Mittlerweile zum dritten Mal fand das Prophecy-Fest in der großen Naturhöhle im sauerländischen Balve statt. Wie in den Jahren zuvor wurde dabei ein recht breitgestreutes Programm geboten, das alle Winkel des Labelbetriebs von Prophecy ausleuchtete. Mit SOLSTAFIR, HEXVESSEL und HYPNOPAZUZU waren daneben dieses Mal sogar drei labelfremde Acts zu sehen, die allerdings problemlos in das Programm passten. Wie in den Jahren zuvor konnte man auch in diesem Jahr ein entspanntes Festival für Musikfreunde erleben, die was das Interesse an Musik angeht offenbar genauso breit aufgestellt sind wie die Labelmacher, was sich an recht ordentlichen Füllständen in der Höhle bei nahezu allen Acts zeigte.
Freitag
Der Tag war noch jung als das Festival mit dem ersten Live-Auftritt von NHOR überhaupt startete. Da die musikalische und künstlerische Welt von NHOR eine recht breit angelegte ist, durfte man gespannt sein wie die Live-Umsetzung ausfallen würde. Musikalisch verlegte man sich auf eine eher minimalistische Herangehensweise, indem die instrumentalen Stücke allein am Klavier dargeboten wurden. Der auf verschiedenen Ebenen gelagerte künstlerische Aspekt des Projekts – siehe die Veröffentlichungen mit Artbook - wurde hingegen dadurch dokumentiert, dass parallel zur Musik, die auch einen gewissen Film-Soundtrackcharakter besitzt, auf der Bühne ein Bild gemalt wurde, welches am Ende eine nächtliche Naturszene mit Berg zeigte. Dessen Entstehung konnte das Publikum via Kameraübertragung quasi als lebendiges Bühnenbild erleben. Ohne Frage war es richtig, diesen in dieser Form recht intimen Auftritt an den Anfang zu setzen.
Danach wurde die Temperatur in der Höhle aber langsam hochgefahren, da nun zunächst die Goth-Rocker von SOROR DOLOROSA folgten, die zwar bereits einige Alben veröffentlicht haben, aber mit dem voraussichtlich bald erscheinenden neuen Album „Apollo“ ihr Debut auf Prophecy geben. Konnte man die Band bisher zumeist im Goth-Rock Umfeld live erleben, so hatte man hier die Möglichkeit sich auch anderen Hörerschichten zu präsentieren, wobei man das eigene musikalische Genre wie üblich in den Grenzen zwischen Batcave-Handclaps und THE MISSION-Riffs absteckte. Auch neues Material war zu hören, wobei hier zunächst der Eindruck vorherrscht, dass der Sound etwas atmosphärischer, breitwandiger ausfallen dürfte.
SUN OF THE SLEEPLESS Einer der im Vorfeld hoch gehandelten Auftritte war der von SUN OF THE SLEEPLESS, einem Projekt von MARKUS STOCK (THE VISION BLEAK, EMPYRIUM), das recht lange auf Eis lag und bisher erst einmal – beim Prophecy Label Festival 1999 - live zu sehen war. Unterstützt von u.a. EVIGA von DORNENREICH an der Gitarre stellte die Band die Verbindung zwischen altem und jüngst erschienenem Material her. MARKUS STOCK stand dabei umrahmt von Fackeln im Zentrum eines Black-Metal-Sturms, der es in Sachen Wucht und Soundgewalt in sich hatte, wobei wie bei allen Projekten von MARKUS STOCK eine gewisse aber nicht allzu pompöse melodiöse Grundierung der Stücke dafür sorgt, dass die Atmosphäre nicht zu kurz kommt. Definitiv eine sehr eindrucksvoller Auftritt.
Die Norweger von ARCTURUS lieferten danach ihren eher experimentellen Metal ab, wobei man sich stark auf die beiden letzten Alben konzentrierte. Die zum Teil etwas überzogene Art, was den Gesang, die Musik und letztlich auch das Outfit angeht, muss man schlicht mögen, erzeugte beim anwesenden Publikum aber natürlich auch keine Reibungsverluste.
