welches dieses Jahr zum vierten Mal in Zernikow stattfinden wird.
awk für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » NNOI-Seite » COLUMN ONE-Seite » MOLEGLOVE auf sondcloud » RASHAD BECKER auf bandcamp
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