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RÜCKBLICK AUF DAS SCHLAGSTROM-FESTIVAL

01.08. bis 04.08.2013


RÜCKBLICK AUF DAS SCHLAGSTROM-FESTIVAL
Kategorie: Spezial
Wörter: 1582
Erstellt: 10.08.2013
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Das „100% pure Noise-Industrial-Electro-Schlagstrom-Festival“ fand dieses Jahr auf dem Gelände des Betriebsbahnhofes in Berlin-Schöneweide statt, auf dem der Verein der „Berliner Dampflokfreunde“, der historische Züge und Waggons, mit denen Rundfahrten unternommen werden, ab- bzw. unterstellt. Ein ausgesprochen passender Rahmen, bedenkt man, dass das Industriezeitalter mittels solcher Stahlungetüme angezogen und bis dato kaum vorstellbar beschleunigt wurde. Auch ich beschleunigte meinen Schritt, denn nach Plan sollte die erste Band in wenigen Minuten beginnen. Mein Weg verlief von der S-Bahn-Station über eine halb zerfallene Fußgängerbrücke, dann die Treppen nach unten, und schon war ich da. Draußen auf dem Vorhof des Geländes lag ein kleiner, runder, steinerner Brunnen. Dann ein Bauwagen als Klo und ein Schlafwagen, der den Bands vor und nach den Konzerten als Rückzugsort diente. Drinnen im Lokschuppen – ging man zwei oder drei Schritte hinein und ließ das Mischpult hinter sich – war die Bühne. Gleich hinter dem Eingang gab es noch die Möglichkeit nach links zu den Merchandise-Ständen abzubiegen. Viel Zeit zum Umsehen blieb allerdings nicht. Der Zeitplan war eng gesteckt. So auch am Samstag (03.08.). Ja, an allen Tagen begann man bereits um 18:00 Uhr bzw. 19:00 Uhr. Abgesehen vom Donnerstag (01.08.) – an diesem Tag fanden die Konzerte der Bands, die der eher ruhigeren, ambienten Musik zuzuordnen sind, in der Dorfkirche in Berlin-Lichtenberg statt – war der Lokschuppen der Schauplatz der Konzerte. In etwa einstündigen Abständen waren dort nacheinander zu hören und sehen:

KELLERSCHLÄGER

MDS51

ZAN LYONS

N.U.UNRUH

CHRYSALIDE

MS GENTUR

MONOLITH & SIAMGDA

RED SNIPER

DIVE und

ESPLENDOR GEOMETRICO

– eine schweißtreibende Angelegenheit, bedenkt man, dass die Temperaturen sowohl draußen als auch insbesondere drinnen kaum auszuhalten waren. Schon wenn man nur dastand und zusah, lief einem der Schweiß. Und dann erst auf der Bühne ... Nun, nachdem der letzte Ton des Schlagzeugs der ersten Band KELLERSCHLÄGER, die in Berlin ihr Zuhause hat, ausgeklungen war, konnte man deutlich erkennen, dass die Freude der beiden nicht nur dem Applaus geschuldet, sondern auch Erleichterung war, alles ohne Kreislaufzusammenbruch wohlbehalten überstanden zu haben. Doch entgegen der Annahme, dass diese Hitze ein nur gemäßigtes Tempo erlauben würde, war dieser Einstieg ein ausgesprochen energiegeladener Ausbruch. Es wurden zwischen den vielleicht je zehnminütigen Stücken so gut wie keine Pausen gemacht. Und das Schlagzeug wurde geschlagen, als ob glühender Stahl in Form gebracht werden sollte. Dazu sägte eine Art E-Kontrabass, der über Effekte gesteuert mal rhythmisch mal flächig durch die Titel entweder in hohen Tonlagen koppelte, fiepte oder tief brummte. Die Musik und das Auftreten der beiden von KELLERSCHLÄGER, die sich abseits konventioneller Begrifflichkeit und damit klarer, eng gesteckter Definitionsgrenzen aufhalten, lässt sich für meine Begriffe mit nur zwei Wörtern apostrophieren. Und die wären da: Anmut und Härte.

