Schallplattenbörsen mögen für viele ja ein altes Relikt sein. Die Orte, wo die Börsen stattfinden, meist kleinere Stadthallen oder Foyers größerer Hallen, wirken – so viel muss man zugeben – auch nicht gerade hip, sind oft schlecht gelüftet und atmen gestalterisch den Geist der 70er oder 80er Jahre. Zudem gibt es natürlich auch die üblichen Gerüchte über die Leute, die sich auf solchen Börsen herumtreiben, vielleicht auch weil der eine oder andere nicht nachvollziehen kann, warum man (immer) noch Tonträger – dazu oftmals oder hauptsächlich gebrauchte – kauft(!) oder sich auch noch für die japanische Pressung einer Platte interessiert, die man sowieso schon zweimal im Schrank hat. Und ja, der deutliche Überhang der männlichen Besucher ist nicht wegzudiskutieren. Trotzdem oder gerade deswegen – und im Nachgang zum diesjährigen Record Store Day, der vom umtriebigen Redakteur auf der Börse im Ruhrcongress Bochum am Sonntag nachgefeiert wurde: ein Plädoyer für die Schallplattenbörse.
Was macht also so eine Schallplattenbörse aus? Und um es vorweg zu nehmen: CDs werden in der Regel zwar angeboten, fristen aber mehr ein Rand- bzw. Wühlkistendasein, wobei es natürlich auch heute CDs gibt, die eher selten zu bekommen sind und auch gute Gebrauchtpreise erzielen – das ist aber ein anderes Thema. „DVD, CD & Schallplattenbörsen“ sollte man übrigens ohnehin eher meiden, weil da in der Regel nur DVDs und Ramsch zu haben sind – so meine subjektive Erfahrung.
Aber zurück zum Thema: Der Charme einer Schallplattenbörse kann zum einen darin liegen, sich einfach treiben zu lassen. Natürlich gibt es im Gegensatz dazu auch die Sammler, die mit langen Listen durch die Halle streifen, um spezielle Veröffentlichungen zu suchen. Aber genauso spannend ist es in der Regel, einfach zu schauen, was das Neu- oder Gebrauchtangebot so hergibt – also dem Interesse am Stoff an sich zu frönen. Selbstredend hat fast jeder dabei aber auch eine Liste im Kopf, welche Platten sich in den heimischen Kisten noch gut machen könnten. Ein Vorurteil über Schallplattenbörsen ist natürlich, dass es dort außer Platten von den BEATLES bis zu den ROLLING STONES nicht viel gibt. Tatsächlich gibt es immer noch haufenweise alte Rock- und Popmusik und die üblichen Standards. In den letzten Jahren wandelt sich der Markt aber zusehends, sodass vermehrt auch Metal-, Indie-, Punk- und Alternative-Platten gut sortiert zu finden sind. Zudem zeigt sich hier auch das Krautrockrevival, sodass man noch einige Schätze ergattern kann. Wer Klassikplatten sucht, ist hier übrigens eher falsch, da Vinylplatten mit klassischer Musik – ebenso wie Schlager oder Volksmusik – echtes Kassengift darstellen und so sieht man ein ums andere Mal ältere Frauen über die Börsen ziehen, die offenbar die Klassiksammlungen ihrer Männer verkaufen wollen und dort regelmäßig bei den Händlern abblitzen.
Problematisch für die Börsen war natürlich über die Jahre neben dem aufkommenden Internet (Auktionsplattformen etc.) der lange Niedergang des Vinyls, wobei die Verkaufszahlen bis zur Mitte der Nuller-Jahre fast ins Bodenlose fielen. Zum einen wollte sich niemand mehr mit dem als umständlich geltenden Medium beschäftigen – Schallplattenspieler hatte auch kaum noch jemand. Zum anderen entstanden große Lücken im Repertoire, sodass unzählige Veröffentlichungen von der Mitte der 90er Jahre bis heute nicht auf Vinyl erhältlich sind (waren). Seit einigen Jahren erlebt das Vinyl aber ein regelrechtes Revival (Stichworte: Gegenbewegung zum seelenlosen und beliebigen Streaming oder zur Datei, Haptik, Wert von Musik, Klangeigenschaften etc.) – allerdings auf einem sehr geringen Umsatzniveau im Vergleich zum Download-, Streaming- und CD-Markt. Dennoch gelten die weltweiten Presskapazitäten seit 2014 als nahezu ausgereizt, weil seit den 80er Jahren keine neuen Maschinen mehr gebaut wurden, sondern lediglich alte – soweit noch möglich – wieder in Betrieb genommen wurden. Deshalb ergeben sich mittlerweile deutliche Wartezeiten für eine Pressung. Durch diese Situation beeinflusst wird/wurde die entstandene Lücke durch eine Reihe von Erst- bzw. Wiederveröffentlichungen auf Vinyl z.B. durch den Spezialisten MUSIC ON VINYL zumindest teilweise wieder geschlossen. Gerade bei Vinyl-Wiederveröffentlichungen ergibt sich natürlich die Diskussion darum, ob man mit dem modernen Remaster klar kommt. Persönlich bevorzuge ich immer noch eine Originalpressung, falls erhältlich, da ich kein allzu großer Freund des modernen Loudness-War-Masterings bin, das sich leider auch im Vinyl-Bereich ausbreitet. Folge der Entwicklung ist jedenfalls, dass sich heute auf jeden Fall wieder mehr jüngere Menschen auf den Schallplattenbörsen bewegen, da das Interesse insgesamt wieder gestiegen ist.
