MIKE DANDO alias CON-DOM muss dem durchschnittlichen Leser dieser Publikation wohl kaum eigens vorgestellt werden, ist der Mann doch seit den frühen 1980er-Jahren aktiv und hat sich dergestalt im Laufe der vergangenen drei Dekaden von einer konstitutiven Keimzelle zu einer der tragenden Säulen und stilbildenden Kräfte des Power-Electronics-Sektors schlechthin gemausert. CON-DOM wird in einem Atemzug mit WHITEHOUSE, SUTCLIFFE JÜGEND, GENOCIDE ORGAN und den GREY WOLVES genannt, und dass er insbesondere mit letzteren beiden schon des öfteren kollaboriert hat, ist zweifellos nur ein Grund von mehreren. DANDOs Werk besticht durch seine außerordentliche thematische Vielschichtigkeit, intellektuelle Tiefe (wobei "intellektuell" hier keinesfalls in einem blutleer-akademischen Sinn verstanden werden sollte), tendenzielle Deutungsoffenheit und – untrennbar damit verbunden – offensiv-provokative Kraft. Wer schon einmal bei einem von CON-DOMs "Live Assaults" zugegen war, weiß, dass der Mann aus Birmingham nachgerade ein Ausbund an Authentizität ist: insbesondere auf der Bühne wird das außergewöhnliche emotionale Engagement intensiv spürbar, das MIKE DANDO mit seiner Arbeit verbindet und das in seinen Ausdrucksformen das gesamte Spektrum negativer Expressivität von resignativ-unterkühlter Teilnahmslosigkeit über subtil-verhaltene Aggressivität bis zu exzessiven Hasseruptionen abdeckt. Hier ist kein post-post-postmoderner Noise-Posing-Hipster-Rumpelwicht am Werk, nein: hier erhebt einer die Stimme, der etwas zu sagen hat. Diesen Umstand illustriert nicht zuletzt die vergleichsweise übersichtliche Anzahl von Studio-Alben, die unter DANDOs nom de guerre CON-DOM bis dato veröffentlicht wurden, und deren eines der einflussreichsten, wirkmächtigsten und am meisten kontrovers diskutierten wohl das opulente, 2001 bei TESCO erschienene 2xLP/2x7“-Bundle "Colour Of A Man's Skin" ist – und auch dem weniger CON-DOM-affinen Leser sollte angesichts des Umstandes, dass es sich in diesem Fall tatsächlich um das letzte reguläre Studioalbum handelt, der mittelschwere Sensationscharakter nachvollziehbar werden, der der Ankündigung von "How Welcome Is Death To I Who Have Nothing More To Do But Die" anhaftete: Nach 15 (fünfzehn!) Jahren ein neues Album! Wow. Und der Titel sowie das im Vorfeld zirkulierende Coverartwork ließen bereits ahnen, dass es sich um vergleichsweise schwere Kost handeln würde.
Kurz vor dem Start des "Will To Power : Electronics II"-Festivals in Mannheim war es, als man seitens TESCO die Katze aus dem Sack ließ und das Releasedate des Albums für den Tag des Festivalbeginns am 17. Juni 2016 vermeldete. Der Rezensent ließ sich selbstverständlich nicht lange bitten und nutzte die Gunst der Stunde, um sich ebendort das luxuriöse 2xLP-Boxset zu einem zwar üppigen, der außergewöhnlich hochwertigen Ausstattung jedoch absolut angemessenen, Preis anzueignen. Wieder zuhause angekommen, intensivierte eine umfänglichere Inaugenscheinnahme den spontanen Ersteindruck, es handle sich tatsächlich um außergewöhnlich starken Tobak, will heißen um solchen, der die genreüblich abgefeierte Grundsatznegativität durch jene entscheidende Ingredienz übersteigt, verdichtet und intensiviert, die für CON-DOM seit jeher konstitutiv ist: die Rede ist einmal mehr von Authentizität, im vorliegenden Fall allerdings mit einer Wucht, die die, ohnehin schon zutiefst bedrückende, Wirkung des Albums bisweilen schwer erträglich macht. Je tiefer man eintaucht, desto unmittelbarer wird spürbar, dass DANDO das Thema des Albums nicht aus der kommoden Distanz einer fiktionalen oder theoretisch-abstrakten Perspektive, sondern aus unmittelbarer Erfahrung heraus entwickelt – und zwar so konsequent, schonungs- und erbarmungslos wie selten vorher. So wenigstens empfand es der Autor, als er das Booklet mit der umfangreichen, eine alte Frau in verschiedenen Stadien altersbedingten Siechtums zeigenden Fotoserie zum ersten Mal betrachtete – dass das finale, für die CD-Version als Frontcover fungierende (dem Vinyl-Boxset als Abzug noch einmal separat beigelegte), Foto ebendiese Frau mutmaßlich kurz nach dem Eintreten des Todes zeigt, schien einigermaßen offenkundig. Für den ersten Hördurchgang ließ man sich, der mutmaßlichen Schwere des Stoffes angemessen, also ein paar Tage Zeit und wartete erst einmal ab, bis sich ein solides psychisches Hochdruckgebiet und damit eine Gemütslage etabliert hatte, die der Konfrontation mit solchermaßen finsterem Material auch gewachsen zu sein schien. Dass dieses Vorgehen durchaus seine Berechtigung hatte, erwies sich schon nach wenigen Minuten – und am Ende saß der geschmetterte, sprachlose Rezensent offenen Mundes auf seinem Sofa und musste das, was er da eine gute Stunde lang um die Ohren gehauen und ins Bewusstsein getackert bekommen hatte, erst einmal sacken lassen.