Nach einer kurzen Umbaupause standen MDS 51 auf der Bühne. Wie ich gehört hab, war dies der erste und exklusive Auftritt vor Publikum. Hier wäre besonders zu erwähnen, dass abgesehen vom doch recht genretypischen Auftritt in Tarn und Skimütze auch ein Schlagzeug mit von der Partie war. Zwar ein elektronisches, und der Schlagzeuger stand leider etwas abseits im Dunkeln, doch ist eine, sagen wir, mechanische Rhythmusunterstützung eines Live-Auftrittes eindeutig kraftvoller als eine lediglich eingespielte digitale. Dazu liefen im Hintergrund Filmsequenzen, die den Sound optisch gut unterstützten. Das fanden einige im Publikum auch. Denn die für diesen Auftritt hergestellten Boxen, die mit CDs und einigem Zusatzmaterial bestückt waren, wurden verkauft.

Das nachfolgende Konzert von ZAN LYONS hab ich leider verpasst, weil auch ich mich etwas abkühlen musste, die Hitze es notwendig machte, sich der Flüssigkeitsaufnahme zu widmen. Allerdings blieb ich draußen nicht untätig und unterhielt mich mit dem Macher von „der7.ton“, einer Sendung, die über „Radio Schwarzes Brandenburg“ läuft und sich der besonderen Musik in Interviews und Specials widmet ... Nach dieser Pause ging es wieder hinein. Zentral auf der Bühne war nun ein aus Plastikflaschen zusammengewickeltes, sich drehendes Tom zu erkennen. Daneben stand N.U.UNRUH. Und im Hintergrund saß jemand an einer Gitarre, die durch Effekte allerdings als solche kaum herauszuhören war. Das etwa einstündige Set bestand aus typischer NEUBAUTEN-Stahlschlagzeug-Rhythmik und flächigen Sounds, die ab und an von Lauten und Wörtern durchzogen wurden.

Kurz darauf war CRYSALIDE, ein Projekt, das 1996 von GEOFFROY VINCENS und JACQUES MALINVAUD gegründet wurde, zu hören. Die auf der Bühne Agierenden hatten sich für ihren Auftritt – so sah es jedenfalls aus – mit schwarzer Tinte oder Teer, der sich in breiten Streifen über die nackten Oberkörper erstreckte, übergossen. In Anbetracht der nebenstehenden Lok hätte man denken können, dass sie damit auf das Zeitalter des Schmieröls und Kohlerußes verweisen wollten. Die Musik war treibend rhythmisch, an vielleicht SKINNY PUPPY und andere dieses Genres erinnernd, aber auch immer wieder von Elementen durchzogen, die aus Bereichen entlehnt wurden, denen man die Nähe zur hier gespielten Musik, eher ab- als zusprechen würde.

Mit MS GENTUR gingen dann – zumindest gehört – heftige Gewitter im Lokschuppen nieder. Luftschutzsirenen, gestützt von gebrochenen Schlägen auf Metall, ließen die Halle erschüttern. Verzerrt industriell und recht noisig waren die Tracks, die aus einem Laptop kamen. Das war zwar nichts für die Augen. Doch da war ja auch noch die Leinwand, auf der in loser Reihenfolge, Film-Loops liefen, so dass die Augen nach vorn gerichtet blieben.

MONOLITH & SIAMGDA musste für mich, aus ähnlichen Gründen wie vorher schon bei ZAN LYONS, ausfallen. Doch ging es – gefühlt jedenfalls – nahtlos gleich weiter ... RED SNIPER – einerseits ein sowjetischer Scharfschütze namens „Vassili Zaitsev“, der zwischen dem 10. November und dem 17. Dezember 1942 in Stalingrad insgesamt 225 deutsche Soldaten abschoss und so zu seinem Spitznamen kam, eine Uhr fürs Nato-Militär und anderseits ein audio-visuelles Projekt, das schon 2011, so wie N.U.UNRUH und CRYSALIDE, auf dem Schlagstrom-Festival zugegen war. Die Musik wirkte – vielleicht lag es an der Pause – etwas leichter, weniger verzerrt und kratzig. Auf der Leinwand waren nun, wie schon bei MDS 51, eigens produzierte Filmsequenzen zu bestaunen. Mir fiel vor allem die Schlüsselszene aus BUNUELs „Der Andalusische Hund“ – wie soll ich sagen – ins Auge. Dazu wurde nachfolgend das Wort „believe“ in die Filme eingeblendet, und zwar in allen Wort  zusammensetzungen, -ausschnitten und -spielen. Da wären be (lie) ve und Lie (be) gewesen. Dann stand da nacheinander: „fuck“, „fuck will find a way“, „fuck blinds a man“, „fuck is better than breathing“ ... Draußen lief eine Video-Performance. Glockenspiel, eine Zebrakopfgestalt. Drinnen aber ging es gleich weiter. Die kleinen Fenster des Lokschuppens vibrierten schon heftig. Die Leute, die kurz nach draußen gegangen waren, strömten wieder hinein. Denn nun ging es den Höhepunkten zu.