Unschlagbarer Vorteil einer Börse oder auch des Kaufens in einem Plattenladen ist es unzweifelhaft, dass man die Qualität der Platte und des Covers vor Ort prüfen kann. Gerade bei (Gebraucht-)Erwerbungen im Internet gibt es doch zu oft Meinungsverschiedenheiten über die angebliche Qualität der Platte und des Covers bzw. auch über die korrekte Bezeichnung (welche Auflage etc.) – für gewöhnlich ist ja alles geradezu Neuware, hat keine Wölbungen, ist die Erstpressung etc. Um hier mitreden zu können, ist natürlich eine gewisse Kenntnis der Materie eine Voraussetzung. Man sollte also schon einschätzen können, wie eine Platte aussieht, die korrekt auf dem eigenen Plattenspieler laufen wird, wobei Händler, die auf einer Börse sind, in der Regel keinen Schrott ankaufen oder diesen sofort in die 1-3-Euro-Kiste verklappen. Das gleiche gilt für die Qualität des Covers und für die Vollständigkeit – kein Plattenkenner wird eine Platte für einen ernsthaften Betrag erwerben, bei dem das originale Inlay, das Beiblatt, ein Sticker, ein Poster oder sonst etwas fehlt – oder eben nur zu einem deutlich angepassten Betrag. Ein interessantes Phänomen hierbei ist es oft, dass man bei Platten, die tatsächlich mit einer ordentlichen Auflage erschienen sind, Schwierigkeiten hat, ein qualitativ gutes Exemplar – also Platte und Cover – zu bekommen. Als Beispiel sei hier einmal das wunderschöne originale Floppy-Disk-Cover (mit Ausstanzungen!) der „Blue Monday“-12“ von NEW ORDER genannt, das man kaum einmal in hervorragender Qualität sieht. Dieses Cover, um das sich das legendäre Gerücht rankt, dass FACTORY wegen der hohen Kosten damit für jede verkaufte Einheit einen Verlust erwirtschaftet hat, sodass das Cover später geändert wurde, führte allerdings schon bei der Erstauslieferung aufgrund der Stanzungen zu Qualitätsproblemen – wie soll man da nach etlichen Jahren eine qualitativ vernünftige Version finden? Aber auch bei häufig zu findenden Durchschnitts-80er-Jahre Platten wie denen von z.B. DAF ist das Phänomen zu beobachten, dass man selten einwandfreie Exemplare findet.
Ist man auf der Suche nach Platten in etwas höherpreisigen Segmenten, denn es gibt natürlich auch die bereits erwähnten 1-3-Euro-Kisten, dann sollte man möglichst eine gewisse Marktkenntnis darüber mitbringen, was eine wirklich gute Qualität ist, was überhaupt selten ist bzw. wo die Marktpreise für die gewünschte Platte überhaupt liegen. Oftmals werden nicht wirklich seltene Platten in mäßiger Qualität auch mal für Mondpreise angepriesen. Meine etwas längere Erfahrung im Erwerb von Tonträgern hat mich ohnehin eins gelehrt: Manchmal muss man einfach Geduld haben, um eine Platte mit der richtigen Qualität zum gewünschten Preis zu bekommen, wobei sich meine Markteinschätzung zudem auch selten als falsch erwiesen hat. Letztlich geht es bei einer Börse aber natürlich nicht nur um den schnöden Erwerb, sondern auch einfach um die Beschäftigung mit der – und die Begeisterung für die Materie, das Stöbern und das Abgleichen mit Platten, die man selbst hat.
Auch wenn man manchmal das Gefühl hat, mit einer Horde Nerds in einem Raum zu sein, so entwickeln sich doch öfter ungezwungene Gespräche über einzelne Platten oder generelle Dinge. Die Händler sind zudem meist recht gut über ihre Ware im Bilde, helfen und reden gern und sind auch ohne zu zögern zum Handeln bereit, wobei man hier auch manchmal eine gute Argumentation haben muss d.h. (siehe oben) den Wert einschätzen können muss. Natürlich erlebt man auch eher seltsame bis komische Situationen, wenn wie zuletzt erlebt, eine Frau, die sich vor einen Stand, der sichtbar auf Metal spezialisiert war, stellte und den Händler, der dem Spezialgebiet des Standes gemäß aussah, fragte, ob er auch esoterische und beruhigende Musik führe, worauf der Händler verneinen musste aber darauf hinwies, dass MOTÖRHEAD grundsätzlich aber auch ungemein beruhigend wirken könnten.
Ob eine Plattenbörse nun etwas für einen ist, muss wohl letztlich jeder selbst für sich entscheiden bzw. hängt auch etwas von den eigenen Interessen ab. Für den Spezialisten, der ausschließlich Industrial-, Neo-Folk- oder Black-Metal-Platten sucht, ist so eine Börse wohl eher eine schwierigere Angelegenheit auch wenn es durchaus gebrauchte Schätze zu finden gibt. Für den etwas breiter aufgestellten Vinylfan dürfte aber in jedem Fall etwas dabei sein – und der Spaß an der Sache ist es auf jeden Fall wert.
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