Ursprünglich sollte HEAVY ELECTRONICS III – der Name signalisiert den thematischen Anschluss an die legendären ersten beiden Festivals gleichen Namens 1993 und 1996 – in Frankfurt/Main stattfinden, aufgrund diverser Querelen mit dem Betreiber der anvisierten Location sah man aber schließlich davon ab und lud stattdessen in den Mannheimer "7er"-Club, was vom einen oder anderen mit verhaltenem Genörgel quittiert, vom Autor hingegen rundweg positiv aufgenommen wurde, hatte er den Laden doch vom Ende 2012 dortselbst zelebrierten Festival anlässlich des 25-jährigen TESCO-Dienstjubiläums in angenehmer Erinnerung behalten. Und dieser positive Eindruck wurde, so viel sei an dieser Stelle gleich vorweggenommen, auch zweieinhalb Jahre später rundum bestätigt: Perfekte Größe für eine Veranstaltung dieser Art, freundliches Personal (inklusive Security!) und eine sympathisch begrünte Außenfläche, die umso gemütlicher wird, je weiter der Abend voranschreitet. Das Line-Up gestaltete sich hochkarätig und wurde insofern dem Anspruch, der aus dem eingangs erwähnten Bezug resultiert, in vollem Umfang gerecht. Noch mehr gilt dies in rückblickender Betrachtung, weil in konkreter Kenntnis jenes "Überraschungsgastes", von dem im Vorfeld so viel geraunt und gemunkelt wurde, dass die Überraschung schließlich keine allzu große mehr war. Da nämlich ein Auftritt von PRURIENT geplant war, mit dem die PE-Übergötter von GENOCIDE ORGAN zeitgleich eine Split-LP aufnahmen, lag die Annahme zum Greifen nahe (und fand in der entsprechenden facebook-Gruppe mehr oder weniger offene Bestätigung), dass sich die fabulösen vier höchstselbst die Ehre geben würden. Und so kam es dann ja auch – und wie: "Venerunt, viderunt, vicerunt" sozusagen. – Doch der Reihe nach. Den Eingangsact am Freitag gab THO-SO-AA, dem der Verfasser dieser Zeilen – man sehe es ihm bitte nach – leider derart wenig abgewinnen kann, dass er die Aussicht auf ein entspanntes Einstimmungsbierchen im besagten, mit allerlei Grünzeug, Bänken, Tischen und Lichtgeflacker ziemlich muckelig gestalteten Außenbereichs des – stimmigerweise in der Industriestraße 7 gelegenen – "7er" weitaus verlockender fand. Gesagt, getan, erst wurde sich also noch ein bisschen von den Strapazen der Anreise erholt und das Ambiente genossen, während es von drinnen bereits düster dräuend in den lauen, vogeldurchzwitscherten Sommerabend dröhnte. Als nach einer kurzen Pause dann ALFARMANIA die Bühne betraten, war der Autor allerdings ganz fix zur Stelle, war deren, dortselbst zelebrierter, erster Auftritt in Deutschland für ihn doch – neben BRIGHTER DEATH NOW und PRURIENT – einer der entscheidenden Auslöser, die ihn zum Besuch der Veranstaltung bewogen hatten. Mastermind KRISTIAN OLSSON trat mit Unterstützung eines, dem Autor namentlich unbekannten, jüngeren Herrn auf, der durch seine, irgendwie zu stylishe und gefällige Erscheinung jene morbide Authentizität leider etwas dämpfte, die, zusammen mit dem gepflegt-apokalyptischen Habitus in Fragen der Selbstinszenierung, den musikalischen und künstlerischen Output des Projektes aus Sundsvall, Schweden, so außergewöhnlich intensiv machen. Da wusste OLSSON selbst mit frisch geschorenem Schädel, ungerührt-grimmer Miene und schlichter schwarzer Garderobe angetan schon deutlich mehr zu überzeugen, wie er da hinter seinem, mit ALFARMANIA-Banner verhängten Pult stand und abwechselnd entweder hochkonzentriert die Knöpfchen drehte oder aber in bester LEMMY-Manier von unten nach schräg oben ins Mikro bellte. Visuell begleitet wurde die Darbietung der beiden erwartungsgemäß durch Foto- und Videomaterial, das unverkennbar OLSSON'sche Handschrift trug – jeder, der