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Tony F.

DEATH IN JUNE als Spiegel des Zeitgeists

Interview


DEATH IN JUNE als Spiegel des Zeitgeists
Kategorie: Spezial
Wörter: 2078
Erstellt: 29.12.2018
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Mit dem DEATH IN JUNE Werk "ESSENCE!" ist DOUGLAS P. ohne Frage ein großartiges Album gelungen, welches die starken, traditionellen DEATH IN JUNE Elemente mit einigen Neuerungen und alternativen Wendungen verbindet. Der folgende Artikel stellt eine Zusammenfassung einer Konversation mit DOUGLAS dar, die wir im Laufe des Dezembers 2018 führten. Die Bilder verwenden wir mit freundlicher Genehmigung von DOUGLAS P.. (For the original English version please just watch the following page.)

Nachdem mir DOUGLAS das neue DEATH IN JUNE Album zugeschickt hatte, stand natürlich die Frage nach einem Interview im Raum, das die Hintergründe von "ESSENCE!" beleuchten bzw. den Weg dorthin erläutern sollte. Allerdings teilte er zunächst mit, dass er eigentlich keine Interviews mehr gebe, da es eine Frage des im-Kreis-laufens um viele Fragen sei. Außerdem erkläre er seine Arbeit nicht gern und dies schon gar nicht exzessiv, da es sie gewöhnlich und erdgebunden erscheinen lassen könne.

Dennoch zeigte er zunächst kurz den Rahmen auf, in dem "ESSENCE!" entstanden ist, woraufhin sich noch einige Fragen anschlossen, die er bereitwillig beantwortete. 



DEATH IN JUNE

"Die Rückkehr zum intensiven Touren rund um die Welt - nach einer Pause von 6 Jahren - führte natürlich zu neuen Visionen, neuen Einflüssen und Erfahrungen - und der mehrmalige Besuch von Russland und der Ukraine sowie von Nordamerika, das ich öfter als jemals zuvor im Leben besucht habe, war natürlich ein Teil davon.

Nachdem ich mich letzten November mit meiner "Last-Farewell"-Performance in Tel Aviv vom Tourneeleben zurückgezogen hatte, befreite mich das soweit, dass ich mich darauf konzentrieren konnte, meine Schriften, Gedanken und Eindrücke der acht Jahre seit "Peaceful Snow" / "The Snow Bunker Tapes" 2010/2013 zusammenzuführen.

Außerdem hatte das Erreichen meines 60. Lebensjahres im Jahr 2016 einen tiefgreifenden und unerwarteten Einfluss auf mich, und ich stieg wieder zu einem dunklen Ort herab, an dem ich seit Jahrzehnten psychologisch nicht gewesen war. Das Schreiben und noch wichtiger letztendlich die Aufnahme von "ESSENCE!" waren Teil des Prozesses meiner geistigen Rehabilitation und des langandauernden Kletterns aus dem Graben, in den ich immer tiefer hineingefallen war.

2016 gab es auch den Brexit, wobei ich, obwohl ich persönlich mit der Entscheidung nicht einverstanden bin, die Hauptgründe vollkommen verstehe; also warum die britische Bevölkerung sich dazu entschlossen hat, dass genug nun genug ist und dass Großbritannien wieder alleine stehen und die Kontrolle über seine Grenzen wiedererlangen sollte - ganz zu schweigen von Geld. Mein ganzes Erwachsenenleben habe ich mich "offiziell" als Europäer, dann als Engländer und dann als Brite angesehen. Meine offiziellen Dokumenten künden davon; von meinem Führerschein bis hin zu meinem Pass.

Das hat sich jedoch geändert, daher fühlte es sich richtig an, auch den Namen des Labels in New English Recordings zu ändern - er ist jetzt mehr im Einklang mit dem Zeitgeist! Wie "ESSENCE!" selbst.