Es spielte nun DIVE, d.h. DIRK IVENS stand auf der Bühne, der schon mit THE KLINIK Erfolge feiern konnte und hier nun auch dementsprechend abgefeiert wurde. Als Einstieg gab er einen alten Klassiker zum Besten: „Blood Money“. Das wirkte im Verhältnis zum mittendrin Gehörten und trotz der späten Stunde – es war bereits weit nach zwei Uhr – ungestüm und wirklich frisch. IVENS stand von Anfang an mit einem schwarzen, bis zum Bauchnabel aufgeknöpften Hemd auf der Bühne. Und er lief, heizte das Publikum mit auffordernden Gesten an, hin und her, stellte ab und zu ein Bein auf den Bühnenmonitor. Das wirkte schon auch etwas rockig – auch dass er sein Mikrofon in die Luft hob und im Takt hin- und herschwang. Selbstverständlich holte IVENS dann auch das Megafon hervor. Insgesamt ziemlich gut. Das alles war tanzbar und dennoch Kilometer vom Rock-Pop entfernt. Der Sound war druckvoll. Das Publikum ging mit. Und schließlich – obwohl der Zeitrahmen sehr eng gesteckt war – wurde, den eindringlichen Rufen des Publikums entgegenkommend, sogar noch eine Zugabe gespielt.

Dann, es dämmerte draußen schon langsam, ESPLENDOR GEOMETRICO, eine Band, die schon seit 1980 unterwegs und deren Name an einen Text von MARINETTI angelehnt ist. Darin wird von der „geometrische(n) Pracht“ der modernen Technik gesprochen. Und ja, es war eine Pracht. Während ARTURO LANZ zunächst noch hinter seinem Laptop stand und sich SAVERIO EVANGELISTA die Kopfhörer zum Vorhören auf die Ohren schob, ging es nur kurz darauf gleich voll zur Sache. LANZ stand schon bald am Mikrofon. Und nun drückte es aus allen Poren – nicht weil es immer noch sehr heiß war, sondern alles aus einem herausquetscht wurde. LANZ klang dann am Mikrofon so, als würde er etwas beschwören wollen. Er schrie, jaulte und murmelte Formeln. Dahinter donnernde, im reinen Sinn des Wortes, Maschinenmusik – ein Schlusspunkt wie ein, wenn auch zweimal wegen technischer Probleme kurz unterbrochen, anhaltender vielfacher Urknall ...

Insgesamt ein zeitlich recht eng gesteckter, breit angelegter, sehr heißer Samstag. Vielleicht wäre von allem etwas weniger mehr gewesen. Auch dass für Berliner Verhältnisse die Getränkepreise ähnlich wie die im Berghain waren, stieß mir, ich hatte nicht sonderlich viel Geld dabei und es war, wie gesagt, unbeschreiblich heiß, leicht bitter auf. Doch das ließ sich verschmerzen. Denn das Besondere ist eben nicht billig ... Auf dem Heimweg kam mir noch in den Sinn, dass sich seltsamerweise das Vokabular des Digital-Computer-Zeitalters noch nicht derart wie das des Industriezeitalters in Redewendungen niedergeschlagen hat. Wir sagen noch immer: Dampf machen, obwohl es längst keine dampfbetriebenen Maschinen mehr gibt und die Dampfloks mittlerweile in Lokschuppen stehen. Wir produzieren immer noch wie am Fließband, obwohl den größten Teil dieser Form der Arbeit mittlerweile Roboter verrichten. Die Musik wird vom Band eingespielt. Wir stehen unter Strom. Und das liegt dann vielleicht daran, dass das Industriezeitalter immer noch nicht vorbei ist – sowie die Musik, die es begleitet und seinen langsamen Verfall bis zum Ende feiern wird ... Ich freu mich schon aufs nächste Jahr.


 
awk für nonpop.de


Verweise zum Artikel:
» Schlagstrom-Homepage
» KELLERSCHLÄGER@raum20
» MDS 51
» MS GENTUR Live-Ausschnitt
» DIVE Live-Ausschnitt
» ESPLENDOR GEOMETRICO - Schlagstrom


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