einigermaßen mit dem künstlerischen Treiben des Mannes, insbesondere im Rahmen von ALFARMANIA sowie dem Vorgänger SURVIVAL UNIT, vertraut ist, weiß, wovon die Rede ist, machen seine charakteristischen, wirklich, wirklich, wirklich finsteren Collagen doch das überwiegende Gros des Coverartworks beider Projekte aus. Musikalisch gab man zum Besten, womit zu rechnen war, und das mit ordentlich Druck im Kessel. Der Sound war ordentlich, die Lautstärke angemessen und die Musiker mit Ernsthaftigkeit und Eifer bei der Sache – ideale Bedingungen also für eine gelungene Darbietung, und richtig: insgesamt bekam der geneigte Zuhörer eine überaus intensive, durchaus druckvolle Packung auf die Ohren, die mit geschätzten 40-45 Minuten auch genau die richtige Dauer hatte. Zweifelsohne ließen Tracks und Performance mit der Zeit eine gewisse Statik bzw., wenn man so will, Tendenz zur – ja: Monotonie erkennen, doch ist dies ja integraler Bestandteil der narkophilen Post-Mortem-Programmatik, wie man das Grundkonzept von ALFARMANIA in Anlehnung an diverse Selbstattribuierungen der Band behelfsmäßig umreißen könnte. Wer also mit überbordendem Abwechslungsreichtum gerechnet hatte, wurde zwar enttäuscht, machte aber möglicherweise die bestrickende Erfahrung, dass auch und gerade jener ungesund delirierende, ebenso amorph wie brutal dröhnende, aurale Nihilismus, den OLSSON und sein Mitstreiter zelebrierten, eine nachgerade sogartig-hypnotische Wirkung entfalten kann. ALFARMANIA Nach einer weiteren, bei Bier und Nikotin gemütlich im Außenbereich verbrachten, Pause stand mit KE/HIL der Auftritt der "anderen Inkarnation" der Mannheimer Lokalmatadoren und Platzhirsche WILHELM HERICH und BRIGANT MOLOCH von GENOCIDE ORGAN auf dem Programm. Nachdem der Autor die beiden bereits im vergangenen Jahr anlässlich EPICUREAN ESCAPISM III in Berlin und TOWER TRANSMISSIONS IV in Dresden erleben konnte, hatte sich bei ihm das Grundgefühl einer sicheren Bank etabliert – und diese Intuition wurde auch in Mannheim nicht enttäuscht, im Gegenteil. In schwarzer Gewandung und mit priesterlichem Stehkragen ausstaffiert, hatte man sein begeistertes Publikum von Anfang an fest im Griff. Gespielt wurden nach Eindruck des Autors überwiegend Stücke vom neuen Album "Zone 0", wie immer wechselten sich die beiden am Mikro ab, wobei MOLOCH (alias "KE") den offensiv-aggressiven, mit betont agitativem Habitus bisweilen leicht ins Hysterische kippenden Part gab, während HERICH (alias "HIL") mit dem charakteristischen, ungerührt sachlich-kühl über die Menge schweifenden Blick für die eher eindringlich-hypnotischen Gänsehaut-Momente zuständig war. Die massive Bühnenpräsenz des, über Jahrzehnte gemeinsamen ... äh ... Musizierens perfekt aufeinander eingespielten Duos ist immer wieder beeindruckend und wurde durch die eingesetzten Videoeinspielungen perfekt unterstützt, welche sich um die für beide Alben zentralen Themen urbaner Entwicklungsplanung, -steuerung nebst damit einhergehender sozialer Verwerfungen gruppierten: "Viva Prekariata Extremista!" skandiert MOLOCH, und die Menge jauchzt. KE/HIL
Überhaupt fiel während der KE/HIL-Performance eine ungewöhnlich ausgeprägte Lust an euphorischem Verehrungsgebahren seitens der Anwesenden auf, die sich auch im weiteren Verlauf immer wieder Bahn brach und dem Autor in dieser Intensität neu war – jedenfalls kann er sich nicht erinnern, vorher schon einmal ein derart überbordendes Bedürfnis seitens einiger Teile des Publikums beobachtet zu haben, die Akteure auf der Bühne ganz unmittelbar anzufassen, zu berühren, als ginge es um die spirituelle Teilhabe an der Aura eines Heilsbringers. Doch ungeachtet der streng-reservierten