Was ich also zu "ESSENCE!" sagen will ist, dass jedes DEATH IN JUNE Album ein Kind seiner Zeit ist, es spiegelt den Zeitgeist und diese Veröffentlichung ist keine Ausnahme."

Ich komme noch einmal auf den Brexit zurück, der vor der Tür steht - und was DOUGLAS letztlich davon hält.

"Ah, was für ein Chaos ist der Brexit. Es ist so peinlich, dass eine verständlicherweise harte Entscheidung getroffen wurde, die EU zu verlassen, aber dass dann nicht wirklich gehandelt wurde. New European Recordings hörte - wie bereits erwähnt - auf zu existieren, daher hielt ich es für sachdienlicher, das Label in New English Recordings umzubenennen, ob ich dieser Entscheidung nun zustimme oder nicht. Es ist die Realität - früher oder später! Das Vereinigte Königreich wurde "offiziell" europäisch als ich 18 Jahre alt war, so kannte ich es mein ganzes Arbeitsleben. Aber wo ich mich nun dem Ende meines Arbeitslebens nähere, scheint es, als würde ich wieder offiziell Englisch/ Britisch sein. Seltsam! Ich kann es kaum erwarten, alle meine neuen Dokumente und Papiere zu erhalten!! Die "Bureau-Crazy" wird es sich gut gehen lassen."



DEATH IN JUNE

DOUGLAS möchte seine Arbeit nicht zu exzessiv erklären. Wie wichtig ist es denn für ihn als Künstler, dass die Zuhörer seine Arbeit wirklich vollständig entschlüsseln können? Oder soll seine Arbeit als ein Kunstwerk betrachtet werden, über das der Zuhörer frei reflektieren sollte. 

"Ich bin der Meinung, dass jede lohnende Kunst immer für Interpretationen offen sein wird - und damit einher geht Missinterpretation. Einige Leute sind sachkundig und andere sind nicht so sachkundig. Und manche wollen natürlich bewußt desinformieren. Seit der Geburt von DEATH IN JUNE im Juni 1981 standen die Songtexte dem allen - und mehr - offen. Tatsächlich muss mein Hauptdistributor für die digitalen Veröffentlichungen jetzt die vollständigen Songtexte von "ESSENCE!" an die verantwortlichen Personen bei Spotify, iTunes usw. schicken, damit sie sie untersuchen und prüfen können. Es wird interessant sein zu sehen, wie das Urteil von diesen Experten für Literatur und Songtexte ausfällt! Aber was für den einen vielleicht nur eine Suppendose ist, ist für den anderen das provokante Kunstwerk eines Mannes? Meine britischen Lieblingskünstler GILBERT & GEORGE können mit ein oder zwei Wörter-Titeln einiger ihrer Werke so viel erreichen wie die meisten Autoren mit ganzen Büchern. Je weniger ich sage, desto mehr wird gesagt - von anderen! Meine Ohren brennen gerade jetzt!"

Das letzte Mal, dass ich DEATH IN JUNE live gesehen habe, war 2016 auf dem Runes & Men Festival in Leipzig. Welches Gefühl dominierte Im Angesicht des Abschieds von der Bühne letztendlich bei DOUGLAS?

"Als ich Videomaterial von mir gesehen habe, das mich auf dem Runes & Men Festival in Leipzig spielend zeigt, war ich schockiert darüber, wie traurig und deprimiert ich aussah. Aber das hatte nichts mit dem Moment, dem Ort oder dem Event zu tun; es war so, weil ich emotional gekämpft hatte, um die letzte "Last EU-ropa Kiss" -Tour zu überstehen, und ich wusste, dass es Zeit war, sie zu beenden. Ich wusste, dass Zagreb noch immer auf mich und MIRO wartete, aber das war, als würde ich in meine geistige Heimat zurückkehren, und ich wusste, dass dies der richtige Ort sein würde, um ein letztes "Bok!", "Lebt wohl" oder "Goodbye" zu Europa zu sagen. 