NORA I
"How Welcome Is Death To I Who Have Nothing More To Do But Die" ist, der Titel könnte es kaum klarer zum Ausdruck bringen, eine radikale und schonungslose Auseinandersetzung mit dem Tode, genauer gesagt: mit dem Sterben – und das keineswegs im Hinblick auf irgendwelche gesellschaftlichen, politischen, historischen oder geographischen Nebenkriegsschauplätze, die man etwa wohlfeil von externer Warte aus betrachtete, durchdächte und beurteilte, nein: hier geht es um's individuelle, persönliche, ganz und gar existenzielle Sterben in unserer unmittelbaren Umgebung: ein Prozess, dessen Horror und Trostlosigkeit sich kaum einer so recht vorzustellen vermag, bis er ihn selbst (mit-)erleben muss: Entweder als nahestehender Mensch, als Freund oder Freundin, als Angehöriger oder – last but not least: als höchstselbst Betroffener. Tief beeindruckt und mittelschwer verstört von der ebenso radikalen wie bedrückenden Wucht, die ihm in Gestalt dieses Albums entgegenschlug, wollte der Verfasser Gewissheit haben und beschloss kurzerhand, Mr. CON-DOM persönlich anzuschreiben, um seine Fragen sozusagen in allererster Instanz zu klären. MIKE DANDO erwies sich als bemerkenswert freundlicher und entgegenkommender Korrespondenzpartner, der bereitwillig Auskunft über die persönlichen und thematischen Hintergründe des vorliegenden Albums gab, das wohl mit Fug und Recht als das persönlichste seiner Karriere gelten darf.
CON-DOM live, 2015
Schon im ersten, oberflächlichen Zugriff offenbaren sich Züge eines Konzeptalbums, dessen einzelne Tracks nicht nur mehr oder weniger lose um einen thematischen Mittelpunkt kreisen, sondern vielmehr eine kohärente Geschichte erzählen; dies wird umso offenbarer, je intensiver man sich damit beschäftigt: Die, wenn man so will, Protagonistin des Albums ist in der Tat jene alte Dame, von der weiter oben bereits die Rede war: ihr Sterben und ihr Tod stehen im Zentrum jener "labour of death", als die DANDO das Album im Booklet selbst bezeichnet. Dieser quälend sich hinziehende Leidensweg wird in Text, Bild und Ton erbarmungslos offen dokumentiert, umkreist, hinterfragt und ästhetisch dermaßen verdichtet, dass die Attribute "unbehaglich", "bedrückend" oder "deprimierend" die Wirkung dieses Werkes nur unzulänglich und behelfsmäßig wiederzugeben vermögen. In den Credits erfahren wir schließlich auch ihren Namen: "to nora: for surviving, existing for so long: for suffering her living death for so long – and then oblingly dying – how welcome her death to i.........". Es fällt auf, dass die Worte der Protagonistin, jener Nora, im zweiten Track, "Living Death", mehrfach an einen Michael adressiert sind, was beim Rezensenten spontan die Vermutung weckte, es könne sich bei ihr möglicherweise gar um eine nahe Angehörige von DANDO selbst handeln. Da an dieser Stelle ein Höchstmaß an Pietät und Diskretion absolut geboten schien, wurde die Frage so behutsam wie möglich formuliert, wobei als Antwort die schnörkellose Bestätigung der Eingangsintuition folgte: Ja, in der Tat, es handele sich bei Nora tatsächlich um niemand geringeres als DANDOs Mutter, die, schwer an Alzheimer und Demenz erkrankt, die letzte Zeit ihres Lebens in diversen Krankenhäusern und Pflegeheimen zubrachte, bis sie nach einem, 18 Monate schleppend sich hinziehenden Martyrium schließlich und endlich verstarb.