Haltung, die die beiden Grand Seigneurs der Szene in der Regel auf der Bühne einzunehmen belieben, ließen sie den messianischen Taumel der Gemeinde geduldig über sich ergehen und die Arme und Hände gewähren, die nach ihnen griffen. Man ist eben Profi. Dementsprechend herrschte gemeindeseitig denn auch allenthalben eitel Sonnenschein, als KE/HIL nach einem perfekt portionierten Set von ca. 45 Minuten Dauer nicht ohne ein bisschen Pathos ihr Hochamt beendeten: "The Resistance Has Begun ..." stand da an der Bühnenwand zu lesen, vor der KE und HIL im Gegenlicht verharrten. Wer genau hier nun freilich mit welchen Mitteln wogegen genau Widerstand leisten soll, verbleibt im deutungsoffenen Raum – doch ist es ja gerade diese Deutungsoffenheit, die Verweigerung gegenüber endgültigen Festlegungen, die maßgeblich für den unbehaglichen Kitzel und damit das Faszinosum der Arbeiten von KE/HIL wie GENOCIDE ORGAN sind. KE/HIL Nach einer letzten Zigarettenpause – das Rauchverbot wurde im "7er" tatsächlich bemerkenswert konsequent eingehalten – betrat mit ROGER KARMANIK alias BRIGHTER DEATH NOW der Headliner des Abends in mittelschwerer Scandinavian-All-Star-Stärke die Bühne, nämlich im Komplettpaket mit THOMAS MARTIN EKELUND aka TREPANERINGSRITUALEN und LINA BABY DOLL aka DEUTSCH NEPAL, die der Performance qua elektrisch verstärkter Saiteninstrumente einen gewissen Rock'n'Roll-Nimbus verliehen. Und der wurde von KARMANIK nach Kräften befördert, um nicht zu sagen: Der Mann gab mit enthusiastischer Kompromisslosigkeit die PE-Rampensau inklusive Bier- bzw. Weinduschen, Stagediving, Bad in der Menge und allem Pi-pa-po, und wurde so der auf seinem T-Shirt ausgegebenen Parole vollumfänglich gerecht: "When You Like It Hard" – Bingo: Treffer, versenkt! (Am Merchandise-Stand spähte der Autor nach dem fraglichen Shirt zu seinem nicht enden wollenden Bedauern übrigens vergeblich aus, das, so muss sofort hinzugefügt werden, war aber auch der einzige Minuspunkt.) Die Zeremonie begann der COLD MEAT INDUSTRY-Gründer (jetzt: FAMILJEGRAVEN) und unumstrittene Hohepriester des schwedischen Death Industrial mit der Verteilung von hostienartigen, runden (essbaren?) Objekten, des weiteren machte eine Rotweinflasche die Runde, es konnte also keinem Zweifel unterliegen, das hier dem im Publikum grassierenden, unbedingten Willen zur Heiligenverehrung durch die Spende einer Quasi-Kommunion noch zusätzlicher Vorschub geleistet werden sollte. Was musikalisch dann folgte, war ein buntes Potpourri der größten Kracher aus zweieinhalb Jahrzehnten Bandgeschichte – und wer sieht, mit welch offenkundigem Spaß und welcher Emphase dieser mittelalte, nicht allzu große, leicht zerknautscht wirkende Mann auf, vor, neben und hinter der Bühne derwischgleich am Toben ist, der vermag kaum zu glauben, dass er nach eigenem Bekunden (vgl. entsprechende Statements anlässlich der Aufgabe von COLD MEAT sowie der Veröffentlichung von "Very Little Fun") um ein Haar endgültig in den Untiefen einer klinischen Depression versunken wäre. Kein Zweifel, hier hat jemand wieder Freude an dem, was er tut – und es bereitet ein diebisches Vergnügen, ihm dabei zuzusehen. BRIGHTER DEATH NOW Konsequenterweise überließen seine Mitstreiter KARMANIK auch weitestgehend das Feld und übten sich lediglich zum allgemeinen Amüsement hie & da wohldosiert in angedeutet metalesker Poserei. Mr. KARMANIK zeigte sich in vorbildlicher Verfassung, rockte das Haus und kam dem Körperkontakt suchenden Volk auch in dieser Hinsicht bereitwillig entgegen, wenngleich bisweilen vielleicht ein bisschen ruppiger, als sich das der eine oder andere gewünscht hätte. Angesichts dieser rundum glorreichen Performance, die