Ich hatte darüber (über den Rücktritt vom Touren - Anm. d. Red.) ohnehin über ein Jahr oder so nachgedacht, und es gab eine Reihe von Faktoren, die zu dieser ultimativen Schlussfolgerung führten. Seltsamerweise war einer davon, die BUZZCOCKS Anfang 2016 in Adelaide, Australien, zu sehen und PETE SHELLEY sah so müde und alt aus und ich dachte, dass er im gleichen Alter ist wie ich und ich schaute  mir an, was seine ständigen Tourneen ihm angetan hatten. Die Show war großartig und ihre Songs haben mich so berührt wie sie mich noch nie berührt haben, und ich erinnere mich, dass ich mich bemüht habe, meine Tränen zu zurückzuhalten, als sie einen Nerv nach dem anderen in mir berührt haben. Ich glaube, dass dies eine Mischung aus Gefühlen und Erinnerungen war, die sich von 1977 bis heute spannte. Aber jetzt ist er tot! Er hat einen hohen Preis dafür bezahlt, dass er so gut war."

"Snipers Of Maidan" deutet unverstellt auf ein sehr spezifisches Thema. Haben DOUGLAS die Ereignisse auf dem Maidan konkret inspiriert, oder was genau hat ihn beeinflusst.

"Ich habe Kiew in der Ukraine zum ersten Mal 2012 kurz vor dort stattfindenden Fußball-Europameisterschaft besucht, um eine DEATH IN JUNE-Show zu spielen. Ich war beeindruckt von der Stadt, ihren Einwohnern und der Art, wie sie sich europäisch, fast deutsch anfühlte. Ich war mit dem Spaziergang um den Hauptplatz, den Maidan, vertraut. 2015 kehrte ich für eine weitere DIJ-Show nach Kiew zurück und ich spazierte in derselben Gegend herum. Diesmal war er jedoch mit unzähligen Fotos von denjenigen dekoriert, die 2013/2014 auf oder in der Nähe des Maidan getötet worden waren, und es gab Soldaten und Zivilisten, die Geld für die Familien der Gefallenen usw., sammelten. Nun deprimierte und bewegte der Ort mich ziemlich. Eine besonders bewegende Erinnerung ist das Betrachten von Helmen, die Demonstranten in einem symbolischen Friedensakt trugen und die mit Blumen bemalt waren; aber diese Helme besaßen Einschusslöcher und waren offensichtlich absichtlich anvisiert worden."



MILITIA

Existierte im Vorfeld eigentlich bereits ein Klangbild von "ESSENCE!" oder ist das erst im Studio entstanden und welche Rolle spielte der Ingenieur bei den Aufnahmen?

""ESSENCE!", legte sich wie alle anderen DEATH IN JUNE-Alben buchstäblich selbst dar als die Aufnahmen begannen. Ich dachte ursprünglich, dass es in eine bestimmte  Richtung gehen würde, aber das hörte sich bald falsch an, altmodisch, nicht nach mir "Jetzt"! Und das war der entscheidende Faktor. Egal was man denkt wie es klingt, wenn man in verschiedenen Hotelzimmern auf der ganzen Welt, draußen im winterlichen Garten oder mit einer akustischen Gitarre neben brennenden Kaminfeuern usw. Musik schreibt; sie verzerrt sich immer und findet ihren eigenen Platz, wenn man im tatsächlichen Aufnahmestudio ist. Ich habe sehr schnell gearbeitet. Die 11 Stücke habe ich während der drei Wintermonate der südlichen Hemisphäre im Studio mit Unterbrechungen in 13 Studiotagen aufgenommen, gemischt und produziert. Es war intensiv, aber das bedeutete, dass ich sehr gut vorbereitet aber immer noch offen für neue Richtungen sein musste, in die mich das Album führen wollte, sobald ich an einem bestimmten Tag ins Studio kam. Ich lasse mich von meinen Instinkten in eine fast kreative Unschärfe führen. Es ist schwer zu erklären, da es sich oft wie ein halbbewusster Geisteszustand anfühlt. Aber der entscheidende Faktor war, dass ich wie DEATH IN JUNE klingen wollte, aber nicht wie eine Wiederholung von mir selbst oder wie jemand anderer, der ein Album im DEATH IN JUNE-Stil macht. Die Vergangenheit hat mich genauso geleitet wie die Gegenwart, und zum Glück hat mein Toningenieur, wie alle guten Toningenieure, diese manchmal plötzlichen Stimmungsänderungen, Drehungen und Wendungen in der Klangfarbe schnell aufgegriffen und manchmal ganze Abschnitte von Songs, die aufdringlich und fremd erschienen, gelöscht. Ich habe mehrere Namen für das Album durchgespielt, bis ich auf "ESSENCE!" stieß, der als der passendste von allen erschien."