Die bereits im letzten Jahr angetretenen Isländer von GLERAKUR liegen dem Berichterstatter dann musikalisch aber doch mehr. Ist es vielleicht etwas ungewöhnlich, eine Band zweimal hintereinander auf ein Festival einzuladen, so werden sicherlich der letztjährige Überraschungserfolg und natürlich das neue Konzept-Album „The Mountains Are Beautiful Now“ dazu beigetragen haben, die Band, die aus vier Gitarristen, einem Bassisten und zwei Schlagzeugern besteht, noch einmal auftreten zu lassen. Gerade das neue Album hat dabei das Bild des Septetts geschärft, wirkte der Sound, der irgendwo zwischen Metal und Post-Rock anzusiedeln ist, doch eine Spur koordinierter, Spannungsbögen geschickter aufbauender. Von mehrstimmigen sirrenden Gitarrendrones bis hin zu drückenden, breitwandigen Flächen war somit alles dabei. Obwohl GLERAKUR instrumental agieren, wurden auch Stimmen als zusätzliches Instrument eingesetzt. Insofern konnte man einen atmosphärischen Soundtrack zur isländischen Naturgewalt erleben. Der Übergang zu den folgenden Landsleuten von SOLSTAFIR wurde zusätzlich gelungen arrangiert, da zum letzten Stück Sänger TRYGGVASON und Bassist TRAUSTASON, der mit schicker Zopffrisur unterwegs war, von SOLSTAFIR auf die Bühne kamen.
Den Abschluss des Freitags setzten schließlich SOLSTAFIR, die musikalisch im Post-Metal bis Alternative-Rock einzuordnen sind und gerade auf der Tour zu ihrem Album „Berdreyminn“ waren. Das Set war allerdings eine gute Mischung aus Stücken aus der gesamten Karriere der Band, die gewohnt agil umgesetzt wurden. Die gerne einmal längeren Stücke der Band überzeugen dabei vor allem wegen des etwas luftigeren Sounds und der stets innewohnenden Dynamik. Sänger TRYGGVASON, der mit der nötigen Emotionalität agiert, ist zudem der definitive Anziehungspunkt der Show.
Samstag
Am Samstag ging es mit LOTUS THIEF aus San Francisco direkt schwungvoll weiter. Die Band präsentierte ihren Post-Black-Metal, der mit zweistimmigem, weiblichem Gesang – inkl. Growls -, Keyboardpassagen und einem wuchtigen Metal-Brett überzeugte. Aber auch der eine oder andere atmosphärisch-elegische Part war zu vernehmen.
THE MOON AND THE NIGHTSPIRIT THE MOON AND THE NIGHTSPIRIT läuteten danach einen musikalisch mehr zurückhaltenden Teil des Festivals ein. Gegenüber der Tour im Frühjahr, bei der sich das Duo um einen Bassisten sowie um einen Percussionisten verstärkt hatte, kam bei vereinzelten Stücken nun noch ein Flötist zum Einsatz. Trotz der akustischen Ausrichtung der Band sowie ihres eher intimen aber selbstsicheren Vortragsstils, verstanden es die Musiker aber merklich, das Publikum mit ihren rhythmischen Weisen einzunehmen.
SPIRITUAL FRONT sind nach bereits etlichen Labelwechseln nun beim Prophecy-Label gelandet, wo sie voraussichtlich im Herbst das neue Album „Amour Braque“ veröffentlichen werden. Nachdem man sich auf dem Wave-Gotik-Treffen hauptsächlich dem Album „Black Hearts In Black Suits“ gewidmet hatte, kehrte man für das Prophecy-Fest (wieder einmal) zum einsamen Meilenstein „Armageddon Gigolo“, der ebenfalls via Prophecy wiederveröffentlicht werden soll, zurück, sodass man noch einmal die Gelegenheit hatte, das Werk live zu erleben. Obwohl lediglich als Trio agierend – Bass und Keyboards erledigte die moderne Elektronik – stellte dies für den gewohnt agilen SIMONE SALVATORI natürlich kein Hindernis für einen stimmungsvollen Auftritt dar, während im Hintergrund wie in den letzten Jahren üblich PASOLINIs „Mamma Roma“ auf das Backdrop projeziert wurde. Wie schon beim Runes + Men Festival im letzten Jahr in Leipzig gab es aber auch wieder das neue Stück „Children Of The Black Light“ zu hören, das sich nach wie vor vielversprechend anhört.