dem, bis dahin durchaus gefällig, doch ohne wirkliche Überraschungen angenehm dahingleitenden Abend noch einmal ungeahnten Wumms verlieh, stand der Sieger des Abends zweifelsfrei fest: Mit BRIGHTER DEATH NOW wurde die sprichwörtliche Wurst in jeder Hinsicht vom nicht minder sprichwörtlichen Teller gezogen. – Glücklich, gesättigt und der orgiastischen Abschlussshow entsprechend solide angetrunken verließ man die Stätte des Geschehens und freute sich bereits auf die Fortsetzung am Folgeabend. Der begann mit PAIN NAIL gleich ausgesprochen zünftig, steht das Projekt von MARKO KOKKONEN und FREAK ANIMAL-Betreiber MIKKO "GRUNT" ASPA doch für kompromisslos offensiven In-die-Fresse-PE mit – ja: mit jener irgendwie sinistren Note, die so typisch für viele skandinavische Projekte ist. Puristisch und ohne jeden Firlefanz in der Ausführung wurde ein kraftvolles und konzentriertes Set präsentiert, untermalt von Hintergrundvisuals, die unmittelbar das Artwork der letzten CD "Magneettinen Kohtalo" aufgriffen und dessen spröde, nordisch-karge Atmosphäre atmeten. Konsequenterweise lag der Schwerpunkt des gebotenen musikalischen Materials ebenfalls auf dem letzten Album. Noch mehr als im vergangenen Jahr während der Show von PAIN NAIL anlässlich TOWER TRANSMISSIONS IV in Dresden hielt sich ASPA diesmal im Hintergrund und überließ die Rolle des Frontschweins komplett KOKKONEN, der auch für die Vocals zuständig ist, während ASPA selbst sich auf die Bedienung der Regler sowie gelegentliche Metallteilbearbeitung beschränkt. Von zusätzlichem, die Atmosphäre unterstützendem, ja steigerndem Reiz erwies sich übrigens, wie auch schon am vorangegangenen Abend, die virtuos eingesetzte Beleuchtungstechnik nebst Laseranlage, die effektvoll war, dabei aber immer wohldosiert blieb und ohne planlos quietschbuntes Herumgeflacker auskam. Auch in dieser Hinsicht ein Lob an den Veranstalter. Summa summarum sorgten PAIN NAIL mit ihrem rauen, schmutzig-bratzigen und dabei doch irgendwie archaisch anmutenden Material für einen vielversprechenden Start in die zweite Runde und verließen nach einer guten halben Stunde die Bühne. PAIN NAIL
Es folgte TREPANERINGSRITUALEN, dessen ubiquitäre Livepräsenz dem Autor in letzter Zeit bei aller Sympathie für die Person und aller Begeisterung für das Werk des THOMAS MARTIN EKELUND langsam ein wenig inflationär anmutete, und dessen Auftritt er deshalb mit relativer Gelassenheit entgegenblickte. Nichtsdestoweniger legte der Grafikdesigner aus Göteborg mit der bestrickenden Okkultrocker-Optik eine überaus energetische und mitreißende Performance hin, in deren Verlauf er das Publikum mit einem bunten Reigen sämtlicher T x R x P-Gassenhauer von "Papist Pretender" über "All Hail The Black Flame", "Castrate Christ" bis zu "The Seventh Man" buchstäblich beglückte. EKELUND begann seinen Auftritt einmal mehr mit Sack über dem Kopp und Strick um den Hals, was bei all dem eilig generierten Trockeneisnebel seine Wirkung nicht verfehlte. Mit dem zweiten oder dritten Stück wurden Sack & Seil dann beiseite gelegt und weiter ging's mit vertraut kunstblutverschmierter, zauselbärtiger Visage, wobei insbesondere der Bart – am ersten Tag übrigens adrett zum Zöpfchen geflochten – im Laufe der letzten zwei Jahre zunehmend imposantere Züge angenommen hat. Nein, man kann es nicht bestreiten: Überzeugende Gestalt, der Mann. Ein Skandinavier von echtem Schrot und Korn, möchte man sagen. Und ab Mitte bis Ende der Performance ein eingesudeltes, lederbehängtes, tollwütig guttural ins Mikro gröhlendes Urviech, das unmittelbar dem Abyssos oder anderweitigen chthonischen Untiefen entstiegen zu sein scheint. Kein T x R x P-Titel kann