Und zum Schluß etwas für die Chronisten - und ja, DOUGLAS wollte dieses Thema als Ausklang des Artikels belassen, weil es aus seiner Sicht im Angesicht der letzten Tage des Jahres 2018 zum natürlichen Fluss zu passen scheint. TONY WAKEFORD ist bekanntlich mit neuformierter Band jüngst wieder unter dem Namen CRISIS aufgetreten. Gab es im Vorfeld Fragen oder Überlegungen, ob DOUGLAS in irgendeiner Weise involviert sein möchte? Passen CRISIS noch zum heutigen Zeitgeist?

"Crisis? "Crisis-light" ist wohl treffender und nach dem Brexit eine weitere Peinlichkeit aus Großbritannien. TONY WAKEFORD kam nicht mit CRISIS zurück, sondern lediglich eine Karaoke-Version davon, in der er eine Begleitband betreut, die ihre Versionen von CRISIS-Songs spielt, von denen viele, wenn nicht die meisten allein von mir geschrieben wurden - ohne die Mitautorenschaften, die von ihm behauptet wurden. Es ist eine furchtbare Missinterpretation der Realität. Ich dachte über den Namen der Gruppe als erstes im Juni 1977 nach und wurde nun nicht darüber informiert, dass er ihn nutzt. Und das ist typisch er, der sein bereits aufgeblähtes Ego auslebt, gar nicht zu reden von seinem aufgeblasenen Bauch. Er hat einigen jungen Leuten etwas vorgemacht und tat so, als wäre es wieder '77 -'80. Aber so war es damals nicht! Es war überhaupt nicht so!! Sie klingen passabel, es ist aber langweilig, sie auf der Bühne zu sehen und sie tun so als ob sie "eine Band" wären. Die ursprünglichen und einzigen CRISIS waren niemals so. Und das schlimmste ist, dass er es weiß!!! Der Typ schreibt "Zeitgeist" wie folgt: Scharlatanerie. TONY WAKEFORD ist schon immer "ökonomisch" mit der Wahrheit umgegangen und dieser Schwindel ist nur eine Erweiterung dieser Seite seines Charakters. Es empört mich und ist ein armseliges Thema, um dieses Interview zu beenden. Ich mache mir Gedanken um 2018, um die zunehmende Nähe zur Julzeit und was auch immer die Zukunft bringt. Seine Herangehensweise an unsere gemeinsame Vergangenheit hat einen Todesgeruch. Wenn er den Namen 1984 seiner neuen Gruppe behalten hätte (Unter dem Namen 1984 ist TONY WAKEFORD plus Band vor einigen Jahren noch aufgetreten, um CRISIS- und frühes DEATH IN JUNE-Material zu spielen. Anm. d. Red.), hätte ich keine Probleme damit, aber er hat den Namen CRISIS besudelt, und diese Band war eine Legende und so viel mehr zu ihrer Zeit. Sie gehört nicht mehr hierher - nur noch im Geiste."


 
Tony F. für nonpop.de


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