DANDO verarbeitet mit "How Welcome Is Death To I ..." diese, nachvollziehbarerweise immens belastende, Erfahrung und setzt damit, auch wenn das keineswegs die zentrale Intention des Albums ist, seiner Mutter ein, wenn auch extrem bitteres, Denkmal, das manch einer aus Gründen frei flottierender, oberflächlich ins Kraut schießender Pietät erst einmal etwas "schwierig" finden dürfte. Dazu besteht jedoch nicht der geringste Anlass: aller unbarmherzigen Desillusionierung und schonungslosen Offenheit zum Trotz, die das Album fraglos auszeichnen, ist es a) die persönlichste, b) die empathischste und c) die zutiefst menschlichste – im unprätentiösesten Sinne des Wortes – Arbeit, die DANDO bislang vorgelegt hat. Man möchte die Superlative noch weiter treiben und das Werk gleich zu CON-DOMs Opus Magnum schlechthin küren … - doch gemach! Zuerst einmal gilt es, das Album einer etwas eingehenderen Betrachtung zu unterziehen.
Das von heiterem Kindersingsang getragene Intro "Grandad You're Lovely" basiert – wie übrigens auch das Outro "Grandma (There's No-One Quite Like)" – allen Ernstes auf einem britischen Nummer-1-Hit der 1970er-Jahre und soll, wie DANDO ausführt, den Kontrast noch einmal vertiefen, der zwischen jenem heilen, ideal lebensversicherten Seniorenuniversum, das uns massenmedial so gerne vorgegaukelt wird, und der Realität in den Hospizen und Palliativeinrichtungen unserer Gesellschaft besteht, die das Album zum Thema hat. Und ganz in diesem Sinne kippt – wie durch den, ebenfalls dem fraglichen No.-1-Hit entnommenen, im vorliegenden Zusammenhang freilich tendenziös gebrauchten Untertitel "Silently Falling About" bereits angedeutet – der unbeschwerte Kinderchor dann auch ziemlich zügig in jene klaustrophobisch-krank tönenden Kakophonien ab, die zum ersten zentralen Track, "Living Death", überleiten: Während sich ein unregelmäßig an- und abschwellendes, penetrantes Heulen durch das harsch pulsierende, stetig dichter werdende Noisegewummer fräst, exponieren die verdoppelt, aber asynchron einsetzenden, bisweilen leicht an den typischen Vortragsstil von PHILIP BEST erinnernden, Vocals aus Nora Dandos Perspektive den ebenso desperaten wie desolaten inneren Monolog eines Menschen, der, während er in einer Pflegeeinrichtung auf den Tod wartet, ganz bewusst miterleben muss, wie er seiner fundamentalen körperlichen und geistigen Kompetenzen peu à peu verlustig geht und sich letztlich langsam auflöst. Die Kohäsionskräfte von Körper und Geist lassen kontinuierlich nach, bis sich am Ende jeder strukturelle Zusammenhalt verflüchtigt hat. Lässt man all die geschilderten Details – den Verlust der Kontrolle über die Ausscheidungsorgane, die Unfähigkeit, Nahrung aufzunehmen, das absolute Angewiesensein auf andere in allen Fragen des täglichen Lebens, den daraus resultierenden Selbsthass – angemessen auf sich wirken und kombiniert sie mit dem Studium jener Fotoserie, die – wir ahnten es bereits – DANDO während der letzten 18 Monate anlässlich seiner Besuche in jenem "waiting room of death" (O-Ton Booklet) anfertigte, in dem seine Mutter vor sich hinvegetieren musste, bis sie schließlich sterben durfte, kann einem schon außerordentlich klamm um's Herz werden. Hier sind insbesondere die Lyrics, die die wachsende Desorientierung und Entfremdung der Moribunden, ihre Angst und Ihren Hass auf sich selbst und ihre Umgebung widerspiegeln, von tragender Bedeutung, und umso dankenswerter ist der, für CON-DOM eher ungewöhnliche Umstand, dass sie samt und sonders im Booklet versammelt sind.