wohl programmatischeren Status beanspruchen als "Feral Me" von der 2014 erschienen "Papist Pretender"-7'', beobachtet man EKELUND während seiner Bühnenshow. TREPANERINGSRITUALEN Ach ja, der Vollständigkeit halber sei's erwähnt, dass selbstverständlich auch das obligatorische, mit T x R x P-Banner verhängte Altärchen mit Totenkopf und Räucherstäbchen wieder zusätzlich für stimmungsvolle Atmosphäre sorgte. Und auch, wenn man demjenigen, der TREPANERINGSRITUALENs "Live Rituals" eine gewisse Vorhersehbarkeit attestiert, nun definitiv nicht den Vogel zeigen kann, so sind sie dessen ungeachtet doch eine sichere Bank in Sachen Unterhaltungswert, denn der bewegt sich stets auf hohem Niveau. Nach dem unglaublichen ROGER KARMANIK war Meister EKELUND jedenfalls definitiv der Partybär des Festivals. Kurzum: Hat Spaß gemacht. Hat wirklich, wirklich Spaß gemacht. Am Ende hatte es dann sogar so viel Spaß gemacht, dass Autor und Begleitung spontan beschlossen, die Pause zu überziehen und den Auftritt von PROPERGOL für ein, zwei oder drei weitere Bierchen sowie mehrere Zigarettchen gepflegt zu schwänzen. Für des Verfassers Empfinden kommt das französische Projekt seit jeher irgendwie zu geschniegelt und gelackt daher – was für Musik, Artwork, Videoscreenings und Liveauftritte gleichermaßen gilt –, als dass es ihn wirklich zu fesseln wüsste, der Begleitung war's wurscht, da sie PROPERGOL ohnehin nicht kannte und des Verfassers Urteil vertraute. Bleibt zu hoffen, dass sich am Ende nicht noch herausstellt, dass das ein riesengroßer Fehler war und man das Konzert der Dekade verpasst hat. Das, was vom Ort des Geschehens nach draußen in die warme, lauschige Juninacht drang, wies allerdings eher nicht darauf hin. Mit dem nun folgenden Auftritt von PRURIENT wurde es allerdings wirklich noch mal spannend: Zum einen ist der Exil-New-Yorker und Wahl-LAer in Deutschland ein eher selten gesehener Gast, zum anderen umfasst sein musikalisches Oeuvre mittlerweile eine derart beeindruckende, von amorphem Noise über aggressive PE und kontemplative Dark Ambient-Tracks bis hin zu Quasi-Techno reichende, stilistische Bandbreite, dass im Vorfeld keineswegs klar sein konnte, was genau einem im Folgenden blühen würde. Seit einigen Jahren bereits lotet DOMINICK FERNOW bekanntlich die Grenzen des Genres aus und hat das Ergebnis dieser musikalischen Erkundungszüge unlängst in dem einigermaßen epischen (2CD/3LP), ebenso komplexen und vielschichtigen wie in sich stimmigen Album "Frozen Niagara Falls" zusammengetragen, mit dem er die fraglichen Grenzen quasi transzendiert. Dementsprechend wird der Mann, dem seit seiner Zeit bei COLD CAVE ohnehin der Ruch des Popstarhaften anhängt, mittlerweile auch von den publikumsträchtigeren Multiplikatoren des Musikbetriebs wahrgenommen und mit Interesse rezipiert. So war man also mit gutem Grund in froher Erwartung, die zudem durch das, eingangs bereits angesprochene, Gerücht zusätzlich befeuert wurde, anlässlich der parallel stattfindenden Aufnahmen für ein gemeinsames Split-Album käme es möglicherweise noch zu einer Live-Kollaboration zwischen PRURIENT und den Lokalmatadoren von GENOCIDE ORGAN. Zunächst einmal stand FERNOW jedoch alleine auf der Bühne. Angetan mit Lederhose und brutalstmöglich ausgeschnittenem ... äh ... Hemd, das großzügig den Blick auf ziemlich solides muskuläres Equipment freigab, präsentierte sich der, nicht unbedingt als hünenhaft zu bezeichnende FERNOW betont grimmig und erinnerte den Verfasser dergestalt im Gesamteindruck tatsächlich ein kleines bisschen an den guten, alten GLEN DANZIG – aber diese Assoziation ist freilich völlig subjektiv. Ziemlich von Anfang an tobte, hüpfte und