SPIRITUAL FRONT NOÊTA haben mit ihrem Debut-Album „Beyond Life And Death“ ein wunderbar intimes Werk irgendwo zwischen Folk und Ambient geschaffen, sodass es Zeit wurde, die Band auch einmal in Deutschland zu präsentieren. Leider, so muss man sagen, geriet der Auftritt nur bedingt zur Werbung für das Duo, da gesanglich zwar alles passte aber im musikalischen Teil so einiges schieflief. So bekam man schnell das Gefühl, das Gesang, Gitarrenspiel und Backing-Tape irgendwie aneinander vorbeiliefen. Eine innere Bindung, die gerade für so eine Art von Musik, die auch noch derart minimalistisch dargeboten wird, überwichtig ist, kam so nie zustande. Insofern war NOÊTA auch der einzige Act, bei dem es während des Auftritts sichtlich leerer wurde. Chance leider definitiv vertan.
Der krasse Unterschied wurde direkt im Anschluss deutlich als JOCHEN „EVIGA“ STOCK und THOMAS „INVE“ RIESNER ebenfalls nur zu zweit die Bühne enterten. Als besonderen Leckerbissen hatte man sich zu einem akustischen Set entschlossen, bei dem alle Register gezogen wurden. Zumeist in der Besetzung Gitarre/Violine aber auch mal mit zwei Gitarren agierend wurde quasi die gesamte Bandgeschichte DORNENREICHs berücksichtigt. Dabei wurden auch einige noch nie oder nur selten gespielte Stücke gespielt, die teilweise auf die Tage der ersten Tapeveröffentlichung zurückgingen. Beispielhaft sei auch „Ich bin ein Stern“ genannt, bei dem der Text von HERMANN HESSE stammt und welches damals lediglich als Bonus-Track des „Durch den Traum“-Albums erschien. Beeindruckend war in jedem Fall die Intensität des Vortrags bei dem JOCHEN STOCK typisch getrieben seine Gitarre bearbeitete während er die Texte flüsterte, herauspresste und schrie. THOMAS RIESNER wirkte dagegen wie der ruhige Pol, der auf jede Bewegung seines Kompagnons achtete und diese musikalisch begleitete. In der Höhle herrschte während des Auftritts gebannte Stille, sodass auch keine störenden Nebengeräusche eingetragen wurden. Höhepunkte gab es bei diesem Konzert sicherlich einige, stellvertretend muss aber aus persönlicher Sicht sicher „Jagd“ genannt werden, das so gespielt in dieser Kulisse einfach packte und passte. Anhand des Publikumszuspruchs am Schluss des Konzerts blieb auch kein Zweifel bestehen, dass man gerade einen der Höhepunkte des Festivals gesehen hatte. Der Acoustic-Tour im Frühjahr 2018 kann man insofern freudig entgegensehen.
Nach dem Auftritt mit SUN OF THE SLEEPLESS am Freitag stand MARKUS STOCK mit THE VISION BLEAK am Samstag gleich noch einmal im Mittelpunkt. Zusammen mit Bandkumpel TOBIAS SCHÖNEMANN hatte man sich wie bereits früher einmal mit den Shadow Philharmonics eine große Bühnencrew engagiert, die den ohnehin schon vollen Sound noch einmal etwas ausdifferenzierte. U.a. FURSY TEYSSIER von LES DISCRETS am Bass fiel daneben tatsächlich kaum noch auf. Natürlich präsentierte man neben den Highlights des letzten, griffigen und sehr eingängigen, goth-rockigen Albums „The Unknown“ einen Querschnitt durch das Schaffen der Band, bei dem Stücke wie „Carpathia!“ oder auch „Deathship Symphony“ nicht fehlen durften. Leider musste der Auftritt gekürzt werden, sodass man verwundert und etwas überrumpelt war, dass das Konzert (leider) so schnell endete. Das Publikum sah dies sichtlich und hörbar genauso.