Quasi als Bindeglieder zwischen den einzelnen Tracks fungieren kurze, in den fraglichen Krankenpflege- und Hospizeinrichtungen gemachte und später nachbearbeitete Field Recordings, welche die bedrückende Atmosphäre noch vertiefen. Der Titeltrack ist eine vergleichsweise charakteristische CON-DOM-Nummer: amorphes Gewummer und Gefiepe, dazu DANDO, der aus der Perspektive seiner siechen Mutter deren ganzem Lebensüberdruss und Todessehnsucht mit monotoner Stimme Ausdruck verleiht, bis das Stück schließlich in einen amorphen Mahlstrom von Noisepatterns mündet, um schließlich zu versickern. Das nun folgende Intermezzo "Sarah I" ist ein wunderbares Beispiel für die besagten, ebenso subtilen wie beklemmenden, akustischen Milieustudien: Zu hören ist die Stimme einer alten, immer wieder den gleichen Singsang wiederholenden Frau – Sarah –, während im Hintergrund verwaschene Stimmen und Radio- oder Fernsehergeräuschfetzen zu hören sind. Sarah, so erklärt DANDO, teilte sich mit seiner Mutter das Zimmer im Pflegeheim – und machte auf ihre jeweiligen Bedürfnisse, egal ob es um Essen, den Gang zur Toilette oder sonstige menschliche Zuwendung ging, durch immer den gleichen "Gesang" aufmerksam – eben jenen, irgendwie hohl und geisterhaft klingenden "Woooo-hooo, wooo-hoo“-Singsang, der über anderthalb Minuten hinweg mantraartig immer aufs Neue ertönt. Dementsprechend findet sie denn auch in den Acknowledgements Erwähnung: "to sarah: for sharing nora's space – together, totally apart – and for sharing her most basic needs so vocally".
NORA II
Der anschließende Track "Chocolates" darf wohl als einer der ersten Höhepunkte des Albums gelten: musikalisch für CON-DOM ungewöhnlich rhythmisch und face-forward in die Fresse, ist dies eines der wenigen Stücke, das keinen persönlichen Bezug aufweist, sondern eine Nebengeschichte erzählt, die freilich demselben Themenkreis verpflichtet bleibt: Die Lyrics, so DANDO, seien von den Schriften einer englischen Ärztin adaptiert, die, unheilbar an einer seltenen neurologischen Störung erkrankt, in der Schweiz eine Sterbehilfeeinrichtung aufsucht, weil sie es ihrer Familie ersparen will, sie auf einem ähnlich langwierigen und qualvollen Leidensweg begleiten zu müssen, wie sie selbst ihren, einige Jahre vorher nach langer, schwerer Krankheit verstorbenen, Partner. MIKE DANDO ist hier kaum noch hinter den Vocals auszumachen, doch sollen die entsprechenden Manipulationen dem Hörer auch den Eindruck einer instabilen, von schwerer Krankheit gezeichneten, stammelnd und stockend sprechenden Person vermitteln. Der auf den zwischengeschalteten Fünfsekünder "Scream" folgende Track "T4" schließlich spielt auf die, in der Berliner Tiergartenstraße 4 untergebrachte, "Aktion T4" an, die während der nationalsozialistischen Herrschaft mit der systematischen Vernichtung "lebensunwerten Lebens" betraut war. Die – teilweise in deutscher Sprache vorgetragenen – Lyrics basieren auf einem dokumentierten Fall und kolportieren einen fiktiven Brief an die NS-Behörden, in dessen Verlauf der Verfasser zu deren – ob vorgeblich oder nicht, bleibt unentschieden – eigenem Besten sowie dem ihrer Familie um die Tötung seiner "geistig und körperlich kranken Mutter" bittet, die sich zu "einem nutzlosen Esser, einem nutzlosen Verbraucher von Luft, einer unnötigen Belastung der ohnehin knappen Zeit und Ressourcen, einer sinnlosen Platzverschwendung" entwickelt habe; er erklärt zudem sein Einverständnis mit einer Autopsie, auf dass "zukünftige Patienten von dem Wissen profitieren, das aus dem Zustand meiner Mutter gewonnen werden kann". DANDO umkreist und betrachtet das Thema Tod und Sterben aus allen denkbaren Perspektiven: ob es um selbstbestimmtes Sterben, um Sterbehilfe aus eigener Kraft, um solche mit fremder Hilfe oder um die damit verbundene Legitimationsproblematik geht – bei all der diffusen Sympathie, die er, exemplarisch in "Chocolates", angesichts des tiefen Leidens von Betroffenen und Angehörigen immer wieder für die Idee einer Euthanasie aus Mitgefühl durchschimmern lässt, so offenbart er auch und gerade im Rahmen des Tracks "T4" eine hohe Sensibilität für die hochproblematischen Aspekte, die in pragmatischer Hinsicht damit verbunden sind. Wenn also "Chocolates" den Fokus der Betrachtung auf die Selbstbestimmtheit des Individuums und den Gnadenakt richtet, den die Möglichkeit des Freitods für einen todkranken Menschen bedeuten kann, so legt "T4" den Finger in jene Wunde der Missbrauchsanfälligkeit, die dem Konzept der Euthanasie immanent ist.