stolperte er unter wildem Gewippe und Geschüttel von Kopf und Oberkörper über die Bühne und schrie dabei wie ein Besessener ins Mikro – ziemlich schnell war also klar: Hier & heute liegt der Schwerpunkt nicht auf akademischem Gefrickel und subtilen Experimenten, sondern dem Anlass angemessen auf amtlichem Gebrülle und Gebratze. Nichtsdestoweniger wusste der Funke nicht so recht auf den Berichterstatter überzuspringen: zu künstlich, bemüht und irgendwie aufgesetzt wirkte das hysterische Gehüpfe, das der kleine, schlecht gelaunte Mann mit dem bitterbösen Blick da auf der Bühne zelebrierte. PRURIENT Gottlob erwies sich das kursierende Gerücht als zutreffend, denn nach einiger Zeit enterten doch tatsächlich die Mannen von GENOCIDE ORGAN die Bühne, standesgemäß in schwarze Kampfanzüge nebst Sturmhauben gekleidet – und starteten ein Finale, das dieser, letztlich ohnehin rundum gelungenen, Veranstaltung die verdiente Krone aufsetzte. Die Setlist umfasste neues, älteres und bislang unbekanntes Material, mutmaßlich von der besagten, derzeit in Produktion befindlichen Split-LP. Was die Bühnenpräsenz betrifft, so war es insbesondere WILHELM HERICH, der den gehypten US-Star klar auf die Plätze verwies, denn dessen geballtem Charisma hatte FERNOW außer tobsüchtigem Gezappel nicht allzuviel entgegenzusetzen. So kam es, dass der gemeinsame Auftritt massiv von den Mannheimern dominiert wurde und PRURIENT zunehmend in den Wahrnehmungshintergrund – wenigstens des Rezensenten – gedrängt wurde. Am Ende stand eine überaus intensive :GO:-Performance vom Feinsten, musikalisch absolut mitreißend und auf visueller Ebene durch allerlei Bild- und Filmmaterial kongenial unterstützt, das die komplexen historischen, politischen und philosophischen Bezüge, die die Band in ihrer Arbeit aufmacht, gewohnt markant illustrierte. Vor der Bühne kam es abermals zu jener kollektiven messianischen Euphorie, die bereits am vorangegangenen Abend zu beobachten war, doch ließen sowohl MOLOCH als auch HERICH sämtliche Tatsch- & Grabbelattacken durch die ihnen sich entgegenstreckenden Hände geduldig und mit stoischer Ruhe über sich ergehen. Was soll man sagen? GENOCIDE ORGAN sind live eine Naturgewalt und die sichere Bank des Genres schlechthin – man ist geneigt, sie in Anlehnung an den zeitgenössischen Fiskaldiskurs als systemrelevant zu bezeichnen. Wollte man dies hübsche Bild noch weiter treiben und könnte der Versuchung partout nicht widerstehen, WILHELM HERICH in Analogie zum Josef Ackermann der PE küren, so wäre dieser Vergleich, wiewohl recht ausdrucksstark, doch wenig schmeichelhaft und verböte sich angesichts des konzeptuellen Hintergrundes der Band ohnehin von selbst, deshalb soll an dieser Stelle ausdrücklich darauf verzichtet werden. Doch angesichts der mehr als berechtigten Ausnahmestellung, die :GO: innerhalb des Genres bekleiden und gerade bei Liveauftritten so fulminant unter Beweis stellen, kann das rezensentenseitige Ringen um Superlative schon mal bizarre Blüten treiben. GENOCIDE ORGAN & PRURIENT Fazit: Den an HEAVY ELECTRONICS III Beteiligten ist das Kunststück geglückt, die großen Fußstapfen, deren Verfolgung man sich qua Veranstaltungstitel verschrieben hatte, in vollem Umfang auszufüllen. Hier gab es schlechterdings nichts zu bekritteln. Allenfalls die Bierpreise kamen dem Verfasser und seiner Begleitung für süddeutsche Verhältnisse ein wenig hoch vor, doch als Hamburger ist man entsprechendes gewohnt, insofern tat es der generalisierten Rundumbegeisterung keinen Abbruch. In diesem Sinne: Mehr davon! Wir freuen uns schon auf HEAVY ELECTRONICS IV. Video (c) Philipp Strobel
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