HEXVESSEL aus Finnland traten anschließend mit einem etwas luftigeren Sound und ihrem folkigen Post-Rock an, was von Sänger und Gitarrist MAT MCNERNEY mit einem schicken, kurzen etwas nach Robin Hood aussehenden Cape veranschaulicht wurde. Musikalisch wurden mal mehr die folkig-atmosphärische und mal mehr die rockige Seite der Band ausgelebt. DOOL aus den Niederlanden mit der abwechslungsreich performenden Frontfrau RYANNE VAN DORST am Mikrophon drückten den Sound anschließend mehr in Richtung Progressive Metal, wobei mir persönlich bei DOOL aber auch bei den Vorgängern von HEXVESSEL etwas die Begeisterung für deren Musik fehlt, da mir bei beiden Bands dann doch etwas das besondere Element, die durchschlagskräftige und alternative musikalische Idee fehlt.
HYPNOPAZUZU Ich glaube man trifft keine falsche Einschätzung, wenn man HYPNOPAZUZU als den besonderen Act – quasi als die Kirsche auf der Sahne – würdigt. Sicherlich nicht jedermanns Sache, gebührt Prophecy aber die Ehre, den ersten Auftritt in Deutschland und soweit ich weiß, den dritten Auftritt dieses Projekts überhaupt organisiert zu haben. Gespannt durfte man sein, wen MARTIN „YOUTH“ GLOVER (KILLING JOKE) anheuern würde, um die Musik des Albums „Create Christ, Sailorboy“ ansprechend auf die Bühne zu bringen. Tatsächlich lief eine vielköpfige Besetzung (Keyboard, Synthesizer, Gitarre, Schlagzeug und Violine) auf, die GLOVER, der natürlich den Bass übernahm, unterstützte und die den Sound des Albums perfekt umsetzte. Der Anfang des Auftritts gestaltete sich aber zunächst wie ein typischer CURRENT 93 Auftritt der letzten Jahre, da zum Einstieg ein alter Schlager mit Störgeräuschen überlagert und dekonstruiert wurde, um schließlich im Krach zu enden. Danach erschien die Band und natürlich auch DAVID TIBET (CURRENT 93), der mit seiner riesigen Stofftasche, die er mit auf die Bühne nahm, mit einer Flasche in der Hand und in einem etwas groben Anzug - inklusive extravagantem Hut – steckend, passend wie ein Suchender und Wanderer ausgestattet war. MARTIN GLOVER hingegen hatte sich ein luftiges, asiatisches Oberteil als Gegenpart ausgesucht. Stieg TIBET zunächst wie immer stimmgewaltig aber noch etwas verhalten in den symphonisch-melancholischen Sound ein, so weitete er nach und nach seinen Bewegungsradius aus bzw. begann damit, die Texte mit seinen typischen Gesten zu untermalen. Musikalisch interessant war es in jedem Fall während des Konzerts vor allem den Mann am Keyboard, der am rechten Bühnenrand saß, zu beobachten, der quasi als Dirigent des Ganzen agierte, der emsig anzählte und Einsätze signalisierte und somit das gesamt Ensemble zusammenhielt, das einen perfekten Job erledigte. Aufgrund der bisher überschaubaren Menge an Material von HYPNOPAZUZU verlebte man als Zuschauer ein kompaktes aber überaus gelungenes Konzert, das meiner Meinung nach auch das eine oder andere CURRENT 93 Konzert der letzten Jahre in den Schatten stellte. Und niemand kann nach einem umjubelten Konzert so herrlich allürenfrei und demütig wirken wie DAVID TIBET – obwohl er dann doch immer recht lange braucht, bis er sein Zeug beisammen hat…
Mit dem Auftritt von HYPNOPAZUZU endete jedenfalls ein abwechslungsreiches und perfekt choreografiertes Festival, das wieder einmal mit seiner Atmosphäre punktete und für Musikfreunde, die etwas breiter aufgestellt sind, ohne Frage einiges bereithielt. Leider, so war schon im Vorfeld zu erfahren, wird das Prophecy-Fest 2018 pausieren. Es bleibt damit nur ehrlich zu hoffen, dass das Festival 2019 an gleicher Stelle mit gleicher Wucht zurückkehren wird.
Tony F. für nonpop.de
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