"Get away – let me go to sleep", hört man Nora in dem kurzen Intermezzo rufen, das "T4" von "Just Fuckin' Die", dem zentralen "Hit" des Albums, trennt. Keine Frage: Es fühlt sich etwas seltsam an, angesichts solch bleischweren, tiefdunklen Materials einzelnen Stücken so etwas wie "Hitcharakter" zuzusprechen – dennoch: "Just Fuckin' Die" geht so wunderbar wummernd und bratzig nach vorne los, dass es ungeachtet seines offensiven Memento-Mori-Charakters eine wahre Pracht ist. Hier brennt die Luft und CON-DOM präsentiert sich abermals von einer ebenso ungewohnt wie nachdrücklich rhythmischen Seite, während die Vocals in gewohnt unterkühlt-aggressivem Duktus jenen Wunsch artikulieren, der sich mit fortwährender zeitlicher Dauer perspektivlosen Leidens und sinnlosen Siechtums wohl zwangsläufig immer tiefer ins Bewusstsein der Betroffenen schiebt: einfach endlich, endlich, endlich sterben. Ein Ende machen. Abschließen und auschecken – Exitus eben: "Just Fuckin' Die". Nachdem wir im letzten Zwischenspiel, "Sarah II", noch einmal dem fragilen Singsang von Noras Zimmergenossin lauschen dürfen, leitet das Album schließlich den finalen Titel – nomen est omen! – "Ending (Nora)" ein, dem tatsächlich etwas von einem Entgleiten oder Entschweben eignet, indem er die immer zerbrechlicher, amorpher und zusammenhangloser werdenden Satzfetzen aus Noras Mund aneinanderfügt und in einem monotonen Hintergunddröhnen langsam ausklingen lässt. Wir begreifen: Wenn dieses versinkende Gemurmel zu guter letzt verstummt ist, starrt uns nur noch jenes ausdruckslos erschlaffte, jeder inneren Spannung beraubte Gesicht mit dem offenen Mund und den halbgeschlossenen Augen aus den Kissen an, das MICHAEL DANDO am Ende noch einmal fotografiert und zum Cover der CD-Version von "How Welcome Is Death To I Who Have Nothing More To Do But Die" gemacht hat. Was könnte angemessener für eine derart beispiellose Meditation über den Tod und das Sterben sein?
Und beispiellos ist die vorliegenden Veröffentlichung ohne jede Frage. Selten begegnet ein Album, das derart konsequent, schonungs- und kompromisslos eine dermaßen nachtschwarze, bleischwere, bedrückende und zutiefst existenzielle Thematik vor dem Hintergrund persönlicher Erfahrungen behandelt wie das vorliegende. Wobei das Wort "selten" an dieser Stelle lediglich als Understatement-Floskel dient, dem Autor selbst ist nämlich – zumal im PE/Noise-Genre – schlichtweg nichts Vergleichbares bekannt. "How Welcome Is Death To I ..." kann – oder besser: muss – als Ausdruck eines Bewältigungsprozesses und damit als Dokument einer Transformation interpretiert werden, die das gängige genretypische Herumgewühle in Tod, Terror, Wahnsinn, Krankheit und Vernichtung Lichtjahre hinter sich lässt. Bezeichnenderweise zollt DANDO in den Acknowledgements TODAY, I'M DEAD... und ATRAX MORGUE seine Anerkennung, "whose collective spirit, sickness, anatomy and physiology haunt this place". Und das kann kaum verwundern, schließlich wurde MARCO CORBELLI, der Mann hinter ATRAX MORGUE, insbesondere durch die schiere Intensität und Authentizität jenes existenziellen, nekrophil-nihilistischen Furors zur Ikone des Genres, der ihn im Jahre 2007 schließlich zum suizidalen Finale trieb.
