Ich kann den Satz einfach nicht oft genug wiederholen: "Eine Sauce ohne Dill ist wie eine Sauce mit Dill, nur ohne Dill." Diese und ähnliche Lebensweisheiten, mit denen man in Gesprächen und auf Partys glänzen kann, stammen von MÄUSE. Das Duo um TEX RUBINOWITZ und GERHARD POTUZNIK existierte schon einmal, von 1994 bis 1999. Damals klang die Wiener Kombination aus Cartoonist / Autor (RUBINOWITZ) und Musiker / Produzent (POTUZNIK) allerdings noch gänzlich anders; eher nach elektronischem Experiment. Mit "Das Judasevangelium" (NONPOP-Besprechung) meldet sich die Band nach mehr als zehn Jahren nun zurück, live ergänzt durch PHILIPP QUEHENBERGER (Tasten), DIDI KERN (Schlagzeug). Bei einem Auto würde man wohl von 'Runderneuerung' sprechen, denn der Sound ist heute ein komplett anderer als in den ersten Jahren: Das neue Album rockt! Über diesen Wandel, die neuen MÄUSE, FALCO und TOCOTRONIC habe ich mit TEX RUBINOWITZ gesprochen (kniend auf dem Bild oben)...
Hallo Herr RUBINOWITZ! MÄUSE als Bandname – was sagt uns das? KAFKA, Kohle, Mädels? Der Bandname ist ein Missverständnis, die erste Platte hieß "Mäuse", irgendwann hat sich das ohne unser Zutun, aber gegen unseren Willen als Bandname durchgesetzt. Aber bitte immer ohne Artikel, als letzter dürrer Rest von Individualität, die man uns nicht auch noch nehmen kann. Und wie kam das MÄUSE-Bandlogo zustande? Schlechte Kindheitserfahrungen mit MICKY MAUS? Das ist von der dänischen Band DISNEYLAND AFTER DARK (heute D-A-D) geliehen, obwohl ich FIX UND FOXI-Anhänger war, und GERHARD Fan von DUSSEL DUCK. Die Legende um FALCO und GIG RECORDS begleitet quasi jeden MÄUSE-Auftritt. Zwei Fragen dazu: War es wirklich so, dass FALCO Fan der MÄUSE war und Ihnen dazu geraten hat, ein Album auf GIG RECORDS zu veröffentlichen (1994), wo er auch unter Vertrag stand? Wie lief das damals, war er auf Ihren Konzerten? Ist keine Legende. FALCO war zwar nicht direkt Fan, aber er war auf unserem ersten Konzert, er trug damals eine Glatze. Dass wir auf demselben Label waren, das FALCO groß gemacht hat, ist Zufall, er war da aber bereits woanders. Und wir danach ja auch. Und dass Ihre erste Scheibe der angeblich größte Flop des Labels war, stimmt das auch? In einem Interview mit Ihnen habe ich die Zahl von 171 verkauften Exemplaren gelesen ... Ja, das stimmt natürlich, sowas kann man doch auch gar nicht erfinden, es war halt das falsche Label und die falsche Zeit, die Leute dachten, auf der Platte sind erzählte Witze, etwa über Nilpferde und Nagetiere, sie wurde auch in den Läden völlig falsch einsortiert, nämlich in der Märchenabteilung, da fand sie natürlich keiner. Dass sich auf der Platte eine von MAX GOLDT gesungene elfsekündige Coverversion von KLFs "Justified & Ancient" und eine andere Coverversion der Death Metal-Band AUTOPSY ("Twisted Mass Of Burnt Decay") befindet, hat gar keiner mitbekommen. CHRIS REIFERTs (Chef von AUTOPSY) Nachfolgeband hieß URINE JUNKIES, wir haben immer überlegt, unseren verblödeten Namen, auch aus Hommagegründen, abzulegen und uns fortan CORTISON JUNKIES zu nennen, aber wechsle mal ein galoppierendes Pferd. Wir waren danach auf einem adäquaten Label (CHEAP RECORDS), von PATRICK PULSINGER und DRDEM TUNAKAN, das ging dann viel besser, besserer Vertrieb, bessere Läden, und dadurch konnten wir sogar mal mit SUICIDE auf eine Minitour gehen. Die Death Metal-Coverversion Ist es nicht ironisch, dass Sie heute mit der Musik, die Sie früher gemacht haben, vermutlich recht erfolgreich wären? Elektronische Klangbasteleien, Loops, Elektroakustik, Musique Concrète, das sind im Moment ja fast Massenphänomene ... Ich sag mal so, wir haben kein Trauma mitgenommen, dass wir zu früh dran waren, ist halt Pech, VELVET UNDERGROUND haben sie ja auch erst später begriffen, und: "It's 1942, and Lou Rabinowitz is born in Brooklyn, New York. By the time 1943 rolls around, his name is Lou Reed - daddy decided the name needed changing." Obwohl, wie erwähnt, erfolgreichere Alben bei einem anderen Label erschienen, lösten Sie Sich recht rasch wieder auf, und zwar nach fünf Jahren, 1999. Lag es tatsächlich am Stress der vielen Konzerte, wie in manchen Kurzbiografien zu lesen ist? Naja, das Auflösen war eher ein pathetischer Akt, ein wenig Buhlen um Aufmerksamkeit, einen Trennungsgrund gab's nicht wirklich, aber es war tatsächlich im Anschluss an eine sehr anstrengende Tour mit den GOLDENEN ZITRONEN (zu Fünft in einem Bett), und wir dachten, machen wir mal was anderes, und gründeten das Label (ANGELIKA KÖHLERMANN), da muss man nicht touren, obwohl wir mit einem AK-Act auch ein bisschen getourt sind, mit einem japanischen Duo (SAM & VALLEY) nach Enns, einer österreichischen Zuckerstadt, haben dort in einer Zuckerfabrik gespielt und nach Zlin, der tschechischen Schuhstadt (BATA Schuhe), natürlich in einer Schuhfabrik. Was gab den Ausschlag zum Neustart? Wir wurden gefragt, ob's uns noch gäbe, und ich hab mich versprochen, hab Ja gesagt, und am nächsten Tag wurde ein Gig in einer Brauerei (OTTAKRINGER) bestätigt, da war das Kind praktisch im Brunnen beziehungsweise im Braukessel und wir mussten spielen, und dann kam der Paris- und mehre Portugalgigs, im MUSÉE D'ART MODERNE DE LA VILLE DE PARIS vor 1000 Gästen, man bewarf uns mit Rotweinflaschen und Brie, aber es hat wieder Spaß gemacht. In Portugal spielen wir seitdem einmal im Jahr, haben da so eine treue Fangemeinde, eins der vielen MÄUSErätsel. Und wie wollen Sie den Stress nun vermeiden? So unwahrscheinlich ist es ja nun nicht, dass Ihr neues Album, über das wir gleich noch sprechen, Erfolg haben könnte ... Heute tun wir uns ja nicht mehr so viel Stress an, wir spielen auch nicht mehr in halbleeren Hallen in Halle, sondern nur in vollen Museen in Paris. Wenn ich mir Ihre früheren Stücke anhöre, dann waren das ja eher elektronische, gefrickelte Experimente, ab und zu auch mit Gitarre. "Das Judasevangelium" dagegen ist – bis auf ein, zwei Ausnahmen – ein knochentrockenes Rockalbum. Was ist denn da in der Zwischenzeit passiert?? Wenn wir sagen, der unmoderne Sound ist das neue Ding, weil er uns gerade gefällt, weil er uns ja wirklich gefällt, dann kann man davon ausgehen, dass in zwei Jahren das alle machen. Sie scheuen Sich ja nicht, Referenzen und Einflüsse für MÄUSE kenntlich zu machen, im Gegenteil. Welche Vorbilder, Idole, Referenzen haben denn Ihr aktuelles Album beeinflusst? OMEGA, SCORPIONS, SUICIDE, SLADE, MAGMA, FAUST, THROBBING GRISTLE, MELVINS, MUTTER, ASHRA TEMPLE, DEVIL'S BLOOD. Können wir das auch umgekehrt machen? Mit wem wollen Sie auf keinen Fall verglichen werden? Lustig fand ich mal Ihre Einschätzung von TOCOTRONIC als "weinerlich konformistischer Singsang" ... Ich mag ja TOCOTRONIC, nur ist alles bei denen so vorhersehbar und überraschungsarm und überkonstruiert eklektizistisch, und also kann man das Zeug nur ein einziges Mal hören, so wie bei NIRVANA, das ist mir zu wenig. Noch schlimmer ist dieser angesagte Gröhlgesang à la ARCADE FIRE, da bekomme ich regelrecht Zahnschmerzen, das ist nur die anbiedernde Übereinkunft zwischen Band und Publikum, die Versicherung ihrer angeblich unkonformistischen Einzigartigkeit, widerlich, kein Unterschied zu den TOTEN HOSEN, METALLICA und "Anton Aus Tirol". Wer ist für die begnadeten Texte verantwortlich? Und wie kommen die zustande? Also in welchem Zustand fallen Ihnen Weisheiten wie "Eine Sauce ohne Dill ist wie eine Sauce mit Dill, nur ohne Dill" ein? Weiß auch nicht wo das herkommt, das Zeug liegt doch auf der Straße, muss man nur aufheben, der Text zum Beispiel zu "In Der Schlichtheit Liegt Der Verdorrte Pomp" ist eine Todesanzeige, die genau so erschienen ist, hat mir mal ROBERT GERNHARDT geschickt. Wenn sie geschrieben steht, klingt sie lächerlich ("… war er für uns der gebürtige Asiate, oder der sympathische Wahl-Lüdenscheidter …"), wenn es allerdings pathetisch gesprochen wird, verschwindet plötzlich diese Lächerlichkeit, das interessiert mich, wie Stimmungen völlig verändert werden können, es kommt nur auf die Art der Darreichung an, vielleicht liegt's aber auch an der Musik, die ist übrigens von DIETER ZIMMERMANN, dem Ex-Verlobten von AGNETHA FÄLTSKOG. Das Lied mit dem Dill Bleiben MÄUSE eine Rockband? Was erwartet uns auf dem nächsten Album – wenn es überhaupt eines gibt? Keine Ahnung. Vielleicht machen wir Doo Wop ("Lou Reed's first recording was as a member of a doo wop-style group called The Jades ..."). Herr RUBINOWITZ, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg mit dem neuen Album!
Michael We. für nonpop.de
Verweise zum Artikel: » MÄUSE bei Bandcamp Themenbezogene Artikel: » MÄUSE: Das Judasevangelium
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