CON-DOM live, 2014
Denn während es, von dergleichen Einzelfällen abgesehen, den meisten PE-Projekten niemals ganz gelingt, das subtile G'schmäckle eitlen Kokettierens loszuwerden, das ihrem künstlerischen und musikalischen Output mal mehr, mal weniger deutlich anhaftet, besticht das vorliegende Werk durch die radikale und totale Abwesenheit jedweder prätentiösen Pose oder selbstverliebten Attitüde, respektive: Eitelkeit. Hier finden keine wohlfeilen Selbstbespiegelungen statt, hier werden keine naseweisen Urteile gefällt oder wortreiche Erklärungen gegeben, nein: hier geht es um die nackte, ungeschminkte, hinfällige, verletzliche und ab ovo zum Tode verurteilte Wurst. DANDO verzichtet auf Ratschläge, denn er hat keine Antworten anzubieten. Dass er aber dazu steht und seiner Rat-, Sprach- und Fassungslosigkeit in diesem, nicht mehr und nicht weniger als erschütternden, Werk so rückhaltlos offen Ausdruck verleiht: das ist es, was "How Welcome Is Death To I Who Have Nothing More To Do But Die" so g r o ß und – ja: so zutiefst human macht. DANDO hat mit diesem Album ein postmodernes Memento Mori vorgelegt, dessen entschlossenes Verharren im prekären Modus der offenen Frage und radikale Weigerung, sich mit fadenscheinigen, vordergründigen Rationalisierungen des gänzlich Inkommensurablen abspeisen zu lassen, zu einem Querverweis auf den alttestamentarischen Hiob geradezu einlädt, denn auch dieser, bekanntlich ein "gottgefälliger Mann", weist – nachdem er zur Prüfung seines Glaubens auf Geheiß des Allmächtigen Familie, Besitz und Gesundheit verloren hat – rigoros sämtliche Versuche seiner Freunde zurück, das ihm Widerfahrene unredlich zu rationalisieren und so scheinbar kommensurabel zu machen: Hiob hält unbeirrt an seiner Fassungslosigkeit fest, er weiß, dass jeder aus dem Hut gezauberte, vermeintliche "Grund" für seine Situation nur ein illusionärer Vordergrund ist, der das Unfassbare und Unerklärliche erträglich machen soll, dabei aber niemals über den Status einer, mit Nietzsche gesprochen: "kleinen, geputzten Lüge" hinauskommt, unter der unverändert das nihilistische Grauen lauert. Hiob indes bleibt standhaft in der Agonie und bekommt am Ende, quasi als Anerkennung für seine Unbeugsamkeit, die ertrotzte Antwort direkt vom Himmlischen Thron vor den leidgeprüften Latz geknallt. Wer nun wissen möchte, wie diese mirakulöse Antwort im Detail lautet, dem sei der beherzte Griff zum "Buch der Bücher" anempfohlen, doch stelle man sich auf einen relativ überschaubaren Erkenntnisgewinn ein, denn Jehova reüssiert an dieser Stelle mit einer dezidierten "Basta!"-Haltung, neben der selbst Altkanzler Gerd "Basta!" Schröder vergleichsweise blass aussieht. Doch wen wundert's: "Der Tod ist ein Skandal", stellte schon Jean-Paul Sartre angesichts der Tatsache fest, dass die individuelle Endlichkeit sowie das damit verbundene Leiden und Sterben eo ipso unfassbar sind für den innerhalb der Welt der Erscheinungen auf das Rad von Raum und Zeit geflochtenen Menschen. Was dem bleibt, der dazu fähig ist, ist der irrationale – oder besser a-rationale – Sprung in den Glauben. Und es sei an dieser Stelle dem kolumbianischen Aphoristiker Nicolás Gómez Davila überlassen, jene Basis, auf der sich der Sprung vollziehen mag, in eine angemessene Sentenz zu gießen: "Sterben ist das untrügliche Zeichen unserer Abhängigkeit. Unsere Abhängigkeit ist das untrügliche Fundament unserer Hoffnung".
Ach, ein letzter Hinweis noch: Wer nach dem bewussten und intensiven Durcharbeiten (und die Worte sind mit Bedacht gewählt, untendrunter geht's nämlich wirklich nicht!) dieses Albums die Abfassung einer Patientenverfügung immer noch für überflüssigen Tingeltangel hält, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen. – In diesem Sinne: Gedenke, oh Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst ...
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